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Vorwort von Fernando Enns

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Nur wenigen Büchern ist es vergönnt, noch zu Lebzeiten des Autors zum „Klassiker“ zu werden. John Howard Yoder gelang dies – freilich ohne Absicht – mit diesem Buch bereits in der ersten Auflage (1972). Ganze Generationen von Theologinnen und Theologen – bei weitem nicht nur aus der friedenskirchlichen Tradition – behaupten inzwischen, dies sei in ihrer gesamten theologischen Bildung zur bahnbrechenden Lektüre geworden. Die Zeitschrift Christianity Today zählte im Jahr 2000 Die Politik Jesu gar zu den zehn wichtigsten theologischen Büchern des 20. Jahrhunderts überhaupt.

Das liegt sicherlich nicht zuletzt darin begründet, dass Yoder in unvergleichlicher Einfachheit die These vertritt, dass das Leben und die Lehre Jesu relevant sind für die sozialpolitische Gestaltung der Gesellschaft. Wer Christus bekennt und die Wahrheit des Hereinbrechens seines Reiches glaubt, findet in den Zeugnissen des Neuen Testaments einen deutlich vorgezeichneten Aufruf zum Leben einer entsprechenden „messianischen Ethik“.

Yoder lässt sich nicht zuerst auf eine durch Jahrhunderte dogmengeschichtlich geprägte Christologie ein, noch vertraut er einer individualisierten, nach innen gerichteten Christusfrömmigkeit. Er behauptet schlicht: Das Evangelium von Jesus Christus ist eine Einladung zur Teilhabe am Reich Gottes. Die Annahme dieser Einladung verwirklicht sich in der konkreten Nachfolge Christi, die sich in jedem gegebenen und vorfindlichen politischen Kontext zuerst von dieser Größe ausgerichtet weiß. Das findet seine Entfaltung in der aktiven (!) Gewaltfreiheit, der Relativierung aller politischen Kräfte und Mächte sowie einer stets kritischen Solidarität gegenüber jeder Form von Regierung. Ein Hang zur Werkgerechtigkeit oder die Gefahr der Gesetzlichkeit kann einer solchen Ethik kaum vorgeworfen werden, denn sie weiß sich erst durch die Rechtfertigung allein aus Gnade durch den Glauben hierzu befreit. Die Botschaft von Jesus Christus (von der Inkarnation über das Leben und Sterben am Kreuz, bis hin zur Auferstehung) zielt – so Yoder – auf die Gestaltung dieser Welt und will als realistische Option inmitten der politischen Debatte verstanden werden.

In den internationalen wie innergesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu Beginn der 1970er Jahre musste eine solche „Provokation“ auf fruchtbaren Boden fallen. Im Grunde konnte es sich niemand leisten, dieser Herausforderung zum radikalen Ernstnehmen des Lebens Jesu auszuweichen: die Vertreter einer christlichen (nicht unbedingt jesuanischen) Ethik, die stets um die angepasste Übersetzung in die scheinbaren „Realitäten“ der politischen Umstände bemüht waren, ebenso wenig wie jene, die solch konsequente Lebensführung allein im Rückzug aus der Gesellschaft für lebbar hielten. Und für alle, die sich in ihrem christlichen Glauben längst bequem eingerichtet und mit den jeweiligen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten arrangiert hatten, musste diese schlichte These ohnehin zum Ärgernis werden.

Entsprechend umfangreich und zum Teil höchst kritisch fielen die Reaktionen denn auch aus. Die Vorwürfe reichten von mangelndem exegetischen Sachverstand über „schlechte“ – weil die vielen wichtigen theologischen Schulen kaum berücksichtigende – Theologie, bis hin zu naivem Schwärmertum oder auch einer viel zu politisch-konkreten Auslegung des Evangeliums. – Im Grunde hatte Yoder damit erreicht, was einem Theologen wichtig sein muss: nicht zuerst die Auseinandersetzung mit irgend einer neuen Variation von Thesen. Vielmehr sahen sich alle Lager, ob konservativ oder progressiv, ob hochkirchlich oder kongregationalistisch ausgerichtet, ob eher ökumenisch-weltoffen oder evangelikal-innergemeindlich orientiert, anhand dieses Buches erneut der Provokation ausgesetzt, die sich in der Begegnung mit dem Leben Jesu selbst stellt. – Und eben das fasziniert letztlich.

Es dauerte mehr als zwanzig Jahre, bis John H. Yoder sich zu einer erweiterten Neuauflage überreden ließ, auf einige der Vorwürfe und Diskussionen eingehend, aber der ursprünglichen Aussage treu bleibend. In der englischsprachigen Welt gehört The Politics of Jesus längst in die Kern-Curricula der größten theologischen Schulen. Theologen aus nicht-mennonitischem Hintergrund haben Yoder neu entdeckt und interpretiert, vor allem Stanley Hauerwas, und so zu einer regelrechten Renaissance des Werkes im 21. Jahrhundert beigetragen. Unzählige Dissertationen sind zur Theologie Yoders verfasst worden, viele weitere sind in Arbeit, ein Ende ist nicht abzusehen. Keine davon lässt dieses Schlüsselwerk des Autors aus, auch wenn die dort zugrunde gelegten exegetischen Erkenntnisse längst durch neuere Forschungsergebnisse zu ergänzen wären. Der schlichten, manchmal aufregenden, manchmal ärgerlichen Provokation an sich tut das keinen Abbruch.

Ich habe es in den vielen Begegnungen innerhalb des deutschsprachigen Raumes stets bedauert, dass die Neuauflage gerade dieses so wirkmächtigen Buches nicht ins Deutsche übersetzt worden ist: in ökumenischen Begegnungen, in denen die mennonitisch-friedenskirchliche Position verdeutlicht werden sollte, in theologischen Auseinandersetzungen mit Mainstream-Ansätzen zur Christologie, in polarisierten Debatten zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethikern – gerade hinsichtlich der Möglichkeit zur Gewaltfreiheit, in der Lehre mit Studierenden, auch in der Darstellung einer dezidierten Position christlicher Ethik im interreligiösen Dialog. – Diese Lücke ist mit der hier vorliegenden Übersetzung geschlossen. Dafür bin ich dem Verlag sehr dankbar.

Fernando Enns

Die Politik Jesu

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