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Die Schriftsteller

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Es ist nicht gut, zu frei zu sein.

Es ist nicht gut, alles Notwendige zu haben.

(Pascal Pensées 57/379)

Eine weitere Analogie zum Siebenkäs besteht in der beiderseitigen Darstellung einer Schriftstellerexistenz und den daraus resultierenden Nöten. Eines der Hauptprobleme für Siebenkäs ist seine bedrohliche finanzielle Lage.

Jean Paul erlebte nicht nur die Armut seiner familiären Herkunft, sondern mußte auch den Leidensweg eines Hauslehrers einschlagen,84 bevor er von den Einkünften seiner Romane leben konnte. So wie am Ende des 20. Jahrhunderts eine Schwemme von Studenten vor der Erwerbslosigkeit steht, fehlte auch den Absolventen der Hochschulen in Deutschland um 1800 die Aussicht auf eine sichere Anstellung. Der Ausweg bestand oftmals in der Annahme einer Hofmeisterstelle, um wenigstens existentielle Bedürfnisse befriedigen zu können. So ist die Schilderung eines verarmten Armenadvokaten, der sich zu einem brotlosen Gewerbe wie der Schriftstellerei hingezogen fühlt, eine biographische Fiktionalisierung des Autors Jean Paul.

Bernhard gestaltet diese Problematik ebenso zeitgemäß und autobiographisch wie Jean Paul: auch Murau verdient sich als Hofmeister, wobei ihn nicht die existentielle Not dazu zwingt, denn seine materielle Unabhängigkeit, die zweifelsohne Reichtum ist, enthebt ihn der alltäglichen Notwendigkeit, für seinen Lebensunterhalt sorgen zu müssen. Sein hoch dotierter Unterricht als Deutschlehrer Gambettis, dessen Eltern sich in dem Glauben wägen, "eine großzügige Mäzenatengeste" (A 210) zu zeigen, ist nicht von der Not diktiert, Geld zu verdienen, das er "selbst im Überfluß" (A 210) hat und "sozusagen pro forma von ihm annehme" (A 484).

Die freizügige Verschenkung des Erbes pointiert die Unterschiedlichkeit der beiden Protagonisten. Siebenkäs’ Hoffnung, seiner desolaten Wirtschaftslage zu entrinnen, ruht auf dem ihm rechtmäßig zustehenden Erbe, das ihm wegen des ersten Namenstausches verwehrt wird. So wie dieser mit Bittschreiben seine Existenz materiell abzusichern versucht, verschenkt jener Wolfsegg "und alles Dazugehörende" (A 650), denn Murau kann ein Zeichen setzen, weil der pekuniäre Aspekt für ihn zweitrangig ist.

Die fast zwei Jahrhunderte, die zwischen dem Erscheinen des Siebenkäs und der Auslöschung liegen, haben einerseits die materielle Not der in Deutschland/Österreich lebenden Menschen gemildert, andererseits deren Leben komplexer gestaltet und die Existenzmöglichkeiten sinnentleerter werden lassen. Daher statuiert Bernhard – sein eigenes, finanziell unabhängiges Leben wird da als Vorbild gedient haben – an Murau das Beispiel eines Menschen, der, ohne äußere Zwänge, sich ausschließlich mit seiner inneren Existenz auseinandersetzen muß. Diese Freiheit, die den formalen Rahmen für das Leben eines «Geistesmenschen« gewährt, erdrückt ihn.

Der literarische Realitätenvermittler

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