Читать книгу Big Ideas. Das Politik-Buch - John Farndon - Страница 17
ОглавлениеEIN EINZELNES RAD BEWEGT SICH NICHT
CHANAKYA UM 350–UM 275 V. CHR.
IM KONTEXT
IDEENLEHRE
Realismus
SCHWERPUNKT
Utilitarismus
FRÜHER
6. Jh. v. Chr. Der chinesische General Sunzi schreibt Die Kunst des Krieges und analysiert in dieser Abhandlung die Staatskunst.
424 v. Chr. Mahapadma Nanda etabliert die Nanda-Dynastie. Er verlässt sich in taktischen Fragen auf seine Generäle.
SPÄTER
um 65 v. Chr. Das Maurya-Reich, zu dessen Gründung Chanakya beitrug, erreicht seinen Höhepunkt und beherrscht fast den gesamten indischen Subkontinent.
1904 Texte der Abhandlungen Chanakyas werden wiederentdeckt und 1915 ins Englische übersetzt.
Im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr. gewann die Nanda-Dynastie die Kontrolle über die nördliche Hälfte des indischen Subkontinents. Sie konnte ihre Gegner besiegen und wehrte sich gegen die drohende Invasion von Griechen und Persern aus dem Westen. Die Herrscher des expandierenden Reiches verließen sich auf ihre Generäle, wenn es um taktischen Rat im Zusammenhang mit der Schlacht ging. Gleichzeitig begannen sie den Wert von Ministern zu erkennen – als Berater in Fragen der Politik und der Regierung. Viele Gelehrte, vor allem aus Takshashila im heutigen Pakistan, wurden zu Ministern ernannt.
Einer der bedeutendsten Denker, der von dort stammte, war Chanakya. Er schrieb eine Abhandlung über die Staatskunst mit dem Titel Arthashastra (»Die Kunst der Regierung«). Darin brachte er das gesamte Wissen über die Kunst der Politik mit seinen eigenen Ideen zusammen. Das Arthashastra ist bemerkenswert wegen der darin enthaltenen leidenschaftslosen und mitunter skrupellosen Analyse des politischen Geschäfts.
Den Herrscher beraten
Einzelne Abschnitte der Abhandlung beschäftigen sich mit den moralischen Qualitäten, die ein Staatsführer haben sollte, doch der Schwerpunkt liegt ganz klar im praktischen Bereich. Ohne Umschweife schildert Chanakya, wie man Macht gewinnen und erhalten kann. Zum ersten Mal in Indien wird eine Organisationsstruktur beschrieben, in der Minister und Berater bei der Führung des Staates eine Schlüsselrolle spielen.
Die Verpflichtung gegenüber dem Wohlergehen des Staates steht im Zentrum von Chanakyas politischem Denken. Dafür, so glaubte er, trägt der Herrscher die Verantwortung. Es sind verschiedene Faktoren, die ihm die Macht verleihen, um die von ihm erwarteten Pflichten wahrzunehmen: Dazu zählen seine persönlichen Qualitäten, die Fähigkeiten seiner Berater, sein Territorium mit den Städten, sein Reichtum, seine Armee und seine Verbündeten.
Als Staatsführer übernimmt der Herrscher die zentrale Rolle. Chanakya betont, wie wichtig es ist, einen Herrscher mit den passenden Qualitäten zu finden, jedoch reichen dessen persönliche Führungsqualitäten allein nicht aus. Der Staatsführer muss für seine Aufgabe ausgebildet werden, beispielsweise in den Bereichen militärische Taktik und Strategie, Recht, Verwaltung und Diplomatie. Außerdem sollen ihm Selbstdisziplin und ethische Grundsätze vermittelt werden, damit er die nötige moralische Autorität entwickeln kann, um sich die Treue und den Gehorsam seines Volkes zu sichern. Bevor er sein Amt übernehmen und erfüllen kann, braucht der Staatsführer die Hilfe erfahrener Lehrer. Wenn er im Amt ist, verlässt sich ein kluger Staatsführer nicht ausschließlich auf seine eigene Weisheit. Vielmehr wendet er sich an vertrauenswürdige Minister und holt sich bei ihnen Rat. Aus Chanakyas Sicht sind diese Personen genauso wichtig wie der Herrscher selbst, wenn es um die Staatsführung geht.
Das Löwenkapitell von Kaiser Ashoka: Es stand in Sarnath zentral im Maurya-Reich. Chanakya trug zur Gründung dieses mächtigen Reiches bei, das fast ganz Indien beherrschte.
»Alles beginnt mit Beratung.«
Chanakya
Im Arthashastra sagt er: »Das Führen des Staates ist nur mit Unterstützung von außen möglich – ein einzelnes Rad dreht sich nicht.« Das ist eine Warnung an den Herrscher, sich nicht zum Autokraten zu entwickeln, sondern Entscheidungen in Staatsangelegenheiten erst dann zu fällen, wenn er sich mit seinen Ministern eingehend beraten hat.
Daher kommt der Ernennung von geeigneten Ministern genauso viel Bedeutung zu wie der Wahl des Führers. Dabei gilt als Voraussetzung, dass die Minister das erforderliche Wissen und die nötigen Fähigkeiten für ihr Amt mitbringen. Sie müssen absolut vertrauenswürdig sein, denn nur dann kann sich der Herrscher auf ihren Rat verlassen. Zudem muss sichergestellt sein, dass Entscheidungen im Interesse des Staates und des Volkes getroffen werden – zur Not, indem ein korrupter Herrscher daran gehindert wird, rein aus Eigeninteresse zu handeln.
Der Zweck heiligt die Mittel
Es war sein Wissen über die Natur des Menschen, das Chanakya von anderen indischen politischen Philosophen seiner Zeit unterschied. So stellt das Arathashastra kein theoretisches Werk zur Moralphilosophie dar, sondern eine praktische Anleitung zum Regieren. Keinerlei Skrupel sind zu erkennen, wenn auch beschrieben wird, wie im Umgang mit Macht List und Tücke zum Einsatz kommen. Chanakya war ein gewiefter Beobachter menschlicher Schwächen wie Stärken und willens, sie auszunutzen, um die Macht des Herrschers zu vergrößern und dessen Feinde zu schwächen.
Das fällt besonders bei seinen Ratschlägen auf, die sich auf die Verteidigung und den Erwerb neuer Gebiete beziehen. Hier empfiehlt er, dass der Herrscher und seine Minister die Stärke des Feindes sorgfältig beobachten und beurteilen sollen, ehe sie sich für eine Strategie entscheiden: Versöhnung herbeiführen, Unfrieden stiften, vorteilhafte Allianzen mit anderen Herrschern eingehen oder schlicht militärische Macht einsetzen. Bei der Anwendung der jeweiligen Taktik sollen die Herrscher rücksichtslos vorgehen, sämtliche Tricks und Schliche, Bestechung oder andere Anreize sind erlaubt. Nach dem Sieg, so Chanakya, solle der Herrscher »die Laster des Feindes durch seine Tugenden ersetzen und dort doppelt so gut sein, wo der Feind gut war.«
Informationsbeschaffung und Spionage
Das Arthashastra erinnert die Herrscher daran, dass sie Militärberater brauchen – und zudem Informationen sammeln müssen. Ein Spionagenetzwerk ist unabdingbar, um beurteilen zu können, welche Bedrohungen von den Nachbarn ausgehen. Chanakya ging jedoch noch weiter: Er meinte, dass das Ausspionieren der Bürger innerhalb des Staates ein notwendiges Übel sei, um soziale Stabilität zu erreichen. In der Innen- wie der Außenpolitik ist die Moral dem Schutz des Staates untergeordnet. Das Wohlergehen des Staates rechtfertigt heimliche Operationen, darunter Morde aus politischen Motiven, um die Gefahr, die von der Opposition ausgeht, zu verringern.
Chanakya benutzte das Bild eines Wagens für den Staat: Der Herrscher ist das eine Rad und seine Minister sind das andere. Um in die richtige Richtung fahren zu können, braucht der Wagen beide Räder.
»Durch die Augen der Minister werden die Schwächen anderer sichtbar.«
Chanakya
Mit seinen Ratschlägen setzte sich Chanakya über die Moral hinweg, wenn es darum ging, Macht zu gewinnen und zu erhalten. Gleichzeitig plädierte er für eine strenge Durchsetzung von Recht und Ordnung. Das lässt sich entweder als kluge Politik oder als nackte Rücksichtslosigkeit auslegen. Deswegen ist das Arthashastra mit Machiavellis Il Principe verglichen worden. Die zentrale Lehre des Buches aber, nämlich dass die Herrschaft von einem Staatsführer und seinen Ministern ausgehen sollte, hat mehr mit Konfuzius und Mozi oder Platon und Aristoteles gemein, deren Ideen Chanakya möglicherweise als Student in Takshashila kennengelernt hat.
Elefanten übernahmen bei der indischen Kriegsführung eine wichtige Rolle. Oft erschreckten sie den Gegner so sehr, dass er sich zurückzog. Chanakya entwickelte neue Strategien der Kriegsführung mit diesen Tieren.
Eine bewährte Philosophie
Die Inhalte des Arthashastra erwiesen sich bald als nützlich. Sie wurden von Chanakyas Schützling Chandragupta Maurya übernommen und der schlug König Nanda erfolgreich. Dies führte um 321 v. Chr. zur Errichtung des Maurya-Reiches, das den Großteil des indischen Subkontinents einnahm. Chanakyas Ideen beeinflussten Regierung und Politik mehrere Jahrhunderte lang, bis Indien im Mittelalter unter die islamische Mogulherrschaft fiel.
Der Text des Arthashastra wurde im frühen 20. Jahrhundert wiederentdeckt. Mit der Unabhängigkeit Indiens 1948 wurde er zum Symbol. Trotz seiner zentralen Rolle in der politischen Geschichte Indiens war Chanakya im Westen wenig bekannt. Erst in jüngerer Zeit wird er außerhalb Indiens als bedeutender politischer Denker anerkannt.
Chanakya
Wo der indische Gelehrte Chanakya genau geboren wurde, ist nicht bekannt. Man weiß, dass er in Takshashila (Taxila im modernen Pakistan) studierte und lehrte. Später ging er nach Pataliputra und wurde Berater von König Dhana Nanda. Die verschiedenen Berichte sind sich darin einig, dass er den Hof von Nanda nach einem Streit verließ und aus Rache den jungen Chandragupta Maurya als Nandas Rivalen aufbaute. Chandragupta stürzte Dhana Nanda und begründete das Maurya-Reich, das über das gesamte Indien, wie wir es heute kennen, herrschte – bis auf den äußersten Süden. Chanakya war Chandraguptas wichtigster Berater. Er soll sich zu Tode gehungert haben, weil er von Chandraguptas Sohn fälschlich beschuldigt wurde, seine Mutter vergiftet zu haben.
Hauptwerke
4. Jh. v. Chr.
Arthashastra Nitishastra