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Das Herz verlieren

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Das Leben des Herzens ist ein sehr geheimnisvoller Ort. Dennoch haben wir viele Ausdrücke, die uns helfen, diese Flamme der menschlichen Seele zu beschreiben. Einen Menschen ohne Barmherzigkeit nennen wir „herzlos“, und wir drängen ihn oder sie: „Hab doch ein Herz!“ Sitzengelassene Liebende haben ein „gebrochenes Herz“. Mutige Soldaten sind „beherzt“. Die wahrhaft Bösen haben ein „finsteres Herz“, und Heilige haben „Herzen aus Gold“. Wenn wir ein besonders persönliches Gespräch führen, reden wir uns etwas „vom Herzen“. „Leichten Herzens“ genießen wir unseren Urlaub. Und wenn wir jemanden so tief lieben, wie wir es nur vermögen, dann lieben wir ihn „von ganzem Herzen“. Aber wenn wir unsere Leidenschaft für das Leben verlieren, wenn uns eine Lustlosigkeit beschleicht, die wir nicht abstellen können, dann bekennen wir: „Ich bin einfach nicht mit dem Herzen dabei.“

Am Ende kommt es gar nicht darauf an, wie viel wir geleistet oder was wir erreicht haben – ein Leben ohne Herz ist es nicht wert gelebt zu werden. Denn aus dieser Quelle unserer Seele entspringt alle wahre Anteilnahme und alles sinnvolle Arbeiten, alle wirkliche Anbetung und alle Opferbereitschaft. Unser Glaube, unsere Hoffnung und unsere Liebe strömen ebenfalls aus dieser Quelle. Denn unser Herz ist der Ort, wo wir zuallererst die Stimme Gottes hören, und in unserem Herzen erkennen wir ihn und lernen in seiner Liebe zu leben.

Wir sehen also: Wer das Herz verliert, der verliert alles. Und ein „Verlust des Herzens“ ist eine treffende Beschreibung für die meisten Männer und Frauen unserer Zeit. Es sind nicht nur die Süchte und Affären und Depressionen und Leiden, obwohl es, weiß Gott, genug von alledem gibt, um selbst die Stärksten unter uns ihr Herz verlieren zu lassen. Aber dazu kommt die Geschäftigkeit, das Getriebensein, die Tatsache, dass es den meisten nur noch ums Überleben geht. Darunter fühlen wir uns rastlos, erschöpft und schutzlos.

Ja, die vielen Kräfte, die das moderne Leben antreiben, haben nicht nur das Leben unseres Herzens angegriffen, sie haben auch die Wohnstätte des Herzens zerstört – jenes Land des Geheimnisvollen und der Transzendenz, das wir als Kinder so gut kannten.

Ich (Brent) weiß noch, wie ich auf dem College in meinem Zoologie-Kurs saß und mein Professor mit erhobenen Armen – die Schweißflecken in den Achselhöhlen stolz exponiert – verkündete, das Grundproblem des Menschen sei es, dass er wie eine Blume riechen (oder sein) wolle statt wie ein Säugetier. In Physik schien es dem Professor besondere Befriedigung zu verschaffen, wenn er uns erklärte, dass die Schönheit von Sonnenuntergängen und Regenbögen nur durch die Brechung des Lichtes durch Wasser- und Staubpartikel in der Luft zu Stande käme. Es war, als hätte sich das Wunder des Lichtes selbst durch diese Erklärungen irgendwie in Luft aufgelöst. Ich erinnere mich, wie ich jene Professoren des Zeitalters der Vernunft mit einem Gefühl des Verlustes verließ, als sagte ich mir: „Ach, mehr steckt also nicht dahinter.“ Die Botschaft meiner Lehrer war klar: Wenn wir erst einmal unseren unnützen Mystizismus und Aberglauben abgelegt hätten, würde der Fortschritt der Menschheit ungehindert voranschreiten.

Wir alle haben diese Erfahrung irgendwann gemacht, ob wir nun gerade von unseren Lehrern kamen, von unseren Eltern, aus einem Gottesdienst oder von einem sexuellen Erlebnis; dieses Gefühl, dass etwas Wichtiges, vielleicht das einzig Wichtige wegerklärt oder beschmutzt worden und für immer verloren gegangen war. Stück für Stück oder in großen Brocken hat das Leben das Terrain erobert, das dazu bestimmt war, das wilde, ursprüngliche Leben des Herzens zu bewahren und zu nähren, und das Herz gezwungen, sich wie eine gefährdete Tierart in kleinere, abgelegenere und oft dunklere Gefilde zurückzuziehen, um zu überleben. Dabei ist etwas verloren gegangen, etwas Lebenswichtiges.

Denn was sollen wir anfangen, wenn wir eines Tages aufwachen und feststellen, dass wir den Kontakt zu unserem Herzen und damit zu der Zuflucht verloren haben, in der Gottes Gegenwart residiert?

Schon früh hat das Leben uns alle gelehrt, die tiefsten Sehnsüchte unseres Herzens zu ignorieren und ihnen zu misstrauen. Meist lehrt uns das Leben, unsere Sehnsucht zu unterdrücken und nur in der äußeren Welt zu leben, wo Effizienz und Leistung alles sind. Von Eltern und Gleichaltrigen, in der Schule, bei der Arbeit und selbst von unseren geistlichen Mentoren haben wir gelernt, dass von uns etwas anderes erwartet wird als unser Herz, das heißt, etwas anderes als das, was wir im tiefsten Inneren sind. Nur sehr selten werden wir dazu eingeladen, aus unserem Herzen zu leben. Wo man uns haben will, da will man uns oft wegen der Funktion, die wir zu bieten haben. Wenn wir reich sind, finden wir Anerkennung für unseren Wohlstand; wenn wir schön sind, für unser Aussehen, wenn wir intelligent sind, für unser Hirn. So lernen wir nur das von uns anzubieten, was auf Zustimmung stößt, und geben eine sorgfältig inszenierte Vorstellung, um von den Leuten akzeptiert zu werden, die für uns das Leben darstellen. Wir riegeln uns ab von unserem Herzen und fangen an, ein Doppelleben zu führen. Frederick Buechner schildert dieses Phänomen in seinem autobiografischen Buch Telling Secrets:

„[Unser] ursprüngliches glänzendes Ich wird so tief vergraben, dass wir kaum noch daraus leben … stattdessen lernen wir aus all den anderen Ichs heraus zu leben, die wir ständig an- und ausziehen wie Mäntel und Hüte, um dem Wetter der Welt zu begegnen.“

Das ist die äußere Geschichte unseres Lebens. Das ist das Leben, das jeder sieht, unser Leben in Arbeit und Spiel, in der Gemeinde, der Familie und mit Freunden, im Bezahlen von Rechnungen und im Älterwerden. Unsere äußere Geschichte ist der Ort, wo wir die Identität formen, die die meisten anderen kennen. Sie ist der Ort, wo wir gelernt haben, einander auf eine Art und Weise zu etikettieren, die besagt, dass wir unser Endziel erreicht haben. Robert ist Buchhalter; Maria arbeitet für die Regierung; Fred ist Anwalt. Die Schmidts sind die Familie mit dem gepflegten Rasen und den netten Kindern; die Müllers sind jene Leute, deren Kinder ständig in Schwierigkeiten sind. Geschäftigkeit ersetzt Sinn, Effizienz ersetzt Kreativität und funktionelle Beziehungen ersetzen Liebe. Im äußeren Leben leben wir aus dem Soll (ich sollte das tun) statt aus dem Verlangen (ich will das tun), und Management ersetzt Mysterium. Es gibt drei Schritte zu einer glücklichen Ehe, fünf Wege, um das Portfolio zu verbessern, und sieben Gewohnheiten, die zum Erfolg führen.

Natürlich besitzt auch diese äußerliche Welt eine geistliche Dimension in unserem Verlangen, Gutes zu tun, aber die Gemeinschaft mit Gott wird ersetzt durch Aktivität für Gott. In der äußeren Welt bleibt wenig Zeit für tiefe Fragen. Mit dem richtigen Plan kann alles im Leben gemanagt werden … alles, außer dem eigenen Herzen.

Das innere Leben, die Geschichte unseres Herzens, ist das Leben jener tiefsten Orte in unserem Innern, unserer Leidenschaften und Träume, unserer Ängste und unserer tiefsten Wunden. Es ist das unsichtbare Leben, das Geheimnis in uns – das, was Buechner unser „glänzendes Ich“ nennt. Das lässt sich nicht managen wie eine Firma. Das Herz reagiert nicht auf Prinzipien und Programme; es ist nicht auf Effizienz aus, sondern auf Leidenschaft. Kunst, Dichtung, Schönheit, Mysterium, Ekstase: das sind die Dinge, die das Herz zum Leben erwecken. Ja, sie sind die Sprache, die man sprechen muss, wenn man mit dem Herzen kommunizieren möchte. Darum gab Jesus seine Botschaft weiter, indem er den Menschen Geschichten erzählte und Fragen stellte. Ihm ging es nicht nur darum, ihren Verstand anzusprechen, sondern er wollte ihre Herzen gewinnen.

Ja, wenn wir nur zuhören, so werden wir in jedem Moment unseres Lebens durch unser Herz den Ruf einer Göttlichen Romanze vernehmen. Sie flüstert uns zu im Wind, sie lädt uns ein durch das Lachen guter Freunde, sie streckt uns die Hand entgegen durch die Berührung eines Menschen, den wir lieben. Wir hören den Ruf in unserer Lieblingsmusik, wir spüren ihn in der Geburt unseres ersten Kindes, wir werden zu ihm hingezogen, wenn wir die Pracht eines Sonnenuntergangs über dem Meer beobachten. Sogar in Zeiten großen persönlichen Leids ist die Romanze gegenwärtig: in der Krankheit eines Kindes, in dem Verlust einer Ehe, im Tod eines Freundes. Etwas ruft nach uns durch solche Erfahrungen und erweckt tief in unserem Herzen eine unstillbare Sehnsucht, eine Sehnsucht nach Intimität, Schönheit und Abenteuer.

Diese Sehnsucht ist der stärkste Teil jeder menschlichen Persönlichkeit. Sie treibt uns an auf unserer Suche nach Sinn, nach Ganzheitlichkeit, nach dem Gefühl, wahrhaft lebendig zu sein. Wie auch immer wir dieses tiefe Verlangen beschreiben mögen, es ist das Wichtigste, was wir haben, unser innerstes Herz, die Leidenschaft unseres Lebens. Und die Stimme, die uns von diesem Ort aus ruft, ist keine andere als die Stimme Gottes.

Und diese Stimme können wir nicht hören, wenn wir den Kontakt zu unserem Herzen verloren haben.

Die wahre Geschichte eines jeden Menschen in dieser Welt ist nicht die Geschichte, die man sieht, die äußerliche Geschichte. Die wahre Geschichte jedes Menschen ist die Reise seines Herzens. Jesus selbst wusste, dass Menschen, wenn sie nur in der äußeren Geschichte leben, irgendwann ihr inneres Leben, das Leben ihres Herzens, das er erlösen wollte, aus den Augen verlieren. Es waren gerade die religiösen Menschen seiner Zeit, die Jesus am eindringlichsten vor dem Verlust ihres Herzens warnte.

Es ist für jeden Menschen tragisch, wenn er den Kontakt zum Leben seines Herzens verliert. Besonders tragisch ist dies aber für die, die diesen Ruf in ihrem Herzen einmal gehört und als die Stimme Jesu von Nazareth erkannt haben. Wir erinnern uns vielleicht noch daran, wie er uns zu einem Leben voller Schönheit, Intimität und Abenteuer einlud, das wir verloren zu haben glaubten. Andere von uns hatten, als er uns rief, zum ersten Mal in unserem Leben das Gefühl, als hätte unser Herz endlich eine Heimat gefunden. Wir antworteten im Glauben, in Hoffnung und in Liebe und traten die Reise an, die wir das christliche Leben nennen. Jeder Tag schien ein neues Abenteuer zu sein, als wir mit Gott an unserer Seite die Welt neu entdeckten.

Doch bei vielen von uns verebbten die Wellen der ersten Liebe im Wirbelwind christlicher Dienste und Aktivitäten, und allmählich entglitt uns die Romanze. Mit der Zeit fühlte sich unser Glaube immer mehr an wie eine Reihe von Problemen, die gelöst werden mussten, oder wie Prinzipien, die beherzigt werden mussten, bevor wir endlich Anteil an dem überfließenden Leben haben konnten, das uns von Christus versprochen wurde. Wir verlagerten unser geistliches Leben in die äußere Welt der Aktivität, und innerlich gerieten wir ins Treiben. Wir spürten, dass etwas nicht stimmte, und vielleicht versuchten wir es in Ordnung zu bringen – indem wir an unserem äußeren Leben herumreparierten. Wir versuchten es mit der neuesten geistlichen Mode, mit einer neuen Gemeinde, oder wir verdoppelten einfach unser Engagement, um den Glauben zum Funktionieren zu bringen. Doch trotz alledem waren wir erschöpft, abgestumpft oder einfach gelangweilt. Andere unter uns stürzten sich in Geschäftigkeit, ohne lange danach zu fragen, worauf all diese Aktivität hinauslaufen sollte. In meiner eigenen geistlichen Reise kam ich an einen Punkt, an dem ich mir die folgende Frage stellte: „Was soll ich denn nur tun, um das geistliche Leben auf eine Weise zu leben, die sowohl wahrhaftig als auch leidenschaftlich lebendig ist?“

Was wir auf diesen Seiten zum Ausdruck bringen wollen, ist einfach dies: Unser Herz sagt uns die Wahrheit – es fehlt wirklich etwas!

Ganz leise wirbst du um mein Herz

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