Читать книгу Homilien über den ersten Brief an die Korinther - Johannes Chrysostomos - Страница 16
Elfte Homilie.
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3. 4. Mir aber ist es das Geringste, von euch oder von einem menschlichen Gerichtstage gerichtet zu werden, und ich richte mich auch selbst nicht (denn ich bin mir zwar selbst Nichts bewußt, aber darum noch nicht gerechtfertigt); der mich richtet, ist der Herr.
I. Ich weiß nicht, wie mit andern Übeln auch die Krankheit der Spähsucht und des unzeitigen Einmischens in fremde Händel sich der menschlichen Natur bemächtiget hat. Strafend äusserte sich darüber auch Christus: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“162 Diese (Siinde) ist auch nicht, wie die übrigen Sünden, mit irgend einer Wollust verbunden, sondern hat nur Strafe und Rache zur Folge. Denn während wir zahllofe Fehler an uns haben und Balken in den Augen, sind wir scharfe Ausspäher der Fehler unseres Nebenmenschen, Fehler, die sich von Splittern gar nicht unterscheiden. So machten es auch die Korinther. Fromme und gottselige Männer verspotteten und verstießen sie wegen Mangels an Wissenschaft; andere aber, die sich zahlloser Sünden schuldig gemacht, schätzten sie hoch wegen ihrer Beredsamkeit. Wie wenn sie dazu als Richter bestellt gewesen wären, sprachen sie dann kühn: „Der ist ein würdiger Mann, dieser noch trefflicher als jener; dieser steht jenem nach, jener ist besser;“ und anstatt ihre eigenen Fehler zu beweinen, richteten sie über fremde, und erregten dadurch heftige Kämpfe. Sieh’ nun, wie Paulus, um diese Krankheit zu heben, sie auf kluge Weise zurechtweist. Denn nachdem er gesagt hat: „Hier wird nun von den Verwaltern (Ausspendern) gefordert, daß Jeder treu erfunden werde,“ — wodurch er Anlaß zum Ausforschen und Richten über den Wandel eines Jeden zu geben schien, was dann Parteiung erzeugte; — so lenkt er sie, damit sie nicht in denselben Fehler fielen, von dieser Zänkerei ab mit den Worten: „Mir aber ist es das Geringste, von euch gerichtet zu werden.“ Er spricht hier abermals von seiner eigenen Person. Was heißt aber Das: „Mir aber ist es das Geringste, von euch oder einem menschlichen Gerichtstage gerichtet zu werden“? Er will sagen: Ich halte es unter meiner Würde, von euch gerichtet zu werden, ja was sage ich, von euch? von jedem Andern, wer er auch sei. Niemand wolle jedoch den Paulus des Übermuthes beschuldigen, wenn er keinen Menschen für würdig erachtet, über ihn zu Gericht zu sitzen. Denn erstlich sagt er Das nicht seinetwegen, sondern um Andere ihrem feindseligen Urtheile zu entziehen. Ferner bezieht er Dieses nicht nur auf die Korinther, sondern erklärt sich selbst für inkompetent zu einem solchen Urtheile, indem er sagt, er selbst lasse sich nicht beigeben, ein solches Urtheil zu fällen: „Und ich richte mich auch selbst nicht.“ Zudem muß man auch die Ursache erforschen, warum er Dieses gesagt hat. Denn er weiß oft auch über sich rühmlich zu sprechen, was aber nicht aus Stolz oder Hochmuth, sondern in bester Absicht geschieht. Auch hier redet er nicht so, um sich zu erheben, sondern um Andere bescheiden zu machen und den heiligen (Lehrern) Ansehen zu verschaffen. Denn daß er sehr demüthig gewesen, kannst du aus jener Stelle entnehmen, in welcher er das Zeugniß seiner Feinde über sich selber anführt: „Seine persönliche Gegenwart ist kraftlos, und sein Vortrag erbärmlich.“163 Und wieder: „Zuletzt von Allen erschien er auch mir, wie einer unzeitigen Geburt.“164 Aber sieh’, wie dieser Demüthige, wenn es die Zeit fordert, den Muth seiner Schüler erbebt, aber nicht Übermuth lehrt, sondern eine vernünftige Selbstschätzung empfiehlt. Denn er spricht also zu ihnen: „Und wenn durch euch die Welt gerichtet wird, seid ihr nicht würdig, die geringsten Dinge zu richten?“165 Der Christ soll gleich weit von Prahlsucht wie von Schmeichelei und Niederträchtigkeit entfernt sein. Wenn Jemand sagt: Ich achte das Geld für Nichts; alles Gegenwärtige gilt mir als Schatten und Traum und kindischer Tand: so werden wir ihn doch nicht des Übermuthes beschuldigen? Sonst müßten wir auch den Salomon des Stolzes zeihen, welcher darüber also philosophirt und spricht: „O Eitelkeit über Eitelkeit! Alles ist eitel!“166 Das sei ferne, die Weisheit mit dem Namen Übermuth zu belegen! Jene Dinge verachten, ist nicht Stolz, sondern Seelengröße; und doch sehen wir Könige, Fürsten und Obrigkeiten daran kleben, während oft ein weiser Bettler dieselben verachtet; und wir nennen ihn darum nicht stolz, sondern hochherzig: im Gegentheil nennen wir Denjenigen, der mit ganzer Seele daran hängt, nicht demüthig und bescheiden, sondern schwach, engherzig und unedel. Wenn irgend ein Sohn die Güter des Vaters verachtete, und die eines Sklaven bewunderte, so würden wir ihn nicht als demüthig preisen, sondern niederträchtig und sklavisch schelten; bewundern aber würden wir ihn, wenn er diese Güter verachten und die des Vaters hochschätzen würde. Denn es ist Wahnsinn, sich für besser als Seinesgleichen zu halten; aber die Sache von der rechten Seite beurtheilen, ist nicht Hochmuth, sondern Weisheit.
II.
Darum spricht auch Paulus, nicht, um sich selbst zu erheben, sondern um die Hochfahrenden zu demüthigen und sie Bescheidenheit zu lehren: „Mir ist es das Geringste, von euch oder einem menschlichen Gerichtstage gerichtet zu werden.“ Siehst du, wie er sie (glimpflich) bebandelt? Denn wer nun hörte, daß er Alle ohne Unterschied verwarf, und Keinen als Richter anerkennen wollte, durfte sich jetzt nicht mehr kränken, als würde er allein verschmäht. Hätte er nämlich gesagt: „Von euch gerichtet zu werden,“ und dann geschwiegen, so hätten sie Dieses als Beleidigung ansehen und übel aufnehmen können. Nun aber mildert er die schmerzende Rede durch den Zusatz: „Oder von einem menschlicken Gerichtstage,“ indem er Andere mit ihnen verschmäht. Aber auch Das mildert er wieder mit den Worten: „Und ich richte mich auch selbst nicht.“ Siehe, wie Das nicht die Sprache des Hochmuthes ist; denn er sagt nicht, daß er selber im Stande sei, ein richtiges Urtheil zu fällen. Weil aber auch dieser Ausdruck noch viel Hochmuth zu verrathen schien, so berichtigt er ihn mit den Worten: „Aber darum bin ich noch nicht gerechtfertigt.“ Wie? soll man also sich selbst und seine Sünden nicht richten? Allerdings sollen wir Das thun, wenn wir sündigen. Aber Paulus sagte Das nicht; denn er spricht: „Ich bin mir keiner Sünde bewußt.“ Welche Sünde sollte er also richten, da er sich keiner bewußt war? Dennoch sagt er, daß er darum nicht gerechtfertigt sei. Was sollen nun wir sagen, die wir ein tausendfach verwundetes Gewissen haben, und uns nichts Gutes, sondern nur des Gegentheiles bewußt sind? Und wie war denn Jener, der sich keiner Sünde bewußt war, nicht gerechtfertigt? Weil er vielleicht einige Sünden begangen hatte, von denen er nicht wußte, daß es Sünden seien. Daraus kannst du ermessen, wie strenge das künftige Gericht sein werde. Nicht also darum, daß er sich für tadellos halte, will er von ihnen nicht gerichtet werden, sondern um Diejenigen, die grundlos solche Urtheile fällen, zum Schweigen zu bringen. Denn anderswo, da die Zeitumstände Dieses nicht erlaubten, gestattet er ihnen nicht einmal über offenbare Sünden zu richten; denn er spricht: „Was richtest du deinen Bruder? und warum verachtest du deinen Bruder?“167 Denn dir, o Mensch, ist es nicht aufgetragen, Andere zu richten, sondern dich selber zu prüfen. Warum maßest du dir das Richteramt des Herrn an? Ihm steht das Richteramt zu, nicht dir:
5. Darum richtet nicht vor der Zeit, ehe der Herr kommt, welcher auch das im Finstern Verborgene an’s Licht bringen und die Gesinnungen der Herzen aufdecken wird; und dann wird Jedem sein Lob werden vor Gott.
Wie nun? dürfen die Lehrer Dieses auch nicht thun? wohl dürfen sie es bei offenbaren und bekannten Sünden thun, und zwar zur rechten Zeit, und dann mit Schmerz und Betrübniß, und nicht, wie es damals die Korinther gethan, aus Eitelkeit und Stolz. Auch redet er hier nicht von bekannten Fehlern, sondern davon, daß sie den Einen dem Andern vorzogen und über den Wandel derselben einen Vergleich anstellten. Darüber kann aber nur Derjenige richtig urtheilen, der unsere geheimsten Thaten richten wird, je nachdem sie eine größere oder geringere Strafe oder Belohnung verdienen; wir aber thun Dieß nur nach dem äussern Scheine. Denn wenn ich, sagt er, meine eigenen Fehler nicht genau kenne: wie sollte ich würdig sein, über Andere ein Urtheil zu fällen? wie sollte ich über Fremde richten, da ich mich selber nicht genau kenne? Wenn aber Dieß von Paulus galt, so gilt es um so mehr von uns. Er sagte Dieses nicht, um sich selber als untadelhaft darzustellen, sondern um zu zeigen, daß, wenn auch Jemand unter ihnen fehlerfrei wäre, ihm dennoch nicht zukomme, den Wandel Anderer zu beurtheilen, und daß, wenn Derjenige, der sich Nichts vorzuwerfen hat, sich schuldig gibt, umso mehr Jene sich schuldig geben müssen, die sich zahlloser Sünden bewußt sind.
Nachdem er also auf diese Weise Denjenigen den Mund gestopft hatte, welche sich solche Urtheile angemaßt hatten, sehnt er sich mit Ungeduld, den Blutschänder anzugreifen. Es war, wie wenn bei einem herannahenden Gewitter düsteres Gewölk voraneilt, und auf das Rollen des Donners nun der ganze Himmel nur Ein Gewölk wird und dann der Regen in gewaltigen Güssen herabströmt. Obgleich er aber Ursache hatte, mit großem Unwillen gegen den Unzüchtigen scharf vorzugehen, so that er es doch nicht, sondern dämpft nur durch furchtbare Worte dessen Aufgeblasenheit. Das Verbrechen desselben war zweifach — Unzucht und was noch schlimmer war, Mangel an Reue über die Sünde. Denn er beweint ihn nicht so sehr, weil er gefündiget hatte, als weil er nach der Sünde keine Reue empfindet: „Denn ich werde“, sagt er,168 „über Viele trauern müssen, die vorher gesündiget und nicht Buße gethan haben über die Uneinigkeit und Unzucht, die sie getrieben.“ Denn wer nach begangener Sünde Buße thut, verdient nicht beklagt, sondern selig gepriesen zu werden, weil er in die Zahl der Gerechten versetzt worden ist; denn es heißt: „Bekenne du deine Missethaten zuerst, damit du gerechtfertigt werdest.“169 Wer aber nach der Sünde noch unverschämt ist, der verdient nicht sowohl wegen des Falles Mitleid, als weil er von seinem Falle nicht aufstehen will.
III.
Und wenn es schon schwer gefehlt ist, die begangene Sünde nicht zu bereuen, welche Strafe gebührt dann Demjenigen, der bei seinen Vergehungen noch aufgebläht ist? Denn wenn schon Derjenige, der sich ob seiner guten Werke erhebt, nicht rein ist, welche Verzeihung soll nun erhalten, wer ob seiner Missethaten sich aufbläht? Weil nun der Unzüchtige so beschaffen, und seine Seele durch die Sünde unverschämt und unbeugsam geworden war, so demüthigt er nothwendiger Weise zuerst dessen Stolz. Er rückt jedoch mit der Anklage nicht gleich Anfangs heraus, damit Jener, als vor den Andern angeklagt, nicht das Schamgefühl abwerfe; aber auch nicht zuletzt, damit er nicht glaube, es sei das, was ihm galt, nur so nebenher gesagt; sondern er flößt ihm vorerst durch die freimüthige Rüge der Andern große Furcht ein, dann kömmt er auf ihn, nachdem er seinen Stolz durch die Zurechtweisung der Andern erschüttert hatte. Denn eben diese Worte: „Ich bin mir keiner (Sünde) bewußt, aber darum bin ich noch nicht gerechtfertigt;“ und jene: „Der mich richtet, ist der Herr,“ der auch das im Finstern Verborgene an’s Licht bringen und die Gesinnungen der Herzen aufdecken wird, — enthalten eine scharfe Rüge gegen ihn und Diejenigen, die ihm beistimmten, die Heiligen170 aber geringschätzten. Was ist es also, sagt er, wenn auch Einige äusserlich tugendhaft und bewunderungswürdig erscheinen? Jener Richter urtheilt nicht bloß über das Äussere, sondern zieht auch das Geheime an’s Licht. — Unser Urtheil ist also aus zwei, oder eigentlich aus drei Gründen nicht richtig. Erstens, weil wir selbst dann, wann wir uns Nichts bewußt sind, eines Andern bedürfen, der uns unsere Fehler genau vor Augen stellt. Zweitens, weil uns das Meiste, was geschieht, unbekannt und verborgen bleibt; und drittens endlich, weil uns manche Handlung Anderer als tugendhaft erscheint, während sie doch nicht aus echter Gesinnung hervorgeht. Warum sprecht ihr also: Dieser oder Jener hat gar keinen Fehler; Dieser ist besser als Jener? Denn so darf man nicht absprechen, nicht einmal über Denjenigen, der sich keiner (Sünde) bewußt ist: Denn nur Derjenige, welcher das Verborgene richtet, urtheilt gerecht. Darum siehe, „ich bin mir zwar keiner (Sünde) bewußt, aber damit bin ich noch nicht gerechtfertigt“, d. h. ich bin noch nicht frei von Verantwortlichkeit und Schuld. Er sagt damit nicht: „Ich bin nicht aus der Zahl der Gerechten“, sondern: „Ich bin noch nicht rein von Sünde.“ Auch anderswo sagt er: „Denn wer gestorben ist, der ist gerechtfertiget von der Sünde,“171 d. h. er ist davon befreit. Zwar thun wir auch viel Gutes, aber nicht aus reiner Absicht. So loben wir Viele, nicht in der Absicht, sie zu verherrlichen, sondern dadurch Andere zu kränken. Da ist nun die That an und für sich gut (denn es wird der Brave gelobt), die Absicht aber schlecht; denn sie entsteht aus teuflischer Gesinnung. So handelt Mancher oft, nicht weil er sich mit dem Nebenmenschen erfreut, sondern weil er die Absicht hat, einem Andern wehe zu thun. Und wieder, es hat Jemand eine schwere Sünde begangen; ein Anderer, der ihn stürzen will, sagt, er habe ja Nichts gethan, und tröstet den Sünder, indem er sich auf die menschliche Sckwachheit beruft. Dieß thut er aber oft, nicht aus Mitleid (gegen den Fehlenden), sondern um ihn träger zu machen. So greift auch manchmal Einer den Andern an, nicht um ihn zurechtzuweisen und zu ermahnen, sondern um dessen Fehler öffentlich bekannt zu machen und zu vergrößern. Die Absichten selber aber kennen die Menschen nicht; der aber die Herzen durchforscht, kennt sie genau, und wird einst Dieß alles an’s Licht bringen. Deßwegen sprack er: „Welcher auch das im Finstern Verborgene an’s Licht bringen und die Gesinnungen der Herzen aufdecken wird.“ Wenn wir also selbst dann, wenn wir uns Nichts vorzuwerfen haben, nicht von aller Schuld frei sind, und auch dann Strafe verdienen, wenn wir unsere guten Werke nicht in guter Absicht verrichten: so bedenke, wie sehr sich die Menschen in ihren Urtheilen täuschen müssen. Das alles können Menschen nie erreichen, sondern nur jenes Auge, das nimmer schläft; dieses werden wir nie hintergehen, wenn wir auch die Menschen betrügen. Sprich also nicht: „Finsternis und Wände umgeben mich; wer sieht mich?“172 Denn wer das Herz eines Jeden von uns gebildet hat, der weiß Alles, und die Finsterniß verfinstert Nichts vor ihm. Jedoch mit Recht spricht der Sünder: „Finsterniß, und Wände umgeben mich;“ denn wäre nicht Finsterniß in seiner Seele, so würde er nicht die Gottesfurcht verkennen und so verwegen handeln. Wäre nicht erst der Verstand verfinstert, so fände die „Sünde keinen so freien Eingang.“ Sprich also nicht: Wer sieht mich? Denn es gibt Einen, der Seele und Geist, Mark und Gebein durchdringt; du aber siehst dich selber nicht und kannst das Gewölk nicht durchdringen, sondern, wie von einer Mauer rings umschlossen, vermagst du nicht zum Himmel zu schauen.
IV.
Welche Sünde sollen wir zuerst untersuchen, um dir zu zeigen, daß es mit derselben sich also verhalte. Gleichwie nämlich Räuber und Diebe,173 wenn sie Kostbarkeiten zu stehlen vorhaben, erst das Licht auslöschen und dann ihr Handwerk beginnen: so ergeht es auch dem verdorbenen Verstande der Sünder. Denn auch in uns leuchtet beständig das Licht der Vernunft. Wenn aber der Geist der Unzucht mit Gewalt und Ungestüm eindringt und jenes Licht auslöscht, so bedeckt er sogleich die Seele mit Finsterniß, überwältiget sie und raubt ihr sofort Alles, was sie besitzt. Denn sobald die Seele von einer wollüstigen Begierde erfaßt wird, so umhüllt Finsterniß das Auge des Geistes, wie Nacht und Dunkel das körperliche Auge bedeckt, und läßt die Seele Nichts weiter mehr sehen, weder Abgrund noch Hölle, noch Furcht, und von dieser feindlichen Macht einmal beherrscht, wird sie dann leicht eine Beute der Sünde; und gleich einer hohen Wand, die ohne Fenster vor den Augen aufgeführt ist, läßt (diese Finsterniß) keinen Strahl von dem Lichte der Gerechtigkeit in den Geist einfallen, weil die Gedanken der schändlichen Lust denselben allseitig umgeben. Einem solchen Menschen begegnet nun überall die feile Dirne; seinen Augen, seiner Einbildungskraft, seinen Gedanken stellt sich ihr Bild dar; und so wenig die Blinden am hellen Mittag das Tageslicht sehen, weil ihre Augen geschlossen sind, so verschließt auch dieser, obgleich ihm tausend heilsame Lehren von allen Seiten beigebracht werden, vor allen solchen Reden die Ohren, weil seine Seele eine Sklavin jener Leidenschaft ist. Und das wissen Diejenigen gar wohl, die es erfuhren. Ferne sei, daß ihr aus eigener Erfahrung es wisset!
Jedoch nicht diese Sünde allein, sondern jede ungeordnete Liebe hat diese Wirkung. Wählen wir, wenn es Euch beliebt, anstatt der Buhlerin das Geld zum Gegenstande unserer Rede, und wir werden auch hier eine dichte und anhaltende Finsterniß sehen. Denn dort ist die Leidenschaft nicht so mächtig, weil der Gegenstand nur Einer ist und an Einem Orte. Aber bei dem Gelde, das sich überall darstellt, — in den Werkstätten der Gold- und Silberarbeiter, in den öffentlichen Herbergen, in den Wohnungen der Reichen, entbrennt überall heftige Begierde. Wenn nun Jemand, der an dieser Leidenschaft krankt, auf dem Markte die stolz einher trabenden Diener, die mit Gold gezierten Pferde, und die in prächtigen und kostbaren Kleidern drängenden Menschen erblickt, so wird seine Seele in dichtes Dunkel gehüllt. Und was brauche ich von den Wohnungen und Werkstätten der Silberarbeiter zu reden? Jene Menschen, glaube ich, gerathen schon in Wuth, werden wild und traurig, wenn sie den Reichthum auch nur in Schrift und Bild vor Augen haben, so daß Finsterniß sie von allen Seiten umgibt. Wenn sie das Bild des Kaisers sehen, so bewundern sie nicht die Schönheit der Edelsteine, nicht das Gold, nicht das Purpurgewand, sondern sie schmachten darnach; und wie jener Verliebte, wenn er das Bild der Buhlerin sieht, am leblosen Gegenstand hängt, so wird auch bei Diesem, wenn er das leblose Bild des Reichthums erblickt, die Sache noch ärger, weil seine Leidenschaft tyrannischer ist. Nun muß er entweder zu Hause bleiben, oder, wenn er sich auf den Markt wagt, tausend Wunden heimtragen: denn es gibt viele Dinge, die ihm schmerzlich unter die Augen gerathen. Und wie Jener nichts Anderes sieht als die Dirne, so wendet auch dieser seine Blicke weg von den Armen und Allem, was ihm Trost bieten könnte, und bettet sie nur auf die Reichen, und leitet durch den Anblick derselben in seine Seele ein gewaltiges Feuer. Wirklich ist das ein Feuer, welches Denjenigen, der hineinstürzt, schrecklich verzehrt; und wäre keine Hölle und keine Strafe gedroht, so wäre das Gegenwärtige schon Strafe genug, nämlich beständig gefoltert zu werden, und an einer endlosen Krankheit zu leiden; und das allein sollte hinreichend sein, die Menschen zu bewegen, dieses Übel zu fliehen. Es gibt aber keinen ärgern Wahnsinn, als sich an Dinge hingeben, die keinen Gewinn, sondern nur Traurigkeit bringen. Daher bitte ich, diese Leidenschaft gleich Anfangs zu vertilgen. Denn gleichwie das Fieber im Anfang die Kranken nicht heftig mit Durst quält, aber im Zunehmen größere Hitze und unersättlichen Durst verursacht, so daß man die Hitze vergrößert, je mehr man sie durch Trinken zu löschen versucht: so geschieht das auch bei dieser Krankheit: Wenn wir ihr den Eingang in unsere Seele gestatten, sie nicht gleich Anfangs abhalten, und ihr die Thüre verschließen, so wird sie endlich bei denjenigen, die ihr Einlaß gewährt, ein unheilbares Übel. Denn das Gute und das Böse gewinnt bei längerer Dauer in uns immer größere Macht.
V.
Das kann man auch an allen andern Dingen bemerken. Denn eine Pflanze, die frisch in die Erde gesetzt worden ist, läßt sich leicht ausreissen; hat sie aber lange Zeit darin gewurzelt, so bedarf es dazu einer größern Kraft. Ein neu aufgeführtes Gebäude läßt sich von Denjenigen, die es darauf absehen, leicht erschüttern; sobald es aber einmal recht befestiget ist, kostet es für Diejenigen, die es zu Fall bringen wollen, bedeutende Mühe. So lassen sich auch wilde Thiere, wenn sie längere Zeit an einem Orte sich aufgehalten, nicht leicht mehr vertreiben. Darum rathe ich Denjenigen, die noch nicht von dieser Krankbeit befallen sind, sich von ihr nicht ergreifen zu lassen. Denn es ist leichter, sich vor dem ersten Falle zu hüten, als nach dem Falle wieder aufzustehen; Denjenigen aber, welche die Krankheit bereits ergriffen und zu Boden geworfen, verheisse ich durch Gottes Gnade große Hoffnung der Rettung, falls sie sich der Vernunft als Arzt überantworten wollen. Denn wenn sie sich an die Kranken erinnern, die an diesem Übel gelitten und dann davon geheilt worden sind, so werden auch sie große Hoffnung der Wiedergenesung erlangen. Wer war denn dieser Krankheit verfallen, und wurde davon ohne Mühe befreit? Jener Zachäus. Denn wer ist geldgieriger als ein Zöllner? Dennoch wurde er schnell ein Weiser und löschte die ganze Fieberhitze. So auch Mattbäus; denn auch dieser war ein Publikan und lebte von beständigem Raube. Aber auch dieser entzog sich schnell dem Verderben, löschte den Durst und trieb nun Geschäfte geistiger Art. An diese und dergleichen denke nun, und laß auch du den Muth nicht sinken. Denn wenn es dir Ernst ist, kannst du bald genesen; und wenn du willst, so wollen wir dir nach Art der Ärzte genau vorschreiben, was du zuthun hast. Vor allem Andern muß man die Sache so ricktig anstellen: den Muth nicht sinken lassen und an seiner Rettung nicht verzweifeln. Dann soll man nicht nur auf die Beispiele Derjenigen, die sich gebessert haben, sondern auch auf die Leiden Derjenigen schauen, die krank geblieben sind. Denn so wie wir des Zachäus und Matthäus gedacht haben, so müssen wir auch an Judas, Giezi, Achaz und Achab, Ananias und Sapphira denken: an die Einen, damit wir nicht verzweifeln, an die Andern, damit wir der Trägheit entsagen, und damit unsere Seele gegen die gegebenen Ermahnungen nicht gleickgiltig werde. Wir wollen uns gewöhnen zu sprechen wie die Juden, die zu Petrus kamen und fragten: „Was müssen wir thun, damit wir selig werden?“174 Hören wir, was zu thun ist. Was sollen wir also thun? Wissen sollen wir, daß Alles vergänglich, daß der Reichthum ein entlaufener und undankbarer Sklave ist, der seine Herren in zahllose Übel stürzt. Dieses Lied wollen wir den Geizigen beständig vorsingen. Gleichwie nämlich die Ärzte ihre Kranken, wenn sie kaltes Wasser verlangen, mit Verheissungen trösten, und bald die Schuld auf die Quelle, bald auf das Gefäß werfen, bald die gelegene Zeit und Ähnliches vorschützen (denn wenn sie ihnen Anfangs dasselbe versagten, so würden sie die Kranken höchlich erbittern), — so wollen es auch wir mit Geldbegierigen machen. Sagen sie: Wir wollen reich werden, so dürfen wir nicht sogleich erwidern, der Reichthum sei eine schlimme Sache, sondern wir sollen ihnen beistimmen und sagen, daß auch wir denselben Wunsch hegen, aber zur rechten Zeit, aber nach wahrem Reichthum, der ewige Freude gewährt, der für uns, nicht für Andere, oft sogar für Feinde gesammelt wird. Auch philosophisch wollen wir (mit ihnen) reden und sagen: Wir verbieten nicht, Schätze zu sammeln, wohl aber, sie auf sündhafte Weise zu sammeln; denn man darf Schätze sammeln, aber ohne Geiz, ohne Raub, ohne Gewaltthätigkeit, ohne sich bei Andern einen schlechten Namen zu machen. Durch solche Reden sollen wir sie vorerst gewinnen) und nicht gleich von der Hölle sprechen; denn der Kranke verträgt eine solche Sprache Anfangs wohl nicht. Deßhalb sollen wir darüber mit ihnen immer nur von dem Gegenwärtigen sprechen und sagen: Warum willst du durch Geiz dich bereichern? Auf daß du für Andere Gold und Silber, für dich aber tausend Flüche und Vorwürfe häufest? Daß Derjenige, den du beraubt hast am Nöthigsten Mangel leide und jammere und dir tausend Ankläger zuziehe? Daß er bei anbrechendem Abende auf dem Markte herumschleiche, in den Winkeln der Stadt Alle anbettele und hilflos nicht wisse, was er über Nacht anfangen soll? Denn wie sollte er auch schlafen, da ihn der knurrende Magen wecket, der Hunger quält, oft auch noch Frost und Regen dazu kömmt? Du kömmst aus dem Bade, in warme Kleider gehüllt, und eilest freudig und munter zu einem köstlichen Mahle. Jener aber schleicht, von Kälte und Hunger getrieben, beständig auf dem Markte umher, gebeugt und die Hände ausstreckend, und wagt es aus Furcht nicht, Dich, der du behäbig und satt bist, um die nothdürftige Nahrung zu bitten; oft ist er sogar beschimpft von dannen gezogen. Wenn du nun nach Hause kommst und auf deinem Polster ruhest, und das Haus glänzend erleuchtet ist, und eine köstliche Tafel vor dir steht: Dann gedenke jenes Armen und Unglücklichen, der nach Art der Hunde bei dunkler Nacht und im Kothe in den Gassen herumzieht, und der von dort weg nicht nach Hause, nicht zu seinem Weibe, nicht in’s Bett geht, sondern auf einen Strohhaufen, wie wir es bei Hunden sehen, welche die ganze Nacht hindurch bellen. Du, wenn du nur einen kleinen Wassertropfen durch das Dach rinnen siehst, kehrst das ganze Haus um, rufst die Diener herbei und setzest Alles in Bewegung; Jener aber, in Lumpen gehüllt, im Kothe liegend, auf einem Strohlager, ist der grimmigsten Kälte ausgesetzt.
VI.
Wer ist so thierisch, daß er dadurch nicht gerührt wird ? Wer so grausam und unmenschlich, daß ihn eine solche Lage nicht zum Mitleide stimmt? Und doch gibt es Einige, die so grausam sind, daß sie sagen, es widerfahre ihnen Recht. Während es doch ihre Pflicht wäre, sich ihrer zu erbarmen, sie zu beweinen und ihr Elend zu mildern: machen sie ihnen grausame und unmenschliche Vorwürfe. Solche Menschen möchte ich gerne fragen: Warum leiden denn Jene mit Recht? Weil sie Nahrung heischen und nicht Hungers sterben wollen? Nein, heißt es, sondern weil sie faul sind. Du aber, bist du nicht ein müssiger Schwelger? Wie! Treibst du nicht oft Geschäfte, die ärger sind als aller Müssiggang, da du dich durch Raub und Gewaltthätigkeit zu bereichern strebst? Es wäre besser, wenn auch du einen solchen Müssiggang triebest; denn so müssig gehen ist besser als gewinnsüchtig sein. Nun aber spottest du sogar über das Unglück Anderer, während du nicht nur müssig gehst, nicht nur Dinge treibst, die ärger sind als Müssiggang, sondern den Unglücklichen sogar Vorwürfe machst. — Erzählen wollen wir dann auch die Unglücksfälle Anderer: wie Manche früh verwaisten, Manche in den Kerker geworfen, Andere vor Gericht gefoltert wurden, wieder Andere in Lebensgefahr geriethen; wie Weiber plötzlich zu Wittwen geworden, wie schnell sich das Glück der Reichen gewandt hat: und durch solche Furcht werden wir die Herzen denselben erweichen. Denn indem wir ihnen fremdes Unglück erzählen, werden wir ihnen die Ueberzeugung beibringen, daß sie dasselbe wohl auch für sich selber zu fürchten haben. Denn wenn sie hören: „Dieser ist der Sohn jenes Geizigen, jenes Raubsüchtigen; das Weib jenes tyrannischen Mannes hat nach dem Tode desselben tausendfache Leiden erduldet, da Diejenigen, denen er Unrecht gethan, sie und die Kinder angriffen und gemeinschaftlich von allen Seiten sein Haus bekriegten;“ — so wird auch der allergefühlloseste Mensch für sich und die Seinen ähnliche Leiden befürchten und mildere Gesinnungen annehmen. Das Leben bietet uns solcher Beispiele in Hülle und Fülle, und der Stoff zu solcher Belehrung wird uns nicht fehlen. Wenn wir aber solche Reden führen, so müssen wir, um nicht lästig zu werden, den Schein des Ermahnens und Rathens vermeiden, und nur erzählungsweife vorgehen und so, als wären wir gerade durch etwas Anderes darauf geführt worden. Beständig müssen wir ihnen solche Dinge erzählen und kein anderes Gespräch von ihrer Seite aufkommen lassen. Man erzähle z. B., wie jenes berühmte und angesehene Haus berabgekommen, wie es so verlassen stehe, da Alles, was darin war, in fremde Hände übergegangen; wieviel man täglich vor Gericht über jenes Vermögen, jene Geschäfte verhandelt; wie viele Diener jenes Reichen theils zu Bettlern wurden, theils im Gefängnisse starben. Und Das alles wollen wir so erzählen, daß wir den Verstorbenen bemitleiden, und das Gegenwärtige in seiner Richtigkeit darstellen, damit wir sein hartes Herz sowohl durch Furcht als durch Mitleid erweichen. Und wenn wir dann leben, daß sie durch dergleichen Erzählungen in sich gehen, alsdann wollen wir zu ihnen auch von der Hölle reden, nicht als wollten wir sie dadurch erschrecken, sondern nur Andere bedauren. Wir wollen z. B. sagen: Was brauchen wir von den gegenwärtigen Dingen zu reden? Es ist ja mit diesem unsern Leben nicht abgethan, sondern es wartet auf solche Menschen eine härtere Züchtigung: ein feuriger Strom, ein giftiger Wurm, eine endlose Finsterniß, ewige Strafen.
Wenn wir die Zuhörer durch solche Erzählungen ergötzen, werden wir uns selbst und ihnen nützen, sie bald von jener Krankheit befreien, und wir werden an jenem Tage Gott zum Lobredner haben, wie auch Paulus spricht: „Und dann wird einem Jeden sein Lob werden von Gott.“175 Denn der Ruhm von Seite der Menschen zerfließt und wird oft nicht in guter Absicht gespendet. Der Ruhm vor Gott aber währt ewig und ist hellglänzend. Denn wenn Jener lobt, der Alles weiß, noch ehe es geschieht, und der ohne Leidenschaft ist, so ist das Zeugniß der Tugend über allem Zweifel erhaben. Da wir nun Dieses wissen, wollen wir so handeln, daß wir von Gott gelobt und der höchsten Güter theilhaftig werden durch die Gnade und die Menschenfreundlichkeit unseres Herrn Jesu Christi, dem mit dem Vater und dem heiligen Geiste sei Ruhm, Herrschaft und Ehre jetzt und allezeit, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.