Читать книгу Einführung in die katholische Dogmatik - Johanna Rahner - Страница 17
b) Entstehungs- und Problemgeschichte
ОглавлениеDer griechische Begriff ‚dogma‘ bedeutet 1. Meinung oder philosophische Lehre; 2. Befehl, Beschluss, Erlass. Beide Bedeutungen sind in den christlichen Sprachgebrauch eingegangen. Die Theologen der frühen Kirche verwenden ihn, um die christliche Theologie und ihre ‚Lehren‘ der heidnischen Philosophie gegenüberzustellen. Dennoch bleibt gerade in der griechisch sprechenden Kirche des Ostens das Bewusstsein wach, dass das Sprechen von christlichen Überzeugungen (dogmata) immer auch Gebets- und Verkündigungscharakter hat.
paratheke/depositum
Irenäus von Lyon
Vinzenz von Lerin
Bereits Irenäus von Lyon (135–220) vergleicht nun die Kirche mit einem „reichen Vorratsraum“, „in dem die Apostel alles, was zur Wahrheit gehört, in größter Vollständigkeit zusammengetragen haben“ ([15] 323). Schnell etabliert sich daher der Begriff der paratheke, des depositum als Umschreibung des überkommenen Glaubensgutes. Vinzenz von Lerin († vor 450) setzt in seinem Werk ‚Commonitorium‘ daher das ‚alte Dogma‘ der Kirche den Neuerungen der Irrlehrer (novatores – Neuerer) entgegen ([15] 324).
„Das Depositum ist nicht etwas, was Menschen sich ausgedacht, sondern was sie (von Gott) empfangen haben, nicht was sie sich zurecht gemacht, sondern was ihnen (von Gott) anvertraut ist, eine Sache also nicht menschlichen Witzes, sondern der (überkommenen) Lehre, nicht privaten, beliebigen Gebrauchs, sondern öffentliche, d.h. alle verpflichtende Überlieferung, eine Sache, nicht von dir hervorgebracht, sondern dir zugeführt, wo du nicht Urheber, sondern Hüter bist, nicht Lehrer, sondern Schüler, nicht Führer, sondern Jünger. Es gilt, das dir anvertraute Talent des katholischen Glaubens unverletzt und unversehrt zu bewahren.“
Vinzenz v. Lerin, Commonitorium (434)
Authentische Bewahrung der Überlieferung ist aber keine Weitergabe erstarrter Formeln, sondern ein lebendiger Vorgang der geistinspirierten Aktualisierung des ‚depositum‘ ([15] 362f.). Dafür spielt jedoch weder in der Alten Kirche noch im Mittelalter der Begriff ‚Dogma‘ eine zentrale Rolle.
Orthodoxie/Häresie
regula fidei
Das liegt zum einen daran, dass sich in der Anfangszeit des Christentums Zuschreibungen wie Häresie (griech. hairesis ‚Wahl, Präferenz, Entscheidung‘; aber auch ‚Meinung, Ansicht, Schule, Partei‘) und Orthodoxie, also Irrlehre und echter Glaube, erst abklären müssen. Der Häretiker unterscheidet sich zwar vom Schismatiker dadurch, dass er sich nicht nur einfach von den anderen abspaltet, sondern dass er falsch über Gott denkt (vgl. Augustinus, f. et symb 21), doch nicht jedes Andersdenken ist sofort häretisch. Es gibt auch eine legitime Diversivität in der Diskussion offener Lehrfragen. Zur konkreten Abgrenzung bedarf es daher immer eines längeren Diskussions- und Reflexionsprozesses ([15] 376f.). Erst angesichts der Vehemenz der Auseinandersetzungen im vierten und fünften Jahrhundert äußert sich das Glaubensbewusstsein der Kirche dann mit einer präzisen Terminologie und einer differenzierten Kriteriologie, die zu einer konkreten Formulierung von zu Beginn durchaus vielfältigen Kurzformeln des Glaubens als Ausdruck der Glaubensregeln (regula fidei) führt und in die Glaubensbekenntnisse (symbola) mündet (s. III.1.a). Davon zu unterscheiden sind die konziliaren Definitionen. Sie dienen der dogmatisch prägnanten Abwehr der Irrlehren. Verbunden mit den zumeist gleichzeitig formulierten Verurteilungen (anathema) stellen sie die notwendig gewordene verbale Grenzziehung zur Irrlehre dar.
symphonia
Die Auseinandersetzung zwischen Orthodoxie und Häresie stilisiert sich nun häufig auch als ‚Hang‘ zur Zersplitterung, sodass sich die Orthodoxie als rechtgläubige ‚Einheit des Glaubens‘ präsentiert und ein grundlegendes ‚sentire cum ecclesia‘ (ein Denken und Fühlen mit der Kirche) als Kennzeichen reklamiert. Freilich ist diese Einheit nicht einfach mit Einfalt zu verwechseln ([15] 391). Der Begriff der symphonia ist der für die Verbindung von Einheit und Vielfalt von den Kirchenvätern geprägte Ausdruck. Die Theologen des Anfangs differenzieren hier zwischen der notwendigen Einheit in grundlegenden Glaubenswahrheiten und den divergierenden Lehrmeinungen im Bereich der noch offenen Fragen.
articuli fidei
antiquitas – universitas – consensio
Diese Offenheit reicht weit hinein ins Mittelalter, wenngleich nun verstärkt um Konkretisierungen und Präzisierungen in der kirchlichen Lehre gerungen wird. So benutzen die mittelalterlichen Theologen zur Umschreibung des Grundbestands des Glaubens den Begriff der articuli fidei (Glaubensartikel), der ‚Gelenke‘, Glieder, des Glaubensbekenntnisses. Für die mittelalterlichen Theologen gibt es eigentlich keine Glaubenssätze außerhalb der altkirchlichen Glaubensbekenntnisse. Erst mit der Reformation und dem Trienter Konzil beginnt sich der Begriff dogmatisch durchzusetzen. Als ‚dogmatisch‘ wird nach dem Trienter Konzil all das bezeichnet, was der katholischen Seite als Traditionsbeweis gegen die Reformatoren dienen kann. Hierbei kommt die Definition Vinzenz von Lerins zu besonderen Ehren, samt den von ihm entwickelten Kriterien – nämlich: allgemeine Verbreitung (universitas), Alter (antiquitas), und Übereinstimmung aller (consensio: quod ubique, quod semper, quod ab omnibus creditum est – ‚was überall, immer und von allen geglaubt wurde‘). So füllt sich der Begriff Dogma schrittweise mit dem, was seit dem 19. Jahrhundert damit verbunden wird: fixierte, abgrenzende und allgemein juristisch verbindliche Inhalte und Lehrsätze der katholischen Lehrtradition; die Dogmatik entwickelt sich als selbstständige theologische Disziplin.
Zwei Einwände begegnen diesem Verständnis von ‚Dogma‘ unmittelbar. Zum einen vernachlässigt es die von den Reformatoren geforderte kriteriologische Priorität der Heiligen Schrift. Das Wort Gottes ist Quelle und Norm, zu befragende Instanz und Richter in Streitfragen des Glaubens; der Kirche ist dieses Wort gegeben, aber nicht frei verfügbar. Zum andern ignoriert es den von der Aufklärung etablierten ‚inneren Maßstab‘ des Glaubens. Das objektiv zu Glaubende verliert seine Verbindlichkeit gegenüber der subjektiven, persönlichen Aneignung und Praxis sich selbst bewusster Religiosität. Eine positive Auseinandersetzung hinsichtlich beider Anliegen findet erst auf dem Zweiten Vatikanum statt. Dabei bedingen sich zwei grundlegende Neubzw. Wiederentdeckungen des Konzils gegenseitig: die ‚Aufdeckung‘ der Geschichtlichkeit von Kirche und Glaube und das personale Verständnis von Offenbarung. Darum signalisiert das Konzil den Übergang „von einer mehr statischen Sicht der Ordnung der Gesamtwirklichkeit zu einer mehr dynamischen und geschichtlichen Sicht“ ([18] 52). Nicht ohne Grund setzt die Debatte um Dogmen und Unfehlbarkeit nach dem Konzil genau an diesem Punkt ein (s. IV.8).