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Vorwort von Jürgen Moltmann

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Mit der längst fälligen deutschen Übersetzung dieses Buches von John Yoder kommt endlich die mennonitische, „täuferische“ und friedenskirchliche Stimme in unseren gegenwärtigen theologischen und politischen Diskussionen zu Gehör. Das ist in mehrfacher Hinsicht von großer Bedeutung:

1. Es ist höchste Zeit, dass die evangelische Theologie und die evangelischen Landeskirchen in Deutschland ihre vierhundert Jahre alten Vorurteile gegenüber dem „linken Flügel“ der Reformation revidieren und die Verurteilung der angeblichen „Schwärmer“ und „Rottengeister“ aufheben. Auch diese radikalen Gruppen der Reformation gehören zur Reformation und sind Zeugen des Evangeliums Christi. Wie mächtig jedoch uralte Vorurteile sind und wie schwer es ist, sie aufzuheben, zeigte sich 1980 bei der 450. Jahrfeier der Confessio Augustana in Augsburg: ökumenisch war nur das Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche im Blick, die „Täufer“ wurden sowohl historisch wie gegenwärtig vergessen. Es war den Veranstaltern viel daran gelegen, die römische Verurteilung der Reformationskirchen aufzuheben. Sie dachten aber nicht daran, die in ihrem eigenen Bekenntnis ausgesprochenen Verdammungen der „Täufer“ aufzuheben oder auch nur zur Diskussion zu stellen. Verdammen kann man nur, wenn man seines Urteils ganz gewiss ist. In der Frage der Kindertaufe (Confessio Augustana Art. IX), der Bewahrung bis ans Ende (Art. XII), der Todesstrafe und des gerechten Krieges (Art. XVI) sowie der Allversöhnung und des Chiliasmus (Art. XVII) ist die Diskussion sowohl exegetisch wie systematisch weiter gegangen. Die Verdammungsurteile der Confessio Augustana lassen sich nicht mehr aufrecht erhalten. Die Schwerfälligkeit der Landeskirchen, sich für das Zeugnis der täuferischen Gemeinden zu öffnen, ist auch in historischer Schuld begründet, wurden diese doch in der Reformationszeit von evangelischen und katholischen Kirchen und Obrigkeiten gemeinsam verfolgt, unterdrückt und ausgerottet!

In John Yoders Buch kommt das mennonitische Zeugnis des Evangeliums so klar zum Ausdruck, dass wir im Blick auf diese Verurteilungen und Verfolgungen beschämt und zugleich von dieser Last der Vergangenheit befreit werden.

2. Evangelische Theologie versteht sich als Theologie, die allein und ganz dem Evangelium verpflichtet ist, wie es in der Heiligen Schrift bezeugt ist. Der Stachel im Evangelium aber ist Jesu Bergpredigt. Wie kommt es, dass nach Kreuzigung und Auferstehung Jesu und nach der Verkündigung vom darin offenbaren Heil durch die Urgemeinde und durch Paulus die synoptischen Evangelien noch einmal auf den irdischen Jesus zurückkommen, sein Evangelium vom Reich für die Armen erzählen, seinen Weg in die Passion für die Glaubenden und ihre Nachfolge verbindlich machen und also die Glaubenden in die Gemeinschaft mit dem Volk Jesu bringen? Die Bergpredigt ist mit ihrer bedingungslosen Seligpreisung der Armen, Hungrigen und Weinenden und mit ihrem rücksichtslosen Anspruch auf Feindesliebe und Gewaltlosigkeit immer ein Ärgernis in der Geschichte von Theologie und Kirche gewesen. Im Mittelalter half man sich mit der Verteilung der Nachfolgeethik für die Orden und einer allgemeinen Naturrechtsethik für die Weltchristenheit. Die reformatorische Theologie verinnerlichte die Seligpreisungen und verdrängte die Forderungen auf das private Leben im Rahmen der jeweiligen politischen Ordnung. Auch die neue Begründung der christlichen Ethik auf die Herrschaft Christi über das ganze Leben (Karl Barth) lassen den irdischen Jesus und die Nachfolge zurücktreten. Selbst Dietrich Bonhoeffer wandte sich von der Nachfolgeethik, die er 1938 wiederentdeckt hatte, ab, als er in den aktiven Widerstand gegen die Hitlerdiktatur ging. Mit John Yoders Buch über die „Politik Jesu“ gewinnen wir einen neuen Zugang zum irdischen Jesus, zum Weg Jesu und zu einer Christopraxis, ohne die der auferstandene Herr und die Christologie nicht verstanden werden können. Yoder zählt sich selbst zur exegetischen Schule des „biblischen Realismus“. Manche seiner neutestamentlichen Thesen mögen heute umstritten sein, wie zum Beispiel die historische These vom Jubeljahr, das Jesus in Nazareth ausgerufen hat, oder die „Theologie der Mächte“, die Yoder bei Paulus findet. Aber unumstritten ist sein Gedanke von der „messianischen Ethik“ Jesu und weiterführend ist seine Auslegung der Bergpredigt von der Praxis damals zur Praxis heute. Denn durch die Bergpredigt wird unsere Wirklichkeit nicht nur anders interpretiert, sondern vielmehr verändert. Sie wird verändert, weil sie im Anbruch des Reiches Gottes erfahren wird.

3. Der Friedensdienst der Kirche Christi ist heute aktueller denn je. Nachdem die europäische Entspannungspolitik der Großmachtpolitik der Supermächte zu weichen beginnt, werden die alten Fronten wieder aufgerichtet. Was dient dem Frieden: „Ohne Rüstung leben“ und also Abrüsten oder „den Frieden sichern“ und also Nachrüsten zwecks Abschreckung potenzieller Feinde? Unter den Bedingungen atomarer Weltvernichtung können die alten Traditionen des „gerechten Krieges“ oder der optimistische Pazifismus nichts mehr sagen. Keiner kann sicher sein, dass seine Entscheidung dem Frieden und nicht dem Krieg dient. Die Risiken sind auf beiden Seiten unübersehbar geworden. Darum wird von Theologen und Kirchen auch nicht eine bessere Kalkulation der Gefahren erwartet, als die Regierenden leisten können, sondern moralische Vollmacht und eine Hoffnung, die gewiss macht. Doch wo ist der Ansatzpunkt dafür?

John Yoder fordert uns mit diesem Buch auf, in der Nachfolge Jesu zu handeln und im Horizont des anbrechenden Reiches Gottes zu urteilen. Auf diesem Weg erschließt sich die „Politik Jesu“. Die Nachfolge Jesu kann nur mit ganzer Seele, ganzem Herzen und allen Kräften angetreten werden. Sie ist ungeteilt und unteilbar. Die Nachfolge Jesu ist teure Gnade (Bonhoeffer): Sie schließt Verachtung, Verfolgung, Folter und Hinrichtung nicht aus, sondern ein. Wehrlosigkeit und Leidensbereitschaft gehören zusammen. Das haben die Täufer immer gewusst. Sie sind aber nur die Kehrseite des schöpferischen Lebens für den Frieden im Anbruch des Reiches Gottes. Das Nein zu Rüstung, Abschreckung und Kriegführung ist immer nur die Kehrseite eines größeren und umfassenderen Ja zum Leben. Christen aus allen kirchlichen, theologischen und politischen Lagern können von den Mennoniten lernen, was aktiver Friedensdienst in unserer Weltsituation heißt.

Tübingen, 7. März 1981 Jürgen Moltmann

Die Politik Jesu

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