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Deutschland geht in die Schule der neuen Geschichte:
Schulungshefte der SS und Schulbücher

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Die These vom nordischen Indogermanentum der Griechen und Römer sowie deren Verbreitung beschränkte sich nicht auf wissenschaftliche Veröffentlichungen mit ihrem begrenzten Verbreitungsgrad. Mit Hilfe einer Vielzahl von Verbreitungskanälen sollte eine viel breitere Leserschaft erreicht werden.

Die Hefte zur ideologischen Schulung der SS etwa verbreiteten diese Lehre mit schöner Regelmäßigkeit. So wurde sie in höchst pädagogischer Weise gestützt und illustriert durch eine Reihe von schematischen Darstellungen, in denen die Entwicklung vom germanischen Haus zum griechischen Tempel nachgezeichnet wird. Der beigegebene Kommentar betont:

„Aus dem nordischen Bauernhaus entwickelte sich durch Weiterbildung und Vervollkommnung der griechische Tempel. […] Hier sehen wir nun ein stolzes Zeugnis klassischer Baukunst. Der griechische Tempel ist also ein weiterer Beweis dafür, daß die hohen Kulturen nicht aus dem Orient, sondern aus dem Norden kommen.“177

Eine weitere SS-Veröffentlichung178 zeigt das Porträt eines jungen Rekruten im Dreiviertelprofil und stellt es dem Profil eines römischen Staatsmanns gegenüber. Der junge SS-Mann nimmt der männlichen gravitas des Römers gegenüber selbst eine Pose vergeistigter Virilität ein:

„Auch dieser deutsche Bauernsohn und SS-Mann ist Träger desselben nordischen Bluterbes wie die Männer, die wir eben sahen.179 Neben ihm wird gezeigt ein römischer Staatsmann, der uns abschließend daran erinnern soll, daß auch das alte römische Weltreich, das Reich der Perser, die altgriechische Kultur, aber auch das russische Reich und das englische Weltreich wie viele anderen Reiche der Welt aus der Leistungskraft desselben nordischen Blutes heraus geschaffen wurden.“180

Auch die Schulungshefte der Partei handeln von den ruhmreichen Vorfahren, deren antikes Erbe das Deutschland der Gegenwart beanspruchen kann. Eine Stoffsammlung für die weltanschauliche Schulung, herausgegeben vom Beauftragten für weltanschauliche Schulung der NSDAP, stellt das Profil einer griechischen Frau der Reproduktion einer Augustus-Büste gegenüber, um durchs Bild zu belegen, was die Legenden beschreiben: „Nordische Rasse bei Griechen und Römern.“181

Der schulische Unterricht bleibt dahinter nicht zurück. Wir haben bereits gesehen, in welch hohem Maß die Richtlinien von 1933 und 1935 sowie die Lehrpläne von 1938 ein aggiornamento des Diskurses über den Ursprung der europäischen Kultur verlangten. Daraus folgt logischerweise, dass auch die Lehrwerke Griechen und Römer zu Ariern machten, sie gewissermaßen arisierten.

Dietrich Klagges legte mit Geschichtsunterricht als nationalpolitische Erziehung182 im Jahr 1937 ein didaktisches Werk vor, das sich als Handbuch für den Lehrer verstand und diesen in den Prinzipien der neuen Geschichtsauffassung unterweisen wollte, so wie Staatspartei und die pädagogischen Anweisungen des Ministeriums sie befürworteten. Nach einleitenden erkenntnistheoretischen Kapiteln liefert das Buch einen Abriss der Geschichte der indogermanischen Rasse in neun Kapiteln, von den Ursprüngen über die Wirrungen des Mittelalters und der Neuzeit bis hin zur nationalsozialistischen Parusie. Die drei ersten Kapitel, „Umwälzende Bedeutung der Vorgeschichte“, „Auf den Spuren der Urväter“183 und „Die Nordmänner herrschen im Süden“184, verstehen sich als Vademecum des Lehrers, der dazu aufgefordert wird, eine neue Betrachtungsweise des indogermanischen Rassenepos zu verbreiten und dabei germanische Vorgeschichte und klassische Antike miteinander in Einklang zu bringen.

Die Richtlinien zur Reform des Geschichtsunterrichts der Minister Frick und Rust zogen nicht gleich die Veröffentlichung neuer Lehrwerke nach sich. Die Verlage waren vor allem daran interessiert, ihre Lagerbestände abzusetzen, und so arbeiteten die Schüler weiterhin mit Lehrwerken aus der Zeit der Weimarer Republik,185 freilich ergänzt und modifiziert durch Zusatzmaterialien, die zunächst in Heft form den vorhandenen Lehrwerken beigegeben wurden. Ein Beispiel dafür ist die kleine, 40-seitige Rassengeschichte und Vorgeschichte im Dienste nationaler Erziehung. Eine Ergänzung zu jedem Lehrbuch der Geschichte für höhere Unterrichtsanstalten […]186 aus der Feder des Realschul-Geschichtslehrers Karl Schmelze, das die ganze Vorgeschichte und die Geschichte des Altertums abdecken sollte. Auf eine Darstellung der Anfänge der nordischen Rasse folgen einige Seiten zum Thema der „Ausbreitung der nordischen Rasse“187, in denen Schmelze die ersten indogermanischen Wanderungen schildert. Diese werden auf die Übervölkerung der nördlichen Ursprungsgebiete zurückgeführt.188 Schmelze unterscheidet in seiner didaktischen Art vier Migrationsrouten: in Richtung Iran und Indien, nach Griechenland, nach Italien und in Richtung Westen (Frankreich, Großbritannien, Spanien).189 Wir haben es hier sichtlich mit einer Umsetzung der oben erwähnten Karten in Texte zu tun. Dank der „Schöpferkraft der nordischen Rasse“190 haben diese Wanderungen die Hochkulturen des Altertums hervorgebracht, insbesondere diejenigen Griechenlands und Roms, das „seine Größe der nordischen Rasse [verdankt]“191:

„Ohne die nordischen Einwanderer und ohne die Ströme nordischen Blutes, die immer wieder nach Italien stoßen, hätte es keine römische und keine italienische Kultur gegeben.“192

Die Lehrwerke gaben sich alle Mühe zu beweisen, dass die Griechen und die Römer Indogermanen waren. Kulturelle Hervorbringungen sowie physisches Äußeres und innere Werte wiesen allesamt Ähnlichkeiten auf, deren Konvergenzpunkt eine gemeinsame nordische Heimstatt sei.

Schmelze listet alle Züge auf, die den Wandervölkern indogermanischer Sprache gemeinsam sind: der Vorrang der Gruppe gegenüber dem Individuum, der Sinn für Ehre, der Helden- und Mutkult. Sie alle hätten denkwürdige Großtaten und Meisterleistungen zur Folge, die von den indischen, persischen und griechischen Heldengesängen ebenso gefeiert würden wie die sie gegenüber anderen Völkern auszeichnenden Eigenschaften Edelmut, Seelengröße, Wahrheitsliebe und Stolz.193 Des Weiteren achteten sie eifersüchtig auf „Rassereinheit“, indem sie jegliche Exogamie untersagten und unreine oder untergeschobene Kinder aus der Gemeinschaft ausschlossen. Das ganzheitliche Heldenethos der indogermanischen Völker, insbesondere der Griechen und Römer, lasse es geraten erscheinen, den jungen Deutschen eine humanistische Bildung angedeihen zu lassen. Der Hellenist Otto Regenbogen erhob die griechische arêté und die römische virtus gar zu regulativen Ideen der politischen Unterweisung im neuen Deutschland.194

In einer zweiten Phase, die im Wesentlichen mit dem Erlass der neuen Lehrpläne von 1938 einsetzte, erschienen neue Lehrwerke, wie das von Walther Gehl für die 6. Klasse195. Dieses widmet den Ursprüngen der indogermanischen Rasse ein 30-seitiges Einleitungskapitel, dem 100 Seiten zur Geschichte der nordischen Kulturen Griechenlands und Roms folgen. Schon die Lektüre einiger Auszüge aus seinem Inhaltsverzeichnis lässt deutlich den Willen erkennen, die symbolische Annexion der griechischen und der römischen Kultur fest im Denken der jungen Menschen zu verankern. Die Kapitel-überschriften arbeiten fast durchgängig mit dem Adjektiv „nordisch“. Diese obsessive Wiederholung ähnelt einem semantischen Maschinengewehrfeuer. Das Kapitel über die „nordisch-griechische Kulturwelt im östlichen Mittelmeerraum“ etwa ist in Bezug auf das archaische Griechenland wie folgt unterteilt:

– Die ägäische Kultur der nordischen Achäer

– Der Schutz der Rasse im sozialistischen Kriegerstaat der dorischen Spartaner

– Die nordische Haltung des griechischen Menschen

– Das völkisch-religiöse Einheitsbewußtsein der Hellenen

– Die geistige Eroberung der Welt durch freies Forschen und Denken.

Auch das klassische Griechenland ist nach Gehl eine denkbar nordische Kultur, wie die folgenden Kapitel-überschriften bezeugen:

– Der Abwehrkampf gegen das nordisch geführte Asiatentum in den Perserkriegen

– Die griechische Kunst unter Perikles als Werk nordischer Schöpferkraft

– Das attische Volk im demokratischen Athen unter nordischer Führung.

Die Kapitel, die dem als „nordische Schöpfung“ bezeichneten Römischen Reich gewidmet sind, stellen sich deutlich als Übertragung der ministeriellen Richtlinien dar:

– Der Sieg nordischer Stämme über die vorderasiatischen Etrusker in Italien

– Der nordische Geschlechterstaat der Römer

– Rassenkämpfe und völkischer Ausgleich

– Die Einigung Italiens durch die zielbewußte Machtpolitik Roms.196

Das Dogma der indogermanischen Abstammung und Natur der Griechen und Römer ist aber nicht nur Sache der Geschichtslehrwerke. Es findet sich auch in den altsprachlichen Lehrwerken, die mit ihren schlichten Behauptungen pädagogisch wirksame Mittel weltanschaulicher Schulung waren. Dies gilt etwa für das Lateinlehrwerk von 1942, dessen Einleitungssätze eine äußerst konzise Zusammenfassung der ursprünglichen Wanderung der Griechen und ihrer Verwandtschaft mit Germanen und Römern darstellen:

„Non semper in Graecia idem incolae habitaverunt. Antiquissimis temporibus Graeci, qui Germanis et Romanis consanguineri erant, in patriam novam migraverunt.“197

Weltanschauliche Schulungshefte und Lehrwerke für Sekundarschulen vermittelten so die indogermanische These, die auch an der Universität gelehrt wurde.

Der Nationalsozialismus und die Antike

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