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Diktatur der Kellner

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Während das bundesdeutsche Wirtschaftswunder langsam aber sicher auch in Westberlin die Küchen, Kantinen und Restaurants erreichte, unterlagen die Versorgungsverhältnisse auf der anderen Seite der Grenze ganz anderen Gesetzmäßigkeiten. Im ,real existierenden Sozialismus‘ war eine offene Kritik an der staatlichen Ernährungspolitik nur bedingt möglich, da sie eine Infragestellung der herrschenden politischen Verhältnisse bedeutet hätte. Die Journalistin Jutta Voigt beschreibt in ihrem Buch ,Der Geschmack des Ostens‘ die Wertigkeit von Essen und Trinken in der DDR. Man habe sein Geld für Lebensmittel ausgegeben, weil man anderes nur mit viel Warten oder gar nicht habe bekommen können, der hohe Verbrauch der DDR-Bürger an Fleisch, Zucker, Butter und Eiern in den 1980er Jahren sei Weltspitze gewesen. „Wir aßen aus Lust und Frust, aus Begeisterung und Verzweiflung, aus Langeweile und der chronischen Angst, nicht genug zu kriegen.” 26 Die DDR sei eine proletkultische Gesellschaft gewesen, so Voigt, was sich in einer Vorliebe für kräftiges, kalorienreiches Essen, für große Portionen und Alkohol geäußert habe. 1958 ordnete der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht die Versorgung der Bevölkerung auf Weltniveau an, bezeichnete sie als ökonomische Hauptaufgabe des jungen Staates und kündigte an, die Bundesrepublik in den kommenden drei Jahren im Pro-Kopf-Verbrauch von Fleisch und Butter überholen zu wollen.

Doch die Umsetzung dieser großspurigen Ankündigung erfolgte nicht an allen Orten mit dem gleichen Engagement. Ostberlin wurde, durch seine Zugänglichkeit für Bundesbürger und westliche Ausländer, zum ,Schaufenster des Sozialismus’. Die Mangelwirtschaft war hier nur in abgeschwächter Form zu spüren, seine Einwohner in vielerlei Hinsicht privilegiert. Auch außerhalb einer direkten Einflussnahme durch die Politik unterlag die Esskultur der DDR und im besonderen die ihres Aushängeschilds Ostberlin besonderen Bedingungen. Voigt spricht in ihren aufschlussreichen Schilderungen des Alltags von einer ,Diktatur der Kellner‘ .27 Die Bediensteten der Restaurants und Gaststätten und in einem vergleichbaren Maße auch die Verkäuferinnen und Verkäufer des staatlich gelenkten Lebensmittelhandels, wussten als Überbleibsel des überwundenen kapitalistischen Systems innerhalb einer sozialistischen Gesellschaft die Macht ihrer paradoxen Position zu nutzen. Einerseits ein Relikt einer ständischen Klassengesellschaft, andererseits die Speerspitze des neuen Deutschlands, hatte das Personal die Anweisung, den Kunden oder Gästen gleichberechtigt gegenüberzutreten, was sich in einer konstanten Bevormundung, Zurechtweisung und Erniedrigung des Gegenübers manifestierte. „Der Kunde duckte sich unter ihr Zepter, tanzte nach ihrer Pfeife,” schreibt Voigt: „Aufbegehren zog Liebesentzug nach sich.”28

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