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Liebe zur Antike contra Germanentümelei:
Hitler und die SS

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Hitlers strenges Urteil über Germanien und seine Geschichte mag erstaunen. Er zeigte sich völlig fasziniert von der Antike, insbesondere vom alten Rom, und hatte für die germanische Vorgeschichte, ihre Armut an kulturellen Erzeugnissen und ihre künstlerische Unfruchtbarkeit trotz aller Zugeständnisse am Ende nur Verachtung übrig. Die deutschtümelnde Obsession Himmlers und der SS nervte ihn aufs Äußerste. In seinen Augen wurde die germanische Geschichte erst mit dem Bau der Kathedralen interessant, mit dem Heiligen Römischen Reich und dann dem preußischen Staat. Die germanische Vorgeschichte, deren glühender Anhänger Himmler war, erschien ihm wertlos. Ja schlimmer noch: die Befassung mit ihr bedeutete eine Demütigung für den deutschen Stolz.

Himmler ließ ganze Regimenter von SS-Archäologen auf den deutschen Wald los. Sie hatten den Auftrag, alle Zeugnisse germanischer Kultur auszugraben und zur breiten Ausstrahlung der noch ganz jungen Vorgeschichtsforschung beizutragen, die von ihrem Gründer Gustav Kossinna als „hervorragend nationale Wissenschaft“114 bezeichnet wurde. Die SS gab auch eine niveauvolle Zeitschrift heraus, Germanien, in der vorgeschichtliche Grabungen regelmäßig Gegenstand stolzer Berichte waren.115

Hitler als Liebhaber der Antike betrachtete diese Forschungen mit Missfallen. Er zeigte sich konsterniert von den Ergebnissen dieser Ausgrabungen, sah er in ihnen doch eher eine Demütigung als eine Erhöhung des Germanentums. Die Deutschtümelei Himmlers und der SS veranlasst ihn zu unbarmherzigen Sarkasmen:

„Da wird irgendwo ein Schädel gefunden und alle Welt sagt: So haben unsere Vorfahren ausgesehen. Wer weiß, ob der Neandertaler nicht ein Affe war. […] Wenn man uns nach unseren Vorfahren fragt, müssen wir immer auf die Griechen verweisen.“116

und nicht etwa triumphierend die Knochen irgendeines sächsischen Pithekan-thropus hochhalten.

Es sei nicht nur unnütz, sondern sogar schädlich, in Deutschland Schädel auszugraben, um etwas über die Beschaffenheit der Rassenvorfahren der Deutschen zu erfahren, wo es doch der Stein der griechischen Skulpturen ist, der davon Zeugnis ablegt: Die Griechen waren auch Germanen,117 stellte Hitler in aller Ruhe fest und setzte damit Griechen- und Germanentum unmittelbar in eins, ohne den Umweg über den Vermittlungsbegriff des Nordischen. Er stellte damit seine überraschende, aber beständige Unbedarftheit in Rassenfragen118 sowie seine ausgeprägte Liebe zu Begriffsvermengungen und verkürzenden Darstellungen unter Beweis.

Alles von Himmlers Archäologen zutage Geförderte ließ einen Führer kalt, der sich lieber zum Vertreter der historisch-kritischen Methode aufschwang:

„Bei allen Funden in unseren Gegenden bin ich skeptisch: Diese Sachen sind oft ganz woanders erzeugt worden. Für ihren Bernstein haben die Germanen der Küste diese Dinge bekommen.“119

Schlimmer noch: Die Ergebnisse dieser Forschungen sind in seinen Augen bestürzend und zeugen eher von unheilbarer Zurückgebliebenheit als von irgendeiner Kultur, die diesen Namen verdient:

„Sie [die Germanen] waren auf keiner höheren Kulturstufe wie heute die ‚Maori‘ (Neuseeländer Negerstamm)“120

– aus seinem Mund gewiss keine besonders liebenswürdige Einschätzung.

Sei dem, wie dem wolle: Auch wenn man von dem oben Gesagten den Anteil an polemischer Übertreibung und an Gereiztheit angesichts der Deutschtümelei der SS abzieht, so bleibt doch bestehen, dass laut Hitler die Germanen nicht mithalten konnten mit dem griechischen und römischen Altertum, zu dem ihn alles hinzog:

„Beim Mittagessen erwähnte der Chef, daß bei den Ausgrabungen von Siedlungsstätten unserer Vorfahren aus vorchristlicher Zeit immer sehr viel Geschrei gemacht werde. Er sei gar kein Freund davon.“121

Es folgt die Übertragung der Ausführungen des Führers, weiterhin in indirekter Rede:

„In derselben Zeit, in der unsere Vorfahren die Steintröge und Tonkrüge hergestellt hätten, von denen unsere Vorzeitforscher so viel Aufhebens machen, sei in Griechenland die Akropolis gebaut worden.“122

Für Hitler unterlag es keinem Zweifel, dass Griechenland und Rom, diese Gründungen nordischer Völker, in Europa die Kulturschöpfer waren:

„Die eigentlichen Kulturträger nicht nur in den letzten Jahrtausenden vor Christus, sondern auch im 1. Jahrtausend nach Christi Geburt seien die Mittelmeerländer gewesen. Uns erscheine das manchmal unwahrscheinlich, weil wir die Mittelmeerländer nach dem Zustand beurteilten, den wir heute in ihnen vorfinden. Das sei aber völlig falsch.“123

Der Vergleich zwischen Griechen und Römern, anhand der bereits erwähnten Parallele zwischen den Tontöpfen der einen und dem Marmor der Akropolis ist niederschmetternd:

„In einer Zeit, wo die anderen schon Steinstraßen besaßen, hat unser Land Zeugnisse einer Kultur nicht aufzuweisen. Zur Kultur haben nur die Seegermanen etwas beigetragen. Die Germanen, die in Holstein geblieben sind, waren nach 2000 Jahren noch Lackel, während ihre Brüder, die nach Griechenland ausgewandert waren, zur Kultur emporstiegen.“124

Diese Kultur wird ihrerseits ein Germanentum befruchten, das Gefangener der Nebel des Nordens geblieben ist. Der Kontakt mit Rom wird es dem germanischen Geist ermöglichen, diesen im Süden aufgeblühten Geist in sich aufzunehmen. Die nordische Menschheit wurde von Hitler also lediglich in ihrer griechischen und römischen Spielart als wertvoll betrachtet, und das primitive Germanentum fand nur insoweit Anerkennung, als es von Rom gelernt hat. Die germanische Heldenfigur eines Arminius wurde weniger als Verkörperung eines reinen Germanentums gefeiert denn als besonders begabter Jünger Roms und seiner Kultur. Den Germanen-Führer, der im Jahr 9 unserer Zeitrechnung General Varus im Teutoburger Wald geschlagen hatte, ließ Hitler nicht als Vernichter römischer Legionen hochleben, sondern als Germanen, der es verstanden hatte, Schüler und Rivale Roms zu sein und von Rom die taktische und kulturelle Intelligenz zu lernen, um so eine lateinisch-germanische Synthese zu erzeugen:

„Wenn die Römer die Germanen nie in ihr Heer geholt hätten, wäre der germanische Bauer kaum der im Waffenhandwerk geübte Soldat geworden, der sie – die Römer – hernach vernichtet habe. Am deutlichsten werde einem das in der Person Armins, der Kommandeur der 3. Römischen Legion gewesen sei und seine soldatische Ausbildung und Erfahrung, aufgrund deren er die Römer schlagen konnte, somit von ihnen selbst in jungen Jahren bezogen habe. Auch seine tapfersten Mitstreiter beim Aufstand gegen die Römer seien Germanen gewesen, die irgendwann einmal als Legionäre im römischen Heer Dienst getan hätten.“125

Arminius-Hermann ist also nicht an sich eine bemerkenswerte Gestalt der deutschen Geschichte. Hitler hat aus ihm nicht den stolzen Germanen gemacht, der sich in Detmold für die Ewigkeit gegen den römischen Eroberer erhob, nicht die Verkörperung freien und mutigen Germanentums, das sich jeglicher Invasion entgegenstellt. Arminius und seine Waffenbrüder waren vielmehr kulturelle Mittler, Schaltstationen zwischen Rom und Germanien. Er hatte eine Vermittlungsfunktion, ähnlich derjenigen, die die Galloromanen für Frankreich hatten.

Kein Wunder also, dass Hitler sich über die undifferenzierte Feier des Germanentums durch Himmler und die SS ärgerte. Mit beißendem Spott machte er sich über die Deutschtümelei der SS lustig, die er privat wie öffentlich missbilligte und lächerlich machte. Scharf geißelte er diese Neigung zu einer rückwärtsgewandten, vergangenheitsfixierten Folklore, die primitive oligophrene Stämme feiert. In einer seiner Reden überzog er sie mit grausamer Ironie und gestand so seine geringe Neigung, „im vermeintlichen Bärenfell aufs neue ihre [die germanische] Wanderung anzutreten“126:

„Wir sind Nationalsozialisten und haben mit der völkischen Idee nichts zu tun […] Überhaupt nichts zu tun […] mit den alten völkischen bieder gemeinten Dingen, mit wallenden Bärten und Haupthaar. Wir haben alle die Haare kurz geschnitten.“127

Übermäßiger Haarwuchs ist Barbarei, der gut ausrasierte Nacken der Römer und der SS bedeutete Kultur.

Privat wie öffentlich griff Hitler die erniedrigendsten Urteile über die Germanen und ihre Ursprünge auf, während die neue Wissenschaft von der germanischen Vorgeschichte sich mit Unterstützung der SS-Presse anheischig machte, diese Urteile als Vorurteile zu entlarven. Die von Hitler übernommenen Klischees hinsichtlich Bekleidung und Haartracht der Germanen wurden übrigens von der SS eigens in einem Artikel aufgegriffen. Dieser wendet sich

„gegen eine tendenziöse Darstellung, die uns unsere Vorfahren in Felle gekleidet, mit Hörnerhelmen und langen, struppigen Bärten vorstellen möchte“128.

Zahllose Artikel im Schwarzen Korps widmeten sich der Dekonstruktion von Klischees hinsichtlich der angeblichen Rückständigkeit der Germanen.129 Einige griffen geschickterweise auf Texte des Altertums zurück, die das Klischee vom Barbaren in Tierhaut und hornbewehrtem Helm transportierten, so etwa die Reihe von vier Artikeln aus dem Jahr 1935 unter dem Sammeltitel „Greuelpropaganda im Altertum“. Dort werden antike Quellen herangezogen, um das abwertende Stereotyp zu widerlegen und die Germanen, diese Opfer einer fast systematischen Schmutzkampagne seitens griechischer und römischer Autoren, zu rehabilitieren. So spreche Strabo von Menschenopfern bei den Germanen, aber weder Cäsar noch Plutarch berichteten davon. Im Rahmen einer vertieften philologischen Auseinandersetzung bestritt der Artikel die Richtigkeit einer Standardübersetzung der Germania des Tacitus. In Kapitel 39 soll der römische Autor von Menschenopfern gesprochen haben. Doch zeuge die Übersetzung von caedere durch „opfern“ zumindest von Leichtfertigkeit; dieses Verb bedeute „schlagen, auspeitschen, werfen“. Hätte er von Menschenopfern sprechen wollen, hätte Tacitus eines der zahlreichen Verben verwendet, die das Lateinische in diesem Zusammenhang anbietet: necare, interficere, occidere, interimere130.

Ein weiterer Artikel der gleichen SS-Wochenschrift hielt es für angebracht, den römischen Blick auf das Germanentum zu relativieren. Er wies in diesem Zusammenhang auf Folgendes hin:

„Die Römer, Urheber der christlichen Schilderungen germanischer Wildheit, lernten immer nur die wandernden und kämpfenden Vorhuten kennen. Kein Wunder, dass ihnen die Germanen als tapfere Streiter, aber geringe Könner in aufbauender Arbeit erschienen. Erst die neue Geschichtsforschung, die die Spuren unserer Väter mit dem Spaten der Ausgrabung dort sucht, wo sie sesshafte Bauern mit hoher Kultur waren, hat mit allen Vorurteilen aufgeräumt und die Germanen als das erkannt, was sie waren: die Lichtbringer des Abendlandes!“131

Der Nationalsozialismus und die Antike

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