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3. ABSCHLUSSREDE ZUR OKTOBERKLASSE 1898

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Journal of Osteopathy (V), 1898, S. 325–330.

Durch den Auftrag meiner Kollegen und die besondere Einladung der Graduiertenklasse wurde mir die Ehre zuteil, Sie mit einigen Worten zum Erreichen dieser hohen Stellung zu beglückwünschen. Ich erinnere mich, dass der berühmte Wissenschaftler Sir William Thompson Lord Kelvin in seiner Abschlussrede vor der Graduiertenklasse sagte: „Meine Herren, ich gehöre zu Ihrer Klasse, ich bin, wenn Sie so wollen, das Seniormitglied Ihrer Klasse.“ Und in einem solchem Geist – also nicht mit der Autorität Ihres Meisters und Lehrers, sondern als Ihr Kamerad – darf, wie ich hoffe, auch ich Ihnen meine Glückwünsche an Sie entbieten. Meine Pflicht ist teilweise eine persönliche und teilweise erfülle ich sie im Auftrag meiner Kollegen, in deren Namen ich all die Sie betreffenden guten Wünsche und Hoffnungen, aber auch die Befürchtungen zum Ausdruck bringe, die den Geist jedes ehrlichen Lehrers stets bewegen.

Sie treten hinaus in die große Arena des Lebens, um nie mehr zurückzukehren in den Klassenraum, der so voll ist von angenehmen Erinnerungen. Nun müssen Sie den Lebenskampf in einer neuen Profession aufnehmen. Sie werden spüren, wie Lebensfreundschaften sich bilden und zerbrechen, wie Verbindungen abreissen, um irgendwann im Leben vielleicht erneut geknüpft zu werden oder für immer beendet zu sein. Sie waren in hohem Maß abhängig von der Leitung Ihrer Lehrer, jetzt müssen Sie alleine stehen. Und ich möchte Sie bitten, die begonnenen Studien fortzusetzen und mit dem Fortschritt des Wissens und der Weiterentwicklung Ihrer Wissenschaft Schritt zu halten. Vorlesungen sind sicher nicht zu verachten, aber Sie müssen Ihre Vorlesungen nun aus Büchern holen. Erinnern Sie sich an Miltons Worte in seiner ikonoklastischen Rede für die Freiheit, unzensierte Texte zu drucken:

„Ein gutes Buch ist das kostbare Lebensblut eines meisterlichen Geistes, einbalsamiert und als Schatz aufbewahrt für ein Leben danach.“

Es liegt eine Faszination in der Literatur Ihrer Wissenschaft. Denken Sie jedoch daran, dass Sie in Experimenten, Tatsachen und Beobachtungen das Buch der Natur, des Physischen und Menschlichen, vor sich liegen haben – und die Wahrheit selbst, wie sie aus den lebendigen Quellen gesammelt wurde. Für jeden wahrhaften Beobachter sind das die unauslöschlichen Literaturseiten. Erinnern Sie sich, dass der großartige Gründer dieser großartigen Wissenschaft in den Wäldern, ja sogar unter den Sternen anhand von Skeletten und allerlei zerlegten Knochen für seinen eigenen Geist die Wissenschaft der Osteopathie formulierte. Er brachte Leben in diese trockenen Knochen, verband Sehne mit Sehne, Gelenk mit Gelenk, fügte das Blut und die Lymphe und zuletzt das Leben selbst hinzu – und präsentierte uns ein komplett artikulierendes Skelett, ja einen vollständig lebendigen Körper.

John Hunter, neben dem kein mächtigerer Genius eine Rolle im Bereich von Biologie und medizinischer Wissenschaft spielt, pflegte zu seinen Studenten zu sagen: „Denken Sie nicht, sondern versuchen Sie!“ Freilich wollte er Ihnen damit nicht etwa von intellektueller Betätigung oder vom Denken abraten, denn er selbst war ja unaufhörlich aktiv. Was er meinte, war, dass alle intellektuelle Aktivität konkrete Arbeit im Bereich des Experiments und der Beobachtung bedeutet. Sehr gut drückte das ein großer Mediziner in seiner Einführungsvorlesung für seine Studenten aus:

„Wie können wir Ihnen wirksam die flüchtigen Phänomene von Krankheit beibringen, wenn Sie nicht selbst die entsprechenden Phänomene von Gesundheit erforscht haben?“

In den vergangenen Jahren hat sich im Bereich der Forschung sehr viel getan. Dadurch wird die Medizin weiter und weiter aus dem Reich der Hypothesen und des Dogmatismus herausgeführt und auf ein festes Fundament aus Tatsachen gestellt. Die Diagnose wird immer perfekter – vor allem dadurch, dass man sie in eine enge Beziehung zu physiologischem und pathologischem Wissen über gesunde und krankhafte Zustände bringt. Was früher eine hypothetische Läsion war, kann heute durch den Kardiografen, das Ophthalmoskop und den Röntgenapparat nachgewiesen werden. Dass sie die Diagnose vom Ideal in etwas wahrhaft Reales verwandelt hat, war vielleicht der größte Beitrag der Osteopathie zur medizinischen Wissenschaft. Nur durch Perfektionierung der Diagnose kann unsere Wissenschaft aus der Dämmerung ins Tageslicht fortschreiten. Es wird enorme Liebesmühen, vielfache Beobachtungen und Experimente im genuinen Geist der exakten physikalischen Wissenschaft erfordern, um diesen Fortschritt zu vollbringen.

Lernen Sie, Ihre Augen und Ohren zu gebrauchen. Sie müssen geradezu lauern auf Wissen und auf jede Gelegenheit, es zu erwerben. Verfolgen Sie die Wissenschaft und üben Sie Ihren Beruf jenseits reiner Pflichterfüllung aus. Betrachten Sie ihn nicht lediglich als Mittel, um Ihre Existenzgrundlage zu sichern oder als Goldgrube. Machen Sie ihn nicht zu einer Straße des persönlichen Ruhmes oder zum Instrument praktischer Nächstenliebe. Emersons Ideal war großartig:

„Dies Noblem zu dienen hilf ihnen,

die sich nicht selbst helfen können.

Und bewahre sie davor,

vom rechten Weg abzukommen.“

Es liegt eine ganz eigene Heiligkeit in der Wissenschaft und Kunst der Heilung. Sie müssen sich den erschütterndsten Szenen stellen, die Sterbliche jemals zu sehen bekommen, und das große Vertrauen empfangen, dass Menschen geben können. Können Sie sagen, woher das Leben kommt, wohin es geht und welchem Zweck es dient? Wenn Sie Ihre Hände auf einen Kranken legen, dann tun Sie das so ehrfürchtig, als würden Sie den Urmechanismus von Erde und Himmel berühren, den Körper des Menschen, die vollkommenste Verkörperung göttlicher Weisheit. Denken Sie stets daran, dass Ihr Beruf auch vom wissenschaftlichen Standpunkt aus gesehen untadelig ist. Die reine Liebe zur Wissenschaft um der Wissenschaft willen ist ein edles Ideal. Tausende von Jahren sind vorbeigezogen, hinein in das Geheimnis des für alle Zeit Vergangenen, damit Sie diese Wissenschaft kennenlernen können. Die Wissenschaft aus Tausenden von Jahren hat im Vorüberziehen ihr üppig beschriebenes Blatt entrollt, damit die Beute der Zeit Sie bereichern möge. Was werden Sie tun mit diesen Schätzen, die in Ihren Händen liegen? Ein verwöhntes Kind der Wissenschaft werden? Oder der heroische Meister der jüngsten Wahrheit? Lassen Sie nicht zu, dass der fluchwürdige Hunger nach Gold42 das Wesentliche in Ihrem Leben auffrisst! Sie sollten den Ehrgeiz haben, den Wettlauf um Ruhm zu gewinnen, der nicht vergiftet ist von der Gier nach Ruhm. Milton sagt:

„Ruhm ist der Ansporn eines frischen Geistes jenes unsägliche Gebrechen eines noblen Verstandes; Verachte leichte Freuden und lebe produktive Tage.“

Hoch über Ruhm, Reichtum und sogar Ehre steht der Geist der Selbstaufopferung, der Hingabe und der Pflichterfüllung, wenn Sie Ihr eigenes Lebens und Ihre Wissenschaft makellos bewahren wollen. Heute ist es gottlob nicht mehr möglich, einen Menschen zu verurteilen, weil er nicht wie seine Väter glaubt, denn dies ist das Tageslicht der wahren Wissenschaft. Obgleich Bacon ihn als seines großen Geistes nicht würdig außer Acht ließ, glauben wir an den Blutkreislauf – weil er längst keine Theorie mehr ist, sondern eine bewiesene Tatsache, gestützt durch intensive Forschung. Wahrheit hält sich selbst aufrecht durch die schiere Kraft ihrer eigenen inhärenten Standfestigkeit. Verbale Nötigung ist ebenso grausam wie die Inquisition, professionelle Tyrannei ebenso blutdürstig wie der Spanier – und ebenso sicher zum Fallen verurteilt, dank des unaufhaltsamen Fortschritts aufgeklärter Freiheit.

Schon vor langer Zeit begann die alte Wissenschaft der Medizin, repräsentiert durch Medikamente, unter den Angriffen der Skepsis zu stürzen, die stets der Wahrheit vorausgeht. Sogar Schulmediziner haben in den vergangenen 50 Jahren die sogenannten orthodoxen Heilmittel in Frage gestellt. Und andere haben im Dunkeln nach irgendetwas getappt. Doch nun ist das positive Stadium erreicht worden, denn was die Skepsis nur in Frage stellen kann, vermag allein der Genius durch Neues zu ersetzen. Ich glaube, es gibt kein eindeutigeres Kennzeichen für Freiheit, als wenn ein Mensch fühlt, dass er seine Seele sein Eigen nennen und seinen Seelenfrieden besitzen kann, wenn andere ihn verfolgen und verleumden. In Molieres Stücken finden wir das unnachahmlich gezeichnete Bild eines Menschen, der von Natur aus ein Halbnarr war und durch Kunst in einen Arzt verwandelt wurde. Sein Geist wurde, wie es Goethe treffend formulierte, völlig gebrochen und in Spanische Stiefel eingeschnürt. „Nach vielen Hammerschlägen auf das Eisen“, wie Moliere sagt, bekam er sein Diplom. Doch seine höchste Empfehlung war, dass er sich blind an die Meinungen seiner Vorväter hielt. Ich hoffe, dass man das von Ihnen niemals sagen kann.

1566 startete die medizinische Fakultät in Paris jene Bewegung, die durch Dr. Stills Werk von Erfolg gekrönt worden ist. In einem einstimmigen Beschluss akzeptierten sie damals eine Resolution, die u. a. Folgendes feststellte:

„Das Gegenmittel ist schädlich und zu den Giften zu zählen. Auch durch irgendeine andere Aufbereitung lässt es sich nicht so verändern, dass es ohne Schädigung eingenommen werden könnte.“

1615 verbot dieselbe Fakultät den Medikamentenverkauf und rief alle Richter dazu auf, streng mit jenen zu verfahren, welche die besagten Medikamente dennoch verschrieben, verabreichten oder zum Verkauf anboten. Beide Gesetze wurden vom Französischen Parlament ratifiziert und blieben über 100 Jahre in Kraft.


ABB. 3: ANDREW TAYLOR STILL (1899)

Entdecker der Osteopathie

Wir wollen Dr. Still nichts von der Ehre rauben, die ihm gebührt. Wir glauben nicht, dass die Osteopathie im antiken Griechenland oder sonst wo existierte, bis die stille, aber unbesiegbare Begeisterung dieses wahren Genius aus dem Mississippi-Tal an die Tür der Wahrheit klopfte, Eingang fand und in seiner unnachahmlichen Art eine neue Wissenschaft des Heilens hervorbrachte, die bis dahin in der Welt unbekannt gewesen war. Es ist absurd anzunehmen, die alten Griechen hätten irgendetwas über Osteopathie gewusst, denn sie kannten die fundamentalen Prinzipien nicht, auf denen sie aufgebaut ist. Aristoteles, den kein anderer Philosoph überragt, schrieb dem Gehirn keinen anderen Zweck zu als die Produktion von Gleitflüssigkeit für die Augen. Wenn die Osteopathie etwas darstellt, dann ist es die krönende Bekanntschaft mit dem Nervensystem und insbesondere mit dem Gehirn als dem Labor der Natur, in dem alle Bewegungen des Körpers und des Geistes geplant und von dem aus sie alle durchgeführt werden. Es war der Osteopathie in den Händen ihres berühmten Gründers vorbehalten, das Blut nicht nur als das Hilfsmittel des Lebens zu behandeln, als den Faden, der die verschiedenen Gewebe des Körpers unter der Leitung und Führung des Nervengewebes zu einem Ganzen zusammenfügt, sondern es ebenso wie die Nervensubstanz als das Arzneimittel der Natur zu betrachten.43

Die Osteopathie krönt den Menschen mit einem besonderen Ruhm. Auf einer der Piazzas der Natur stehend, hinausblickend auf die Arena der Natur und des Lebens, ist er der Meister der Natur. Das Leblose und Vernunftlose überragend ist er sich all dessen bewusst, was um ihn und sogar in ihm selbst ist. Im Menschen existiert nicht nur Lebenskraft, sondern auch Geisteskraft, die sich entwickelt und ausdehnt – beschränkt allein durch die Endlichkeit menschlichen Seins. Alles, was wir darüber sagen können, ist:

„Es kommt, es geht als flüchtig göttliche Flamme.

Das Leben zu leben gilt es dem Menschen – nicht es zu beschränken.“

In jedem Zeitalter und Land sind die wahrhaft Großen dazu ausersehen, unsterblich zu werden. Heute ist die Welt am meisten den Wahrheitssuchern verpflichtet, die Vorreiter des menschlichen Fortschritts waren. In diesem letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts nähern wir uns der Dämmerung eines ganz erstaunlichen Fortschritts, weil wir in eine Ära eintreten, in der vergangene Fehler verblassen, vergangene Leistungen jedoch im Lichte des Fortschritts der Menschlichkeit und Brüderlichkeit doppelt glorreich erscheinen werden. Die Menschen, die die Welt besser gemacht haben, lieben die menschliche Rasse. Ein solcher Mann ist Andrew Taylor Still, der sich entgegen dem Ratschlag seiner Freunde und trotz der Drohungen seiner Feinde mit einem unerschütterlichen Vertrauen in die Menschheit dahin vorkämpfte, wo selbst Engel nicht hinzutreten wagen. Er zog seine eigenen Schlüsse, experimentierte für sich allein, beobachtete den Fortschritt seiner Forschungen und trägt bis zum heutigen Tag in Kopf und Herz jenes Kind seines Herzens und seines Verstandes. Ich glaube, dass Dr. Still in der Einschätzung seiner Nachfolger nichts so herausragen lässt wie seine Liebe zur Menschheit. Er hat uns gelehrt, dass er durch seine gesamte Berufslaufbahn einen zweifachen Zweck verfolgte: Er hatte den Wunsch, Wissen über den Mechanismus des menschlichen Systems zu erwerben, weil er Wissen um des Wissens willen liebt, aber auch, um es als Mittel zur Heilung von Krankheiten einzusetzen, deren Erbe das menschliche Fleisch ist.

Kein edlerer Zweck kann Ihr Leben füllen. Auf Sie fällt der Mantel von Dr. Stills Schultern. Möge Dr. Still lange leben, zum Schmuck und zur Ehre der Profession, die er gegründet hat. Noch zu seinen Lebzeiten wirft er seinen Mantel über Ihre Schultern und bittet Sie, die Wahrheit bis in die entferntesten Winkel unseres Landes zu tragen. Was Sie erworben haben, sind lediglich Grundkenntnisse. Das Wesentliche bleibt Ihnen zum Ausarbeiten in Ihrer Praxis überlassen. Es war erst gestern, dass wir begannen, den Körper als einen großen lebendigen Mechanismus zu betrachten. Damit die Lebenskraft durch nichts behindert wird, müssen die verschiedenen Teile der Maschine in Harmonie arbeiten, das Skelett muss an jede Bewegung des Knochens, Ligamente und Muskels angepasst sein, reine Luft muss jede winzige Zelle einer unbehindert funktionierenden Lunge und jede entfernte Mulde gesunden Gewebes durchdringen. Reines Blut muss in jedem Organ und Gewebe zirkulieren. Und eine perfekte Nervensubstanz muss jedes Gewebe und jeden Hohlraum des Körpers beleben. Zu sehen, dass das der Zustand des Körpers ist, darin besteht ihre Funktion als osteopathischer Arzt. Sie werden nicht mit einem Bündel vorgedruckter Rezepte entlassen, noch hat man Sie mit technischen Kniffen ausgestattet, wie sie bei Massage oder von betrügerischen Osteopathen angewendet werden. Was Sie mit hinausnehmen, sind Prinzipien und genaue Kenntnisse der Anatomie und Physiologie, um diese bei der Korrektur von kranken und gestörten Zuständen anzuwenden. Der Poet drückt es, zu sich selbst sprechend, so aus:

„Egal was die Doktoren sagen:

Der sicherste Weg zur Gesundheit,

ist anzunehmen, dass wir niemals krank werden;

die meisten uns Sterblichen bekannten Übel

kommen von Doktoren und Illusionen.“

In vielen Gegenden, wo die Medikamente ausgedient haben, wird man Sie wohlwollend empfangen. Erst vor wenigen Tagen schrieb Robert J. Burdette die folgenden Zeilen:

„Bewegung und Schlaf, das sind meine einzigen Arzneimittel. Athletisches Training ist nur für Athleten gut. Sie würden dabei zusammenbrechen. Gesund sein bedeutet nicht Athlet sein. Ich glaube auch nicht, dass professionelle Athleten in der Regel sehr gesund sind.“

Das ist ein vernichtender Schlag für jene, die meinen, Osteopathie stamme aus dem antiken Griechenland. Griechenland produzierte Athleten oder versuchte es zumindest, war aufgrund mangelnden Wissens aber nicht in der Lage, gesunde Männer und Frauen zu schaffen. Dr. Cyrus Edson, der berühmte amerikanische Hygienearzt, sagt, indem er von Elektrizität als Ersatz für Medikamente spricht:

„Ihr großer Wert liegt in der Tatsache, dass sie das gesamte System stimuliert, ohne irgendwelche beeinträchtigenden Nachwirkungen zu hinterlassen, wie Medikamente und andere innerlich wirkende Stoffe es tun.“

Um wie viel mehr trifft das auf die Osteopathie zu!

Es erhebt sich die Frage: Ist die Osteopathie eine ebenso perfekte wie exakte Heilwissenschaft – oder ist sie dazu bestimmt, von der alten Medizinwissenschaft absorbiert zu werden? Wird sie Bestand haben? Werden wir siegen? Warum nicht? –

„Hier ist das furchtlose Auge der Frau Erstrahlend von der Wahrheit ihrer tiefen Liebe; Hier ist der Menschen Stirn heiter erhöht, erfüllt mit dem Herz der Jugend.“

Ich denke, die Osteopathie wird bestehen, wenn sie sich in den Händen geeigneter Männer und Frauen befindet und in Bezug auf die anderen Wissenschaften den richtigen Stand einnimmt. Die Osteopathie lehnt Arzneimittel im Sinne von Medikamenten ab, sie kann es sich jedoch nicht leisten, irgendetwas alles anderes abzulehnen. Die Osteopathie ist zweifellos eine unabhängige Schule der Medizin und muss nicht befürchten, neben anderen zu stehen, um zunächst mit ihnen zu rivalisieren und sie schließlich auszustechen, wenn sie an Anatomie, Physiologie, Pathologie, Diagnose, Hygiene, Chirurgie, Geburtsheilkunde und Chemie festhält und dabei die Theorie und Praxis der alten, mit Medikamenten arbeitenden Schule durch osteopathische Therapie und Praxis ersetzt. Alles, was die medizinische Wissenschaft erreicht hat, gehört uns, wenn wir es annehmen. Wären Sie und ich lediglich Knocheneinrenker44 und müssten für die Behandlung schwerer Krankheiten oder chirurgischer Fälle einen Dr. med. hinzuziehen – dann würden wir gut daran tun, einzuräumen, dass wir nur ein Teil einer Profession sind und einen hinteren Platz einnehmen. Es gibt Gründe, warum in der Zukunft alle Osteopathen Chirurgen sein sollten.45 Wird sollten nämlich in der Lage sein, auch solche Fälle zu behandeln, bei denen ein chirurgischer Eingriff erforderlich ist. Bewerten wir die moderne Chirurgie als Manie, unnötige Operationen durchzuführen, dann kann der Osteopath sie nur reformieren, indem er in Fällen, wo es notwendig ist, osteopathische Chirurgie anwendet. Dies entspricht auch dem Ziel der Charta dieser Institution, die plant, unser derzeitiges System der Chirurgie zu verbessern.

Sie betreten die Arena, um beim Verhüten von Krankheit zu helfen, um die Gesundheit zu bewahren und sogar den Gesunden das Leben noch angenehmer zu machen. Möge es Ihr Bestreben sein, menschliches Leid zu verringern, die auf die Verletzung physiologischer Gesetze folgende Strafe wenigstens zu mildern und die Menschen zu erziehen, das größte Geschenk, den menschlichen Körper, zu pflegen und zu schützen. Wir als Ihre Lehrer haben versucht, treu unsere Pflicht zu erfüllen, indem wir Sie die Prinzipien unserer Wissenschaft gelehrt haben. Unsere Worte mögen vergehen, doch wir vertrauen darauf, dass der Unterricht, den Sie bekommen haben, und die Form, in die Ihr Leben gegossen worden ist, als ewige Wahrheiten Bestand haben werden. Unsere Fehler und Unvollkommenheiten bitten wir Sie, aus Ihrem Gedächtnis zu löschen. Mögen Sie den Gedanken mit hinaustragen, dass wir Ihnen Erfolg in den von Ihnen gewählten Tätigkeitsbereichen wünschen. Ob Sie nun weit entfernt oder ganz nahe wohnen: Unsere Gedanken und Erinnerungen werden sich oft um Sie drehen in der Hoffnung, dass Sie uns und der Sache der Osteopathie gegenüber loyal bleiben.

Graduierte der Oktoberklasse, auf Ihnen ruht eine größere Verantwortung als auf jeder anderen Klasse, die vor Ihnen graduiert wurde, denn Sie haben die Ehre, die Verpflichtungen all jener zu erben, die Ihnen vorausgegangen sind. Tennyson spricht vom Wissen als dem älteren und von der Weisheit als dem jüngeren und weiseren Kind, die beide Seite an Seite, in der Prozession derer schreiten, die Auge in Auge auf das Wissen schauen. Wir vertrauen darauf, dass Sie das Kind der Weisheit sein werden. Und es ist das Vorrecht der Weisheit, über jedes untergeordnete Prinzip zu walten. Sie gibt allen Kräften der menschlichen Natur die letzte Richtung und wird zum letzten Richter im menschlichen Tun.

Ich danke Ihnen für die Ehre, die Sie mir erwiesen haben, indem Sie mich baten, zu Ihnen zu sprechen, und auch dafür, dass Sie meinen Worten Ihre freundliche Aufmerksamkeit geschenkt haben.


ABB. 4: DIE ABSCHLUSSKLASSE JANUAR 1899 DER AMERICAN SCHOOL OF OSTEOPATHY

Das große Littlejohn-Kompendium

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