Читать книгу Homilien über den ersten Brief an die Korinther - Johannes Chrysostomos - Страница 15
Zehnte Homilie.
ОглавлениеI.
18. 19. Niemand täusche sich selbst. Wenn Jemand sich einbildet, ein Weiser zu sein in dieser Welt, so werde er ein Thor, damit er ein Weiser werde. Denn die Weisheit dieser Welt ist Thorheit vor Gott.
I. Nachdem Paulus, wie ich oben gesagt, vor der eigentlichen Zeit auf die Rüge des Blutschänders gekommen war und dunkel darauf angespielt und das Gewissen desselben erschüttert hatte, so wendet er sich wieder zur Bekämpfung der heidnischen Philosophie und zur Anklage Derjenigen, die davon aufgebläht die Kirche zerreissen; und nachdem er das Übrige beigefügt und diesen Gegenstand vollkommen erlediget hat, greift er den Unzüchtigen, dem er durch das Vorhergehende nur von der Ferne zugesetzt,147 jetzt mit aller Macht an. Denn die Worte: „Niemand täusche sich selbst“ sind vorzüglich gegen diesen gerichtet: er will ihn vorerst durch Furcht mürbe machen. Auch der Vergleich mit den „Stoppeln“ deutet vorzugsweise auf ihn, wie auch die Frage: „Wisset ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel seid und der Geist Gottes in euch wohnet?“ Denn diese beiden Dinge pflegen uns vorzüglich von der Sünde abzuhalten: der Gedanke an die Strafe der Sünde und die Betrachtung unserer eigenen Würde. Durch die Erwähnung von Heu und Stoppeln schreckte er, durch die Erinnerung an die eigene Würde weckte er das Schamgefühl; durch das Erstere sucht er die Gefühllosen, durch das Letztere die Bessern zu fördern. — „Niemand täusche sich selbst. Wenn Jemand sich einbildet, ein Weiser zu sein in dieser Welt, so werde er ein Thor, damit er ein Weiser werde.“ Sowie er befiehlt, der Welt abzusterben, — ein Tod, der uns nicht schadet, ja im Gegentheile uns nützt, da er die Ursache des Lebens ist, — so befiehlt er auch, daß man vor dieser Welt ein Thor werde, und verschafft uns dadurch die wahre Weisheit. Ein Thor vor der Welt wird aber Derjenige, welcher die sophistische Weisheit verschmäht, überzeugt, daß dieselbe zum Begreifen der Glaubenslehren Nichts beiträgt. Sowie nun die Armuth vor Gott reich macht und die Demuth erhöht und die Verachtung der Ehre Ehre einbringt: so macht uns das Thörichtwerden weiser als Alle. Unser Leben besteht ja aus Gegensätzen. — Warum sagt er denn nicht: der lege seine Weisheit ab, sondern: „der werde ein Thor“? Um seine Verachtung gegen jene Schulweisheit in hohem Grade auszudrücken; denn es ist nicht einerlei, sagen: „Lege deine Weisheit ab“ und: „werde ein Thor!“ Ausserdem lehrt er uns aber auch, der eigenen Unwissenheit uns nicht zu schämen; denn er verachtet die heidnische Weltweisheit gar sehr. Daher scheut er auch keine Namen, weil er auf die Kraft der Sache vertraut. Gleichwie das Kreuz dem Scheine nach das Schmachvollste, die Ursache von tausend Gütern und der Grund und die Wurzel einer unaussprechlichen Herrlichkeit geworden ist: so wurde auch jene scheinbare Thorheit für uns eine Quelle der Weisheit. Sowie Derjenige, der eine Sache schlecht gelernt hat, nichts Rechtes mehr lernen wird, falls er nicht Alles wieder ablegt und seine Seele wie eine reine geglättete Tafel dem Lehrer darbietet, so verhält es sich mit der Schulweisheit: wenn du nicht Alles wegwirfst und aus der Seele wegfegest und dich als einen Unwissenden dem Glauben hingibst, so wirst du Nichts von Bedeutung gründlich erlernen. So werden auch die Schielenden, wenn sie auf ihr schwaches Gesicht sich verlassend nicht lieber die Augen schließen und sich Andern anvertrauen, viel öfter anstoßen als die Blinden. „Wie soll man aber jene Weisheit ablegen?“ Dadurch, daß man von ihren Grundsätzen keinen Gebrauch macht.
Nachdem er nun so ernstlich darauf gedrungen, von derselben abzustehen, gibt er auch die Ursache an mit den Worten: „Denn die Weisheit dieser Welt ist Thorheit vor Gott;“ denn sie bringt uns nicht nur keinen Nutzen, sondern steht uns sogar im Wege. Daher muß man sich von ihr als von einer verderblichen Sache entfernen. Siehst du, mit welch siegreicher Kraft er beweist, daß sie uns nicht nur Nichts nützt, sondern sogar schadet? Jedoch nicht zufrieden mit diesem seinen Beweise, führt er abermals das Zeugniß der Schrift an, mit den Worten: Denn es steht geschrieben: „In ihrer eigenen Schlauheit fängt er die Weisen.“148 In ihrer Schlauheit, das heißt, mit ihren eigenen Waffen schlägt er sie. Denn weil sie sich der eigenen Schlauheit bedienten, um zu zeigen, daß sie Gott gar nicht brauchen, so überführt er sie durch eben dieselbe, daß sie Gottes gar wohl bedürfen. Wie und auf welche Weise? Sie seien dadurch Thoren geworden, und daher natürlich auch gefangen. Denn indem sie wähnten, daß sie Gottes nicht mehr bedürften, sind sie in eine solche (geistige) Armuth gerathen, daß sie selbst Fischern und unstudierten Männern nachstanden und am Ende selbst dieser bedurften. Darum heißt es: „In ihrer eigenen Schlauheit fängt er sie.“ Denn jene andere Stelle: „Ich will die Weisheit, der Weisen vernichten,“149 zeigt, daß dieselbe unnütz sei; diese aber: „In ihrer eigenen Schlauheit fängt er die Weisen,“ legt Gottes Macht an den Tag.
II.
Dann führt er ein anderes Zeugniß an und gibt auch die Art an, wie Gott dieselben gefangen:
20. Der Herr kennt die Gedanken der Weisen, daß sie thöricht sind.
Wenn nun aber die ewige Weisheit Dieses spricht und ein solches Urtheil über sie fällt, was verlangst du noch einen andern Beweis für ihre äusserste Thorheit? Das Urtheil der Menschen trügt oft, Gottes Urtheil aber ist stets unfehlbar und unbestechlich. Nachdem er nun das Gericht Gottes in einem so glänzenden Lichte dargestellt hat, so wendet er nun seine Rede scharf gegen die Untergebenen und sagt:
21. 22. Sonach rühme Keiner sich ob Menschen; denn Alles ist euer.
Wieder kommt er auf das Frühere zurück und zeigt, daß sie nicht einmal ob der geistigen Dinge stolz sein dürften, da sie aus sich selber ja Nichts besäßen. Da also die heidnische Weisheit verderblich ist, und die Geistesgaben nicht von euch herkommen: was rühmt ihr euch denn? In Bezug auf die Weltweisheit sagt er: „Niemand täusche sich selber,“ weil sie sich einer verderblichen Sache rühmten. Hier aber, weil von einer nützlichen Sache die Rede ist, möge sich auch Keiner rühmen; und er bedient sich einer milderen Sprache: „Denn Alles ist euer, sei es Paulus oder Apollo oder Kephas; sei es Welt, Leben oder Tod, sei es Gegenwart oder Zukunft, Alles ist euer; ihr aber gehört Christo, Christus aber Gott an.“ Weil er sie nämlich heftig angegriffen hatte, so ermuntert er sie nun wieder. Oben hatte er gesagt: „Wir sind Mitarbeiter Gottes,“ und sie dadurch und durch andere Ausdrücke getröstet; hier aber spricht er: „Alles ist euer,“ um den Hochmuth der Lehrer zu dämpfen, indem er zeigt, daß dieselben ihnen nicht nur Nichts geben können, sondern vielmehr ihnen Dank wissen sollen: denn ihretwegen sind sie ja Lehrer geworden und haben hiezu auch die Gnade erlangt. Weil aber auch das Volk sich rühmen mochte, so hebt er auch diese Krankheit mit den Worten: „So wie es Gott einem Jeden gegeben hat,“ und: „Gott hat das Gedeihen gegeben,“ — damit die Lehrer ob ihrer Leistungen nicht hochmüthig würden, und damit auch das Volk nicht ebenfalls stolz würde, wenn es hörte: „Alles ist euer.“ Denn obgleich es euretwegen da ist, so ist doch Alles Gottes Werk.
Zu bemerken ist auch Dieß, daß er bis zum Ende fortwährend seinen Namen und den des Petrus setzt. — Was bedeutet aber der Ausdruck: „oder Tod?“ Wenn sie auch sterben, so sterben sie für euch, indem sie sich eueres Heiles wegen in die Gefahren begeben. Siehst du, wie er abermals den Stolz der Schüler beugt, die Lehrer aber erhebt? Denn er spricht zu ihnen wie zu vornehmen Kindern, die einst das ganze Erbe erhalten sollen, noch aber unter Hofmeistern stehen. Man kann es aber auch anders erklären: der Tod Adams ist für uns, damit wir gezüchtiget, der Tod Christi aber, damit wir gerettet würden.
23. Ihr aber gehört Christo, Christus aber Gott an.
Anders gehören wir Christo, und anders gehört Christus Gott an, und anders ist die Welt unser; denn wir gehören Christo an, als seine Geschöpfe; Christus aber gehört Gott an, als dessen wirklicher Sohn, nicht als Geschöpf; in diesem Sinne ist auch die Welt nicht unser.150 Obgleich nun derselbe Ausdruck vorkömmt, so ist doch der Sinn ein verschiedener. Unser ist die Welt, weil sie unsertwegen erschaffen ist: Christus gehört Gott an, weil er ihn zum Ursprung und zum Vater hat; wir aber gehören Christo an, weil er uns gebildet hat. Wenn nun aber jene (Lehrer) euretwegen da sind, warum nennt ihr euch denn nicht nach Christus und nach Gott, sondern im Gegentheile nach jenen?
Kap. IV.
1. Also erachte uns der Mensch als Diener Christi und als Verwalter der göttlichen Geheimnisse. 151
Nachdem er ihren Hochmuth niedergeschlagen, sieh’, wie er sie wieder aufrichtet, indem er sagt: „als Diener Christi.“ Darum darfst du nicht den Herrn verlassen, und dich nicht nach den Dienern und Verwaltern nennen. Verwalter nennt er sie, um anzuzeigen, daß man nicht Allen Alles mittheilen dürfe, sondern Denen es gebührt, und die dessen würdig sind.
2.Hier nun wird gefordert bei den Verwaltern, daß Einer treu befunden werde.
Das heißt, er darf, was dem Herrn gehört, nicht sich anmaßen und als das Seinige gebrauchen, sondern muß als Verwalter Dasselbe besorgen; denn dem Verwalter steht es zu, das ihm Anvertraute gut zu verwalten, nicht aber das Eigenthum des Herrn sein zu nennen, sondern vielmehr das Seinige dem Herrn zuzuschreiben.
Das möge Jeder bedenken, sowohl wer die Gabe der Rede besitzt, als wer reich an Geld ist, daß nämlich das Gut des Herrn ihm anvertraut ist, daß er es nicht als sein eigen behalten, noch sich selber zuschreiben soll, sondern Gott, der ihm ja Alles gegeben. Willst du treue Verwalter sehen? Höre, was Petrus spricht: „Was sehet ihr auf uns, als hätten wir aus eigener Kraft oder durch unsere Frömmigkeit diesem (Menschen) zum Gehen verholfen?“152 Auch zu Kornelius sprach er: „Auch wir sind sterbliche Menschen, wie ihr;“153 und zu Christus: „Siehe, wir haben Alles verlassen, und sind dir gefolgt.“154 So macht auch Paulus, nachdem er gesagt, daß er mehr als alle andern Apostel gearbeitet habe, den Beisatz: „Doch nicht ich, sondern die Gnade Gottes mit mir.“155 So spricht er auch anderswo zu denselben (Korinthern): „Was hast du, daß du nicht empfangen hättest?“156 Denn Nichts ist dein eigen, nicht das Geld, nicht die Rednergabe, nicht einmal die Seele; denn auch diese gehört dem Herrn an.
III.
Wenn es daher die Noth gebietet, so gib auch diese hin. Wenn du aber das Leben liebst, und du, aufgefordert, dich weigerst, es hinzugeben, so bist du kein treuer Verwalter mehr. Und wie sollte es erlaubt sein, sich zu weigern, wenn Gott ruft? Das sage auch ich, und bewundere gerade darum am meisten die Menschenfreundlichkeit Gottes, weil er, was er dir gegen deinen Willen abnehmen könnte, nicht mit Zwang abnehmen will, damit du auch einen Lohn erlangest. So z. B. kann er dir wider deinen Willen das Leben nehmen; aber er will, daß du es freiwillig gebest, damit du wie Paulus sagen könnest: „Täglich sterbe ich.“157 Er kann dir gegen deinen Willen deinen Ruhm nehmen und dich demüthigen; allein er will, daß du ihn freiwillig opferst, damit dir Das vergolten werden könne. Er kann dich gegen deinen Willen arm machen; allein er will, daß du es freiwillig werdest, damit er dir Kronen bereiten könne. Siehst du die Menschenfreundlichkeit Gottes? Siehst du unsere Trägheit? Bist du zu einer hohen Würde, zu einem erhabenen Kirchenamte gelangt? Sei nicht stolz darauf; denn nicht du hast dir diese Ehre erworben, sondern Gott hat dich damit bekleidet. Gehe also bebutsam damit um, als mit einem fremden Gute, mißbrauche sie nicht, erniedrige sie nicht zu ungeziemenden Dingen; sei nicht aufgeblasen, eigne dir selber Nichts zu, sondern halte dich für arm und ruhmlos. Wäre dir der kaiserliche Purpur zum Verwahren anvertraut, so dürftest du dieses Gewand nicht selber gebrauchen und verderben, sondern müßtest dasselbe mit größerer Sorgfalt bewahren für Denjenigen, der es dir anvertraut hat. — Hast du die Gabe der Beredsamkeit empfangen? Werde nicht aufgeblasen, prahle nicht mit derselben; denn es ist ja nicht dein Geschenk. Sei nicht undankbar in Bezug auf die Güter des Herrn, sondern theile sie unter deine Mitknechte aus; erbebe dich nicht darüber, als wären sie dein Eigenthum, und sei nicht sparsam bei ihrer Vertheilung. Und hast du Kinder, so hast du sie von Gott. Wenn du so denkst, so wirst du Gott danken, wenn du solche hast und dich nicht betrüben, wenn du sie verlierst. So dachte Job, der da sprach: „Der Herr hat’s gegeben, der Herr hat’s genommen.“158 Denn wir haben Alles von Christus, selbst das Dasein haben wir von ihm, und das Leben und das Athmen und das Licht und die Luft und die Erde; entzieht er uns nur Einen von diesen Gegenständen, so sind wir verloren und müssen sterben. Denn wir sind Beisaßen und Pilger. Denn das Mein und Dein sind bloß leere Namen. Sagst du, das Haus sei dein, so ist Das ein Wort ohne die Sache; denn die Luft und die Erde und die Materie und du selbst, der du es gebaut hast, und alles Andere gehört dem Schöpfer. Und wenn auch die Nutznießung dein ist, so ist auch diese unsicher nicht bloß wegen des Todes, sondern auch schon vor dem Tode ob der Unbeständigkeit der irdischen Dinge. Das wollen wir uns also beständig einprägen und dadurch weise werden; wir werden so die zwei größten Vortheile gewinnen: wir werden im Besitze dieser Güter und beim Verluste derselben Gott danken und nicht Sklaven dessen sein, was vorübergeht und nicht uns gehört. Nimmt dir Gott Vermögen, Ehre, Ruhm und selbst Leib und Leben, so nimmt er sein Eigenthum; und nimmt er dir deinen Sohn, so ist es nicht dein Sohn, sondern sein Knecht, den er nimmt; denn nicht du hast ihn gebildet, sondern er hat Das gethan; du warst zu seinem Eintritt (in die Welt) nur ein zufälliges Werkzeug; Gott hat Alles bewirkt.
Laßt uns also Dank sagen, daß wir gewürdiget worden, zu diesem Werke Etwas beizutragen. Oder was wolltest du? ihn beständig besitzen? Dann bist du undankbar und weißt nicht, daß er einem andern angehörte und nicht dir. Gleichwie Diejenigen, welche dieß Ovfer bereitwillig bringen, wohl wissen, daß dasselbe nicht ihr Eigenthum war, so maßen sich Diejenigen, die (über den Verlust) trauern, das Eigenthum des Königs an. Denn wenn wir selbst nicht uns angehören, wie sollten Das unsere Kinder? Aus doppeltem Grunde gehören wir Gott an: wegen der Erschaffung und wegen des Glaubens. Daher sagt David: „Mein Leben steht bei dir“;159 und Paulus spricht: „In ihm leben wir, und bewegen wir uns und sind wir“.160 Und da er von dem Glauben redet, sagt er: „Ihr seid nicht euer eigen; ihr seid um hohen Preis erkauft worden.“161 Denn Alles gehört Gott an. Wenn er nun ruft und abfordert, so laßt uns nicht wie undankbare Knechte die Rechenschaft fliehen, nicht das Gut des Herrn rauben. Deine Seele ist nicht dein, und dein Gut sollte dir angehören? Warum vergeudest du denn nutzlos, was nicht dein ist? Weißt du nicht, daß wir zur Rechenschaft gezogen werden, wenn wir davon einen schlechten Gebrauch machen? Weil es nicht uns gehört, sondern dem Herrn, ist es Pflicht, es den Mitknechten zuzuwenden. Darum wurde jener Reiche getadelt, weil er Dieß nicht gethan; so auch Diejenigen, die den Herrn nicht gespeist haben. — Sage also nicht: „Ich verzehre das Meinige, ich thue mir mit dem Meinigen gütlich“; denn du thust es nicht von dem Deinigen, sondern vom Fremden; ich sage: vom Fremden, weil du es so willst, während Gott will, daß Das dein Eigenthum werde, was er um der Brüder willen dir anvertraut hat. Das Fremde wird nämlich dein, wenn du es auf Andere verwendest; gebrauchst du es aber sckwelgerisch für dich selbst, so wird, was dein war, fremdes Gut. Denn darum nenne ich es fremdes Gut, weil du es kaltherzig verzehrst und behauptest, es sei recht, daß du allein von dem Deinigen lebest. Du und dein Mitknecht habt Alles gemeinschaftlich, so wie Sonne, Luft und Erde und alles Andere gemeinschaftlich sind. Es verhält sich mit dem Gebrauche der Güter wie mit dem Körper: der ganze Körper und jedes einzelne Glied hat seine Verrichtung. Will das einzelne Glied nur für sich allein wirken, so verliert es seine eigene Kraft.
IV.
Ich will Das, was ich sage, deutlicher machen: Die Nahrung des Körpers, die für alle Glieder gemeinschaftlich gereicht wird, wird, falls sie bloß im Magen bleibt, dem Körper wie dem Magen fremd, wenn dieser sie nicht verdauen und in Nahrungssaft verwandeln kann. Wird sie hingegen gemeinschaftlich, so hat sowohl der Magen als jedes andere Glied Antheil daran. So ergeht es dir auch mit den Gütern: Genießest du dieselben allein, so verlierst du sie, (denn du wirst keinen Lohn davon haben); wenn du aber davon Andern Antheil gewährst, dann sind sie mehr dein Eigenthum und dann wirst du davon einen Nutzen haben. Siehst du nicht, daß die Hände (dem Munde) dienen, der Mund (die Speisen) kaut und der Magen sie aufnimmt? Spricht wohl der Magen: Weil ich die Speisen aufgenommen, so muß ich auch Alles behalten? So darfst nun auch du in Betreff der Giiter nicht sprechen: Wer empfangen hat, ist verpflichtet mitzutheilen. Sowie es nun gefehlt ist, wenn der Magen alle Speisen behalten und davon Nichts mittheilen will, — er zerstört dadurch den ganzen Körper — so ist es auch gefehlt, wenn die Reichen Alles, was sie haben, für sich behalten wollen; denn dadurch verderben sie sich selber und Andere. Ebenso nimmt das Auge alles Licht auf, behält es aber nicht für sich allein, sondern erleuchtet den ganzen Körper; denn es liegt nicht in seiner Natur als Auge, das Licht für sich zu behalten. Auch die Nase, welche die Wohlgerüche empfindet, behält nicht alle für sich, sondern theilt sie auch dem Gehirne und dem Magen mit, und erquickt dadurch den ganzen Menschen.
Auch die Füße gehen allein, tragen aber nicht bloß sich selbst herum, sondern setzen den ganzen Leib in Bewegung. Darum sollst auch du, was dir gegeben ist, nicht allein behalten, weil du dadurch dem Ganzen schadest und dir selbst vor Allem. Das gilt aber nicht allein von den Gliedern (des Leibes). Denn auch der Eisenarbeiter, der die Frucht seiner Kunst Niemand mittheilen wollte, schadet sich und den übrigen Künsten. Ebenso der Schuhmacher, der Landmann, der Bäcker und Jeder, der ein unentbehrliches Gewerbe treibt, richtet nicht nur sich selbst, sondern auch Andere zu Grunde, wenn er diesen Nichts von seiner Kunst mittheilen will. Und was rede ich von den Reichen? Ja selbst die Armen würden, wenn sie euch, die ihr habsüchtig und reich seid, in euerem schlimmen Gebahren nachahmen wollten, euch den größten Schaden zufügen und euch bald arm machen, ja, ganz zu Grunde richten, woferne sie euch von Dem, was ihr brauchet, Nichts zukommen ließen, z. B. der Bauer von der Arbeit seiner Hände, der Schiffer von den durch die Seefahrt gewonnenen Waaren, der Krieger von seiner Tapferkeit im Felde. So achtet doch wenigstens Dieses, wenn ihr auf nichts Anderes lebet, und ahmet das vernünftige Betragen jener Menschen nach. Du theilst von deinem Reichthume Niemanden mit? Dann sollst du auch von keinem Andern Etwas empfangen. Geschieht aber Das, so wird Alles umgekehrt: denn überall, beim Säen, in der Schule, bei Gewerben, ist Geben und Empfangen der Ursprung von vielem Guten. Denn will Jemand seine Kunst für sich behalten, so schadet er sich und der ganzen menschlichen Gesellschaft, und der Landmann, der seine Getreide zu Hause vergräbt und verwahrt, verursacht drückende Hungersnoth. So stürzt sich auch der Reiche, wenn er es mit seinem Gelde ebenso macht, noch vor dem Armen in’s Elend, indem er sich ein schrecklicheres Höllenfeuer bereitet. Wie also die Lehrer, selbst wenn sie viele Schüler haben, jedem ihre Kunst mittheilen: so laß auch du Viele an deinen Wohlthaten Theil nehmen, und alle mögen sprechen: Diesen hat er aus der Hungersnoth, Jenen aus Gefahren gerettet; um Jenen war es geschehen, wenn nebst der Gnade Gottes nicht du ihn geschützt hättest. Rühmen mögen sie, wie du den Einen von Krankheit befreit, den Andern vor Schmach bewahrt. Andere als Fremde beherbergt. Andere, die nackt waren, bekleidet habest. Diese Worte sind mehr werth als der größte Reichthum und unermeßliche Schätze, und erregen bei Allen mehr Bewunderung als goldgestickte Kleider, Pferde und Sklaven. Denn diese Dinge bewirken, daß du als ein lästiger Mensch, als ein gemeinschaftlicher Feind erscheinest; jenes aber, daß du wie ein Vater und Wohlthäter aller gerühmt wirst, und was das Größte ist, Gottes Wohlgefallen begleitet allüberall deine Handlungen. So möge denn der Eine sagen: Er hat meine Tochter ausgestattet; ein Anderer: Er hat gemacht, daß mein Sohn zum Manne geworden; wieder ein Anderer: Er hat mich aus dem Unglück gerettet; ein Anderer: Er hat mich aus Gefahren befreit. Solche Reden sind eine größere Zierde als goldene Kronen, als unzählige Lobpreiser seiner Menschenfreundlichkeit in der Stadt zu haben. — Solche Stimmen sind viel lieblicher und angenehmer als die Stimme der Herolde, die vor den Obrigkeiten hergehen; denn sie preisen dich mit göttlichen Namen — Retter, Wohlthäter, Beschützer, nennen dich aber nicht Geizhals, Stolzer, Nimmersatt, Filz!
So laßt uns also, ich bitte euch, keinen dieser Namen verdienen, sondern das Gegentheil! Denn wo ferne diese schon auf Erden einen solchen Ruhm und Glanz mit sich bringen, so bedenke, welchen Ruhm, welche Herrlichkeit du erlangen wirst, wenn diese Namen im Himmel eingeschrieben sind, und Gott am Tage des Gerichtes dieselben bekannt macht! Möge uns allen diese Herrlichkeit zu Theil werden durch die Gnade und Menschenfreundlichkeit unseres Herrn Jesus Christus, dem mit dem Vater und dem heiligen Geiste sei Ruhm, Herrschaft und Ehre jetzt und allezeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.