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Kapitel 11
ОглавлениеGestrandet
B-29.75.R.38.457:
Der Morgen graute, die Wellen brachen mit dröhnendem Donner über den Strand der Küste herein. Es war kalt und der Himmel grau. Leblos lag der geschundene, von den Wellen des wilden Meeres an den Strand gespülte Körper da. Nicht eine Regung war zu erkennen. Immer wieder peitschte das Wasser um ihren Körper herum, während das fortwährende Flackern des azurblauen, sichelmondförmigen Anhängers ihrer Halskette allmählich erlosch. Ein flüchtiges Zucken durchfuhr den ihren Körper. Nur langsam kehrte das Leben darin zurück.
Luna verkrampfte und spuckte Wasser, Unmengen Wasser und Galle. Kraftlos richtete sie sich auf und taumelte den Strand entlang. Immer wieder sah sie sich um. Sie durfte nicht wieder ihr Bewusstsein verlieren. Was auch passierte, sie musste stark bleiben und Jonathan finden. Das nasse, vom Sand verklebte Haar und ihre Kleider wogen schwer. Jeder Teil ihres Körpers brannte vor Schmerz. Ihr war kalt, so bitterkalt. Lunas feine Nase wurde vom vielen Salzwasser beeinträchtigt. So sehr sie es versuchte, sie konnte ihren Dad nicht wittern.
Er muss hier irgendwo sein. O Gott, – bitte lass ihn hier irgendwo sein!
Sie strauchelte, ihr Körper sprach: Lass dich fallen, doch ihr Geist weigerte sich. Lunas Brustkorb schmerzte bei jedem Atemzug. Sie hob ihren Hoodie hoch. »Shit!« Ihre ganze linke Seite war mit blauen und lila Schwellungen versehen. Ihre zittrigen Finger glitten behutsam über ihre Rippen. Nichts gebrochen, das ist gut.
Ein Schwarm Vögel kreiste unweit von ihr am Strand. Die gierigen Biester zupften und rupften an ihrer Beute, als wüssten sie dieses Festmahl besonders zu schätzen.
»Aaaarrrgh!!! Weg da! Macht euch weg!« Luna fuchtelte wild mit ihren Armen und versuchte, die gierigen Aasfresser von ihrer Beute zu verdrängen.
Shit! Bitte sei noch am Leben, Dad!, betete sie. Du hast ihn umgebracht, höhnte die Stimme in ihrem Kopf.
»Halts Maul!«, knirschte Luna zwischen zusammengepressten Zähnen hervor.
Jonathan atmete nur schwach, als sie bei ihm ankam, aber er atmete. Seine Kleider sahen fast so schlimm aus wie ihre eigenen, was nicht zuletzt den dummen Vögeln zu verschulden war.
Erneut breitete sich Panik in Luna aus. Sie fiel auf die Knie, packte ihn an Kragen und schüttelte ihn mit Leibeskräften, bei dem Versuch ihn zu wecken. Als das nicht funktionierte, holte sie aus und verpasste ihm ein paar saftige Ohrfeigen. Wieder keine Reaktion. Was sie auch tat, er wachte nicht auf. Sie musste etwas unternehmen. Sie konnten nicht hierbleiben. Hier waren sie schutzlos der Witterung und potentiellen Feinden ausgesetzt, zudem war ihr Dad stark unterkühlt.
Suchend fuhr ihr Kopf hin und her. Zu ihrer Linken verlor sich der Strand in eine steinige Küste, rechts mündete der Strand irgendwann in eine Kurve und wer weiß wohin.
»Dann also über die Dünen ins Landesinnere«, raunte sie. Lunas feine Nase war immer noch beeinträchtigt, aber wenn sie das bisschen, was sie damit wahrnehmen konnte, richtig deutete, dann gab es ganz in der Nähe einen Wald. Mühselig, mit längst erschöpften Kraftreserven und dem eigenen Zusammenbruch immer wieder ins Auge blickend, schleppte sie ihren Dad weg vom Wasser.
Nur langsam öffnete Jonathan die schweren Augen. Das leise Knacken von brennendem Geäst hatte ihn geweckt. Ein wärmendes Feuer loderte in einer Kuhle neben ihm vor sich hin.
Das Feuer flimmerte unscharf vor seinen Augen. Er blinzelte einige Male, bis er wieder klar sehen konnte. Sein Kopf dröhnte, die Kehle kratze unangenehm und beinahe jede Faser seiner Muskeln brannte vor Schmerz. Jemand hatte ihn in einem Bett aus Moos und Laub gewickelt. Mühselig richtete Jonathan seinen Oberkörper auf. »Luna? Luna?!«
»Du bist wach. Das ist gut«, erklang die Stimme seiner Tochter direkt vor ihm.
Jonathan blinzelte abermals hilflos und sah suchend umher. Er spürte, dass sein linkes Auge angeschwollen war, dann entdeckte er Luna. Sie saß zusammengekauert am Lagerfeuer und wärmte sich offenbar daran. Ihre Mimik ließ Jonathan zwei Dinge erahnen: Sorge und Schlafmangel. Dann fielen ihm ihre Kleider auf. Sie waren zerfetzt und ihr Körper mit blauen Flecken und Blutergüssen gerade zu übersät. Sein Herz wog mit einem Mal unendlich schwer. Er war schuld daran, dass sie so zugerichtet war, er ganz allein. Hätte er nicht zu dieser blöden Ranch gewollt, wäre das alles nicht passiert.
»Es ... es tut mir so wahnsinnig leid. Wenn ich nicht gewesen wäre ...«, krächzte Jonathan und verlor hustend seine Stimme. Er massierte seine schmerzende Kehle und hoffte, dass es gleich besser wurde.
»Mach dir keine Vorwürfe. Sowas passiert. Du konntest nichts dafür. Sieh es positiv: Wir leben. Das ist es, was zählt.« Jonathan sah sie missmutig an und fiel kraftlos auf das Moosbett zurück.
»Wo sind wir?«, krächzte er mit heiser Stimme. »Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass wir tief gefallen sind.« Sein Kopf drohte zu explodieren. Jede Bewegung endete in dröhnendem Gehämmer. Da waren Bilder. Bilder vor dem Sturz, doch er konnte sie nicht richtig sortieren. Sie wurden verfolgt, aber da war noch etwas. Ein Kampf? Der Schmerz in seinem Kopf dämpfte jeden klaren Gedanken. Was war Realität? Was Einbildung?
»Keine Ahnung, wo wir sind«, antwortete Luna knapp.
»Geht es dir sonst gut?«, wollte er wissen.
»Den Umständen entsprechend würde ich sagen.« Ihr taten immer noch alle Knochen weh und am liebsten hätte sie eine Woche durchgeschlafen. Selbst ihr markantes Lippenkräuseln schmerzte wie die Hölle. Luna entschied jedoch, es für sich zu behalten. Ihr Dad machte sich ohnehin genug Vorwürfe. So mitleidig wie er sie ansah, musste man kein Meisterdetektiv sein, um das zu erkennen. Am Ende war für sie nur entscheidend, dass es ihrem Dad gut ging. Daher freute es sie, dass er zumindest wieder wach war.
Mit trockener Kehle und knurrendem Magen richtete sich Jonathan langsam auf und lehnte seinen Rücken gegen einen von vier toten Bäumen, die schützend um das Lager herumgelegt worden waren. »Sind Weltenwechsel immer so?« Ihm fiel auf, dass über dem Feuer etwas vor sich hin garte, das er nur schwer beschreiben konnte.
Es sah aus wie ein großes Kaninchen mit Geweih oder es war ein kleines, unförmiges Reh. So genau konnte er das wirklich nicht bestimmen.
Luna erhob sich und drehte an dem Spieß, auf dem sich das Kaninchen befand. »In den meisten Fällen nicht«, beantwortete sie seine Frage.
»Aber in diesem Fall schon?«
»Das, mein Lieber, war ’ne Temporäranomalie. Die sind halt gefährlich. Du weißt bei denen nämlich nie, wo du landest. Hatte ich dir doch erzählt.«
»Ich erinnere mich. Auch daran, dass du sagtest, dass die instabil seien und es streng genommen nur den Anschein erwecken würde, dass man die Welt gewechselt hätte. Wir in Wirklichkeit aber immer noch die Münze in der Flasche sind.«
Luna runzelte die Stirn. »Was? Welche Münze?« Sie war zu müde zu sein, um zu begreifen, was er meinte. Zwei Tage hatte sie aus Sorge um ihn kein Auge zu bekommen. »Wir hatten Glück, falls du das meinst. Das zweite und dritte Portal waren nämlich keine Temporäranomalien.«
»Und das ist Glück?«
»Ja. Hätte sich die Anomalie auf der Ranch aufgelöst, bevor wir durch das zweite Portal gesaust sind, wären wir jetzt wahrscheinlich irgendwo tief unter der Erde begraben.« Ein kalter Schauer lief ihr bei dem Gedanken über den Rücken. Begraben, wie ein Niemand, ohne Hoffnung, dass man jemals gefunden wird. Grauenhaft. Luna stellte sich vor, wie sie bei vollem Bewusstsein dort gelandet wären. Wie sich Lungen und Magen bei dem Versuch, nach Luft zu ringen, nach und nach mit Erde gefüllt hätten. Und sie fragte sich, wie lange sie wohl instinktiv versuchen würde zu graben, bevor sie ihr Schicksal akzeptierte. Luna schüttelte sich bei dieser Vorstellung.
Auch Jonathan stockte der Atem. »Begraben? Wir waren doch in der Luft.«
»Sind aber auf deiner Erde durch die Wiese nach unten geplumpst. Das bedeutet: Bei einer Rückkopplung, also einem Zusammenbruch des Übergangs –«
»Verstehe«, unterbrach er sie. »Und ich dachte, wir würden einfach wie bei einem Bungeeseil wieder zurückgeschleudert werden.«
Der seichte Schein des Feuers spiegelte sich in ihren müden Augen wider. »Das nennt sich dann Tröpfcheneffekt. Der Zustand, wenn sich ein Wassertropfen von der Masse lösen möchte, es dann aber doch nicht tut. Ja, das hätte tatsächlich auch passieren können. Nicht, dass es uns in eine bessere Lage gebracht hätte – wegen der Wachen und so.«
»Dann ist das vermutlich auch nicht die Welt, in der ich eigentlich gelandet wäre.«
»Vermutlich nicht.«
»Na, das lief ja mal klasse.« Entmutigt ließ er die Schultern hängen und knurrte kurz auf, als es ihm sein Körper mit einem stechenden Schmerz heimzahlte. »Wie geht es jetzt weiter?«
Luna saß dicht am Feuer, neben ihr genug Gehölz für die Nacht. »Wenn wir wieder fit sind, versuchen wir herauszufinden, wo wir hier sind. Mit etwas Glück kenne ich diese Welt. Falls nicht, schlagen wir uns von Welt zur Welt durch, bis wir jemanden aus dem Netzwerk treffen, oder ich etwas finde, das mir bekannt vorkommt.«
»Guter Plan«, grunzte Jonathan mit schmerzverzerrtem Gesicht.
Ein paar Glühwürmchen leisteten Luna Gesellschaft, während sie ihre Zehen in den weichen Waldboden vergrub. Sie vermutete dieses gelegentliche, stille Bedürfnis nach Ruhe und Erholung von ihrer Mutter zu haben.
Sie mochte es eigentlich nicht barfuß zu sein oder Schuhe zu tragen, die über keine entsprechend dicke Sohle verfügten. Aber in Momenten wie diesen, und nach zwei schlaflosen Nächten voller Sorge, da brauchte sie das brummende Rauschen, das ihre empfindlichen Ballen permanent aus jeder Regung innerhalb des Bodens vernahmen. Es beruhigte sie und gab ihr irgendwie Kraft.
»Was ist das auf dem Feuer?«, fragte Jonathan.
»So ’ne Art, großes Kaninchen, nur ungeschickter bei der Flucht. Hauptsächlich wegen des Geweihs. Schmeckt aber lecker.« Luna holte das Tier vom Feuer, riss ihm eine Keule raus, schnupperte daran und reichte sie anschließend ihrem Dad.
»Greif ruhig zu«, forderte sie ihren Dad auf, als er keine Anstalten machte zu essen. »Es ist noch genug da und du brauchst die Kräfte.« Sie deutete auf ein aus langen Ästen bestehendes Konstrukt. Darauf lagerten fünf weitere Exemplare dieser seltsamen, kleinen Lebewesen. Mit ihren schon schier lächerlich großen Geweihen hingen sie dort gehäutet und ausgenommen, damit sie ausbluteten, bevor man sie ebenfalls aufs Feuer legte.
Ein grotesker Anblick, wie er fand. Jonathan sparte sich fürs Erste die Frage, wie sie diese Tiere allein erlegt hatte. Zu groß war sein Hunger. Davon abgesehen brannte ihm etwas anderes schon seit Tagen auf der Seele und er wollte es angesichts der Umstände endlich loswerden. »Bin ich eigentlich ein guter Dad? Also in deiner Zukunft?«
Luna riss ihre Augen weit auf und zögerte mit ihrer Antwort einen Moment. »Ja, im Großen und Ganzen kann man sagen, bist du das.«
»Und, wie bin ich so – als Dad?«
»Hmm –, liebevoll, fürsorglich, verständnisvoll.
Auch wenn ich nicht immer einfach sein werde, haben wir tatsächlich fast immer ein ganz gutes Verhältnis zueinander gehabt.« Sie hob ihren Kopf und ließ ihren Blick ins Leere wandern. Dann beschloss sie, den einen plagenden Gedanken doch lieber für sich zu behalten und platzierte ihr Kinn wieder auf ihre Knie.
Luna sah ihn über den Schein des Feuers hinweg an. Sie hatte Fragen, so unglaublich viele Fragen. Doch ausgerechnet der Jonathan vor ihrer Nase, konnte nicht eine davon beantworten. Zurück blieb nur ein Schwall naiver Hoffnung. Ein geheimer Wunsch, der sich an die Vorstellung klammerte, dass ihr Zeitreiseunfall zumindest zu etwas gut war.
Jonathan lächelte. Das zu hören, wärmte sein Herz auf eine Weise, wie er es vor einigen Wochen nicht für möglich hielt. Beinahe schon wollte er etwas Passendes erwidern, auch wenn es technisch gesehen natürlich albern wäre, da er jetzt noch kein Vater war, doch er stockte. »Wieso gehabt?« Jonathans Miene verhärtete sich. »Bin ich – bin ich etwa tot? Luna, lebe ich in deiner Zeit noch?« Sein Herz wummerte vor Angst. Die Angst, dass sie es bejahen könnte. Das würde alles in ein vollkommen anderes Licht rücken und sogar das eine oder andere Verhalten an ihr erklären. O Gott! Bitte sag, dass ich mich irre.
Lund sah ihn stirnrunzelnd. »Was? Du stellst ja vielleicht seltsame Fragen«, fauchte sie ihm aus heiterem Himmel an. »Sicher, dass alles okay ist?«
»Na ja, du sagtest gehabt, das implementiert für mich, dass es jetzt nicht mehr so ist.«
»Ach! Du machst dir zu viele Sorgen. Denk an Regel eins und stell nicht so viele Fragen!«, zischte sie. Dann legte sie eine dicke, große Baumwurzel aufs Feuer und kuschelte sich anschließend neben ihm ins Moos.
»Zeit zu schlafen! Wir müssen Kräfte sparen und uns überlegen, wie’s jetzt weitergehen soll.« Sie drehte sich mit dem Rücken zu ihm und ignorierte jede weitere Regung, die er machte. Sie war müde, so unglaublich müde. Jetzt, da er wieder zu sich kam, versuchte auch sie etwas Schlaf nachzuholen.
Jonathan stupste sie an, in der Hoffnung, doch noch irgendeine Reaktion zu erhalten. Zu viele Fragen suchten in seinem Kopf noch nach Antworten. Doch Luna schlief bereits felsenfest. Jonathan ließ sich neben ihr auf den Rücken fallen, streckte seinen rechten Arm aus und holte sie dicht an sich heran. Er betrachte noch einige Zeit ihren Kopf auf seiner Brust, und wie sie sich immer wieder sachte in sein Hemd krallte und dort Halt suchte. Hin und wieder murmelte sie etwas vor sich hin, dass er trotz aller Bemühungen nicht verstand.
»Du hattest ein paar anstrengende Tage, nicht wahr? Danke.« Er gab ihr einen behütenden Kuss auf den Kopf. Er betrachtete zum Einschlafen noch eine Weile den Nachthimmel und versuchte, die Sterne zu deuten. Gespannt, ob diese anders waren, als zu Hause, neigte er seinen Kopf und zog lange imaginäre Linien zwischen ihnen, bis er etwas erkannte, das für ihn Sinn ergab.
Sieh an, der Große Wagen. Wie interessant. Ich dachte immer, die Unterschiede wären weitreichender und irgendwie kosmischer. Dann fiel ihm etwas auf. Er legte den Kopf schräg und schmunzelte. Der Polarstern fehl. Na, geht doch.
Das Gezwitscher der Vögel und die frische Waldluft weckten Luna allmählich. Der Morgen graute und Jonathan lag, wie sie feststellte, nicht mehr neben ihr. Hektisch sprang sie auf, blickte in alle Richtungen und fluchte. Warum hatte sie auch das Lager in dieser winzigen, von dichtbewachsenen Sträuchern umgebenen Lichtung errichtet.
Ihre Muskeln verkrampften sich vor lauter Anspannung. Scheiße! Wo ist er? In der Hoffnung, einen Hinweis auf Jonathans Verbleib ausfindig zu machen, horchte sie konzentriert auf und ließ ihre feine Nase auf Hochtouren nach seinem Sandelholzduft suchen. Da kam er auch schon wieder durch das Gestrüpp gestakst, als sei er nie weggewesen. »Du Penner! Weißt du eigentlich, was für ’nen Schrecken du mir gerade eingejagt hast?« Wenn ihn im Wald nichts erschlagen hatte, ihr zorniger Blick tat es jetzt.
»Verzeihung«, murrte er und pulte sich einzelne Blätter aus den Hemdkragen. »Ich habe mich nur etwas umgesehen. Ist ja wohl genehmigt, oder?«
Luna stand fassungslos inmitten des Moosbettes und hob fragend die Hände. »In ’ner völlig fremden Welt? Du weißt doch gar nicht, was hinter der nächsten Ecke lauert!«
»Eine Stadt.«
»Eine was?!«
»Okay, nicht gleich hinter der nächsten Ecke, aber zumindest nicht weit weg.«
Sie runzelte die Stirn. »Aha, und das willst du bitte woher wissen?«
»Von dem Wegweiser an der Straße.«
»Dem was?!« Luna fielen fast die Augen aus dem Kopf.
»Jup. Norvinia, im Königreich von Bartholomäus dem Gütigen. Steht da zumindest so auf dem Schild. Die Straße scheint da direkt hinzuführen und Laternen haben die hier auch. Gasbetrieben, wenn ich das richtig gesehen habe.«
Ihre Kinnlade hätte nicht tiefer sinken können, ihr fehlten die Worte – das erste Mal, seit sie sich kannten. »Nie im Leben steht mitten in dieser Pampa ein Wegweiser«, legte sie dann doch nach.
Da sein Entschluss, dort hinzugehen, ohnehin schon feststand, ignorierte er das Gejammer.
Er sah sich intensiv um, suchte jede Ecke des Lagers ab und war beinahe der Versuchung erlegen, unter den Steinen nachzuschauen.
Luna schob ihren Kopf nach hinten und wippte mit ihrem erhobenen Zeigefinger zu jedem weiteren Wort aufgeregt hin und her. »Hallo? Du ... du hörst schon, was ich sage, oder?«
Jonathan stemmte die Hände in seine Hüften. »Wo zur Hölle ist – kann es sein, dass unser ganzes Zeug weg ist?«
»Weiß nicht. Such’s doch, wenn du’s vermisst. Ich empfehle dazu, einfach mal deinen Schildern zu folgen und aufs Meer rauszudümpeln.«
»Toll, zynisch wie eh und je. Das hilft jetzt sicher weiter.« Zuletzt durchsuchte er die Taschen seiner Kleidung. »Hmm, wenigstens habe ich noch mein Telefon.« Es funktionierte dank der wasserdichten Schutzhülle sogar noch.
Luna streckte ihm herausfordernd das Kinn entgegen. »Uuuund wen willst du hier anrufen?«
Jonathan schlug sich mit einer Hand vor den Kopf. »Ach verdammt ...!«
»Ich würde ja jetzt fragen, ob du irgendwie dumm bist, aber gut, dass du die Frage schon beantwortet hast.«
»Hast du bei der charmanten Persönlichkeit eigentlich viele Freunde in deiner Zukunft?«
Sie schaute ihn finster an. »Mehr, als du denkst.«
Jonathan presste die Lippen zusammen und hielt seinen Arm wegweisend Richtung Gestrüpp.
Luna sah ihn noch einige Sekunden erschüttert an. »Ist das dein Ernst? Du willst wirklich in diese Stadt?«
»Oh, Verzeihung. Möchte die werte Dame lieber in der Botanik umherschleichen, um diese Welt zu erkunden?« Seine Miene verhärtete sich, während seine Augen eine gewisse Ungeduld vermuten ließen. »Du hast gesagt, wir müssen herausfinden, wo wir hier sind.
Daher ja, ich beabsichtige, in diese Stadt zu gehen. Und da wir quasi mittellos sind, werden wir nicht weit kommen, wenn wir nicht mindestens ein paar Kontakte knüpfen.« Luna wippte lippenkräuselnd hin und her. »Dein Zeitreiseproblem wird sich jedenfalls nicht durch Trübsal blasen lösen«, nörgelte er bestimmend.
»Das weiß ich. Aber was sollen wir denn machen?«
Jonathan fuhr sich schnaubend mit der Hand durchs Gesicht. »Okay – scheiß drauf. Spoiler mich.«
Luna hob irritiert den Kopf. »Was?« Mit einem Mal saß ihr der Schreck in den Knochen. Bezieht er sich auf gestern Abend? Na los! Sag es ihm! Sag ihm, wie nahe ihr beide euch nach allem noch steht, stichelte die Stimme in ihrem Kopf.
Er winkte herausfordernd mit den Händen. »Na, komm schon, scheiß auf Regel eins und spoiler mich«, wiederholte er. »Von wo aus bin ich damals wirklich losgezogen? Und noch viel wichtiger: Wo bin ich damals gelandet?«
Luna zögerte. »Warum ist das jetzt noch wichtig?«
»Weil ich beabsichtige, irgendeinen Weg dort hinzufinden, das Netzwerk anzutreffen und dich in deine Gegenwart zurückzubringen.« Jonathan verzog das Gesicht und fluchte. »Himmel noch eins! Darum stecken wir doch überhaupt erst in dieser – dieser Scheiße hier!«, brüllte er mit geballten Fäusten in den Wald hinein.
Luna zuckte zusammen. »Tut mir leid. Das wollte ich nicht.«
Jonathan stieß die angestaute Luft aus und beruhigte sich auf der Stelle wieder. »Nein, selbstverständlich nicht. Ich bin schuld. Ich habe mich für diese Ranch entschieden. Und ich ärgere mich über mich selbst.«
Luna wagte es nicht aufzublicken. Ihre Zehen zeichneten winzige Kreise in der Erde. »Wir bekommen das schon irgendwie hin, da bin ich ganz sicher.«