Читать книгу Der Nationalsozialismus und die Antike - Johann Chapoutot - Страница 37
Symbolische und territoriale Annexion:
Der Blitzkrieg von 1941 oder: Die vierte
indogermanische Invasion Griechenlands
ОглавлениеRassenkunde und Geschichtsschreibung, Geschichtsunterricht und weltanschauliche Schulung der Truppen haben dafür gesorgt, dass sich in den Köpfen eine einfache Chronologie der Nord-Süd-Wanderungen festsetzte: Auf die beiden ersten Wanderungen in vorgeschichtlicher Zeit folgte eine spätantike dritte Welle, die der Völkerwanderungen.
Unter diesen Umständen wurde der deutsche Blitzkrieg in Griechenland als vierter nordischer Zug nach Süden dargestellt und aufgefasst, in ein Land der Griechen, das es nach langem rassischen Verfall zu verteidigen und zu regenerieren galt.
Die symbolische Einverleibung der Kulturen des Altertums in die Geschichte der indogermanischen Rasse wurde so zur Legitimierung und Rechtfertigung der territorialen Einverleibung. Die Eroberung Griechenlands im Jahr 1941 wurde begleitet und gestützt von einem Diskurs, der sich auf die Vergangenheit der indogermanischen Rasse in Griechenland bezog.
Zwischen dem 22. und 25. April 1941 erkämpften Wehrmacht und Waffen-SS den Durchgang bei den Thermopylen, schlugen die Briten in die Flucht und machten so den Weg frei nach Attika und Athen.214 Der Völkische Beobachter feierte Ende April 1941 täglich dieses Ereignis und sicherte den Informationen über die Erfolge des Blitzkriegs in Griechenland weite Verbreitung. Am 28. April 1941 stand die Berichterstattung des Partei-Organs unter dem Titel „Der Siegeslauf nach Athen. Der deutsche Sturm über die Thermopylen“; der Artikel endet wie folgt:
„An den Thermopylen hat sich heute die Weltgeschichte überrundet. Vor 2500 Jahren widerstand das Griechenvolk in seinem Leonidas einer Übermacht von Feinden. Es hat sich den englischen Eindringlingen ergeben. Nun trieben wir sie hinaus, mit ehernen Schlägen, aus Griechenland und aus Europa.“215
So schließt sich der Kreis: Die deutschen Soldaten sind würdige Fortführer und Vollender des Werks des germanisch-nordischen Helden Leonidas. So wie die 300 Helden aus Sparta das Vorrücken der Perser verzögert hatten, schlagen die deutschen Divisionen deren späte englische Nachfolger zurück. Die Soldaten des Reichs verfügen demzufolge über alle historische und rassische Legitimität, wenn sie Besitz von dieser indogermanischen Irredenta ergreifen, also von einem Gebiet, das unwürdige und rassisch degenerierte Griechen feige ihren Feinden ausgeliefert hatten. Einmal mehr sorgen eine heroische Welle und ein Zufluss nordischen Bluts für die Zivilisierung und Rettung griechischer Erde – einst vor der Asiatisierung durch minderwertige Stämme, nunmehr vor den Nachkommen der hellenistischen und türkischen Rassenmischung.
Die Olympischen Spiele von 1936 hatten Gelegenheit gegeben, nicht nur die Verwandtschaft des alten Griechenlands mit dem Deutschland der Gegenwart zu feiern, wie wir noch sehen werden,216 sondern auch die Schönheit und Würde des griechischen Volks. Der Film von Leni Riefenstahl, die mit der Rassenorthodoxie nicht sonderlich vertraut war, zeigt viele Bilder von wohlgeformten braunen Körpern junger Griechen von wenig nordischer Pigmentierung, und die offiziellen Feiern huldigten nachdrücklich dem griechischen Hirten Spiridon Louys, dem ersten Sieger des olympischen Marathonlaufs von 1896.
Im Jahr 1941 herrschte erst illusionslose Fassungslosigkeit, dann aber das klare Bewusstsein nordischer Überlegenheit. Das griechische Volk der Gegenwart war offensichtlich rassisch durchmischt und entartet durch Jahrhunderte des Zusammenlebens und der Mischung mit den asiatischen und türkischen Nachbarn. Jeglicher Geschlechtsverkehr eines deutschen Soldaten mit einer griechischen Frau war daher ausdrücklich verboten. Die Verachtung sollte schließlich so weit gehen, dass sie ab 1942 einer terroristischen Praxis von beinahe genozidärer Natur als Nährboden und Legitimationsgrundlage diente, wie die Untersuchungen von Mark Mazower belegen.217
Das griechische Volk war also in Griechenland weit weniger bei sich zu Hause als dies die deutschen Truppen waren – sie, die würdigen und reinen Nachfahren jener indogermanischen Rasse aus dem Norden, die als erste der griechischen Erde ihre echte Kultur geschenkt hatte. Wenn das offizielle Kommuniqué des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) so nachdrücklich und stolz betonte: „Auf der Akropolis wurde die Hakenkreuzfahne gehisst“,218 dann deswegen, weil diese Inbesitznahme im Grunde nichts anderes war als eine Rückkehr zu rassischer und historischer Normalität.
Wir haben es hier mit einem Hitler’schen Denkschema zu tun, das er von der pangermanischen Tradition übernommen hatte: Überall, wo es deutsches Blut gibt, gehört das Land de iure und de facto einem großen deutschen Reich an, und alle Eroberungs- und Annexionspolitik ist durch historisch-rassisches Recht legitimiert. Dementsprechend stellte Hitler vor dem Krieg wiederholt fest, dass er die Völker Skandinaviens, Hollands und Großbritanniens dem Reich eingliedern wolle, da sie germanisch seien, so wie Griechenland es zumindest ursprünglich war. Erstaunt über die Widerstandsfähigkeit der griechischen Armee, die immerhin die Italiener aus der Halbinsel vertrieben und das Voranrücken der deutschen Armee verzögert hatte, meinte Hitler gegenüber Goebbels: „Vielleicht steckt doch noch etwas vom alten Hellenentum in ihnen.“219 Das sei freilich nur eine Hypothese, denn das nordische Blut habe sich seit sehr langer Zeit, mindestens seit der hellenistischen Epoche, verdünnt, ja ganz verloren in mörderischen Mischungen. Das griechische Territorium gehöre also nicht durch das lebende, flüssige und bewegliche Blut zum Reich, sondern durch das, was das nordische Blut dort geschaffen und als geronnenes Erbe hinterlassen hatte. Das heutige durchrasste und vermischte griechische Volk könne lediglich den Nießbrauch eines Territoriums und der dort vorhandenen Meisterwerke beanspruchen, dessen legitimer Besitzer aufgrund biologischen Rechts das nordische Volk bleibe, ihr wahrer Schöpfer.
Ein Jahr nach dem Sieg von April 1941 bezogen sich die SS-Leithefte, die Schulungs- und Verbindungszwecken der SS-Offiziere dienten, in zwei Gedenkartikeln auf die Großtaten von Wehrmacht und Waffen-SS und verglichen diese ausdrücklich mit dem nordischen Heldentum der Spartaner.220 Diese beiden kurzen Beiträge boten die Gelegenheit, an die noch nicht lange zurückliegenden Kämpfe zu erinnern, aber auch dazu, die Eroberung Griechenlands und den Widerstand des Leonidas in einen größeren Zusammenhang einzuordnen, den der rassischen Gigantomachie zwischen einem nordischen Okzident und einem asiatischen Orient. Die 300 tapferen Soldaten des Leonidas sind so „die ersten Blutzeugen geworden im Kampfe gegen die Weltmacht aus dem Osten“221. Der Opfertod der Spartaner war der „Wellenbrecher“ gegen diesen Ansturm, so wie später Heinrich von Liegnitz, der „sich im Jahre 1241 den mongolischen Horden entgegenwarf“ oder in jüngerer Vergangenheit Adolf Hitler, der sich am 9. November 1923 – das Datum wird hier als die „Thermopylen der deutschen Geschichte“ bezeichnet – dem nationalen Verfall und dem Kommunismus widersetzte, oder aber Albert Schlageter, der „die Speere der Feinde auf seine Brust lenkte“222, sprich: die kriminellen Gewehre der französischen Truppen im Ruhrgebiet. All diese Ausprägungen heroischer Opferbereitschaft sind Ausdruck für eine Verachtung des Verderblichen, also des Lebens – eine Haltung, die den „Kern nordisch- germanischer Auffassung in diesen Dingen“223 bildet: Das wahrhaft nordische Heldentum eines Leonidas und seiner Mannen wurde diktiert von einer Kühnheit, die das dem Verfall Geweihte zugunsten des Wesentlichen aufopfert, der Verteidigung des Vaterlands, der griechischen Kultur und der Rasse.
Den deutschen Besatzern fiel es umso leichter, die Legitimität der Eroberung Griechenlands auf glorreiche historische Präzedenzfälle zu gründen, als die Griechen – in seltsam chiastischer Entsprechung – die Divisionen des Reichs so empfingen und wahrnahmen, als handle es sich um jene Horden germanischer Barbaren, die im frühesten Altertum über Griechenland so herfielen, wie sie auch das alte Rom zerstörten. Ein aufwertender Antike-Bezug wird infolgedessen wie ein Fanal einem abwertenden gegenübergestellt. So trug der Schriftsteller Georgios Theotokas in Erwartung der ersten motorisierten Einheiten der Wehrmacht Ende April 1941 folgende Verse von Kavafis in sein Tagebuch ein:
„Worauf warten wir hier, auf der Agora versammelt? Es heißt, die Barbaren kommen noch heute […] Wozu dann noch Gesetze machen? Die Barbaren sind es, die sie bald machen werden.“224
Auf deutscher Seite ließ die Presse-Berichterstattung über den Sieg von Frühjahr 1941 eine tiefe Enttäuschung über das Bild dessen erkennen, was aus Griechenland und den Griechen geworden ist. Das Land stellte sich den Eroberern, die voll humanistischer Illusionen waren, als letztlich rückständiges, schmutziges und staubiges Land dar. Die Griechen selbst ähnelten keineswegs den Statuen Wickelmanns, sondern stellten ein Sammelsurium aus kraushaarigen Levantinern dar. Ein langer Beitrag in der Zeitschrift Der Angriff vom 19. April 1941 zeugt von der Enttäuschung der deutschen Soldaten, die das Griechenland ihrer Geschichtsbücher und des deutschen Philhellenismus vorzufinden dachten. Anstelle dieses Phantasmas entdeckten sie ein armes Land, in dem der „griechische Händler“ herrschte und hauste, ein levantinischer Typ, ähnlich dem jüdischen Krämer.
Dabei hatte bereits der Brockhaus von 1938 klargemacht, dass der Zustrom von slawischem und albanischem Blut im ehemals nordischen Griechenland zu einer unguten Rassenmischung geführt hatte:
„Rassisch zeigen die Neugriechen daher vorwiegend westische, dinarische und vorderasiatische Merkmale, während die nordische Rasse, der die alten Griechen angehörten, zurücktritt.“225
Die Enttäuschung war also ökonomischer und ästhetischer, aber auch rassischer Art. Die nordischen Griechen des Jahrhunderts des Perikles sind im Laufe einer langen Rassenmischungs- und Entartungsgeschichte einfach verschwunden.226 Die bei J. F. Lehmann erschienene Zeitschrift Volk und Rasse, zu deren Autoren die größten Namen der Rassenkunde wie etwa Günther, Baur und Fischer gehörten, widmeten einer nuancierteren rassenkundlichen Untersuchung der heutigen Griechen zwei Artikel. Sie unternahmen es, aufzuzeigen, dass die griechische Bevölkerung trotz aller Wechselfälle der Geschichte teilweise einem nordischen Block angegliedert werden könne, dessen Keime und Fermente noch quicklebendig seien. Der Artikel von 1939 mit dem Titel „Rassenköpfe aus Griechenland“227 stellt die Griechen Lakoniens, der Wahlheimat der dorischen Wanderer aus dem Norden, den gemischteren Bewohnern des athenischen Attika gegenüber. Während auf dem Gebiet des alten indogermanischen Sparta, das Otto I. von Griechenland neu erschaffen habe, „blondes Haar, blaue Augenfarbe und Großwuchs häufig“228 vorkämen, seien die Athener nur noch ein „Mischvolk verschiedenster Herkunft“229. In einem Café Lakoniens traf der Autor auf beide Rassentypen und glaubte förmlich, die Opposition beider Griechenlands lesen zu können. „Hier offenbart sich der Unterschied: hier Althellas – hier Neugriechenland“230, wobei sich das eine seinen nordischen Charakter erhalten, das andere ihn dagegen meistbietend verschleudert habe. Der Autor zweifelt keinen Augenblick daran, dass diese blonden Männer mit blauen Augen eines wilden und stolzen Lakoniens die direkten Abkömmlinge der alten Griechen231 sind, die auf wunderbare Weise von Mischungen verschont geblieben sind.
Diese vorherrschend nordische Bevölkerung bietet die Voraussetzungen für eine rassische Anbindung Griechenlands an ein nationalsozialistisches Europa. Ein zweiter Beitrag, aus dem Jahr 1941, zeigt dementsprechend auf, dass das deutsche Eingreifen in Griechenland kein Abweichen vom rechten Pfad und keinen Abweg darstelle: Die deutschen Armeen seien bei sich zu Hause im Mittelmeerraum, der Anschluss des Südens an einen nordischen Block sei weiterhin möglich. Zwar unterstreicht der Titel des Artikels, dass Griechenland ein „Land der Gegensätze“232 bleibe. Die Realität der Rassenmischung und der befremdlich starke orientalische Einschlag seien evident. Trotzdem gelte: „Nichts wäre falscher als die Annahme, das ganze griechische Volk sei levantinisiert. Merkwürdigerweise wird aber an das griechische Volk in rassischer Hinsicht meist ein strengerer Maßstab angelegt als an andere Völker“,233 als ob die glorreiche nordische Vergangenheit und die alten idealistischen Hirngespinste des deutschen Philhellenismus eine überzogene Erwartungshaltung geschaffen hätten, für die das griechische Volk der Gegenwart bezahlen müsse, weil es nicht genau dem Bild des klassischen Menschen entspreche. Dabei sind die Griechen nach Feststellung des Autors oft antisemitisch234 und deutschfreundlich eingestellt, Haltungen, die Ausdruck einer gemeinsamen Rassenzugehörigkeit zu Nordeuropa seien: „Im griechischen Volk scheint eine unbewußte Erinnerung an den in ferner Frühzeit liegenden Ursprung aus dem Norden noch zu schlummern.“235 Nachdem dieser Ursprung bestätigt ist und er sich auch in den rassischen Typen manifestiert, von denen der Artikel von 1939 spricht, ist die Öffnung des griechischen Körpers für eine Auffrischung durch nordisches Blut möglich. Nach der Beherrschung durch Türken, Franzosen und Engländer wird Griechenland dank der deutschen Invasion „wieder dem deutschen Blutkreislaufe angeschlossen“236. Ein weiteres Mal wird Griechenland durch eine Migrationswelle aus dem Norden auferweckt, durch einen Zustrom reinen und frischen Blutes: Zu den drei Wellen der Vorgeschichte und des Altertums kommt nun eine vierte hinzu, die aus dem siegreichen Reich.