Читать книгу HILFE - mein Mann trinkt! - Joana Lehmann - Страница 6
Kapitel 2
ОглавлениеAm nächsten Tag wählte Pia ihre Kleidung mit besonderer Sorgfalt aus, das tat sie zwar immer, wenn sie zur Arbeit ging. Aber heute traf sie Sven nach Feierabend, da durfte ihre Kleiderauswahl weniger konservativ ausfallen. Wenn es nach ihr gegangen wäre, würde sie in einer Jeanshose und einem saloppen Pullover am Arbeitsplatz erscheinen, aber das sah ihr Chef überhaupt nicht gerne. Er verbat sich, dass die Frauen in Hosen ins Büro kamen. Er bevorzugte es, dass sich die Mitarbeiterinnen in Röcken oder einem hübschen Kleid zeigten, um die Chefetage gebührend zu repräsentieren. Die Röcke durften allerdings auch nicht zu kurz sein. Den Geschmack des Chefs zu treffen war keinesfalls einfach. Pia entschied sich für einen eng anliegenden Rock, der knapp bis über die Knie reichte. Er hatte hinten einen Schlitz und gab einen Blick auf ihre langen schlanken Beine frei. Eine türkisfarbene Seidenbluse, die wundervoll zu ihren grünen Augen passte, rundete das hübsche Gesamtbild ab. Zufrieden drehte sie sich vor dem großen Spiegel im Flur.
Selbst ihr Chef sah zweimal hin, als sie ihm am Morgen gut gelaunt den Kaffee servierte. Trotz der anerkennenden Blicke ihres Vorgesetzten und der Kollegen im Büro konnte sie ihre Unruhe, die sie erfasst hatte, kaum verbergen. Ständig sah sie auf ihre Armbanduhr. Kurz nach sechszehn Uhr lief sie nervös im Büro auf und ab. Sie blickte alle fünf Minuten aus dem Fenster zur Straße hinunter, von dem aus sie den Eingangsbereich des Bürogebäudes im Blickfeld hatte. Leider konnte sie nicht den gesamten Bereich einsehen. Als endlich ihre Arbeitszeit vorüber war, eilte sie hastig zur Damentoilette, zog mit dem Stift ihre Lippen nach, frischte ihr Make-up auf, kämmte ihr Haar, machte auf dem Absatz kehrt und fuhr mit dem Aufzug hinunter in die Eingangshalle.
Als sie nach draußen trat, stand Sven bereits, wie verabredet, vor dem Haupteingang und wartete auf sie. Ein zaghaftes Lächeln huschte über sein Gesicht, als er sie sah. Er winkte ihr zu, als sie das Foyer verließ. Er sah unverschämt gut aus in den verwaschenen Jeanshosen und der schwarzen Lederjacke.
»Hallo Sven, ich freue mich, dich zu sehen.«
»Ich freue mich auch!«, antworte er verlegen.
Er folgte ihr schweigend zum Fahrzeug und nahm auf dem Beifahrersitz Platz, nachdem sie ihm die Autotür geöffnet hatte. Während der Fahrt zur Wohnung hüllte sich Sven in Schweigen. Pia gewann den Eindruck, dass Sven schüchtern und gehemmt ihr gegenüber war, da er immer verlegen zur Seite schaute, wenn sie ihm einen Seitenblick zuwarf. Das passte überhaupt nicht zu seinem äußeren Erscheinungsbild. Er wirkte vom Auftreten her eher selbstbewusst und zielstrebig.
Bei ihr zu Hause angekommen, sah er sich neugierig in ihrer Bleibe um. Nachdem er den Streifzug durch die Wohnung beendet hatte, wies sie Sven einen Sitzplatz am liebevoll gedeckten Esszimmertisch zu und verschwand sogleich in der Küche, um die vorbereitete Mahlzeit in den Backofen zu schieben.
Bis das Essen fertig war, wollte sie die Zeit dazu nutzen, um mit ihm ein Glas Wein zu trinken. Sven lehnte Alkohol jedoch dankend ab, hatte aber nichts dagegen einzuwenden, dass sie sich ein Glas Wein einschenkte. Er begnügte sich mit einem Glas Mineralwasser.
Nach dem Essen begaben sie sich ins Wohnzimmer und machten es sich dort gemütlich. Langsam schien Sven lockerer zu werden. Er erzählte, dass er seit längerer Zeit das Haus nicht mehr verlassen habe. Erstaunt und fragend schaute sie ihn an, äußerte sich aber nicht dazu und wartete geduldig ab, bis er mit seiner Erzählung fortfuhr.
»Meine Ehe ist seit einiger Zeit zerrüttet. Wir sind getrennt und die Kinder leben bei meiner Frau in Recklinghausen. Ich bekomme sie kaum zu sehen, weil sie immer einen Keil dazwischen treibt!«, erwiderte Sven erbost und wurde feuerrot im Gesicht vor Zorn.
»Das sind doch auch deine Kinder«, bemerkte Pia schockiert.
»Dieses Aas, sie hat mir alles genommen. Ich hänge doch so sehr an meinen Töchtern!«
»Darfst du sie denn überhaupt nicht sehen?«, fragte Pia erstaunt.
»Das schon, aber meiner Frau war jedes Mittel Recht, dies zu verhindern. Hatte ich einen Termin zur Abholung mit ihr vereinbart, so ließ sie ihn stets platzen. Meistens fing mich meine Schwiegermutter bereits an der Haustür ab und erzählte mir irgendwelche fadenscheinigen Geschichten, warum Sabrina und Gina nicht zu Hause anzutreffen waren. Ich glaubte ihr natürlich kein einziges Wort. Das war alles erlogen und erfunden«, sagte er hasserfüllt.
»Wie alt sind deine Töchter?«
»Gina ist sieben und Sabrina fünf Jahre alt.«
»Wie alt bist du Sven?«
»Ich bin sechsundzwanzig.«
»Bist du denn mittlerweile geschieden?«, fragte Pia wissbegierig.
»Nein, leider noch nicht!«, fügte Sven grimmig hinzu.
Pia sah ihm deutlich an, wie sehr ihn das alles mitnahm. Seine sanften braunen Augen sprühten vor Hass, wenn er von seiner Ehefrau sprach. Sein Gesicht wirkte hart und abweisend.
»Ich bin von meiner Frau Michaela maßlos enttäuscht. Sie hat mein Vertrauen missbraucht und mich betrogen. Als wir uns ein Haus bauen wollten, legte sie für sich ein Sparbuch an und schaffte eine Menge Geld auf die Seite. Sie sprach auch nie über Dinge, die uns beide betrafen. Stattdessen bombardierte sie mich mit Vorwürfen, wenn ich abends todmüde von der Arbeit nach Hause kam, was die Kinder wieder alles angestellt hätten. Sie verlangte von mir, dass ich meine Töchter bestrafen sollte. Tat ich das nicht, brüllte sie die beiden an, die dann anschließend weinend und verängstigt aus dem Zimmer liefen, um bei mir Schutz zu suchen. Oftmals, wenn ich abends von der Arbeit nach Hause kam, war meine Frau gar nicht anwesend. Sie hatte die Kinder zur Oma gebracht, damit sie ihre Ruhe hatte. Es war kein Abendessen fertig, wie in früheren Zeiten. Der Kühlschrank war leer und ich war gezwungen erst einkaufen zu gehen, um uns das Abendbrot zubereiten zu können. Michaela verbrachte angeblich jede freie Minute bei einer Freundin.
Einige Monate später kam ich dahinter, dass meine Frau ein Verhältnis mit meinem ehemaligen Schulfreund hatte. Ich war über alle Maßen enttäuscht und verletzt, als ich die beiden in flagranti ertappte, weil ich früher als gewöhnlich von der Arbeit nach Hause kam. Meine Frau und ihr neuer Lover saßen im Wohnzimmer und tauschten innige Küsse aus. Ich bat Michaela wütend darum, wenigstens den Kindern zuliebe das Verhältnis zu beenden. Aber sie dachte gar nicht daran. Meinen Schulfreund habe ich rausgeschmissen und ihm Hausverbot erteilt.
Wenn ich von der Arbeit nach Hause kam, weinten die Kinder oftmals und waren unglücklich, weil sich meine Frau kaum noch um sie kümmerte. Wenn sie ihr lästig wurden, brachte sie die Kinder zur Oma.
Von mir wollte Michaela nach dem Zwischenfall überhaupt nichts mehr wissen, weder sexuell noch rein menschlich. Scheinbar war sie dem neuen Lover total verfallen. Der Zustand spitzte sich nach einigen Monaten dermaßen zu, sodass ich die Situation nervlich nicht mehr verkraften konnte. Deshalb schlug ich ihr vor, uns erst einmal räumlich zu trennen, bevor es gänzlich zu eskalieren drohte. Ich gab ihr zu verstehen, dass ich vorübergehend zu meiner Mutter nach Recklinghausen-Süd ziehen würde.
Ich bat sie während meiner Abwesenheit noch einmal alles zu überdenken, in erster Linie wegen der Kinder, die unter der verfahrenen Situation am meisten zu leiden hatten.
Ich habe vorübergehend bei meiner Mutter gewohnt. In dieser Zeit hatte ich nur einmal wöchentlich telefonischen Kontakt zu meinen Töchtern. Mich schmerzte es sehr, die Kinder so lange nicht sehen zu können. Aber ich wollte meiner Frau genügend Zeit lassen, damit sie zur Vernunft kommt und unsere Ehe eventuell noch eine Chance gibt.
Aber leider war sie nach der räumlichen Trennung immer noch nicht dazu bereit, wieder mit mir zusammenzuleben und einen Neuanfang zu wagen. Offensichtlich fühlte sie sich mit ihrem Freund wohler als mit mir. Sie hatte die Zeit nicht dazu genutzt, um sich über unsere Ehe und die Kinder Gedanken zu machen, sondern vertiefte das Verhältnis zu meinem Schulfreund. Wie ich von meinen Töchtern erfuhr, wohnte er bereits mit meiner Frau zusammen und sie machten auch keinen Hehl daraus, dass sie eine Beziehung hatten.
Ich verstand die Welt nicht mehr. Ein Jahr später reichte ich die Scheidung ein, weil ich die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft mit ihr begraben hatte. Meiner Frau kam das sehr gelegen.
Ich suchte mir in der Nähe vom Wohnort meiner Frau eine neue Bleibe. Michaela behielt fast alle Einrichtungsgegenstände, die wir uns zusammen angeschafft hatten. Mir blieb nur noch das Notwendigste. In dem Zweifamilienhaus versuchte ich mir die neue Wohnung so gemütlich wie möglich einzurichten, mit dem spärlichen Mobiliar, das mir noch verblieben war.
Ich wurde immer depressiver und zog mich mehr von der Außenwelt zurück. Mein Zorn gegen meine Frau wurde von Tag zu Tag größer. Oftmals habe ich mit dem Gedanken gespielt, sie umzubringen, aber was hätten dann die Kinder ohne ihre Mutter getan?
Ich begann zu trinken und ich griff nach einer Weile zu immer härteren Spirituosen. Durch mein unkontrolliertes Trinkverhalten musste ich kurze Zeit später den Führerschein abgeben. Infolgedessen geriet ich dermaßen tief in den Sumpf und trank ständig weiter. Ich verlor dadurch die Kontrolle über mich und den Boden unter den Füßen. Dies hatte zur Folge, dass ich nicht mehr regelmäßig zur Arbeit erschien und wenn ich kam, dann meist im angetrunkenen Zustand. Kurz darauf verlor ich auch noch die Arbeitsstelle und somit den letzten Halt, den ich im Leben hatte.
Ab diesem Zeitpunkt war alles verloren, was mir einmal sehr viel bedeutet hatte. Die Frau, die Kinder, der Arbeitsplatz und der Führerschein. Ich fing an, mich selbst zu bedauern und zog mich immer mehr in meine eigene Welt zurück. Ich ging nur noch unter Menschen, wenn mein Kühlschrank unbedingt aufgefüllt werden musste, da die Getränke zur Neige gingen. Der Alkohol stellte zu dem Zeitpunkt mein Hauptnahrungsmittel dar. Ich verlor mich immer mehr und merkte gar nicht, wie tief ich weiter von Tag zu Tag abrutschte. Ein Vierteljahr verbrachte ich in diesem Zustand, ohne mir der Situation bewusst zu werden. Ich dachte in keiner Weise daran mich um eine neue Arbeitsstelle zu bemühen, damit ich mit einer neuen Aufgabe aus diesem Desaster herauskomme. Mein Alkoholkonsum nahm erschreckend zu. Ich blieb die meiste Zeit im Bett und stand nur noch auf, um mich erneut abzufüllen. Ich befand mich in einem Wach- und Traumzustand. Ohne, dass es mir bewusst war, hatte ich den Bezug zur Realität seinerzeit vollkommen verloren.
Eines Morgens, als ich dringend etwas zu trinken benötigte, um meinen Alkoholspiegel wieder auszugleichen, warf ich einen Blick in den Spiegel, um mir die Haare zu frisieren, bevor ich das Haus verließ. Ich erschrak vor meinem eigenen Spiegelbild und zuckte regelrecht zusammen. Der Mann, der mir entgegen blickte, war nicht mehr ich. Mich sah eine aufgequollene unrasierte Fratze mit roten Kapillaren an der Nase und tiefen schwarzen Ringen unter den Augen an. Mein Haar war fettig und hing mir wirr im Gesicht. Mein Körper roch unangenehm nach Schweiß. Ich ekelte mich in dem Moment vor mir selbst und spuckte angewidert mein Spiegelbild an.
Seit diesem besagten Tag versuchte ich mein Leben, wieder in den Griff zu bekommen. Jetzt bin ich seit circa einem viertel Jahr trocken und rühre keinen Tropfen mehr an, bis zu dem Fest, an dem du mich kennengelernt hast. Ein Glas Alkohol reicht mittlerweile bei mir aus, um stockbetrunken und rückfällig zu werden. Ich hatte es gleich am selben Abend bereut, überhaupt ein Glas getrunken zu haben. Ich habe mich nun auch intensiv um eine Arbeitsstelle bemüht und erwarte jeden Tag einen Bescheid von der Firma, bei der ich mich kürzlich vorgestellt habe. So, jetzt weißt du fast alles über mich!«, sagte Sven und sah verlegen zur Seite.
Pia war sichtlich berührt und mitgenommen von seiner Geschichte, drückte mitfühlend seine Hand und strich ihm über die Wange. Sie versuchte nicht durch weitere Fragen in Sven vorzudringen, denn dann war zu befürchten, dass er die Tür endgültig hinter sich zuschlug, nachdem er sich ihr gegenüber offenbart hatte. Dazu bedurfte es einer Portion Mut, sein Leben dermaßen offen vor einer Fremden darzulegen. Sie wollte sein Vertrauen, das er offensichtlich zu ihr gefasst hatte, nicht aufs Spiel setzen. Deshalb wechselte sie geschickt das Thema, ohne zu ahnen, dass sie damit neue Wunden aufriss und fragte, warum er immer nur von seiner Mutter sprach, was denn mit seinem Vater sei.
Sven berichtete, dass seine Mutter ihn und seinen Halbbruder Herbert alleine groß gezogen habe, nachdem sein Vater bei einem tragischen Unfall im Kohlebergwerk ums Leben gekommen war. Damals seien er sechs Jahre und sein älterer Bruder acht Jahre alt gewesen. Er sagte, dass seine Mutter nie den Tod ihres Ehegatten verwunden habe. Sven lebte nach dem Tod seines Vaters ausschließlich bei seiner Mama in Recklinghausen, auch nach der Schule und der Berufsausbildung. Sein Bruder wiederum konnte sich nicht ausreichend um seine Mutter kümmern, da er infolge eines fürchterlichen Autounfalls eine Gehbehinderung davongetragen hatte. Ein betrunkener Autofahrer kam von der Fahrbahn ab und krachte direkt in das Fahrzeug seines Halbbruders. Schließlich barg die Feuerwehr ihn aus dem Autowrack. Leider waren die Verletzungen an seinem linken Bein so schwerwiegend, dass es ihm amputiert werden musste. Seine Frau Ludmilla kam nie mit dieser Behinderung zurecht. Sie bezeichnete ihn ständig als unfähigen, arbeitslosen Krüppel und putzte ihn bei jeder Gelegenheit herunter.
Ludmilla war stets nur auf sich und ihr eigenes Wohlergehen bedacht. Sie wohnten bloß eine Straße weiter von dem Haus der Mutter entfernt, sahen aber keine Notwendigkeit darin, einmal nach ihr zu sehen.
Pia war erschüttert von Svens Erzählungen.
Sie hatten beide nicht bemerkt, wie schnell die Zeit vergangen war. Pia schaute auf die Uhr und musste mit Entsetzen feststellen, dass es bereits weit nach Mitternacht war. Jetzt fuhr keine S-Bahn mehr. Sie selbst traute sich auch nicht mehr ein Fahrzeug zu steuern, da sie mittlerweile drei Gläser Wein getrunken hatte. Sie fragte Sven, ob er die Nacht bei ihr verbringen wollte. Sven willigte gerne ein, aber sie hatte den Eindruck, dass ihm die Situation peinlich war.
Da es schon reichlich spät geworden war, ging Pia schnell unter die Dusche. Sven saß im Wohnzimmer und hatte es sich vor dem Fernseher gemütlich gemacht und nippte am Mineralwasser.
Innerlich aufgewühlt und noch im Gedanken versunken von seiner tragischen Geschichte hatte sie total vergessen, sich vor dem Duschen ein Badehandtuch aus dem Schrank im Schlafzimmer zu holen. Ihr blieb nichts anderes übrig als nackt an ihm vorbeizuhuschen, um sich eines zu besorgen. Für gewöhnlich war sie alleine in der Wohnung und dann stellte sich ein solches Problem nicht.
Sven schaute Pia total entgeistert an, als sie vollkommen nackt an ihm vorbeieilte. Er wurde knallrot im Gesicht und sah verlegen in die andere Richtung. Hastig verschwand sie im Schlafzimmer. Sie wickelte sich in einem gigantischen Badetuch ein. Sie setzte sich neben ihn auf die Couch. Ihre Haut war immer noch leicht feucht und glänzte im Schein des Lichtes. Sven sah abermals verlegen zur Seite. Sie sah, wie er mühsam um seine Fassung rang.
Fast tat er ihr leid.
»So etwas ist mir noch nie passiert!«
»Wie meinst du das?, fragte Pia irritiert.
»Ich habe noch nie zuvor eine Frau gesehen, die sich so ungeniert vor mir ausgezogen hat!«, sagte er eingeschüchtert und vermied es sie direkt anzusehen.
»Oh, das tut mir leid. Ich hatte nicht die Absicht dich in Verlegenheit zu bringen. Normalerweise bin ich hier alleine und habe mir auch nichts weiter dabei gedacht, als ich durch die Wohnung gelaufen bin. Entschuldige bitte. Ich möchte auf keinen Fall, dass du jetzt ein total falsches Bild von mir bekommst!«, sagte Pia.
»Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Ich habe meine Frau während der Ehe noch nie nackt gesehen, was ich sehr bedauert habe. Sie schloss sich stets im Badezimmer ein, wenn sie sich an- oder auskleidete. Wenn ich mit ihr schlafen wollte, dunkelte sie den Raum völlig ab oder löschte das Licht. Das stimmte mich oftmals sehr traurig, weil ich sie gerne beim Sex mit all ihren Reizen gesehen hätte. Ihr prüdes Verhalten war für unser Liebesleben eher abtörnend», sagte Sven erklärend.
»Das tut mir aufrichtig leid, wie alles in deiner Ehe gelaufen ist. Da bin ich etwas freizügiger, als deine Frau. Seit Jahren bin ich begeisterte FKK-Anhängerin. Das heißt aber nicht, dass dadurch mein Schamgefühl auf der Strecke geblieben ist. Im Sommer besuche ich einen Badesee in der Nähe von deinem Wohnort, an dem FKK-Baden erlaubt ist. Dort gehe ich schon seit vierzehn Jahren schwimmen. Dieser Strandabschnitt wird strengstens bewacht. Außerdem werden dort keine Spanner geduldet, die meinen, in voller Montur andere beobachten zu müssen. Solch geartete Menschen werden unverzüglich aufgefordert, den Badestrand zu verlassen. Ich finde es einfach toll, ohne Badeklamotten schwimmen zu gehen. Es ist wie ein Stück Befreiung von den vielen Zwängen, die das Leben mit sich bringt«, sagte Pia.
»Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen!«, meinte Sven erneut verlegen.
»Das tue ich doch gar nicht, aber ein wenig peinlich ist es mir doch, dass ich unbekleidet vor dir herumgelaufen bin!«, erwiderte Pia ehrlich.
Sven legte den Arm um Pia und zog sie behutsam an sich heran, so als hätte er Angst, sie zu verletzen. Sein Gesicht war ganz dicht an dem ihren. Sie spürte seinen warmen Atem auf ihrer Haut.
Sven küsste sie zärtlich und begann mit seinen Händen ihren Körper sanft zu streicheln, wobei das Badehandtuch gefährlich ins Rutschen kam. Sie griff danach und zog es wieder über ihre nur zum Teil bedeckten Brüste. Seine Berührungen lösten ein wonniges Gefühl in ihr aus, dass sie zuvor noch nie gekannt hatte. Sie schmiegte sich enger an ihn und genoss die Wärme, die sein Körper ausstrahlte. Seine Küsse wurden immer leidenschaftlicher und sie ließ sich von seiner Erregung mitreißen. Sie vergaß alles um sich herum. Sie spürte Svens Lippen auf den ihren und seine liebkosenden Hände, die immer fordernder dem Ziel entgegenwirkten. Sein Atem ging schnell und unregelmäßig. Ihre Erregung steigerte sich von Minute zu Minute. Pia empfand noch nie, ein so großes Verlangen mit jemand zu schlafen, wie bei Sven. Sie war jetzt zu allem bereit. Plötzlich zog sich Sven von ihr zurück. Sie schaute ihn erschrocken an. Er sah die Angst in ihrem fragenden Blick.
»Pia, es liegt nicht an dir. Ich bin einfach noch nicht so weit. Ich finde dich unheimlich begehrenswert und du übst einen irrsinnigen Reiz auf mich aus. Solange ich meine Frau nicht aus dem Kopf bekomme, kann ich mich noch nicht auf dich einlassen. Lass mir bitte noch etwas Zeit!«, sagte Sven.
»Ich lasse dir alle Zeit der Welt, weil ich der Meinung bin, du bist es wert, dass man auf dich wartet. Du brauchst Abstand von deiner Ehe und das braucht Zeit!
Pia gestand sich ein, dass sie das abrupte Ende der Liebkosungen etwas enttäuschend fand. Es war so ein wunderschönes Gefühl in seinen Armen zu liegen und von ihm gestreichelt zu werden, dass es ihr schwerfiel, von einer Minute auf die andere wieder in die Realität zurückzukommen. Sie ließ sich jedoch nichts anmerken. Nachdem sie die zarten Berührungen auf ihrer nackten Haut gespürt hatte, kam sie zu dem Ergebnis, dass all ihre Liebhaber vor Sven ziemlich oberflächlich in der Liebe gewesen waren. Er aber hatte ein wahres Fegefeuer in ihr ausgelöst. Sie spürte immer noch seine zarten und liebkosenden Hände überall auf ihrem Körper.
Sie leerten wortlos ihre Gläser und gingen ins angrenzende Schlafzimmer. Sven legte sich zu ihr ins Bett, gab ihr einen freundschaftlichen Kuss auf die Wange, wünschte ihr eine gute Nacht und drehte sich zur Seite. Es dauerte nur wenige Minuten, da vernahm sie bereits seine regelmäßigen Atemzüge. Er war eingeschlafen. Sie lag noch lange wach und ließ den Abend noch einmal Revue passieren. Sie nahm sich vor, mehr Geduld mit Sven zu haben, denn seine Vorgeschichte hatte sie sehr mitgenommen und betroffen gemacht.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, wusste sie im ersten Moment nicht, wie Sven in ihr Bett gekommen war. Nach und nach kamen die Ereignisse des Vorabends wieder an die Oberfläche.
Die Zeit drängte, um sich jetzt noch Gedanken über Sven und sie zu machen. Sie ging schnell ins Badezimmer, vollzog eine Katzenwäsche und kleidete sich hastig an. Sie war spät dran und Eile war geboten.
Sie warf noch einen letzten liebevollen Blick auf den friedlich schlummernden Sven. Sie stellte sich vor, wie es wohl sein würde, wenn sie ganz mit ihm vereint wäre. Schnell warf sie die Gedanken über Bord. Sie hinterließ ihm eine kurze Nachricht und legte ihren Zweitschlüssel von der Wohnung neben den Zettel und fuhr zur Arbeitsstelle. Sie war völlig unkonzentriert, da sie ständig an Sven denken musste. Gegen Mittag hielt sie es vor Ungeduld nicht mehr aus und rief ihre eigene Rufnummer an, doch bei ihr zu Hause ging niemand ans Telefon. Daher nahm sie an, dass Sven bereits ihre Wohnung verlassen hatte und kurz nach Hause gefahren war, um nach seiner Post zu sehen, auf die er so dringend wartete. Als ihr Arbeitstag beendet war, wuchs ihre Nervosität zusehends, denn sie konnte es kaum noch erwarten, Sven wiederzusehen. Sie war gespannt, ob sie Sven bei sich zu Hause antreffen würde. Voller Hoffnung schloss sie die Wohnungstür auf, die im selben Moment, als sie den Schlüssel im Türschloss herumdrehte, von innen geöffnet wurde. Vor ihr in der Diele stand Sven freudestrahlend. Er nahm sie in die Arme und küsste sie auf die Wange.
»Hallo Pia, schön, dass du da bist. Wie war dein Arbeitstag?
»Keine besonderen Vorkommnisse. Nur die üblich anfallenden Schreibarbeiten, Telefonate und wieder einmal private Dinge, die ich für meinen Chef erledigen musste.«
Da sie beide sehr hungrig waren, deckte Pia den Abendbrottisch. Nachdem sie gesättigt waren, erzählte ihr Sven, dass er zu Hause gewesen sei, aber leider immer noch keinen positiven Bescheid bezüglich seiner Bewerbung erhalten habe.
Außerdem beabsichtigte er sich morgen früh bei der Arbeitsagentur nach einem Computerkurs zu erkundigen, da dieser äußerst wichtig für sein weiteres Berufsleben war. Die Weiterbildungsmaßnahmen werden vom Arbeitsamt gefördert und für den Zeitraum der Maßnahme war er dann nicht arbeitslos.
»Was meinst du? Es ist doch auf jeden Fall besser, wie zu Hause untätig herumzusitzen!«
»Da hast du recht, sagte sie begeistert.
Pia fand seine Initiative und die Bemühungen einen neuen Job zu finden lobenswert. Das war der erste Schritt aus der Misere herauszufinden. Sie nahm sich vor, ihn im vollen Umfang darin zu unterstützen, da ihr viel an Sven lag.
Das Arbeitsamt zeigte sich äußerst kooperativ und trug Sven zu einem Computerkurs ein, der bereits in zwei Wochen startete. Die restliche Zeit bis zum Beginn des Kursus verbrachte Sven bei Pia, die darüber sehr glücklich war.