Читать книгу Lysias - Jochen Fornasier - Страница 16

Das Ende eines schicksalhaften Abends, Pantikapaion, April 439 v. Chr.

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„Gratuliere, mein athenischer Freund“, sagte Mike sarkastisch. Während man sich überall im Andron wieder in die eigenen Gespräche vertiefte, jetzt, da dieses kurzweilige und äußerst amüsante Wortgefecht leider zu Ende war, näherte sich Mike dem Athener, der mit einem Mal ziemlich einsam im Zentrum des Raumes stand. Nur hier und da gab es einige verstohlende Blicke in seine Richtung, manche wohlwollend und zustimmend, manche aber auch sehr feindselig. Lysias selbst nahm dies aber nicht wahr, sondern widmete seine ganze Aufmerksamkeit der schönen Hetäre, die nun direkt vor ihm stand.

„Du hast es tatsächlich in nur einer Stunde geschafft, dir einen der wohl einflussreichsten Männer dieser Stadt zum Feind zu machen.“ Mike sah ihn bedachtsam an. „Spartokos mag kein brillanter Redner wie du sein, doch er ist gebildet, schlau und äußerst erfahren auf dem politischen Parkett. War es den wirklich nötig, ihn heute Abend auf diese Weise vorzuführen? Gehört so etwas in deiner Heimatstadt Athen vielleicht zum guten Ton, dass ein auswärtiger Gast, der gerade erst angekommen ist, einen städtischen Würdenträger derart brüskiert? Und das, obwohl er ihn noch nicht einmal kennt?“

Irritiert durch diese Worte blickte Lysias seiner Gesprächspartnerin direkt in die Augen. Und so entging es ihm nicht, dass Mike trotz des scharfen Tons in ihrer Stimme ein gewisses Interesse an seiner Person nicht verbergen konnte. In ihren Augen leuchtete ein merkwürdiges Feuer, das seine Sehnsucht nach einer innigen Umarmung, ja nach einer stürmischen Liebesnacht anfachte und auf eine magische Art genau das Gegenteil von dem zu sagen schien, was seine Ohren zu hören bekamen.

Dennoch machten ihm Mikes Worte bewusst, dass er den Bogen wohl doch ein wenig überspannt hatte. Aus dem ursprünglich honigsüßen Gefühl des Sieges in diesem Wortgefecht war die dumpfe Ahnung einer sich nachträglich anbahnenden Niederlage geworden. Sei es auch nur, weil er auf diese Weise Mike ganz offensichtlich verärgert hatte. Und was plötzlich noch schlimmer an ihm nagte: Wie mochte wohl der Hausherr auf sein kleines Theaterspiel reagieren? Lysias schaute zum Eingang hinüber, dorthin, wo er zuletzt seinen Gastgeber Dakos hatte stehen sehen. War er wütend oder gar enttäuscht?

Doch Dakos hatte das Zimmer bereits kurz nach Spartokos verlassen. Er hatte ebenfalls mit großem Spaß den Disput verfolgt und war über Lysias’ Worte durchaus erfreut. Doch äußerlich verzog der gewiefte Geschäftsmann selbstverständlich keine Miene, weshalb es für die Umstehenden nicht auszumachen war, was er selbst von der ganzen Sache hielt.

Die Feier schien sich dem Ende zuzuneigen, doch sie würde mit Sicherheit über Monate hinweg das Stadtgespräch in den gehobenen Kreisen bilden. Und das, so war sich Lysias sicher, nicht zuletzt wegen ihm selbst und seinem Wortgefecht mit Spartokos.

Immer noch leicht ungehalten, aber eingedenk dessen, wozu sie eigentlich an diesem Abend eingeladen worden war, ließ sich Mike von Lysias überreden, im Garten etwas Luft zu schnappen. Sie setzten sich auf eine der Klinen. Ein kleinwüchsiger, lustloser Diener mit kurzem krausen Haar, der unverhohlen und sogar etwas anklagend vor sich hin gähnte, brachte zwei weitere Schalen Wein, und so begannen sie eine Unterhaltung, die ein wenig angespannt und steif verlief. Lysias versuchte, sich für den gerade stattgefundenen Disput wortgewandt zu rechtfertigen. Er versprach sogar, wenngleich auch etwas halbherzig, da er eigentlich gar nicht so genau wusste warum, sich gleich am nächsten Tag bei Spartokos persönlich zu entschuldigen. Für Mike war dieses etwas lieblose Versprechen jedoch offensichtlich ausreichend. Mit einem Mal war sie wieder die geschickte Gesellschafterin, unbeschwert und fröhlich, und redete mit Lysias über die verschiedensten Themen, wohlweislich ohne politische Dinge auch nur anzudeuten.

Mike geizte nicht mit ihren weiblichen Reizen, sondern schmiegte sich im Laufe der Unterhaltung enger an Lysias, fing an, ihm zärtliche Dinge ins Ohr zu flüstern, und führte seine linke Hand zart streichelnd über ihre eigenen Arme. Der Wein und ihr naher Duft taten das ihrige, und er widerstand der süßen Verlockung zu seiner Linken nicht mehr lange.

Sie übernahm jetzt die Kontrolle über den weiteren Verlauf der Nacht, indem sie ihn mit schelmischen Augen fixierte und ihm mit ihrer dunklen Stimme zuraunte, die jedes Eis zum Schmelzen gebracht hätte: „Indem du Spartokos so verärgert hast, mein lieber Lysias, bist du nicht nur um einen Feind reicher. Nein, du hast mir damit auch die Aussicht auf ein gemütliches und luxuriöses Nachtlager versperrt.“ Sie führte seine Hand an ihre Brust, was er mit großer Erregung geschehen ließ. „Was gedenkst du denn dagegen zu unternehmen, mein starker, mein schöner athenischer Freund?“

In Lysias’ weinschwerem Kopf schwirrten die Gedanken wie die Arbeiterinnen in einem großen Bienenstock. Da war seine Verlobte, sein Auftrag, sein Gastfreund, die Gewissheit, dass Mike eine Hetäre und letztlich eine Anhängerin des Spartokos war, zudem dessen Drohung, dass er seiner Geliebten nicht zu nahe kommen solle. Und doch, da war diese begehrenswerte Frau, dieses Spiegelbild der Aphrodite, die ihm soeben unverhohlen angeboten hatte, die Nacht mit ihm zu verbringen, so kurz sie auch nur noch sein mochte. Ob sie ihm tatsächlich vergeben hatte oder ob sie nur ihre Verführungskräfte auf die Probe stellen wollte, wusste Lysias nicht zu entscheiden – es war ihm auch egal! Diese Frau war schön, Hetäre und zu nichts anderem auf diesem Fest! Er wollte mit ihr schlafen, jetzt! Morgen, so dachte er, ist immer noch Zeit genug für Gewissensbisse.

Er nahm Mikes Hand, stand wortlos auf und führte sie in den ersten Stock in das Zimmer, das ihm bei seiner Ankunft von einem Diener zugewiesen worden war.

Kaum hatten sie die Tür hinter sich geschlossen, da umarmten sie sich stürmisch, zogen sich noch im Stehen gegenseitig die Kleider aus und sanken langsam zu Boden. Von der kleinen Tonlampe auf dem reich verzierten Holztisch im hinteren Bereich des Zimmers, dessen Einrichtung die beiden Liebenden nicht wahrnahmen, fiel dabei ein schwaches Licht über Mikes Körper, und das Schattenspiel auf ihren Formen brachte Lysias beinahe um den Verstand. Selbst bis zum Äußersten erregt, streichelte er Mikes Kopf, küsste leidenschaftlich ihre Brustwarzen und drang zärtlich in sie ein. Für Lysias war es die Erfüllung all seiner Wünsche und Träume, war es das höchste Glück auf Erden, welches er, vom Wein stark benebelt, gar nicht richtig fassen konnte. So fühlen sich wohl die Götter, schoss es ihm für einen kurzen Augenblick durch den Kopf, als er erschöpft und überglücklich in Mikes Armen lag.

Die ersten Sonnenstrahlen fielen bereits durchs Fenster und erhellten das Zimmer ein wenig stärker, als es die kleine Öllampe bislang vermocht hatte. Erst jetzt realisierten sie, dass sie es gar nicht mehr bis in das gemütlich anmutende Bett geschafft hatten, sondern tatsächlich direkt davor auf dem harten Fußboden lagen. Sie fingen wie aufs Stichwort beide gleichzeitig wie kleine Kinder an zu kichern, schalten sich gegenseitig einen Lüstling, der es nicht erwarten konnte, und schlüpften schließlich unter die weiche, aus feinsten Tierfellen hergestellte Bettdecke.

Erneut überkam sie die Lust, und erneut vergaß Lysias alles um sich herum. Nachdem sie sich noch einmal heißblütig geliebt hatten, fielen sie schließlich eng umschlungen in einen tiefen Schlaf bis zum späten Mittag.

Lysias

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