Читать книгу Big Ideas. Das Politik-Buch - John Farndon - Страница 15
ОглавлениеWENN NICHT DIE PHILOSOPHEN ZU KÖNIGEN WERDEN, WIRD ES MIT DEM ELEND DER STÄDTE KEIN ENDE HABEN
PLATON 427–347 V. CHR.
IM KONTEXT
IDEENLEHRE
Rationalismus
SCHWERPUNKT
Philosophenkönige
FRÜHER
594 v. Chr. Der athenische Gesetzgeber Solon legt die Grundlage für die griechische Demokratie.
um 450 v. Chr. Der griechische Philosoph Protagoras sagt, politische Gerechtigkeit sei das Ergebnis menschlicher Vorstellungen und nicht naturgegeben.
SPÄTER
335–323 v. Chr. Aristoteles meint, die Politie (Staatsverfassung) sei die praktischste von den guten Herrschaftsformen.
54–51 v. Chr. Cicero schreibt De re publica (Über das Gemeinwesen) und plädiert für eine demokratischere Form der Regierung als Platon in Der Staat.
Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. begann in Griechenland ein kulturelles »goldenes Zeitalter«, das 200 Jahre andauerte. Heute spricht man von der »klassischen Zeit«. Literatur, Architektur, Wissenschaft und vor allem die Philosophie blühten und beeinflussten die Entwicklung der westlichen Zivilisation zutiefst.
Als die klassische Zeit anfing, setzte das Volk des Stadtstaats Athen seinen tyrannischen Führer ab und führte eine Form der Demokratie ein. Die Bürger wählten ihre Regierungsvertreter per Losentscheid, Entscheidungen wurden von einer demokratischen Versammlung getroffen. Alle Bürger konnten sich zu Wort melden und in der Versammlung abstimmen – sie hatten keine Vertreter, die dies an ihrer Stelle taten. Dazu muss man jedoch wissen, dass die Bürger eine Minderheit in der Bevölkerung waren. Es handelte sich um freie Männer über 30, deren Eltern Athener waren. Frauen, Sklaven, Kinder, jüngere Männer und Ausländer oder Neuankömmlinge der ersten Generation waren ausgeschlossen. Dieses politische Klima sorgte dafür, dass Athen schnell zu einem bedeutenden kulturellen Zentrum wurde. Die Stadt zog führende Denker der Zeit an. Zu den wichtigsten zählte ein Athener namens Sokrates. Dass er die allgemein akzeptierten Vorstellungen von Gerechtigkeit und Tugend philosophisch infrage stellte, bescherte ihm eine Anhängerschaft unter den Jugendlichen. Leider weckte das auch die Aufmerksamkeit der Behörden. Auf deren Veranlassung verhängte die Volksversammlung ein Todesurteil: Sokrates wurde schuldig gesprochen, die Jugend verführt zu haben. Einer seiner Anhänger war Platon, der ebenfalls wissbegierig war und zudem die skeptische Haltung seines Lehrers teilte. Als er sah, wie ungerecht die Athener seinen Lehrer behandelten, zeigte er sich enttäuscht von der attischen Demokratie.
»Aus Demokratie wird Despotismus.«
Platon
Platon gewann nach und nach genauso viel Einfluss wie Sokrates und wandte sich gegen Ende seiner Laufbahn dem Geschäftswesen und der Politik zu. Berühmt ist sein Werk Der Staat. Für die Demokratie empfand Platon wenig Sympathie. Aber auch andere Regierungsformen hatten in seinen Augen wenig Gutes. Er glaubte, sie alle würden den Staat ins Elend führen.
Das gute Leben
Um zu verstehen, was Platon in diesem Zusammenhang mit Elend meinte, muss man sich seine Vorstellung der Eudaimonie vergegenwärtigen: Das »gute Leben« (die richtige Lebensführung) war für die alten Griechen ein wichtiges Lebensziel. Gut zu leben, das war keine Frage des materiellen Wohlstands, der Ehre oder des Vergnügens. Vielmehr ging es darum, in Einklang mit den grundlegenden Tugenden Weisheit, Pietät und vor allem Gerechtigkeit zu handeln. Der Zweck des Staates, so glaubte Platon, bestehe darin, diese Tugenden zu befördern, damit die Bürger ein gutes Leben führen könnten. Der Schutz des Eigentums, Freiheit und Stabilität waren nur insoweit von Belang, als sie die Bedingungen für ein gutes Leben schufen. Nach Platons Ansicht hatte es jedoch niemals ein politisches System gegeben, mit dem sich dieses Ziel erreichen ließe.
Den Grund sah Platon darin, dass Herrscher – ob in einer Monarchie, einer Oligarchie oder einer Demokratie – dazu tendieren, im eigenen Interesse zu regieren, nicht im Interesse des Staates und seiner Bewohner. Platon erklärte, das liege an einer allgemeinen Unkenntnis der Tugenden, die das gute Leben ausmachten. Die Menschen wollten das Falsche, insbesondere die vergänglichen Freuden, die mit Ruhm und Reichtum einhergehen. Beides erringt man durch politische Macht. Doch der Wunsch, aus den – für Platon – falschen Gründen zu herrschen, führt zum Konflikt unter den Bürgern. Wer immer mehr Macht will, zerstört am Ende die Stabilität und die Einheit des Staates. Wer siegreich aus dem Machtkampf hervorgeht, nimmt seinen Gegnern die Möglichkeit, ihre Wünsche zu verwirklichen, was zur Ungerechtigkeit führt – einem Übel, das der platonischen Vorstellung vom guten Leben genau entgegengesetzt ist.
Doch es gibt eine Klasse, so Platon, die versteht, worauf es beim guten Leben ankommt: die Philosophen. Nur sie allein erkennen den Wert der Tugenden über Annehmlichkeiten wie Ruhm und Geld hinaus und weihen ihr Leben der richtigen Lebensführung. Deshalb streben sie nicht nach Berühmtheit oder Besitz, deshalb haben sie keinen Drang nach politischer Macht. Paradoxerweise macht sie das zu idealen Herrschern. Auf den ersten Blick scheint Platon einfach zu sagen: Die Philosophen wissen es am besten – was man einem Philosophen schwerlich glauben würde. Aber dahinter steckt eine subtilere Gedankenkette.
Sokrates wählte das Gift: Er wollte seine Ansichten nicht widerrufen. Das Verfahren gegen Sokrates ließ Platon am demokratischen politischen System in Athen zweifeln.
Ideen
Von Sokrates hatte Platon gelernt, dass Tugenden nicht naturgegeben sind, sondern von Wissen und Weisheit abhängen. Wer ein tugendhaftes Leben führen will, muss das Wesen der Tugend verstehen. Platon entwickelte die Ideen seines Mentors weiter. Er zeigte, dass Menschen vielleicht in der Lage sind, einzelne Ausprägungen von Gerechtigkeit, Güte oder Schönheit zu erkennen, damit aber nicht verstanden haben, was das Wesen von Gerechtigkeit, Güte oder Schönheit ausmacht.
Wir können gerechtes Verhalten imitieren, indem wir so handeln, wie wir es für gerecht halten – aber das ist bloße Nachahmung. In seiner Ideenlehre legte Platon dar, dass Archetypen der Tugenden (und alles Seienden) existieren. Sie bestehen aus ihrem wahren Wesen, etwa der »Gerechtigkeit an sich«. Das bedeutet, dass das, was wir im Einzelfall als Tugenden wahrnehmen, nur Abbilder oder Schatten der zugrunde liegenden Ideen sind. Die idealen Formen oder Ideen, wie Platon sie nannte, existieren in einem Bereich außerhalb der Welt, in der wir leben. Sie sind allein über das philosophische Denken zugänglich. Deshalb sind die Philosophen in besonderer Weise dazu geeignet, zu definieren, was das gute Leben ausmacht, und ein wirklich tugendhaftes Leben zu führen. Zuvor schon hatte Platon erklärt, dass der Staat, wenn er gut sein will, von den Tugendhaften regiert werden muss. Und während andere vor allem das Geld oder die Ehre schätzen, sind es die Philosophen, die Wissen und Weisheit (und damit die Tugend) zu würdigen wissen. Aus diesem Grund müssen die Philosophen Könige werden. Platon schlug vor, ihnen Machtpositionen zu überlassen, um die Konflikte zu vermeiden, die andere Regierungsformen mit sich bringen.
»Die größte Strafe aber ist, dass man von einem Schlechteren regiert wird, wenn man nicht selbst regieren mag.«
Platon
Platon erklärte mit der Metapher vom Staatsschiff, warum Philosophen Herrscher sein sollten. Obwohl er nicht nach der Macht strebt, ist der Nautiker der Einzige, der den Kurs halten kann – wie der Philosoph der Einzige ist, der das Wissen hat, um gerecht zu regieren.
Ausbildung zum König
Platon wusste, dass dies ein utopischer Standpunkt war. So führte er weiter aus: »… oder die, welche jetzt Könige und Herrscher heißen, [müssten] echte und gründliche Philosophen werden.« Damit unterbreitete er den praktikableren Vorschlag, die künftige Herrscherklasse entsprechend auszubilden. In seinen späteren Dialogen Politikos und Nomoi beschrieb er ein Staatsmodell, mit dem die nötigen philosophischen Fähigkeiten vermittelt werden können, um das gute Leben zu verstehen. Doch wies Platon darauf hin, dass nicht jeder Bürger über die Begabung und die geistigen Fähigkeiten verfügt, solche Kenntnisse zu erwerben. Er schlug vor, dass diese Art der Ausbildung in den Fällen, wo sie angemessen erscheint (also bei einer kleinen geistigen Elite), erzwungen und nicht nur angeboten wird. Wer wegen seiner »natürlichen Gaben« für die Ausübung der Macht infrage kommt, sollte von seiner Familie getrennt in einer besonderen Gemeinschaft aufwachsen, damit er allein dem Staat gegenüber loyal ist.
»Demokratie [ist] zügellos, buntscheckig, so etwas wie Gleichheit gleicherweise unter Gleiche wie Ungleiche verteilend.«
Platon
Platons politische Schriften hatten großen Einfluss in der antiken Welt, besonders im Römischen Reich. Sie waren ein Echo jener Vorstellungen von Tugend und Bildung, wie sie in der politischen Philosophie der chinesischen Gelehrten Konfuzius und Mozi angeklungen waren. Es ist sogar möglich, dass sie Chanakya in Indien beeinflussten, als dieser seine Abhandlung über die Ausbildung künftiger Herrscher schrieb. Im Mittelalter breitete sich Platons Lehre weiter aus, in das islamische Reich und in das christliche Europa, wo Augustinus sie in die Kirchenlehre aufnahm. Später stand Platon dann im Schatten von Aristoteles, dessen Eintreten für die Demokratie besser zu den politischen Philosophen der Renaissance passte.
Noch späteren Denkern galten Platons politische Ansichten als allzu autoritär und elitär. Als die moderne Welt um die Einführung der Demokratie rang, konnten viele sich nicht mit seinen Vorstellungen anfreunden. Platon wurde als Vertreter eines totalitären, allenfalls paternalistischen Herrschaftssystems kritisiert, angeführt von einer Elite, die behauptete zu wissen, was für alle das Beste ist. In jüngerer Zeit jedoch hat seine zentrale Vorstellung einer politischen Elite von »Philosophenkönigen« durch die politischen Denker neue Wertschätzung erfahren.
Kaiser Nero stand da und tat nichts, um zu helfen, während ein Feuer in Rom wütete. Das Ideal Platons eines Philosophenkönigs sahen einige als Grund für den Aufstieg von Tyrannen wie ihm.
Platon
Platon wurde um 427 v. Chr. geboren und hieß ursprünglich Aristokles. Seinen Spitznamen Platon (»breit«) bekam er später, weil er so muskulös war. Er stammte aus einer Athener Adelsfamilie und sollte wahrscheinlich eine politische Karriere einschlagen. Stattdessen wurde er ein Schüler des Philosophen Sokrates und war zugegen, als sein Mentor es vorzog, zu sterben und seine Ansichten nicht zu widerrufen.
Platon bereiste mehrmals den Mittelmeerraum, ehe er nach Athen zurückkehrte. Dort gründete er eine Schule für Philosophie, die Akademie, zu deren Schülern der junge Aristoteles zählte. Platon lehrte und schrieb einige Bücher in Dialogform, in denen meist sein Lehrer Sokrates auftrat und philosophische sowie politische Ideen vertrat. Bis ins hohe Alter soll Platon gelehrt und geschrieben haben und 348/347 v. Chr. mit ungefähr 80 Jahren gestorben sein.
Hauptwerke
um 399–387 v. Chr. Kriton
um 380–360 v. Chr. Der Staat (Politeia)
um 355–347 v. Chr. Politikos, Nomoi