Читать книгу Einführung in die katholische Dogmatik - Johanna Rahner - Страница 19
2. Dogmenhermeneutik a) Richtig auslegen, aber wie?
ОглавлениеDie im Folgenden zu formulierenden Auslegungsregeln, die sich aus der eben skizzierten inneren Dialektik von Form und Inhalt des Dogmas ergeben, erfordern zunächst konkrete Definitionen und Abgrenzungen ([21] 268–281):
liturgische Sprache
Krisenmaßnahme
Das, was wir heute ‚Dogma‘ nennen, hat zunächst seinen Ursprung in der Gestalt einer liturgischen Bekenntnisformel. Dabei ist zu beachten, dass das Dogma eine Bekenntnis- oder Lehrformel ist, mit der die Kirche in einer durch neue Denkanstöße und Fragen kritisch gewordenen Situation des Glaubensbewusstseins die Grenzen dessen absteckt, was innerhalb der Kirche vertreten werden kann.
Grenze
Der Glaube schafft sich ‚Schlagworte‘, und sein Bekenntnis hat primär einen liturgischen ‚Sitz im Leben‘. Während ein Glaubensbekenntnis ein Erkennungszeichen nach innen und Bekenntniszeichen nach außen hin ist, soll die Lehrformulierung die Glaubenslehre und ihre theologische Interpretation schützen und abgrenzen. Sie hat letztlich ‚konfessionsbildenden‘ Charakter. Sie ist eine negativ abgrenzende ‚Krisenmaßnahme‘ der Kirche.
Resümee
Das Dogma ist, positiv betrachtet, das Resümee einer neuen Erfahrung der Kirche im Umgang mit der zum Verstehen aufgegebenen Heilsbotschaft zu einer bestimmten geschichtlichen Stunde, und hat darum unmittelbar verpflichtende Bedeutung für den persönlichen Glauben für die Dauer dieser geschichtlichen Stunde.
Kontextualität
Ein Dogma ist eine nachträgliche Definition. Während am Anfang der Versuch steht, den Glauben in neuer ‚Sprache‘ zu verkündigen, kommt am Ende der Zeitpunkt, diese Versuche auf den richtigen, verbindlichen sprachlichen ‚Nenner‘ zu bringen. Dieses Vorgehen bindet sich an eine konkrete, unmittelbare, zeitbedingte Erfahrung der Kirche zu einer konkreten Stunde und an einem konkreten Ort (Ort-/Horizont- und Zeitbedingtheit). Mittelbare Bedeutung behält jedes Dogma, weil es den verbindlichen Weg des Glaubens zeigt.
menschliches Wort – Wahrheit Gottes
Auch abgesehen von der geschichtlichen Bedingtheit jeder dogmatischen Formel ist kein menschliches Wort je imstande, die Fülle der Wahrheit Gottes anders als nur gebrochen wiederzugeben.
Jeder menschliche Satz über Gott muss notwendig hinter der vollen Wahrheit Gottes zurückbleiben. Er ‚leidet unter der Differenz von Aussage und Aussageabsicht‘ und ist nicht einfach und bruchlos von einem Sprachhorizont in den anderen übersetzbar ([1] 32f.). So entscheidet bei einem Glaubenssatz weniger seine theoretische‘ Richtigkeit als sein wirklicher Gebrauch. Die entscheidende Frage ist nicht die theoretische Frage nach der Irrtumsfähigkeit eines Dogmas, sondern die praktische Frage, was denn zu tun ist, wenn ein Dogma das nicht (mehr) leistet, was es leisten soll.
Dogmengeschichte
Die Dogmengeschichte ist kein Prozess kontinuierlich fortschreitender, immer vollkommenerer Formulierung der Glaubenswahrheit. Die Einheit der Dogmengeschichte gründet nicht in einem sich gleich bleibenden, zeit- und geschichtsüberlegenen, alles zusammenfassenden ‚Supersatz‘, sondern in der Bindung des Lebens an einen, in Christus an uns handelnden Gott, in welchen Formeln sich diese Bindung auch immer ausdrücken mag.
Wegweiser
Die Entwicklungsgeschichte der Dogmen ist kein ständiger Fortschritt, weil sie eher durch neue Situationen, durch neue Zeiten, neue Orte erzwungen sind und sehr häufig einfach mit dem, was vorher war, brechen. Sie zeigen je eigene Akzente, die sich aus der Stunde selbst und den je eigenen Verstehensbedingungen ergeben. Die Dogmengeschichte ist zu verstehen als ein gewundener Weg mit mancherlei Umwegen, aber auch als Summe der Wegweiser, die den Weg unseres Glaubens für ein je begrenztes Teilstück kennzeichnen und damit richtungsweisend sind. Einheit und Kontinuität der Dogmengeschichte sind keine theoretisch nachrechenbare Sache. Man kann ihre Entwicklungslinien nie theoretisch bestimmen oder vorhersagen, weil sie zu sehr vom lebendigen Glaubensvollzug und von den lebendigen Erfahrungen des Glaubens mitbestimmt sind.