Читать книгу Lysias - Jochen Fornasier - Страница 11

Hafen von Pantikapaion, April 439 v. Chr.

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Ein dumpfer Aufprall, gefolgt vom lauten Fluchen des Kapitäns, beförderte Lysias unsanft in die Gegenwart zurück. Die Argo legte am Kai an. Sie hatten endlich Pantikapaion erreicht, die Stadt, die vor gut einhundertfünfzig Jahren als erste griechische Kolonie hier am Bosporos entstanden war. Lysias hatte bei seinen Reisevorbereitungen sogar von den Legenden gehört, dass die Neuankömmlinge damals ihren Siedlungsplatz eigenhändig von einem König der Skythen erhalten hatten, diesen äußerst seltsamen Reiternomaden. Doch das war sicherlich Unsinn und nur der Versuch, die Gründung Pantikapaions nachträglich zu mystifizieren. Genau genommen war das doch ebenso unglaubwürdig wie die Geschichte, das die berühmte Stadt Ephesos an der Ostküste des Mittelmeers von Amazonen gegründet worden sein sollte. Jeder halbwegs gebildete Grieche wusste doch, das ionische Griechen dort den Grundstein gelegt hatten.

In regelmäßigen Abständen brannten Lampen entlang des Kais und spendeten ein wenig Licht, so dass Lysias trotz der Dunkelheit den Hafenmeister erkennen konnte, der mit großen Schritten und zwei Gehilfen im Schlepptau auf sie zukam. Allein seine energische Art zu gehen ließ erahnen, was er von dem Anlegemanöver im Dunkeln hielt, ganz zu schweigen davon, dass er um diese Zeit zu einem Schiff gerufen wurde.

Lysias ging von Bord und blickte sich um. Vor dem schimmernden Nachthimmel sah er schemenhaft die Akropolis der Stadt mit dem mächtigen Säulentempel, dem Apollon geweiht – so hatte Melas zumindest behauptet. Von den Gebäuden um den Burgberg herum war außer den Lichtern, die wie eine riesige Ansammlung von Glühwürmchen wirkten, jedoch nichts mehr zu erkennen. Noch während der Anfahrt auf den Hafen hatte Lysias geglaubt, unweit des Apollon-Tempels einen großen, beinahe schon palastähnlichen Gebäudekomplex erkennen zu können. Doch dann war die Dunkelheit hereingebrochen, und er hatte sich für die bevorstehende Hafeneinfahrt ein sicheres Plätzchen an Bord gesucht – man konnte ja nie wissen.

„Bist du etwa der Kapitän?“, fragte der Hafenmeister schroff, der sich beiläufig als ein Mann namens Bolas vorstellte. „Falls ja, so hoffe ich, dass du eine gute Erklärung für dein waghalsiges Manöver hast. So etwas mögen wir hier nämlich gar nicht!“

Lysias wunderte sich über den starken Dialekt, den Bolas sprach, ließ sich aber nichts anmerken und zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Melas, der noch immer am Bug des Schiffes stand: „Diese wohlgekleidete Person ist der Kapitän. Er heißt Melas, ich selbst bin nur ein Passagier, der in Sinope an Bord kam.“

„Das hätte ich mir ja denken können. Nur Melas bringt es zustande, mir meinen Feierabend zu versauen. Dreimal war er bislang hier in Pantikapaion, soweit ich mich erinnere, und jedes Mal gab es Ärger mit ihm.“

Melas setzte sein fröhlichstes Lächeln auf und stieg nun ebenfalls von Bord, um dem Hafenmeister die Hand zu schütteln. „Mein lieber Bolas. Wir haben uns lange nicht gesehen. Ich freue mich, dass es dir gut geht. Komm an Bord und sieh, was wir geladen haben. Um den Reisenden hier können sich deine Sklaven kümmern. Mit diesem Formalitätenkram musst du doch deine Zeit nicht verplempern.“

Mit einer einladenden Handbewegung forderte er Bolas auf, sein Schiff zu betreten. Dem Gesichtsausdruck des Hafenmeisters war anzusehen, dass ihm ein ähnlicher Gedanke durch den Kopf gegangen war. Mit einem Kopfnicken hin zu seinen Gefolgsleuten ging er an Bord und fing an, sich für die Fracht zu interessieren.

Der Kapitän der Argo sah noch ein letztes Mal verschmitzt lächelnd zu Lysias hinüber. „Wir sehen uns dann ja morgen, nachdem du mit deinem Gastfreund gesprochen hast, nicht wahr?“

Die nächsten zwanzig Minuten war Lysias damit beschäftigt, den beiden Männern Rede und Antwort zu stehen. Aber er hatte den Eindruck, dass sie irgendwann einmal einen feststehenden Fragenkatalog auswendig gelernt hatten und diesen nun Punkt für Punkt abarbeiteten, ohne sich überhaupt für die Antworten zu interessieren. Dennoch antwortete er pflichtbewusst so, wie man es ihm in Perikles’ Haus eingebläut hatte und wie er es ja auch Melas gegenüber zum Besten gegeben hatte – wenngleich auch mit wenig Erfolg. Hier am Kai hatte er jedoch keinerlei Befürchtung, dass er entlarvt werden könnte. Es war den beiden Männern anzumerken, dass sie möglichst schnell wieder zurück in ihre Wachstube wollten. Ein leichter Weingeruch in der Luft ließ vermuten, dass auch sie wie der Hafenmeister selbst den Feierabend schon lange vorher eingeläutet hatten.

Als sie endlich fertig waren, wünschten sie ihm einen angenehmen und erfolgreichen Aufenthalt und gingen nun ebenfalls an Bord der Argo, wo Melas es sehr geschickt zu einer kleinen Weinprobe hatte kommen lassen. Lysias sah sich die Szene an Bord kurz an und ging dann kopfschüttelnd in Richtung Stadt. Der Kapitän verstand sein Geschäft, das musste er zugeben. Sein Gepäck, so hatten sie vereinbart, konnte er an Deck lassen und am nächsten Tag holen. Natürlich war er sich darüber im Klaren, dass es nicht Menschenfreundlichkeit war, die den Kapitän dazu veranlasste. Melas wollte sichergehen, dass Lysias tatsächlich am nächsten Tag wiederkam, und zwar zusammen mit seinem Gastgeber. Sollte es nicht dazu kommen, dann hätte er zumindest das Gepäck behalten. Aber das alles war Lysias nun erst einmal egal. Von den beiden Inspektoren hatte er erfahren, dass Dakos, sein Gastfreund, tatsächlich eine bedeutende Größe im lokalen Handelsverkehr war und dass sein Haus mitten im schönsten Stadtteil Pantikapaions lag, auf dem westlichen Stadthügel, direkt an der Agora. Wo auch sonst?, schalt sich Lysias selbst, als er sich schließlich gut gelaunt auf den Weg machte.

Doch mit jedem Schritt, den er sich von der Argo entfernte, beschlich ihn das Gefühl, diese Welt wäre auf unbekannte Weise gefahrvoll. Dabei konnte er noch nicht einmal sagen, warum. Es war ja nur dunkel, in der Luft lag der typische Seegeruch einer Hafenstadt, und auch die Lagerräume und Dienstgebäude am Kai hatten die charakteristischen, zweckgebundenen Architekturformen, wie man sie überall auf der Welt sehen konnte. Und doch war es irgendwie anders. Eine seltsame Ahnung verunsicherte ihn außerordentlich. Schließlich aber verdrängte er seine dunklen Gedanken und schlug den Weg in die Innenstadt ein, den ihm die Sklaven des Hafenmeisters gewiesen hatten.

Lysias

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