Читать книгу Der literarische Realitätenvermittler - Joachim Hoell - Страница 27
Autoreflexivität
ОглавлениеEr war nämlich einer der größten Dichter in Kuhschnappel. wiewohl er bisher mehr seine Verse bekannt gemacht, als daß diese ihn bekannt gemacht hätten. (Jean Paul 104)
Im Siebenkäs finden sich mehrmals Nennungen von Werken Jean Pauls. In der Vorrede zum zweiten, dritten und vierten Bändchen des Siebenkäs kündigt der "Verfasser des Hesperus" (Jean Paul 146), der natürlich Jean Paul selbst ist, den nächsten Roman, Der Titan, an. Dieser Vorredner unterzeichnet mit Jean Paul Fr. Richter, also dem bürgerlichen Namen des Schriftstellers82. Eine kleine Notiz darunter klärt den Leser auf, daß "obiger Robinsonscher Freitag und Namensvetter" sein Freund sei, dessen "Vorrede [...] ordentlich beschlossen werden" (Jean Paul 151) muß. Jean Paul maskiert sich erst gar nicht mehr, sondern tritt als fiktive Figur in seinem eigenen Roman auf. Diese autoreflektiven Diskurse des Erzählers findet der Leser wiederholt im Siebenkäs, z.B.:
Es ist freilich mein Vorteil nicht, daß ich damals von allem nichts erfuhr, was nun halb Europa erfährt durch mich – ich war damals noch jünger und saß einsam zu Hause als Kopfsalat, willens, mich zu einem Kopf zu schließen, welches Schließen, sowohl beim Menschen als beim Salat, durch nichts mehr gehindert wird als durch nachbarliches Berühren des Nebensalats. (Jean Paul 537)
In der Auslöschung geschieht das gleiche, jedoch durch doppelte Brechung, nämlich seitens der fiktiven Autoren-Gestalt Murau und seitens des unbekannten Herausgebers, wenn Gambetti der Roman "Amras von Thomas Bernhard" (A 7f.) zur Lektüre aufgetragen wird.
Zudem reflektiert der fiktive Autor Murau ständig über die Niederschrift der Auslöschung innerhalb der Auslöschung: Überlegungen, wie Wolfsegg auszulöschen (A 199f.), "eine Schrift zu verfassen mit dem Titel: Die spöttischen Gesichter meiner Schwestern" (A 245), meine eigene "Selbstzersetzung und Selbstauslöschung" (A 296) niederzuschreiben, eine Schrift, "mit Die Mütter überschrieben" (A 299), zu veröffentlichen, "in der von mir geplanten Auslöschung [...] über den Schermaier [zu] schreiben" (A 457), "die Auslöschung [...] wird mich ein Jahr in Anspruch nehmen" (A 542), "halten wir uns ja ab und zu für eine solche Geistesarbeit befähigt [...] wie eine solche Auslöschung" (A 613), "mich zu schonen, [...] vielleicht noch diese Auslöschung [...] zu schreiben" (A 621), durchziehen den Roman. Der Plan ist verwirklicht worden, denn alle Punkte hat Murau auf seiner Auslöschungsliste abgehakt.
Siebenkäs ist mit der Niederschrift der Auswahl aus des Teufels Papieren beschäftigt, einer Satire Jean Pauls aus dem Jahre 1789. Er räsoniert über noch zu schreibende Werke (Titan) und über schon veröffentlichte Werke (Hesperus) Jean Pauls und streut Repliken zu der Kritik des Siebenkäs selbst ein83, was dadurch ermöglicht wurde, daß Jean Paul die erste Ausgabe von 1796/97 durch eine komplett überarbeitete zweite Fassung im Jahre 1817 ersetzte, der ein vierter Band hinzugefügt wurde. Die divergierenden Entstehungs- und Erscheinungsdaten der Auslöschung eröffneten auch Bernhard die Möglichkeit, in den im wesentlichen 1981/82 geschriebenen Roman noch kurz vor der Veröffentlichung im Jahre 1986 aktuelle politische Entwicklungen und autoreflektive Diskurse einzuflechten.