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Zwischen Ostsee und Mittelmeer:
Rassenkunde der Griechen und Römer

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Im Jahr 1929 veröffentlichte Hans Günther bei J. F. Lehmann eine Rassengeschichte des hellenischen und des römischen Volkes3. Schon die bloße Tatsache, dass der offizielle Rassenkundler der NSDAP das Bedürfnis verspürte, ein ganzes Buch der Frage der nordischen Herkunft von Griechen und Römern zu widmen, ist der Erwähnung wert.

Diese Monographie ist zudem eine der beiden Studien, die er, parallel zu seinen allgemeinen Darstellungen, der Genealogie einzelner Völker widmete. Im Jahr 1937 versetzte dann die bereits erwähnte Darstellung der indoeuropäischen Volksgruppen der These von der Herkunft aus Indien den Gnadenstoß. Die griechisch-römische Rassengeschichte von 1929 verfolgte ein ganz anderes Ziel: Hier ging es darum, die nordische Rasse dadurch zu verherrlichen, dass man sie mit einer besonderen Aura umgab, derjenigen der hochangesehenen griechischen und dann griechisch-römischen Kultur, deren Werke man ihr zuschrieb.

Das Buch besteht aus drei Teilen: Der erste ist der Rassengeschichte der Griechen gewidmet, der zweite derjenigen der Römer, während die Anhänge zahlreiche Reproduktionen antiker Büsten und Porträts nebst einem rassenkundlichen Kommentar enthalten.

In seinem Vorwort beugt Hans Günther jeglicher wissenschaftlich-kritischen Lesart seines Textes vor: „Der Verfasser ist ja sehr weit davon entfernt, ein eigentlicher, Kenner‘ der Geschichte und des Schrifttums der Hellenen und der Römer zu sein.“4 Diese Vorsichtsmaßnahme hat ihre Bedeutung! Sie bildet einen seltsamen Kontrast zu den weiteren Ausführungen, die zumeist als kategorische, unumstößliche Behauptungen auftreten.

Zu Beginn seiner Ausführungen zu den Griechen spielt Günther ein Autoritätsargument aus; er zitiert nämlich die deutschen Althellenisten, die als Erste die These vom nordischen Ursprung der Griechen aufgestellt haben. Zu ihnen zählen Hermann Müller, der 1844 die berühmte zusammenfassende Darstellung Das nordische Griechentum und die urgeschichtliche Bedeutung des nordwestlichen Europas5 veröffentlichte, und Karl Julius Beloch, dessen Griechische Geschichte6 von 1912 als Standardwerk galt.

Günther konnte sich mit vollem Recht in eine lange Traditionskette einreihen. Die deutsche Geschichtsschreibung in Bezug auf die Antike hat sich in der Tat schon früh, nämlich im 19. Jahrhundert, der These vom nordischen Ursprung der griechischen Völker und ihrer Kultur angeschlossen.7 Bereits 1824 veröffentlichte der Historiker des antiken Griechenlands Karl Otfried Müller sein Standardwerk über die Dorier8, das Volk, das aus dem Norden kommend den Peloponnes besiedelt und das lakedämonische Gemeinwesen hervorgebracht habe. Gestützt auf das nordische Postulat, hat eine ganze Bibliothek von Werken mit geschichtswissenschaftlichem und anthropologischem Anspruch diese These aufgegriffen und popularisiert,9 zum einen in Deutschland, zum anderen aber auch in Frankreich, insbesondere mit Gobineau und dann Vacher de Lapouge.10

Neben der Berufung auf Autoren und Autoritäten wurde ein umfassender pluridisziplinärer wissenschaftlicher Apparat als Beweismittel herangezogen. Günther mobilisierte als Erste die Mythenkunde und die vergleichende Mythenkunde: So sei der Herkules-Zyklus ein naher Verwandter ähnlicher nordischer Legenden, was auf ein geistiges indogermanisches Erbe, „ein Geistesgut einer indogermanischen Vorzeit der Hellenen in Mittel- bis Nordwesteuropa“11 verweise.

Unter Berufung auf Diodorus von Sizilien und Herodot spricht Günther vom legendären Volk der Hyperboräer, die besagte zwei Autoren als Vorfahren der Dorier und des Gottes Chronos sowie von Latone und ihren zwei Kindern Artemis und Apollo betrachteten. Hyperboräer aber bezeichnet nach Günther diejenigen, „‚die jenseits des Nordwinds (Boreas) wohnen‘. Die heutige Wortforschung zeigt, daß das Wort zu erklären ist als ‚die jenseits der Berge wohnen‘“,12 jenseits der Karpaten, die, von Griechenland aus gesehen, die Grenze zwischen dem Mittelmeerbecken und dem germanischen Norden bilden.

Günther zieht bei Bedarf auch die Sprachwissenschaft heran. So zitiert er etwa Otto Reche (1879–1966)13, Professor an der Universität Leipzig, seinen Kollegen als Rassenkundler und Verfasser eines Artikels über die Griechen in einem Reallexikon der Vorgeschichte:

„Ein kleines griechisches Wort beweist eigentlich schon alles: der Name der Regenbogenhaut des Auges, Iris, was eben ‚Regenbogen‘ bedeutet: nie kann ein Volk mit braunen oder schwarzbraunen Augen auf den Gedanken verfallen, seine Augenfarbe mit dem Regenbogen zu vergleichen, denn der Regenbogen ist eben nicht schwarzbraun. Für diese Namen-gebung können nur helle Augen – blaue, graue, grünliche oder blaue mit orangefarbenem Ring am Rande der Pupille – die Veranlassung gewesen sein, also Farben, wie sie sich nur bei der nordischen Rasse oder einem Teil ihrer Mischlinge finden.“14

Mitunter werden allerdings komplexere sprachwissenschaftliche Argumente herangezogen. Richard Walther Darré führt etwa an, dass das Wort für Steppe im Sanskrit das gleiche sei wie das griechische Wort für Acker oder Feld. Ein Acker ist aber ein Raum, der gerodet wurde, um Platz für landwirtschaftliche Aktivitäten zu schaffen. Die Einwohner Indiens können die Steppe, dieses Land ohne Bäume, offenbar nur als Raum auffassen, der vorher gerodet wurde. Die Inder kommen demnach aus einer Gegend mit ursprünglich reichem Waldbestand, woraus zu schließen sei, dass sie aus Norddeutschland oder Südschweden eingewandert sind.15

Günther greift auch auf die Onomastik zurück und stellt in diesem Zusammenhang die häufige Verwendung der Vokabeln chrysos (Gold), pyr (Feuer) und xanthos (Bezeichnung für „die Farbe des reifen Korns“16) zur Bildung von Eigennamen fest.17 Mit höherem Anspruch betrieb der Hellenist Hans-Konrad Krause die sprachwissenschaftliche Beweisführung. In einem 1939 veröffentlichten Artikel zur vergleichenden deutsch-griechischen Onomastik18 argumentiert er wie folgt: Zwar mögen die beiden Sprachen nicht unmittelbar verwandt sein in ihrer semantischen Substanz, das Deutsche mag sich nicht in gerader Linie aus dem Griechischen herleiten, gleichwohl weisen sie Struktur- und Wortbildungshomologien auf, die eine unbezweifelbare geistige Verwandtschaft verraten: In beiden Sprachen ist der gleiche nordische Geist am Werk, der die Eigennamen im gleichen Sinn und nach den gleichen Gesetzen bildet. Eine genauere Untersuchung zeigt etwa die Struktur- und Sinnentsprechung von zwei Vornamen: Gott = theos und lieben = philein. Es gibt also einen Liebling der Götter in beiden Sprachen, der gleiche Vorname taucht im Griechischen wie im Deutschen auf. Das kann kaum überraschen, wenn man bedenkt – was der Artikel wohlweislich verschweigt –, dass der deutsche „Gottlieb“ im 17. Jahrhundert entstanden ist, und zwar schlicht und einfach als Übersetzung des griechischen Theophilos, der zuvor bereits zu Amadeus latinisiert worden war.

Die Beweisführung wird anhand zahlreicher Beispiele fortgeführt, etwa im Fall der Vornamen Diether und Demostrates: Diether < diot (= Volk) + Heer und Demostratos < demos (Volk) + stratos (Armee). Doch wen soll das wundern, angesichts zweier Völker von Bauernsoldaten?

Der Autor stellt des Weiteren fest, dass es im Griechischen wie im Deutschen inverse Symmetrie-Strukturen gibt: Nikokles und Kleonike, Gangolf und Wolfgang entsprechen dem gleichen chiastischen Konstruktionsschema. Diese einfachen Beispiele, die man den Griechischlehrern als Übungsmaterial vorschlägt, haben für Krause hohen pädagogischen Wert. Mit ihrer Hilfe kann und soll den Schülern gezeigt werden, dass das germanische und griechische Fühlen eine Verwandtschaft bezeugen, die sich nur durch arische Blutsgemeinschaft erklären lasse.19 Diese Struktur-Homologien sind in der Tat unbestreitbar. Aber während sie hier zu unbezweifelbaren Beweisen für den nordischen Ursprung stilisiert werden, könnten sie ebenso gut umgekehrt als Belege für eine Herkunft aus dem Osten herangezogen werden, wie das die Vertreter der indoeuropäischen Hypothese tun.

Die Rassenkunde rekurrierte auch auf ein neues Paradigma kultureller Belege. Die neue, aus den 1920er Jahren stammende Entwicklung einer Rassenpsychologie um Ludwig Ferdinand Clauß lieferte eine andere Argumentationsweise. Sie schloss vom Geist auf das Blut, eine Verbindungslinie, die sich direkt aus dem Zusammenhang von Rasse und Seele ergibt. Auf dieser Grundlage entwickelte Clauß eine rassenpsychologische Typologie, die die verschiedenen Zweige der nordischen Rasse zu einem Typ zusammenfasst,20 dem des Leistungsmenschen, des aktiven und freien Menschen, im Unterschied zum östlichen und semitischen Darbietungsmenschen, dem Menschen der Unterordnung. Mit Bezug auf Clauß spricht der Althistoriker Hans Bogner von der „griechischen Seele in der Antike“21, um deren indogermanische Natur zu beweisen. Bogner argumentiert in einem lupenreinen hermeneutischen Zirkel, wenn er ausführt, dass man zum Verständnis der griechischen Seele zunächst von der deutschen Seele ausgehen müsse.22 Umgekehrt gestattet dann die Befassung mit der griechischen Seele die Erforschung der deutschen Seele in ihrer ursprünglichen, rein indogermanischen Form:

„Bei der Rassenverwandtschaft […] können wir erwarten, hier trotz allen Unterschieden Grundzüge unserer eigenen Uranlage zu fassen, Voraussetzungen, die bei uns durch vielfache Überfremdung verschüttet sind und kaum mehr zugänglich wären ohne Hilfe des griechisches Wortes, das klar und geformt schon in einer Zeit erklingt, aus der uns von unseren eigenen Vorfahren nur spärliche und stumme Funde eine Kunde geben.“23

Einen der Wesenszüge dieser griechischen Seele offenbare das Verhalten des Odysseus in der Ilias (Λ, 400ff.): Allein gegenüber dem Feind zögert Odysseus nicht: „Nein, er muß sich nur darauf besinnen, daß die Entscheidung schon vorgegeben ist, der er sich nicht entziehen kann.“24 Seine Antwort, der Angriff, wird ihm diktiert „durch Geburt, durch Blut und Sein“25.

Die griechische Seele ist demnach dem deutschen Geist zum Verwechseln ähnlich, dessen Konterfei uns hier indirekt, in Form von Parallelen, dargeboten wird: Mut, aber auch Wille zur Macht und Gemeinschaftssinn. Bogner scheut sich nicht, die Griechen Homers als Herrenmenschen26 darzustellen, die sich anschicken, den Mittelmeerraum zu erobern. Sich in die griechische Seele zu vertiefen, ist demnach alles andere als ein gelehrter Zeitvertreib. Aus einer solchen Beschäftigung ist vielmehr so manche Lehre zu ziehen in Hinsicht auf eine Gegenwart, die eintaucht in ein Bad griechischer Willenskraft und sich in ihm neu stärkt:

„Und wenn der Grundwert der griechischen Politik wahr ist: nämlich daß das Ganze nach Sein und Rang vor dem Teil kommt, die Gemeinschaft vor dem Einzelnen, dann kann diese Lehre der Antike nicht überhört werden in einer geschichtlichen Weltstunde, in der echte Gemeinschaft wieder im Entstehen ist.“27

Der Nationalsozialismus und die Antike

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