Читать книгу HILFE - mein Mann trinkt! - Joana Lehmann - Страница 11
Kapitel 7
ОглавлениеEine Woche später als sie erschöpft und vom Bürostress gezeichnet von der Arbeit nach Hause kam, stockte ihr der Atem im wahrsten Sinne des Wortes. Beim Betreten der Wohnung kam ihr ein beißender Geruch von Erbrochenem und Rotwein entgegen. Sie musste würgen von dem widerlichen und penetranten Gestank, der ihre empfindliche Nase traf. Als sie die Diele betrat, war sie wie vom Donner gerührt. Sie sah sich mit Entsetzen um. Das konnte nicht wahr sein. Im Korridor waren die Wände und der Teppichboden mit Kotze verunreinigt. Sie ging weiter ins Wohnzimmer. Hier bot sich ihr ein Bild des Grauens. Sven lag in seinem eigenen Erbrochenen auf dem Sofa und schlief. Auf dem Wohnzimmertisch standen Aschenbecher, die überquollen und mehrere leere Flaschen Rotwein und Wodka. Die Couch war total verunreinigt mit Spaghettiresten und Rotwein, die er erbrochen hatte. Dies setzte sich an den Tapeten und auf dem Teppichboden im Wohnzimmer fort. Die Spuren zogen sich durch die gesamte Wohnung. In der Küche herrschte ein regelrechtes Chaos. Er hatte versucht, sich etwas zum Mittagessen zuzubereiten. Auf dem Herd stand ein Topf mit Bolognesesoße, die bereits am Topfboden eingebrannt war und in einem Sieb auf der Spüle fand sie die Reste von Spaghetti. Den Schaden, den Sven in ihrer Wohnung verursacht hatte, war von beträchtlichem Ausmaß. Aus Erfahrung wusste sie, dass sich Rotweinflecken so gut wie gar nicht mehr aus den Polstermöbeln und den Teppichen entfernen ließen. Die Bolognesesoße an den Tapeten würde ebenfalls nie mehr entfernbar sein. Das hieß im Klartext, sie musste die komplette Wohnung renovieren lassen. Wutentbrannt rannte sie ins Wohnzimmer und schüttelte Sven so heftig an der Schulter, bis er wach wurde. Er sah zu ihr auf, mit einem total irren Blick, als hätte er jeglichen Bezug zur Realität verloren. Sein Atem roch widerlich nach Kotze. Angewiderte drehte sie den Kopf weg.
»Lass mich! Was willst du hier?«, fragte er mit hasserfüllter Stimme und schüttelte ihre Hand von seiner Schulter ab.
Ängstlich wich sie einen Schritt zurück, denn in Svens Augen funkelte es gefährlich.
»Ich fahre jetzt zu meiner Freundin und erwarte von dir, dass du die Wohnung bis morgen in Ordnung gebracht hast.«
»Da kannst du lange warten, du Schlange. Geh ruhig, dann kann ich wenigstens in Ruhe weiter saufen!«, sagte er lallend und vor Wut kochend. Der Speichel rann ihm seitlich aus den Mundwinkeln. Ein widerlicher Anblick. Sein Gesicht war vor Zorn gerötet und zu einer hässlichen Fratze entstellt. Er richtete sich mühsam auf dem Sofa auf und stützte sich auf dem Tisch ab, der gefährlich ins Kippen kam. Er griff nach ihr, was ihm aber nicht gelang. Angstvoll wich sie rückwärtsgehend ins Schlafzimmer zurück. Sie suchte blindlings einige Kleidungsstücke zusammen und warf sie in eine Reisetasche, die sie mit fahrigen Händen aus dem Kleiderschrank herausgezerrt hatte. Sven versuchte ihr, taumelnden Schrittes zu folgen. Er verfing sich mit dem Hausschuh am Bettvorleger und fiel der Länge nach auf das französische Bett. Dort blieb er regungslos liegen. Pia beugte sich besorgt über ihn, um festzustellen, dass er sich nicht ernsthaft verletzt hatte. Als sie mitbekam, dass seine Atemzüge regelmäßig waren, entfernte sie sich rasch aus dem Schlafzimmer.
Pia war den Tränen nahe. Sie nahm ihre Jacke, die sie an der Türklinke aufgehängt hatte, die Reisetasche sowie den Kosmetikkoffer und verließ mit hängenden Schultern ihre eigenen vier Wände. Auf der Straße schnappte sie erst einmal nach frischer Luft. Der Gestank in der Wohnung war nicht auszuhalten. Ihr war es immer noch speiübel von dem Geruch, den sie noch in der Nase hatte. Sie holte ihr Smartphone mit zitternden Händen aus der Handtasche und rief ihre Freundin Linda an und schilderte ihr, was vor wenigen Minuten bei ihr zu Hause vorgefallen war. Sie war entsetzt und bat Pia darum, sofort zu ihr zu kommen, bevor die Situation zu eskalieren drohte. Pia verstaute ihre Tasche und den Kosmetikkoffer im Kofferraum, stieg in ihr Fahrzeug und fuhr mit Tränen verschleierndem Blick zu ihrer Freundin, die bereits vor der Haustür ungeduldig auf sie wartete.
Linda nahm sie tröstend in die Arme und harrte geduldig aus, bis ihr Tränenstrom versiegt war. Pia schilderte ihr die komplette Geschichte noch einmal in Ruhe. Ihre Freundin schien äußert besorgt, da sie vermutete, dass Sven ein Alkoholproblem hatte. Sie riet ihr deshalb dringend, eine Beratungsstelle für Suchtkranke aufzusuchen. Pia war sofort einverstanden. Gemeinsam recherchierten sie im Internet nach einer Suchtberatungsstelle und wurden rasch fündig. Nicht unweit, etwa zwei Straßenecken von Pias Wohnung entfernt, befand sich eine solche Einrichtung. Spontan griff Pia nach dem Handy und wählte die Rufnummer, die sie auf der Webseite der Beratungsstelle gefunden hatte.
Nach zweimaligem Klingelton meldete sich eine männliche Stimme, die sehr vertrauenswürdig klang. Stockend berichtete sie dem Gesprächspartner, was sich vor einigen Stunden in ihrer Wohnung zugetragen hatte. Herr Schneider von der Suchtberatungsstelle erklärte sich bereit, nachdem er ihre Geschichte angehört hatte, sie zu unterstützen. Er schlug Pia vor, dass sie Morgen nach Dienstschluss zu ihm in die Beratungsstelle kommen sollte, um gemeinsam eine Lösung zu finden.
Erleichtert beendete sie das Telefongespräch. Jetzt hatte sie zumindest etwas Rückenstärkung. Linda sorgte sich am Abend rührend um Pia. Sie hatte das Gästezimmer für sie hergerichtet und ihr das Bett bereits frisch überzogen. Gegen Mitternacht verabschiedeten sich die beiden Freundinnen voneinander und legten sich zur Ruhe. In dieser Nacht fand Pia kaum Schlaf, weil sie fortwährend daran dachte, wie er ihre Wohnung zugerichtet hatte. Sie war stinksauer auf Sven.
Pia sah dem morgigen Tag nicht sehr optimistisch entgegen. Sie setzte all ihre Hoffnung auf Herrn Schneider und dessen Hilfe.
Als sie erwachte und ihre Freundin in der Küche aufsuchte, hatte diese bereits den Frühstückstisch liebevoll gedeckt, was Pia mit Freuden wahrnahm. Sie nahm am Tisch ihr gegenüber Platz. Linda stellte fest, dass Pia ausgesprochen blass um die Nase war und sich dunkle Schatten unter ihren Augen abzeichneten.
»Hast du gut geschlafen?«, fragte ihre Freundin besorgt.
»Nein. Ich konnte einfach nicht abschalten, da ich laufend an Sven denken musste!«, sagte sie leise.
»Von Sven hatte ich in der Vergangenheit eigentlich einen positiven Eindruck. Er wirkte sehr gebildet, schüchtern und zurückhaltend auf mich!«, meinte ihre Freundin.
»Ich verstehe seine Verhaltensweise in der letzten Zeit genauso wenig! Aller Wahrscheinlichkeit nach hängt sein Benehmen mit dem Besuch bei seiner Mutter zusammen!«
»Das vermute ich auch, nachdem, was du mir erzählt hast. Scheinbar wurden dort wieder alte Wunden aufgerissen, die er noch nicht verarbeitet hatte«, sagte Linda.
Allmählich war Eile geboten, wenn Pia nicht zu spät am Arbeitsplatz erscheinen wollte. Sie bedankte sich nochmals bei ihrer Freundin und verabschiedete sich, nachdem sie ihr versprochen hatte, sich sofort bei ihr zu melden, wenn es Neuigkeiten oder erneuten Stress mit Sven geben sollte.
Auf ihre Arbeit im Büro konnte sie sich überhaupt nicht konzentrieren. Sie fieberte regelrecht dem Feierabend entgegen und erhoffte sich Hilfe von dem Suchtberater, der sehr vertrauenswürdig am Telefon herübergekommen war. Unkonzentriert und mit den Gedanken woanders steuerte sie ihr Fahrzeug durch den lebhaften Feierabendverkehr und war froh, als sie die Suchtberatungsstelle unversehrt erreicht hatte. Während der Fahrt dorthin wurde es ihr ganz flau im Magen, weil sie keine Ahnung hatte, was sie gleich erwarten würde.
Unsicher stand sie vor dem Haus und zweifelte daran, ob es der richtige Schritt war, um Sven zu helfen. Plötzlich öffnete sich die Haustür und ein schlanker großer Mann, etwa Mitte vierzig, mit schwarz gelocktem Haar, das ihm in die Stirn fiel, trat vor die Tür.
»Sie sind vermutlich Pia?«
»Ja, das ist richtig!«, stammelte sie verlegen. Jetzt konnte sie keinen Rückzieher mehr machen.
»Ich bin Ernst und der Betreuer der Gruppe. Wir duzen uns hier alle, das macht vieles einfacher. Ich hoffe, du hast nichts dagegen?«
»Nein, das ist in Ordnung!«, sagte Pia leise.
»Du hast mir bereits die Sachlage am Telefon ausführlich geschildert. Ich muss dir allerdings gleich sagen, dass ich deinen Freund nicht zwingen kann, die Beratungsstelle aufzusuchen. Das muss er selbst wollen und außerdem wird er nur in der Gruppe aufgenommen, wenn er einen Monat keinen Alkohol getrunken hat, also absolut trocken ist. Das sind die Regeln. Ich kann nur vermitteln und auf ihn positiv einwirken, dass es bei ihm »Klick« macht. Die Willenskraft nicht mehr zu trinken und etwas an der Situation zu ändern, muss er letztendlich von ihm selbst kommen.
»Okay, was jetzt?«, fragte Pia unsicher.
»Ich begleite dich, wie besprochen nach Hause und mache mir persönlich vor Ort ein Bild von der Lage, wenn du einverstanden bist!«, sagte Ernst.
»Ja«, erwiderte Pia leise. Sie schämte sich entsetzlich. Allein der Gedanke, dass er gleich die verkotzte Wohnung betreten würde, war ihr irrsinnig peinlich.
Gemeinsam fuhren sie zu Pia nach Hause. Dort angekommen wühlte sie nervös in der Handtasche herum, um die Wohnungsschlüssel zu finden. Ernst legte ihr beruhigend die Hand auf die Schulter.
»Bleib ruhig! Soll ich aufschließen?«
Pia reichte ihn mit zitternden Händen den Schlüssel und trat zur Seite, damit er die Tür öffnen konnte.
Als er den Wohnungsschlüssel im Schloss herumdrehte und die Tür sich einen spaltbreit geöffnet hatte, wäre Pia am liebsten im Erdboden versunken. Was war hier während ihrer Abwesenheit geschehen?
Im Flur sah es aus, wie in einem Obdachlosenasyl. Der Teppichboden war komplett mit Zeitungspapier ausgelegt und das setzte sich in allen Räumen fort. Sven saß im Wohnzimmer mit einer Bürste in der Hand und versuchte die Couchgarnitur mit Teppichreiniger zu säubern. Er war dermaßen vertieft in seine Tätigkeit, dass er sie gar nicht kommen gehört hatte.
Ernst räusperte sich laut. Sven fiel vor Schreck die Bürste aus der Hand und schaute Pia und ihn erstaunt an.
»Wer ist das?«, fragte Sven entrüstet.
»Mein Name ist Ernst Schneider und ich bin von der Beratungsstelle für Alkoholiker zwei Straßenecken weiter! Deine Freundin hat mich um Hilfe gebeten.«
»Ich komme sehr gut alleine zurecht!«, erwiderte Sven zornig und pfefferte die Handbürste wütend gegen die Wand.
»Das sehe ich! Da hast du ja ganze Arbeit geleistet in der Wohnung. Wie soll deine Freundin das jemals wieder sauber bekommen?«
»Das ist mir doch egal!«, brüllte Sven erbost und sah ihn mit glasigen Augen an.
»Mir steht es nicht zu, dir etwas vorzuschreiben. Ich bin lediglich hier, um hilfreich zur Seite zu stehen, damit du dein Leben in den Griff bekommst. Deine Freundin hat mir berichtet, dass du seit einigen Wochen nicht mehr zur Arbeit gehst und sie vermutet, dass du einen Rückfall hattest und wieder regelmäßig trinkst.«
»Das geht dich nichts an, das ist mein Leben!«, schrie Sven zornig.
»Da hast du vollkommen recht. Nur mit dem kleinen Unterschied, ich darf meine Kinder wieder regelmäßig sehen, weil ich es geschafft habe trocken zu bleiben. Es war ein langer Weg dorthin. Ich musste erst in der Gosse landen, um überhaupt zu begreifen, wie bitterernst meine damalige Lage war. Meine Ehe war im Eimer, der Führerschein weg, die Kinder durfte ich nicht mehr sehen und die Arbeit war ebenfalls futsch, aber das kennst du bestimmt schon alles.«
Erstaunt sah Sven Ernst an und wirkte nachdenklich.
»Wie, du hast auch gesoffen?«
»Wenn du es so formulieren willst, ja!«, konterte Ernst.
»Wie bist du da wieder herausgekommen?«, fragte Sven hellhörig geworden und eine Nuance ruhiger.
»Ich sagte dir doch bereits, dass ich erst in der Gosse landen musste, um überhaupt zu begreifen, wie schlimm meine damalige Lage war. Ich wäre vor die Hunde gegangen, wenn es nicht endlich »Klick« gemachte hätte in meinem Kopf. Ich bin jetzt seit fünfzehn Jahren trocken. Mit ein wenig Willenskraft kannst du das ebenfalls schaffen. Du möchtest doch bestimmt deine Kinder wiedersehen! Aber in dem Zustand, indem du dich zurzeit befindest, wird dir kein Gericht der Welt das Besuchsrecht, geschweige denn das Sorgerecht für deine Töchter einräumen. Im Moment stellst du eine Kindeswohlgefährdung dar. Als Elternteil würde ich dir mein Kind auch nicht anvertrauen. Wenn du bereit bist, an der Situation etwas zu ändern, kannst du gerne jederzeit bei mir vorbeikommen. Tür und Tor stehen dir Tag und Nacht offen. Voraussetzung dafür ist, dass du mindestens vier Wochen keinen Alkohol mehr trinkst! Überlege es dir!«, sagte Ernst im ruhigen und freundlichen Ton.
Ernst überreichte ihm die Visitenkarte. Pia begleitet ihn kurz darauf zur Wohnungstür und bedankte sich bei ihm für seine Bemühungen.
Als sie zurückkehrte, saß Sven nachdenklich auf dem Sofa. Pia schwieg und wartete auf eine Reaktion von Sven.
»Gut, ich mache einen Entzug, aber nicht im Krankenhaus, sondern hier bei dir, denn so kann es auf gar keinen Fall weitergehen!«, sagte Sven scheinbar von seinen Worten selbst überzeugt.
»Okay, wenn du glaubst, das ohne fremde Hilfe zu schaffen, dann mache es!«
Pia hatte keine Ahnung, auf was sie sich da einließ, woher auch ...