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Ein feiner Tisch mit Beigabe von Delikatessen aller Art
ОглавлениеEs gab jedoch genug Stimmen, die in den Inszenierungen des kaiserlichen Hofes endlich die kulturelle Repräsentation sahen, die der deutschen Hauptstadt und dem Reich im allgemeinen entsprach und die alles davor Gewesene als armselig verwarfen. Diese Auffassung muss um die Jahrhundertwende weit verbreitet gewesen sein, so dass sie im Jahr 1903 Jenny Sommerfeldt und Elise Weber veranlasste, die Aufzeichnungen ihrer Großmutter Friederique Charlotte Fontane unter dem Titel ,Wie man in Berlin zur Zeit der Königin Luise kochte‘ zu veröffentlichen. 7 Die Rezeptsammlung ist auf das Jahr 1795 datiert, also 13 Jahre bevor Auguste Wilhelmine Friederique Charlotte Fontane den Maler und Musiklehrer Pierre Barthelemy Fontane heiratete. Dieser war bis zur Niederlage gegen die napoleonischen Truppen 1806 Kabinettssekretär der Königin Luise von Preußen, Ehefrau Friedrich Willhelms III., gewesen - ein Umstand der der Authentizität des Kochbuchs sicher nicht abträglich war, das von den Schwestern im Eigenverlag publiziert und erst gegen Ende der 1980er Jahre wieder neu verlegt wurde. „Es wird im Allgemeinen die Anschauung vertreten, als sei im ,armen‘ Preußenland um die Wende des 18. Jahrhunderts bis weit über die März-Tage hinaus ein feinerer Geschmackssinn nicht ausgeprägt gewesen” , heißt es im Vorwort der Herausgeberinnen. Dabei habe man auch um das Jahr 1800 bereits „einen feinen Tisch mit Beigabe von Delikatessen aller Art” sehr wohl gekannt und zu würdigen gewusst. Man hegte, trotz der vergleichsweise kleinen Auflage, dabei große Ansprüche, sprach von einem kulturhistorischen Dokument und einem praktischen Ratgeber und ging davon aus, durch die Veröffentlichung verschwundene Gerichte in modernisierter Form wieder dauerhaft zu etablieren.
Das Kochbuch ist eine breit aufgestellte Sammlung, die europäische Einflüsse erkennen lässt. So finden sich Rezepte für das holländische Fischgericht ,Water-Zode’, den ,Herzog von Buckingham’s Pudding‘ oder einen ,Spanischen Streuselkuchen‘ mit Zimt, Muskat und Zitronenschale. Aber auch regionale Gerichte aus anderen deutschsprachigen Regionen sind enthalten, wie etwa ,Weiße Nürnberger Kuchen‘ oder eine ,Carlsbader Mehlspeise’. Während Gerichte wie ,Fricassee von jungen Hühnern mit Champignons‘ durchaus auch eine Nachahmung höfischer Vorbilder erahnen lassen, finden sich einfache Gerichte, wie beispielsweise ,Arme Ritter’, die als Resteverwertung von altem Weißbrot eine gewisse bürgerliche Sparsamkeit bezeugen. Regionale Gerichte mit konkretem Berliner beziehungsweise Brandenburger Bezug lassen sich hingegen nicht finden.
Das Buch der Fontane-Schwestern ist als Reaktion auf die gesellschaftlichen Verschiebungen im Rahmen des ökonomischen Aufschwungs seit der Mitte des 19. Jahrhunderts zu verstehen. Vermutlich sahen die Schwestern, deren Großvater hugenottischer Herkunft in vorkaiserlicher Zeit im Dienst des preußischen Königshauses gestanden hatte, die moderat-wohlhabenden familiären Traditionen durch die Glorifizierung der Errungenschaften der Industrialisierung mit ihren neureichen Emporkömmlingen von einem Bedeutungsverlust bedroht.