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3. Brüssel – Ständige Vertretung bei den Europäischen Gemeinschaften, 1981–85

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Dort landete ich mehr durch den Zufall oder dank der Widrigkeiten der Versetzungspolitik des AA, nachdem im Frühjahr 1981 eine erste Versetzung mit Ziel Madrid aus Zeit- und Verfügbarkeitsgründen gescheitert war. Mein Botschafter in Algier, inzwischen Gerd Berendonck, bis dahin die Nummer 2 an der Botschaft Moskau, bestand gegenüber Bonn darauf, einen Juristen für die komplexe Konsulararbeit in der Mannschaft zu haben. Und wieder sollte sich diese Versetzung als eine Riesenchance erweisen.

In den kommenden vier Jahren sollte ich mich in alle wesentlichen Materien der europäischen Politik einarbeiten und an wesentlichen Verhandlungen teilnehmen bzw. diese bearbeiten. Dies vor allem dank eines Botschafters – Giesbert Poensgen – und eines Gesandten – Jürgen Trumpf, dem späteren Staatssekretär des AA und dann Generalsekretär des EU-Rates –, die den Neuankömmling nachdrücklich förderten.

Diese Etappe brachte mich vor allem auch der Politik näher, ohne zu ahnen, dass diese in den nächsten gut 13 Jahren zu meinem Lebensmittelpunkt werden sollte. Die Arbeitsbereiche wechselten und nahmen mit der Zeit spürbar zu – und wieder waren die Themen ewig jung!

Es fing an mit den Beziehungen zu den damaligen Mitgliedstaaten des Warschauer Pakts einschließlich der Sowjet-Union – und zwar mit Sanktionen gegen die Sowjet-Union wegen der Verhängung des Kriegsrechts am 13. Dezember 1981 in Polen durch Präsident Wojciech Jaruzelski – er wollte Polen vor einer Tragödie bewahren, d. h. einer befürchteten sowjetischen Intervention zuvorkommen.

In Brüssel lief ein mehr als kurioses, ja skurriles internes Puzzle-Spiel unter den Mitgliedstaaten ab, die die Vorschläge der Kommission „zerpflückten“, um die für sie wichtigen Produkte aus der Liste von Sanktionen herauszubekommen: was blieb, war eine Liste, die man kaum als eine wirkliche Liste von harten Sanktionen bezeichnen konnte. Das Ost-West-Verhältnis wurde damals letztlich allein von einer Arbeitsgruppe wahrgenommen, die aus Gründen der Vertraulichkeit ohne Dolmetscher – als ob diese insoweit ein Risiko bedeuteten – in französischer Sprache tagte. Mein britischer Counterpart, mit dem ich mich in der Sache gut verstand, fiel in der Gruppe durch seine häufigen Versuche auf, Englisch als zweite Arbeitssprache zu etablieren. Ich meldete mich dann und sprach Deutsch! Nur so war er in der Umsetzung seiner Londoner Weisungen zu stoppen!

Die Sprachenfrage begann aber schon damals für uns Deutsche zu einem leidvollen Thema zu werden! Und den Kollegen sollte ich Jahre später wieder treffen – es war der spätere Sir Charles Powell; er, einer der besten seines Fachs, wurde über lange Jahre zu dem engsten Berater von Margaret Thatcher in internationalen Fragen.

Weitere Sanktionsfälle sollten folgen: neben dem Iran ging es um Argentinien wegen des Falkland – Krieges – mit einer meisterhaften Behandlung seitens des italienischen Vorsitzes, Außenminister Giulio Andreotti, der im April 1982 erstmals die Verabschiedung von Sanktionen mit Mehrheit – natürlich fast unbemerkt en passant bei Enthaltung Italiens! – ermöglichen sollte!

Parallel dazu durfte ich Zeuge einer ersten gelungenen „politischen Erpressung“ in der EG seitens des jüngsten Mitgliedslandes sein. Ich hatte damals auch die Mittelmeerpolitik mitzubetreuen. Andreas Papandreou hat ab 1982 den Rat der EG neun Monate lang blockiert, weil er eine sofortige Hilfe über damals drei Milliarden Rechnungseinheiten, heute Euro beanspruchte.

Das war nur ein Jahr nach Inkrafttreten des Beitritts, frei nach dem Motto: Ihr habt Griechenland beim Beitritt überfordert, „über den Tisch gezogen“, ihr habt uns Probleme bereitet, ich brauche als Ausgleich und als Soforthilfe dafür drei Milliarden.

Und er bekam sie – und so begann eine permanente Hilfestellung für Griechenland, die im Schnitt laut Brüsseler Berechnungen jährlich um 3% des griechischen BIP ausmachte, anders ausgedrückt über 100 Mrd. € in gut 30 Jahren! Und es sollte sich zeigen, dass das Mitgliedsland Griechenland für die Partner auch in der Zukunft ein schwieriger Fall bleiben sollte.

Das sog. „Griechische Memorandum“ wurde 1982 aus „optisch-politischen Gründen“ in die „integrierten Mittelmeer-Programme“, genannt „IMP“, eingekleidet. Das war der zweite Versuch des Aufbaus einer Mittelmeer-Politik nach dem schwachen ersten Anlauf in den 70er Jahren, aber auch 1982/83 gab es geschickte Trittbrettfahrer. Auf der einen Seite waren dies die Italiener, die damals die erste Milliarde für den Süden, den Mezzogiorno, durchsetzten. Was damit konkret geschehen ist, möchte ich auch heute noch gerne wissen. Der andere war Frankreich: „Im Hinblick auf den zu erwartenden Beitritt von Spanien müssen wir etwas für die Region des Languedoc-Roussillon tun.“ Die Franzosen haben 500 Millionen erhalten, damals ebenfalls eine stolze Summe. Ich würde auch insoweit gern sehen, was damit konkret geschehen ist. Haben nicht alle Europäer darauf einen Anspruch? Damals habe ich einiges über Effizienz und Nicht-Effizienz von EG-Geldern gelernt.

Grenzgänger: Deutsche Interessen und Verantwortung in und für Europa

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