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Das soupierende Berlin

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Fontane ist nicht der einzige Schriftsteller, der den Wandel der städtischen Kultur mit wachsamen Auge und scharfem Kommentar verfolgt. Geschmack in Berlin sei eine Frage des plötzlichen Reichtums und nicht eine von gewachsenen Traditionen, befand auch der Autor L. von Nordegg, der 1907 in seinem Buch ,Die Berliner Gesellschaft‘ ein Bild des sozialen Status quo der Reichshauptstadt skizzierte.


Menükarte von 1905, Heimatmuseum Reinickendorf

Im Schlusskapitel nimmt er unter dem Titel ,Das soupierende Berlin‘ die Ausgehgewohnheiten vor allem der jüngeren Berliner ins Visier. „Wer vor ungefähr zwanzig, ja, noch vor fünfzehn Jahren abends zur Dinerstunde ein Berliner Restaurant im Frackanzug mit weißer Binde betreten hätte, wäre der Gefahr ausgesetzt gewesen, mit den Kellnern verwechselt zu werden” , beschreibt der Autor die gesellschaftlichen Verschiebungen. Früher sei man nach dem Besuch einer Theatervorstellung oder einer Revue nach Hause gefahren und habe sich nach einer kleinen Mahlzeit zu Bett begeben. Gegenwärtig sei es jedoch üblich, bis spät in die Nacht zu soupieren, also in den diversen Restaurants zu speisen. Das Leben in der französischen Hauptstadt wird hier als entscheidendes Vorbild genannt, dabei sei es in Paris eher ungewöhnlich, nach dem Theater ausgiebig zu speisen. Lediglich eine Tasse Schokolade oder ein Brötchen nehme man dort zu sich. „Nicht so in Berlin” , wie der Autor berichtet, „bei uns verlangt man konsistentere Befriedigung. Wenn einer unserer jungen Leute, die sich zur Jeunesse doree‘ rechnen, seiner Angebeteten nach dem Theater als Krönung des Abends eine Tasse Schokolade und ein Brötchen bei Kranzler anbieten wollte, würde er sich ihre Gunst wohl für alle Zeiten verscherzen.” Gegen elf Uhr Abends würden stattdessen ganze Schwärme junger Menschen die Restaurants der Leipziger Straße und Unter den Linden aufsuchen, um dort ausgiebig zu speisen.




Mittelalterlich anmutende Gestaltung von zeitgenössischen Biermarken

Von Nordegg vergleicht das Kaiserreich und Wilhelm II. mit dem zweiten französischen Kaiserreich (1825 bis 1870) unter Napoleon III. Hier wie dort fördere eine sprunghafte Entwicklung die Kombination angestrengtester Arbeit mit regster Sinnesfreudigkeit. Aber wie man in Berlin keine in sich gefestigte, zusammengehörig fühlende Gesellschaft habe, so fehle auch ein Milieu, das gesellschaftliche Leben im öffentlichen Raum zu gestalten. „Die Ansätze und die Prätentionen dazu sind da” , schreibt der Autor, „man versteht es indessen in Berlin längst noch nicht, sich mit Grazie zu amüsieren - und so setzt man vorläufig an die Stelle des Esprit und der Anmut nur das klobige materielle Geniessen.” 17

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