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EINLEITUNG

Wenn jeder stets haben könnte, was er (oder sie) will, gäbe es keine Politik. Was auch immer »Politik« genau bedeuten mag – und darunter kann man vieles verstehen, wie dieses Buch zeigt –, es ist klar, dass wir nie all das bekommen, was wir wollen. Stattdessen müssen wir miteinander wetteifern, Kompromisse eingehen und manchmal um Dinge kämpfen. Dabei entwickeln wir besondere Sprachen, um unsere Ansprüche zu verdeutlichen und zu rechtfertigen, um andere herauszufordern und ihnen zu widersprechen. Das kann eine Sprache der Interessen sein, ob von Einzelnen oder Gruppen, eine Sprache der Werte, in der es um Rechte und Freiheiten oder gerechte Anteile und Gerechtigkeit geht. Zentral für die Politik war auf jeden Fall von Anfang an die Entwicklung politischer Ideen, die uns helfen, Ansprüche zu äußern und Interessen zu verteidigen.

»Man muss also die politischen Gemeinschaften auf die edlen Handlungen hin einrichten und nicht bloß zum Beisammenleben.«

Aristoteles

Politik lässt sich aber nicht darauf reduzieren, wer was wo wann und wie bekommt. Vielmehr ist sie teilweise Reaktion auf die Herausforderungen des täglichen Lebens und Ausdruck der Erkenntnis, dass kollektives Handeln häufig besser ist als individuelles Handeln. Eine andere Tradition des politischen Denkens geht auf den griechischen Philosophen Aristoteles zurück, der sagte, in der Politik gehe es nicht nur darum, materielle Bedürfnisse zu befriedigen. Denn mit dem Entstehen komplexer Gesellschaften stellten sich verschiedenste Fragen: Wer soll regieren? Welche Macht sollen politische Herrscher haben und wie stehen diese zu anderen Autoritäten, beispielsweise der Familie oder der Kirche?

Aristoteles sagt, der Mensch sei von Natur aus ein politisches Wesen, und meint damit nicht nur, dass es dem Menschen in einer komplexen Gesellschaft besser geht als in der Einsamkeit. Gemeint ist auch, dass es etwas ureigen Menschliches ist, eine Meinung zu öffentlichen Angelegenheiten zu haben. Politik ist etwas Nobles: Die Menschen legen die Regeln fest, nach denen sie leben, und zudem die Ziele, die sie gemeinsam verfolgen wollen.


Politischer Moralismus

Aristoteles glaubte nicht, dass alle Menschen an der Politik beteiligt sein sollten: In seinem System stand Frauen, Sklaven und Ausländern nicht das Recht zu, über sich und andere zu herrschen. Doch seine Idee, dass die Politik eine unverwechselbare kollektive Aktivität ist, mit der bestimmte gemeinschaftliche Zwecke verfolgt werden, findet heute noch Widerhall. Worum geht es dabei? Viele Denker haben seit der Antike unterschiedliche Ideen entwickelt, welche Ziele die Politik verfolgen sollte. Einen derartigen Ansatz nennt man politischen Moralismus.

Für die Moralisten ist das politische Leben ein Zweig der Ethik oder Moralphilosophie. Sie sind der Auffassung, die Politik solle auf wesentliche Ziele ausgerichtet sein. Politische Vereinbarungen würden getroffen, um bestimmte Dinge zu schützen – beispielsweise Gerechtigkeit, Gleichheit, Freiheit, Glück, Brüderlichkeit oder nationale Selbstbestimmung. Der radikale Moralismus liefert darüber hinaus Beschreibungen idealer politischer Gesellschaften, sogenannter Utopien, benannt nach dem Buch Utopia des englischen Staatsmannes und Philosophen Thomas Morus, das 1516 veröffentlicht wurde. Darin schildert er die ideale Nation. Die Tradition des utopischen politischen Denkens reicht zurück bis zum antiken griechischen Philosophen Platon mit seiner Politeia, und in ihr stehen moderne Denker wie Robert Nozick (Anarchie, Staat, Utopia). Manche Theoretiker finden das utopische politische Denken gefährlich, weil es in der Vergangenheit dazu gedient hat, totalitäre Gewalt zu rechtfertigen. Doch im besten Fall ist das utopische Denken Teil des Strebens nach einer besseren Gesellschaft und viele von den Denkern, die in diesem Buch erwähnt werden, rufen damit zur Einhaltung oder zum Schutz bestimmter Werte auf.


Politischer Realismus

Eine andere Tradition des politischen Denkens lehnt die Vorstellung ab, dass die Politik für moralische oder ethische Werte wie Glück oder Freiheit zuständig ist. Stattdessen, so wird argumentiert, gehe es in der Politik um Macht. Macht ist das Mittel, mit dem Ziele erreicht, Feinde geschlagen und Kompromisse aufrechterhalten werden. Ohne die Fähigkeit, Macht zu erwerben, sind Werte – wie nobel sie auch sein mögen – nutzlos.

Die Denker, die sich im Gegensatz zur Moral auf die Macht konzentrieren, werden Realisten genannt. Sie richten ihr Augenmerk auf die Machtausübung, auf Auseinandersetzungen und Kriege und sind häufig zynisch, was die menschliche Motivation angeht. Die beiden größten Theoretiker der Macht sind vielleicht der Italiener Niccolò Machiavelli und der Engländer Thomas Hobbes. Sie beide erlebten eine Zeit mit Bürgerkrieg und politischen Unruhen im 16. bzw. 17. Jahrhundert.

»Lass kluge Toren sich um Herrschaftsformen spalten, die besten sind, die wir am nützlichsten verwalten.«

Alexander Pope

Machiavelli etwa findet, dass Menschen »undankbare Lügner« sind, weder edel noch tugendhaft. Er hält politische Motive, die über die Beschäftigung mit der Macht hinausreichen, gar für gefährlich. Für Hobbes ist der gesetzlose »Naturzustand« ein Krieg aller gegen alle. Per »Sozialvertrag« mit seinen Untertanen übt der Herrscher absolute Macht aus, um die Gesellschaft vor diesem anarchischen Zustand zu bewahren. Aber die Beschäftigung mit der Macht fand nicht nur im frühen modernen Europa statt. Auch weite Teile des politischen Denkens im 20. Jahrhundert beschäftigten sich mit dem Thema Macht.

Kluge Berater

Realismus und Moralismus sind große politische Entwürfe, die dazu beitragen sollen, der Gesamtheit der politischen Erfahrungen im menschlichen Leben einen Sinn zu geben. Doch nicht alle politischen Denker bewegen sich in diesen Zusammenhängen. Neben den politischen Philosophen gibt es eine ebenso alte Tradition, die pragmatisch orientiert ist und in der immer versucht wird, das beste Ergebnis zu erzielen. Gut möglich, dass es stets Kriege geben wird und Diskussionen über die Beziehung zwischen politischen Werten wie Freiheit und Gleichheit. Aber vielleicht können wir Fortschritte beim Entwerfen von Verfassungen, bei der Umsetzung politischer Maßnahmen oder der Auswahl möglichst fähiger Beamter machen. Einige frühe politische Denker wie der chinesische Philosoph Konfuzius haben sich beispielsweise mit den Fähigkeiten und Tugenden beschäftigt, die kluge Berater ausmachen.


Das Aufkommen der Ideologie

Eine andere Art politischen Denkens wird häufig als ideologisch bezeichnet. Diese Richtung betont, dass gewisse Ideen typisch sind für bestimmte historische Epochen. Die Ursprünge des ideologischen Denkens finden sich bei den deutschen Philosophen Georg Wilhelm Friedrich Hegel und Karl Marx. Sie erläutern, inwiefern die Ideen verschiedener politischer Epochen voneinander abweichen, einfach weil die In-stitutionen und Gewohnheiten der Gesellschaften verschieden waren und die Gedanken hinter den Ideen sich veränderten.

Platon und Aristoteles sahen in der Demokratie beispielsweise ein gefährliches und korruptes System, während die meisten Menschen in der modernen Welt sie als bestmögliche Staatsform betrachten. Ebenso galt die Sklaverei einst als natürlich, obwohl sie unzählige Menschen ihrer Rechte beraubte, und bis ins 20. Jahrhundert hinein galten die meisten Frauen nicht als Staatsbürger.

Dies wirft die Frage auf, was dazu führt, dass manche Ideen an Bedeutung gewinnen (beispielsweise die Gleichberechtigung), während andere an Bedeutung verlieren (etwa die Sklaverei oder das Gottesgnadentum der Könige). Marx erklärt die historischen Veränderungen damit, dass Klasseninteressen die großen »Ismen« der Ideologien entstehen ließen, vom Kommunismus und Sozialismus (der Arbeiterschaft) bis zum Konservatismus und Faschismus (der Kapitalisten). Doch viele jüngere politische Ideen sind innerhalb des Liberalismus, des Konservatismus, des Sozialismus oder des Nationalismus entstanden.

»Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt darauf an, sie zu verändern.«

Karl Marx

Das ideologische politische Denken wurde durchaus kritisch betrachtet. Wenn Ideen lediglich der Reflex eines historischen Prozesses sind, so die Kritiker, haben die Individuen, die diesen Prozess durchlaufen, eine im Wesentlichen passive Rolle. Rationales Abwägen und Argumentieren sind dann von sehr begrenztem Wert und die ideologische Auseinandersetzung ähnelt dem Wettbewerb zwischen Fußballmannschaften. Leidenschaft, nicht Vernunft spielt bei der Unterstützung der eigenen Mannschaft eine wichtige Rolle, letztendlich geht es ums Gewinnen. Daraus ergibt sich die Sorge, dass ideologische Politik zu den schlimmsten Exzessen des Realismus führen kann, bei denen der Zweck brutale oder ungerechte Mittel heiligt. Ideologische Politik könnte unter diesen Voraussetzungen zu einem Grabenkrieg zwischen rivalisierenden und unvereinbaren Einstellungen führen.

Marx sah als Lösung für politische Konflikte den revolutionären Triumph der Arbeiterklasse und die technologische Überwindung von Mängeln. Dieser Ansatz war aus Sicht des 20. Jahrhunderts allzu optimistisch: Veränderungen durch Revolutionen haben häufig dazu geführt, dass eine Tyrannei durch eine andere ersetzt wurde. Aus diesem Blickwinkel sind der Marxismus und andere Ideologien lediglich die jüngsten Formen eines unrealistischen utopischen Moralismus.


Die umstrittene Zukunft

Hegel zufolge sind politische Ideen Abstraktionen aus dem politischen Leben einer Gesellschaft, eines Staates, einer Kultur oder einer politischen Bewegung. Um diese Ideen zu verstehen, muss man ihre Geschichte und Entwicklung untersuchen. Dabei geht es immer um die Frage, wie wir dahin gelangt sind, wo wir heute stehen. Schlechterdings unmöglich ist es, einen Blick in die Zukunft zu werfen, um zu erkennen, wohin die Entwicklung führt.

In der römischen Mythologie galt die Eule der Minerva als Symbol der Weisheit. Hegel erklärte, die Eule fliege erst in der Abenddämmerung. Damit meinte er, dass wir die Dinge nur im Nachhinein verstehen können. So warnte Hegel davor, zu optimistisch in die Zukunft zu blicken. Und er warnte davor zu glauben, der moderne Staat markiere das Ende der Geschichte – obwohl er dies selbst behauptet hatte. Es ist leicht, unser Zeitalter als das fortschrittlichste und rationalste überhaupt zu sehen; schließlich glauben wir an die Demokratie, die Menschenrechte, freie Märkte und konstitutionelle Regierungen. Dieses Buch zeigt, dass das keinesfalls einfache Vorstellungen sind und dass sie nicht von allen Gesellschaften und Völkern geteilt werden.

In den letzten 80 Jahren sind neue Nationalstaaten entstanden als Ergebnis des schwindenden Imperialismus und der Entkolonisierung. Bundesstaaten wie Jugoslawien und die Tschechoslowakei sind zerbrochen, genau wie die ehemalige UdSSR. Der Wunsch nach nationaler Unabhängigkeit ist stark, schaut man nach Quebec, Katalonien, Kurdistan oder Kaschmir. Völker ringen darum, während manche Staaten komplizierte Bündnisse eingegangen sind. In den letzten drei Jahrzehnten ist so die Europäische Union entstanden, deren politische Integration nach innen wie nach außen immer weiter vorangetrieben wird.

Um die Gegenwart zu begreifen, müssen wir die unterschiedlichen politischen Ideen und Theorien verstehen, die es in unserer Geschichte gegeben hat. Denn aus ihnen hat sich der aktuelle Zustand entwickelt. Gleichzeitig soll uns die Vergangenheit Warnung sein, allzu großes Vertrauen in unsere politischen Werte zu setzen. Immer wieder hat sich gezeigt, dass die Anforderungen, wie das kollektive Leben einer Gemeinschaft zu organisieren und zu regieren ist, sich in einer Weise verändern können, die sich nicht voraussagen lässt. Wenn neue Möglichkeiten der Machtausübung entstehen, entwickeln sich auch neue Vorstellungen in Bezug auf Kontrolle und Verantwortung, so entstehen neue politische Ideen und Theorien. Politik betrifft uns alle. Das heißt: Wir alle sollten uns an den Diskussionen beteiligen.

»Politik ist eine ernste Angelegenheit. Sie sollte nicht den Politikern überlassen bleiben.«

Charles de Gaulle

Big Ideas. Das Politik-Buch

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