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Kapitel 5
ОглавлениеHappy Family
Jonathan genoss am frühen Morgen die warmen Sonnenstrahlen auf seiner Haut, während er die Fußgängerzone der Berliner Innenstadt entlang schlenderte und an seinem Latte macchiato nippte.
Es war mittlerweile kurz nach neun und die Fußgängerzone rappelvoll mit Leuten, die zur Arbeit hetzten. Jonathan balancierte seinen Kaffeebecher durch die drängelnden Massen hindurch und musste aufpassen, die Brötchentüte nicht fallen zu lassen. Sein rotes T-Shirt mit dem typischen The Flash Blitz spannte sich dabei über sein seine breiten Schultern und Brustmuskeln.
Die ehemalige Schweißerbrille war sicher in der linken Beintasche seiner Cargo-Shorts verstaut. Er hatte die Kopie von Lunas Sphärenbrille wenige Minuten zuvor bei Herrn Barnes abgeholt. Eine Moralpredigt zur Verunglimpfung von Brillengestellen gab es gratis dazu.
Jonathan schmunzelte über die künstliche Hysterie des Optikers. Er hatte ihm ja schlecht erklären können, wozu er die Brille wirklich brauchte.
Jonathan blieb am oberen Treppenabsatz zur U-Bahnstation am Alexanderplatz stehen, ignorierte den penetranten Uringestank, der von dort in seine Nase drang und betrachtete den wolkenlosen Himmel. Nein. Heute ist kein U-Bahn-Wetter, beschloss er für sich. Jonathan machte auf dem Absatz kehrt, lief quer über den Alexanderplatz hinweg, vorbei am Kaffee Einstein, wo er kurz zuvor noch Brötchen geholt hatte, und bog nach links in die Grunerstraße ein. Ein Spaziergang hatte noch nie geschadet und Luna würde sicher noch einige Zeit schlafen. Wozu sich demnach hetzen?
Eine Woche war ins Land gezogen, seit der rothaarige Lockenkopf an seiner Tür geklingelt hatte. Jonathan tat sich immer noch schwer damit zu glauben, was in den letzten Tagen alles passiert war. Aber da war Luna nun und lebte in seinem Haushalt. Jeder andere Mensch hätte sie wohl davongejagt, aber er nicht. Er hoffte nur, mit seinem Vertrauensvorschuss keinen Fehler begangen zu haben. Schließlich kannte er Luna bisher kaum.
Von ihr hatte er jedoch erfahren, dass jede Erde ihre ganz eigene Schwingungsfrequenz besaß, es jedoch zu Überlagerungen kommen konnte, welche Übergänge zu anderen Welten entstehen ließen. Mit der Sphärenbrille konnte er die so entstandenen Raumanomalien sehen. Wer hätte gedacht, dass dafür tatsächlich nur so wenig notwendig wäre? Nicht mehr als eine einfache Brille mit speziell geschliffenen Quarzgläsern? Jonathan schmunzelte bei diesem Gedanken.
Auf dem Heimweg spielte er mehrfach mit dem Gedanken, sie auszuprobieren. Doch jedes Mal, wenn sich seine Finger voller Neugier in die Beintasche schoben, kam irgendjemand um die Ecke und schielte ihn seltsam an.
Er hatte Lunas Version schon einige Male in der Wohnung auf, wenn sie schlief.
Er posierte dann dummgrinsend vor dem Spiegel seines Schlafzimmers und stellte sich vor, wie so eine Raumanomalie wohl aussehen könnte. Das Einzige, was er jedoch im Spiegel sah, war, wie unglaublich dämlich er damit aussah. Wie eine Fliege, mit funkelnden Facettenaugen. Extravagant. In Berlin sicherlich nichts Ungewöhnliches, trotzdem würde die Brille Aufmerksamkeit erregen, auf die er gerne verzichtete.
Luna hatte ihm inzwischen viele weitere Dinge offenbart. Immer dann, wenn sie glaubte, dass Jonathan es verkraften konnte. So gab es offenbar Welten, die seiner eigenen sehr ähnelten, aber auch solche, die völlig anders waren. Einige waren atemberaubende Paradiese, andere so lebensfeindlich, dass man ohne die entsprechende Vorbereitung unangenehm schnell ins Gras biss. Es gab Welten, in denen Menschen nur in Geschichtsbüchern nachfolgender Lebewesen existierten oder solche, in denen noch dunkles Mittelalter herrschte. Sogar eine Erde, in der eine tiefe Eiszeit regierte, hatte sie mal besucht. Luna liebte vor allem diese völlig verrückten und skurrilen Welten, die in ihrer Einzigartigkeit komplett eskalierten. Um ein Haar sei sie sogar mal von etwas gefressen worden, das in einer Wüstenwelt unter dem Sand lauerte. Bedachte er der Erzählung des großen runden Mauls mit seinen Tausenden von messerscharfen Zähnen, die bis tief in den Rachen der Kreatur ragen sollten, war Jonathan heilfroh, dass es nicht dazu gekommen war.
Luna berichtete ihm jedoch nicht alles, was ihr auf der Seele lag, das konnte er spüren. Es gab da diese Momente, in denen sie von tollen Abenteuern mit ihren beiden Freundinnen Kira und Tetra sprach, im nächsten Augenblick jedoch komplett dicht machte, wenn es darum ging, warum sie sich auf dieses oder jenes waghalsige Abenteuer eingelassen hatten.
Oder wie sie aus der einen oder anderen Situation schließlich entkamen. Er konnte sich nie ein Lächeln dazu verkneifen. So unschuldig und zierlich sie auch aussah, sie war ein Satansbraten, da täuschte sie keine Fliege.
Umso mehr freute er sich über alles, was sie von sich preisgab. Beispielsweise war die Band auf ihrem Hoodie ihre Lieblingsband und hieß Mythemia, eine Gruppe, die komplett aus Wanderern bestand. Sie waren fast die Einzigen, die Weltentourneen machten, und daher über unzählige Welten hinweg bekannt. Oft sangen sie dabei von ihren Abenteuern, die sie an weit entfernten Orten erlebt hatten. Diese Lieder hatte Luna besonders gern und summte sie immer wieder rauf und runter. Aber Mythemia war nicht die einzige Band, die sie mochte. Eines Morgens erwischte er sie dabei, wie sie auf seiner Dachterrasse zu Billy Talent tanzte. Falls man das wilde Gezappel tanzen nennen konnte.
Diese wenigen persönlichen Details mochten nach nicht viel klingen, es war jedoch ein Anfang. Jonathan betrachtete das als gutes Omen. Er schien in der Zukunft als Vater irgendetwas richtig gemacht zu haben und das beruhigte ihn ungemein.
Mit einem verschmitzten Lächeln auf den Lippen überquerte er die Kreuzung Prenzlauer Berg, als ihm der rabenschwarze 1964 Ford Galaxie 500 ins Auge fiel, der halb auf dem Bürgersteig parkte. Jonathan bemerkte die beiden Männer im Auto kaum. Er hatte nur Augen für dieses Prachtstück. Er mochte amerikanische Wagen. Eines Tages, versprach er sich, würde er auch so einen Klassiker sein Eigen nennen. Nur über die Farbe ließe sich wohl streiten.
Kurz bevor er den Wagen mit großer Bewunderung passierte, öffneten sich dessen Türen und die zwei Männer stiegen aus dem Fahrzeug heraus.
Der Dickliche knöpfte schnell sein Jackett zu, während der lange, dünne sich zielsicher auf Jonathan zu bewegte.
»Mister King?«, erhob dieser höflich, aber dominant seine Stimme.
Jonathan blieb verunsichert stehen. »Ja?« Die beiden trugen jeweils einen identischen schwarzen Anzug, nebst cremefarbenem Hemd, Krawatte, Sonnenbrille und Melone. Ihre blasse, beinahe fahl wirkende Haut verlieh ihnen den Charme eines Leichenbestatters, wie er fand.
Der lange, dünne Mann hatte ein von Falten zerfurchtes Gesicht. Er hielt einen Dienstausweis hoch und erhob erneut seine Stimme. »Mein Name lautet Grimm. Der etwas korpulente Herr zu meiner Rechten ist Mister Preston. Wir arbeiten für den Grenzschutz und haben ein paar Fragen an sie. Hätten sie daher kurz Zeit?«
Jonathan konnte den Ausweis nicht zuordnen, er wirkte jedoch offiziell genug, dass er dessen Echtheit erst mal nicht weiter anzweifelte. Er erkannte jedoch an der Art, wie er fragte, dass Mister Grimm kein Nein akzeptieren würde, also nickte Jonathan kaum merklich. »Worum geht es denn? Habe ich meine letzte Amazon-Bestellung nicht richtig verzollt?« Er versuchte, mit einem künstlichen Lächeln einen Sympathiebonus zu erzeugen, doch die Gesichter der beiden Gruselgestalten verzogen nicht eine Miene. Sie standen einfach nur da und starrten ihn erwartungsvoll an. Fast erweckten sie den Eindruck zweieiiger Zwillinge.
»Mister King, wir sind auf der Suche nach einer illegalen Einwanderin und haben Grund zur Annahme, dass sie mit ihnen Kontakt hatte oder sogar noch hat«, erwiderte Grimm emotionslos.
O Gott! Suchen sie etwa nach Luna? Jonathan verbarg seine leicht verschwitzen Hände hinter den beiden Tüten.
»Eine illegale Einwanderin? Warum sollte so jemand ausgerechnet mich aufsuchen?«, fragte Jonathan mit aufgesetzter Verwunderung.
Mister Preston trat näher an Jonathan heran. Sein Gesicht zierte aufgedunsene Wangen, die ungewöhnlich weit hervortraten, fast als leide der Mann an einer allergischen Reaktion. Er roch zudem streng nach Menthol Zigaretten. »Das hätten wir gern von Ihnen gewusst, Mister King«, knurrte er kaum verständlich zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
»Immer langsam, werter Herr Kollege. Wir wollen doch nicht, dass Mister King einen falschen Eindruck von uns erhält«, beschwichtigte Mister Grimm und schob seinen Partner leicht beiseite. »Mister King, Ihre Nachbarn gaben an, dass Sie erst kürzlich scheinbar unerwarteten Besuch erhalten haben. Es soll sehr laut geworden sein. Worum ging es da?«
Sie suchen definitiv nach ihr. Verdammt! Jonathan musste sich konzentrieren, um so ruhig wie möglich zu atmen. »Ah, das. Da war vor ein paar Tagen eine junge Frau. Sie behauptete, meine Tochter zu sein oder so. Ich habe ihr natürlich kein Wort geglaubt.«
»Und was ist dann passiert, Mister King?« Grimm setzte ein von Erwartung geprägtes Lächeln auf.
»Er hat Sie etwas gefragt, Mister King!«, fuhr der Dicke harsch dazwischen.
Jonathan trat einen Schritt zurück und schaute beide ernsten Blickes an. Etwas stimmte mit ihnen nicht. »Ich hab sie davongejagt, was denken Sie denn? Da könnte ja jeder daherkommen und solche Behauptungen aufstellen«, log er, so überzeugend er konnte.
»Ich glaub ihm kein Wort«, knurrte Preston an seinen Partner gerichtet, ohne ihn auch nur anzusehen.
»Mister King«, unterbrach Grimm erneut das heißblütige Engagement seinen Partners, »angenommen, Sie haben die Flüchtige davongejagt, wie Sie behaupten. Wo könnte sie als Nächstes hingegangen sein?«
Jonathan zuckte ahnungslos mit den Schultern. »Woher soll ich das denn wissen?«
Grimm lächelte erneut. »Natürlich. Entschuldigen Sie. Mein Fehler. Sagte sie, woher sie gekommen war? Oder was sie bei Ihnen wollte?«
Jonathan stutzte. »Äh, nein. Also – nicht wirklich. Wissen Sie, die junge Frau schien reichlich verwirrt zu sein. Ich habe dem Gespräch daher schon nach kurzer Zeit keine Aufmerksamkeit mehr geschenkt.«
Grimms Lächeln erlosch. »Eine weise Entscheidung. Tatsächlich leidet die Frau an massiven Wahnvorstellungen. Was sie unter Umständen auch gefährlich macht. Sie sollten sich daher besser von ihr fernhalten.«
»Meinen Sie denn, dass die Frau wiederkommt?« Jonathan setzte dabei seine beste Sorgenmiene auf.
Mister Preston ballte die Fäuste und murmelte unverständlich etwas in sich hinein, sagte es aber nicht lautgenug, sodass Jonathan es hätte hören können,
Mister Grimm griff indes in die Brusttasche seines Jacketts und holte eine fliederfarbene Karte hervor. »Haben Sie vielen Dank für Ihre Zeit und Mühe, Mister King. Sollte Ihnen noch etwas einfallen, rufen Sie uns gerne an.«
Jonathan nahm die Karte perplex entgegen und runzelte die Stirn. Eine ausländische Nummer?
»Hey!«, rief er den beiden nach, als diese sich bereits wieder zu ihrem Wagen begaben. »Was mache ich, wenn sie wiederkommt?«
Grimm lächelte erneut. Es hatte fast schon etwas Plastisches an sich.
»Bleiben Sie ruhig und wählen Sie die Nummer auf der Karte.« Dann setzte Mister Grimm sich ans Steuer und fuhr los.
Jonathan sah noch, wie Mister Preston den Seitenspiegel des Beifahrersitzes auf ihn ausrichtete und vor Wut schäumte. Als der Ford um die nächste Ecke bog, untersuchte Jonathan die Karte. Wer immer die waren, er hatte kein gutes Gefühl bei der Sache.