Читать книгу Die Chroniken von Gor 26 - Die Zeugin - John Norman - Страница 11
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ОглавлениеIch behielt die Position bei, denn man hatte mir nicht erlaubt, mich zu bewegen.
Also kniete ich weiter vor ihm im lavendelfarbenen Gras, den Kopf und die Handflächen auf den Boden gepresst.
Eine Haltung, wie sie oft benutzt wird, um Untertänigkeit auszudrücken.
Zwischen den Bäumen konnte ich einige Vögel hören, auch das Plätschern des Brunnens ein paar Fuß entfernt drang an mein Ohr.
Ich spürte, dass seine Augen auf mir ruhten.
Ich trug ein leichtes Seidengewand. Es war extrem kurz und aus praktischen Gründen durchsichtig. Es ließ keinen Zweifel an der Form meines Körpers.
Ich kniete vor ihm, in einer Position, die sich für eine meiner Art gehörte, wenn einer wie er, ein Mann, vor einem stand; einer Position des Gehorsams.
Wer er war oder was er wollte, vermochte ich nicht zu sagen. Hatte er mich in der Nähe der Mauer gesehen?
»Es ist Ruhezeit«, sagte er.
»Ja«, antwortete ich.
Ich hatte Stimmen aus dem Inneren des Hauses gehört, doch ich hatte sie für die Stimmen der Einen, die die Höchste unter uns ist, und ihrer Assistentinnen gehalten. Meist gibt es an einem Ort wie diesem einige von uns, die Höhergestellten von uns gehorchen. Ich war überrascht und erschrocken gewesen, als ich die Stimmen gehört hatte, denn derartige Laute waren während der Ruhezeit sonst nicht zu vernehmen. Und ich wusste, dass die Ruhezeit noch nicht vorüber war – zumindest sollte sie noch nicht vorüber sein. Hätte ich geglaubt, dass die Ruhezeit bald vorbei wäre, hätte ich mich natürlich nie in die Nähe der Mauer begeben, denn das ist, wie Sie sich denken können, nicht gestattet.
»Warum liegst du nicht auf deiner Matte?«, fragte er.
»Ich bin nicht müde«, antwortete ich.
»Du wolltest im Garten umherstreifen?«
Und ich entgegnete: »Ja.«
»Warum warst du nicht im Schatten?«
»Ich weiß es nicht.«
»Eine wie du muss vorsichtig sein.«
»Ja«, entgegnete ich. Ich wusste nicht, was er wollte. Ich hatte Angst.
»Du solltest auf deinen Teint achten«, fuhr er fort.
»Ja!«, stimmte ich erleichtert zu.
»Es wäre unerfreulich, wenn du einen Sonnenbrand bekämst und deine Haut sich rötete oder Blasen bekäme.«
»Natürlich«, sagte ich.
»Oder Schlimmeres«, meinte er.
»Ja, das stimmt«, wiederholte ich.
Warum war er jetzt hier, dieser Mann? Wer war er?
»Dann würdest du vielleicht nicht mehr so gefällig aussehen.«
»Ja.«
»Du bist neu im Garten.«
»Ja.« Wie konnte er das wissen? Ich war sicher, dass er nicht zum Personal gehörte. Und seine Stimme kam mir auch nicht bekannt vor.
Fand er vielleicht Interesse an mir? Und damit meinte ich nicht die Art Interesse, die Männer für gewöhnlich an einer meiner Art finden.
»Position«, sagte er.
Auf diesen schlichten Befehl hin streckte ich meinen Rücken und kniete aufrecht, doch weit zurückgebeugt, sodass meine Schenkel auf meinen Fersen ruhten, die Knie weit gespreizt, denn so gehörte es sich für eine wie mich, die Handflächen auf den Schenkeln. Den Kopf hielt ich jedoch gesenkt. Wie man seinen Kopf hielt, das hatte ich gelernt, hing von der Stadt und dem Mann ab, und im Zweifelsfall ist es die sicherste Wahl, ihn gesenkt zu halten, es sei denn, man weiß, dass man ihn anders halten soll.
»Du darfst den Kopf heben«, sagte er.
Ich kannte ihn nicht. Er war ein starker, mächtiger Mann, wie es sie hier, an diesem Ort, auf dieser Welt, im Überfluss zu geben schien. Groß war er, gekleidet in eine schlichte Tunika mit einer Tasche. Ein Band hielt sein langes, dunkles Haar im Zaum. Ich hatte keinen Zweifel daran, dass einer wie er wusste, wie man eine meiner Art behandelte.
»Wie lautet dein Name?«, wollte er wissen.
»Ich hatte schon viele Namen«, sagte ich, und es stimmte. Einen Namen bei der Ausbildung, einen Namen im Zwinger und noch viele mehr.
»Du hast einen Akzent«, stellte er fest.
»Ja«, erwiderte ich.
»Wie nennt man dich hier im Garten?«, fragte er nun.
»Gail«, antwortete ich.
»Ein ausgezeichneter Name«, meinte er lächelnd.
Ich senkte den Kopf, hob ihn aber wieder, als mir einfiel, dass er mir das gestattet hatte. Ich tat also wohl besser daran, meinen Kopf oben zu halten, bis er einen anderen Wunsch äußerte. Doch noch hatte er mir nicht befohlen, ihm in die Augen zu blicken, und so wandte ich den Blick dankbar von ihm ab. Für eine wie mich kann es schwierig sein, dem Blick eines solchen Mannes zu begegnen.
»Für eine wie dich«, fügte er hinzu. Ich schwieg.
»Das ist ein Erdenname«, stellte er fest.
»Ja«, erwiderte ich.
Er kannte sich also zumindest teilweise mit dem sogenannten »Zweiten Wissen« aus. Das bedeutete, dass er aus einer hohen Kaste stammen musste.
»Stammst du ursprünglich von einem solchen Ort?«, fragte er.
»Ja.«
»Doch jetzt bist du hier, nicht wahr?«
»Ja«, sagte ich noch einmal. Nichts hätte wahrer sein können als diese Aussage.
Er zog ein Blatt Papier aus seiner Tasche. Ein Muster, Wort oder ein Name war darauf zu sehen.
»Kannst du das lesen?«, wollte er wissen.
»Nein«, entgegnete ich.
»Du kannst nicht lesen?«, hakte er nach.
»Nein«, gab ich zu.
Auf dieser Welt war ich eine Analphabetin. Man hatte mir nicht beigebracht, in den Sprachen dieses Ortes zu lesen oder zu schreiben. Eine meiner Art hatte keine Verwendung für derartige Fähigkeiten.
»Erkennst du das Zeichen?«, fragte er.
»Ja«, sagte ich. »Es ist das Zeichen der Stadt.« Ein schlichtes Zeichen. Ich hatte es zuvor schon gesehen, selbst im Innern des Hauses, auf Dokumenten und dergleichen.
Meine Gedanken rasten, ich wusste nicht, was ich hier im Garten eigentlich tat, oder warum man mich hierhergebracht hatte. Natürlich, die Wahrscheinlichkeit war groß, dass man mich aus demselben Grund und für dieselben Zwecke wie die anderen Mädchen hierhergebracht hatte. Aber wirklich sicher war ich mir dessen nicht. Die »Blumen« hier waren von erstaunlicher Qualität, und wenngleich man mich wohl für interessant, vielleicht sogar für bemerkenswert interessant hielt, hatte ich meine Zweifel, dass ich wirklich eine von ihnen war, zumindest nach rein ästhetischen Gesichtspunkten. Außerdem hatte man mich weder gelehrt, zu singen wie sie, noch beherrschte ich die Laute, wie sie es taten. Noch nicht einmal mit den speziellen Tänzen des Gartens war ich vertraut. Es ist eine Sache, sich nackt vor den Wachen zu rekeln, mit seinem Körper auf die Töne einer Flöte zu reagieren, aber eine völlig andere, mit einem Juwelengürtel auf der Tanzfläche in einer der goldenen Tavernen herumzuwirbeln, die nur über die hohen Brücken erreichbar sind. Nun, zugegeben, vielleicht ist der Unterschied gar nicht so groß, Tatsache bleibt aber, dass man mich nicht speziell ausgebildet hatte, zumindest nicht über das hinaus, was eine wie ich, die nicht als Tänzerin verkauft werden soll, können muss.
Warum fragte er mich all diese Dinge?
Natürlich konnte ich nicht lesen! Musste ihm das nicht offensichtlich werden, wenn er meine Züge und mein Seidengewand sah? Gewiss, einige der Blumen konnten lesen – aber ich nicht! Das musste er doch wissen! Und natürlich erkannte ich dieses Zeichen. War es denn nicht weithin bekannt? Was wollte er?
Er steckte das Blatt Papier zurück in seine Tasche.
Ich blickte zu ihm auf, wollte in seinen Augen lesen.
»Warst du in der Nähe der Mauer?«, fragte er beiläufig.
In diesem Moment musste mir wohl sämtliche Farbe aus dem Gesicht gewichen sein.
Nun hatte ich keinen Zweifel mehr daran, dass er mich gesehen hatte! Er durfte es niemandem sagen!
»Dein Zeichen«, verlangte er gleichgültig.
Ich richtete mich auf meinen Knien auf und drehte meinen Körper nach rechts, dann zog ich die Seide auf der linken Seite mit den Fingern beider Hände bis zur Taille nach oben, wie man es tut, wenn man aufgefordert wird, die kleine elegante Markierung dort, direkt unter der Hüfte auf dem linken Schenkel, vorzuzeigen.
»Schöne Hüften hast du«, bemerkte er.
Schon oft hatte ich solche Komplimente gehört. Meine Hüften schienen den Gefallen der Männer zu finden, ebenso wie andere Teile meines Körpers und auch mein Körper als Ganzes.
Doch dann bemerkte ich, dass sein Blick fest auf das Brandzeichen gerichtet war.
»Ja«, murmelte er, während er es betrachtete.
Doch sicher hatte es keine besondere Bedeutung für ihn. Soweit ich das verstand, war dieses Zeichen in seinen zahlreichen Variationen auf dieser Welt die weit verbreitetste Markierung für Wesen wie mich. Es war eine ganz gewöhnliche Markierung, nichts an ihr war außergewöhnlich oder anders.
»Ja«, sagte er noch einmal und schien zufrieden zu sein.
Es überraschte ihn nicht, dass ich ein Brandzeichen am Körper hatte – natürlich nicht. Es wäre höchst ungewöhnlich, wenn eine wie ich nicht diese oder eine ähnliche Markierung am Leib hätte, zumal an diesem Ort. Hier sind diese Zeichen etwas vollkommen Normales. Der Handel und die sozialen Gepflogenheiten haben diese Dinge standardisiert.
Auch ich blickte auf das Brandzeichen hinab. Es wird erwartet, dass wir es uns in solchen Situationen ansehen, wie es auf unserer entblößten Seite prangt, während die Seide von den Fingern beider Hände bis zur Taille hochgezogen ist. Man hat uns beigebracht, unsere Augen nach links unten zu richten, uns die Markierung einmal mehr anzusehen, ihre Bedeutung einmal mehr in uns aufzunehmen. Ich schaute ihn an, und er blickte mich an, mit einem schmalen Lächeln um die Lippen.
Hastig sah ich wieder zu dem Brandzeichen hinab. Was fand er daran nur so interessant? Jemand wie er, groß, stark und voller Energie, der von dieser Welt stammt, in dessen Verhalten ich unbeugsamen Willen und Zielstrebigkeit spürte, dessen Lenden gewaltige Macht entströmte, sollte eine solche Markierung doch eigentlich schon viele Male gesehen haben, ebenso wie er eine wie mich schon oft gesehen haben sollte. So jemand sollte mit meiner Art nicht unvertraut sein, mit unseren diversen Vorzügen, damit, wie man uns benutzte.
Vielleicht hatte er nur gewollt, dass ich meine linke Hüfte vor ihm entblößte. Schließlich ist es doch gut möglich, dass es einer wie er erquicklich oder amüsant findet, uns zu beobachten, während wir uns auf seinen Befehl hin, vielleicht widerwillig, vielleicht sogar mit Tränen in den Augen, vor ihm entblößen. Vielleicht hätte er, der er war, was er war, an jeder Interesse gefunden, die war, was ich war. Aber nein! Er hatte sich für das Brandzeichen interessiert. Welche Bedeutung hatte es für ihn? Es war eine ganz gewöhnliche Markierung. Klein, geschmackvoll und wunderschön. Ich hegte keinen Zweifel daran, dass es noch zu meiner Schönheit beitrug. Außerdem erfüllt es auch einen symbolischen Zweck durch sein Muster, durch seine Realität und die Tatsache, dass es meinen Körper ziert. Tatsächlich hatte ich manchmal vor Leidenschaft leise geschrien, wenn ich auch nur daran dachte. Mehr als einmal hatte ich es in stiller Bitte vor einer der Wachen entblößt, um sie daran zu erinnern, was ich war, und was ich hoffte, von ihm zu bekommen, und was ich von ihm brauchte – ein wortloses Flehen, auf dass die Wache sich meiner erbarmte. Doch oft reichte ihnen das nicht, dann nahmen sie mir meinen ganzen Stolz, indem sie mich vor ihren Füßen umherkriechen, sie lecken und küssen und laut betteln ließen. Je nachdem, wie es ihnen gefiel, erbarmten sie sich dann meiner oder auch nicht. Hin und wieder verbot man uns natürlich, zu sprechen. Dann müssen wir unsere Bedürfnisse auf andere Weise kommunizieren, durch Wimmern, Stöhnen und Tränen. Doch der eigentliche Grund für das Brandzeichen ist vermutlich ein anderer, einer, der nichts mit so naiven Begründungen wie der Betonung unserer Schönheit oder der Art zu tun hat, wie wir, die wir dieses Mal tragen, uns dadurch fühlen. Vielmehr geht es wohl schlicht und ergreifend um eher alltägliche Erwägungen, zum Beispiel um Belange des Besitz- und Handelsrechts. Denn anhand des Brandzeichens kann man uns problemlos identifizieren und erkennen, verstehen Sie?
Doch er schien an diesem ganz speziellen Brandzeichen auf meiner Hüfte interessiert zu sein. Das war schwer zu verstehen, handelte es sich doch lediglich um eine der zahlreichen Variationen der herkömmlichen Markierung. Zweifelsohne, so nahm ich an, gab es viele, ja sogar Tausende in der Stadt, die dasselbe oder ein ähnliches Mal trugen.
Ich blickte noch einmal zu ihm auf und dann, als ich spürte, dass es in Ordnung wäre, schob ich den Stoff nach unten. Anschließend nahm ich wieder die vorherige Position ein, nach hinten gebeugt kniend, die Schenkel auf den Fersen, ihm zugewandt, aber ohne ihm in die Augen zu blicken.
Er hatte zufrieden gewirkt, als er das Brandzeichen betrachtete. Irgendeine Bedeutung musste es für ihn haben. Welche das sein konnte, vermochte ich nicht zu sagen, doch gewiss war er nicht an mir interessiert, außer auf die Weise, wie Männer an einer, wie mir interessiert sind – eine flüchtige Laune.
»In welches Haus hat man dich ursprünglich gebracht?«, fragte er. Angsterfüllt sah ich ihn an.
»Du warst in der Nähe der Mauer, nicht wahr?«
»Bitte«, flehte ich.
Er musterte mich. Tränen bildeten sich in meinen Augen. »Ich weiß nicht, in welches Haus man mich zuerst gebracht hat«, sagte ich. Das war die Wahrheit.
»Wie hieß der, der dich zuerst besessen hat?«, wollte er nun wissen.
»Ich weiß es nicht«, entgegnete ich, und auch das entsprach der Wahrheit.
»In welcher Stadt hast du dein Mal erhalten?«
»Man hat mich in den Pferchen gebrandmarkt. Kurz nach meiner Ankunft hier. Man hat mir nicht erlaubt, die Pferche zu verlassen. Ich wusste nicht, wo ich war.«
»Niemand hat je den Namen der Stadt erwähnt?«
»Nein«, beharrte ich.
Er nickte. Das schien die Antwort zu sein, mit der er gerechnet hatte.
»Wie lauten die Namen derer, die dich ausgebildet haben?«, fragte er weiter.
»Sie nannten uns keine Namen«, antwortete ich. Er lächelte. Auch das schien er erwartet zu haben.
An einen konnte ich mich besonders deutlich erinnern. Ihn hatte ich nie vergessen: Der erste Mann, den ich in dieser Welt deutlich gesehen hatte, als man mir in jenem Korridor gestattete, aufzublicken. Ich, eine Frau von einer anderen Welt, fremd in dieser, die man aus ihrer eigenen Welt entfernt, herausgerissen, und als Gefangene oder etwas noch Niedrigeres hierhergebracht hatte, hatte nackt zu seinen Füßen gekniet, hatte voller Angst in Ketten zu ihm aufgeblickt. Hatte vor ihm gezittert. Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass es solche Männer wie ihn gab. Er, ausgerechnet er, war die erste Person gewesen, die ich in dieser Welt gesehen hatte. Er war es, von dem ich gedacht hatte, ich könnte wichtig für ihn sein. Seine Peitsche hatte er gegen meine Lippen gedrückt, auf dass jene bedeutungsvolle Zeremonie in eingeschüchtertem Einverständnis vollzogen werden konnte. Ich erinnerte mich genau an ihn. Er war der Erste, an dessen Peitsche ich meine Lippen gepresst hatte. Ich hatte gedacht, es würde ihm etwas bedeuten. Doch dann, als ich die zweite Peitsche geküsst hatte, war mir klar geworden, dass ich ihm gleichgültig war. Für ihn war ich nur eine weitere Frau an der Kette. Während meiner Ausbildung hatte ich oft versucht, ihn auf mich aufmerksam zu machen, doch er hatte mir nur wenig Interesse geschenkt. Es war nur zu deutlich gewesen, dass ich für ihn ein Nichts war. Manchmal, wenn er mich doch beachtete, schien er, aus welchem Grund auch immer, wütend. Nicht ein einziges Mal berührte er mich, außer, um meine Haltung zu korrigieren oder mich vorteilhafter zu positionieren, und dann packte er mich unsanft, ja sogar grob und gewiss fester, als nötig gewesen wäre. Er hatte keine Geduld mit mir, obwohl er mit einigen der anderen nachsichtig war. Aus irgendeinem Grund mochte er mich nicht. Ich zitterte unter seiner Berührung, konnte kaum auf meinen Beinen stehen, wenn er in der Nähe war. Manchmal, wenn ich ihn anflehte, trat er mich mit seinem Fuß, dann wandte er sich einfach ab und ließ mich zurück, auf meinen Knien, verschmäht und abgelehnt. Anschließend stieß er mich wieder zu einem anderen hinüber. Doch ich hatte ihn nie vergessen. Er war es gewesen, den ich, von allen Wesen auf dieser Welt, in Ketten auf dem Boden kauernd, deutlich gesehen hatte. Seine Peitsche war es gewesen, gegen die ich zuerst meine Lippen gepresst hatte. Noch immer erinnerte ich mich an den Geschmack des Leders. Doch ich kannte nicht einmal seinen Namen.
»Wie wurdest du aus den Pferchen fortgebracht?«, fragte er.
»Das weiß ich nicht«, sagte ich. »Man verabreichte mir Drogen. Als sie zu wirken begannen, stülpte man mir eine Kapuze über den Kopf und legte mir Fesseln an.«
»Wie wurdest du von dort fortgebracht?«, beharrte er.
Warum stellte er solche Fragen? Was kümmerte es ihn oder sonst irgendjemanden?
»Das kann ich nicht sagen«, erklärte ich. »Man hielt mich unter Drogen. Bestimmt mischte man sie unter mein Essen. Ich glaube, da war ein Schiff und ich war eine lange Zeit in einer Kutsche. Ich konnte nicht nach draußen sehen. Die Wände bestanden aus Metall, die Tür war verschlossen, aber die Straßen waren uneben. Man hielt mich weiter gefesselt, und auch die Kapuze blieb über meinem Kopf. Hören konnte ich nur wenig. Nur selten wurde in meiner Gegenwart gesprochen. Manchmal war es heiß im Innern der Kutsche, und manchmal war es kalt. Ich war sehr lange darin. Irgendwann müssen wir ein Gebirge überquert haben, denn ich hatte das Gefühl, wir würden eine steile Neigung hinauffahren. Aber ich kenne mich mit solchen Dingen nicht aus. Man nahm mir die Kapuze nur ab, wenn man mir zu essen oder zu trinken gab. Dann konnte ich hören, wie das Schloss geöffnet und wieder verschlossen wurde. Die meiste Zeit über schlief ich, denn ich schaffte es nie, länger wach zu bleiben. Manchmal weckte man mich mit Ohrfeigen, wenn ich zu essen oder zu trinken bekam, ehe man mir dann gnädigerweise gestattete, wieder einzuschlafen. Außerdem kann ich mich daran erinnern, dass man mich an Hand und Fuß festband und dann meine Ketten löste, aber nie war ich gänzlich ohne Fesseln. Ich weiß nicht, ob sie fürchteten, ich könnte fliehen. Ich wusste nicht, wo man mich hinbringen würde oder was mit mir geschehen sollte. War ich für sie von Wert? Sicherlich nicht! Eine wie ich ist nie wertvoll. Aber warum sollten sie dann solche Vorkehrungen treffen? Ich konnte nichts sehen, denn sie nahmen mir die Kapuze nicht ab. Irgendwann wurden mir dann mehrere Streifen Stoff um den Körper geschlungen – um Knöchel, Knie, Bauch, Brüste und Hals. Ohne sie wäre ich, glaube ich, erfroren. Schließlich steckte man mich in eine Art Korb, und durch den Stoff konnte ich spüren, wie sie mich an Hals und Knöcheln fesselten, um mich in dem Korb festzuschnallen. Es war schrecklich dort drinnen, der Korb schwankte ständig hin und her, und ich war froh, dass man mich festgeschnallt hatte. Der Wind blies durch die Ritzen in dem Geflecht, und wieder war ich froh um die Streifen Stoff an meinem Körper. Ich bin überzeugt, der Korb wurde durch die Luft transportiert. Damals verstand ich natürlich noch nicht, wie das möglich war, und ich hielt es für eine Nebenwirkung der Drogen oder für einen Traum. Manchmal hörte ich merkwürdige, wilde Schreie, wie von Vögeln, die mich erschreckten, die meiste Zeit aber schlief ich.«
»Wann wurdest du so transportiert?«, fragte er. »Wie viel Zeit war vergangen seit deiner Ankunft in den Pferchen?«
»Das weiß ich nicht.«
»Tage?«
Ich nickte. »Ja, ich denke schon.«
»Viele Tage?«
»Ja«, antwortete ich. »Das glaube ich zumindest.«
»Wochen?«
»Möglicherweise.«
»Nun, ich nehme an, in einem solchen Zustand wie dem, in dem du warst, lässt sich so etwas wohl nur schwerlich bestimmen.«
»Ja«, stimmte ich ihm zu. Gewiss wusste er, wie hilflos man in den Klauen solcher Substanzen war. Doch warum interessierte er sich für diese Dinge?
»Man scheint große Mühen unternommen zu haben, damit deine Reise sicher und geheim verläuft«, murmelte er.
»Das wusste ich damals nicht«, sagte ich.
»Aber jetzt ist es dir klar, nicht wahr?«, fragte er.
»Nach dem, was ich jetzt weiß, denke ich, schon«, meinte ich. Und es stimmte. Normalerweise transportierte man uns nicht im Geheimen oder auf verborgenen Wegen, so man uns denn transportierte. Nein, für gewöhnlich wurden wir recht öffentlich an andere Orte gebracht, meistens in Kutschen, die mit blauer und gelber Seide bedeckt waren, unsere Knöchel an eine Stange gekettet, die in der Mitte längs durch den Innenraum führte – eine Stange, die man heben und senken oder aber in einer Position festmachen kann. Manchmal transportiert man uns auch in speziellen Schiffen, die nur für uns gebaut wurden, mit schmalen Lattenbänken, auf denen wir liegen. Gefesselt und voneinander durch stählerne Trennwände abgeschnitten. Manchmal, in den Kutschen, werden wir auch aneinander gekettet oder in metallenen Behältern transportiert, in denen wir mit Seilen fixiert werden, oder in Säcken, die ihrerseits festgemacht sind. Natürlich gibt es auch ganz schlichte Kutschen, in denen wir hinter Gittern kauern, so, wie es für unsereins nicht ungewöhnlich ist. Es gibt viele Möglichkeiten, uns von einem Ort an einen anderen zu bringen. Bisweilen, und das ist gar nicht so selten, werden wir sogar in kurzen Tuniken, am Hals oder an den Handgelenken zusammengekettet, zu Fuß über die Straßen getrieben, unter der Aufsicht berittener Wachen, die auf gesattelten Tharlarions sitzen. Nähert sich uns dann jemand, zum Beispiel eine andere Karawane, treten wir normalerweise an den Straßenrand, knien uns hin und blicken auf den Boden hinab, bis der Staub sich gelegt hat und das Klingeln der Glöckchen vorüber ist.
Von plötzlichem Grauen erfüllt, blickte ich zu ihm hoch. Er würde doch hoffentlich niemandem von der Mauer erzählen, davon, dass ich mich ihr genähert hatte.
Er durfte es nicht erzählen!
»Steh auf«, sagte er, und ich kam der Aufforderung nach.
Er blickte mich an, wie man eine meiner Art eben anblickt.
»Entkleide dich«, verlangte er.
Meine Hand glitt zu der Schlaufe an meiner linken Schulter, und einen Moment, nachdem ich sie gelöst hatte, trat ich aus dem Häufchen Seide um meine Füße.
In einer großzügigen Geste deutete er auf das Gras.
Ich setzte mich wieder, lehnte mich zurück und stützte mich auf meinen Handflächen ab.
In dieser Position befinden sich die Hände hinter dem Körper, wo das Gewicht auf ihnen ruht. Es ist eine der Haltungen, die man uns beibringt, und in ihr, das wissen wir, sind wir noch hilfloser.
Er kniete sich neben mich und Angst erfüllte mich.
Ich blickte nach hinten, zur Mauer, und fürchtete, dort den Rücken einer Wache zu erblicken. Obwohl die Büsche uns vor Blicken aus dem Haus verbargen, war diese Stelle doch, wie die meisten Teile des Gartens, von der Mauer aus leicht einzusehen. Natürlich hatten die Wachen Befehl, nicht herunterzublicken, es sei denn, ein verdächtiger Laut oder eine verdächtige Bewegung im Innern des Gartens gab ihnen einen triftigen Grund dazu. Manchmal wurden sie sogar von der Mauer abgezogen. Doch dies war die Ruhezeit, und es war davon auszugehen, dass sie oben standen. Außerdem hatten wir manchmal gesehen, dass sie uns beobachteten, und nicht nur, wenn wir in dem Becken schwammen, uns badeten, unsere Seidengewänder anprobierten oder wenn eine von uns einen Tanz einstudierte, sondern auch, wenn wir unsere Übungen machten oder hinter der, die die Höchste unter uns war, durch den Garten spazierten. Natürlich taten wir dann so, als würden wir ihre Blicke nicht bemerken. Es ist schon interessant, wie unser Verhalten sich verändert, und wie tief greifend es sich ändert, wenn wir uns unter den Augen eines Mannes wissen. Es ist, als müssten wir plötzlich noch schöner sein, und ich glaube, das trifft auch auf Frauen zu, die nicht so sind wie wir. Tief in ihrem Herzen wissen wohl auch sie, wem sie gehören.
»Du hast Angst«, sagte er.
Ich blickte ihn an.
Sanft legte er die Finger auf meine Lippen. »Du wirst doch nicht schreien, oder?«, fragte er.
Voller Schrecken starrte ich ihn an.
Mit der linken Hand hob er meinen rechten Fuß ein paar Inch aus dem Gras, mein Knöchel hilflos in seinem Griff, dann rieb er mit dem Zeigefinger über den Fußballen. Als er die Hand hob, glänzte ein Tropfen Blut auf seinem Finger. Er legte ihn auf meine Lippen und ich schmeckte das winzige bisschen Blut. Ich hatte mir den Fuß aufgeschnitten, natürlich an den scharfen Steinen. Zu unvorsichtig war ich gewesen, als ich von der Mauer forthuschte.
Nun hatte er den Beweis, dass ich mich der Mauer genähert hatte. Vermutlich hatte er mich dort gesehen, und nun hatte er mich zu seiner Belustigung überführt. Welche Macht er nun über mich hatte! Aber warum sollte einer wie er noch größere Macht über eine wie mich wollen? Hatte er, und wenn nicht er, dann doch zumindest seine Art, denn nicht schon völlige Kontrolle über mich und meinesgleichen?
»Du wirst doch nicht schreien, oder?«, wiederholte er.
Ich bewegte den Kopf wild hin und her, weniger als Antwort, sondern vielmehr aus Hilflosigkeit und Frustration.
»Man kennt mich hier im Haus«, versicherte er mir.
Doch sicher berechtigte ihn das allein noch lange nicht dazu, den Garten zu betreten! Sich einer von uns zu nähern, so, wie er sich mir genähert hatte.
»Also gut«, sagte er. Seine Hand glitt nach unten zu dem Seidenteil, das ich abgestreift hatte, und er faltete es mehrere Male zusammen. So leicht war der Stoff, dass er selbst, mehrfach gefaltet, immer noch dünn und elegant war. Diese Lagen Seide, sorgfältig zu einem Rechteck zusammengelegt, presste er dann plötzlich auf meinen Mund. Es schob sich zwischen meine Zähne, und ich biss darauf, teilweise drückte es auch gegen meine Lippen. Ich konnte die Seide spüren, wie sie meine Lippen und die Haut darüber und darunter bedeckte.
»Leg dich hin.«
Ich legte mich auf den Rücken, erfüllt von schrecklicher Angst.
Wusste er denn nicht, dass dies der Garten war? Wusste er nicht, wie gefährlich das war, was er tat?
»Man sagt, dass solche wie du bisweilen lüstern sind.«
Warum drückte er sich so aus? Solche, wie ich sollten, bisweilen lüstern sein? Das ist alles andere als ungewöhnlich. Tatsächlich tun wir gut daran, lüstern zu sein, wenn wir wussten, was gut für uns ist! Wir sind nicht die Art Frauen, die durch Zurückhaltung oder Freundlichkeit weiterkommen. Diese Waffen, wenn man sie so nennen kann, stehen uns nicht länger zur Verfügung. Wir waren entwaffnet. Falls man es mit einem Krieg vergleichen wollte, so waren ich und die anderen, die sind wie ich, eindeutig die Verlierer. Wir waren bezwungen, besiegt, hilflos, untertänig, die Beute der Männer. Doch, wichtiger noch, waren wir Frauen, ausgewählt nach zahlreichen Kriterien, darunter Intelligenz, Schönheit und eben Lüsternheit. Und wir fanden uns in einer Position wieder, in der andere Eigenschaften, wie Schüchternheit, Hemmungen, Kompromisse und dergleichen einfach nicht gestattet wurden. Die Lust, die in uns allen steckt, wurde in den Vordergrund gerückt, wir wurden dazu ermuntert, ja sogar darin unterrichtet, uns ihr hinzugeben, auf dass ihre Flamme hoch und immer höher loderte, bis wir zu ihrem Opfer, zu ihrer Gefangenen wurden und hilflos, verzweifelt, ständig darauf warteten, dass Männer uns ein Ventil für diese Lust boten. Doch an diesem Ort war mir die Befriedigung die meiste Zeit über verwehrt geblieben. Oft hatte ich darum gebettelt, dass man mich benutzen möge, dass ich angekettet zwischen den Tischen der Gäste liegen dürfte, auf dass sie mich benutzten. Ja, selbst darum hatte ich gebeten, dass man mich an eine Bank im Garten fesselte, um von denen benutzt zu werden, die dort arbeiteten – oder dass man mich, dankbar, ekstatisch, mit hinter dem Rücken gefesselten Armen und einer Kapuze über dem Kopf, in die Gemächer der Wachen brächte. Doch sie, die die Höchste unter uns war, schien mich zu hassen, aus einem Grund, den ich nicht verstand, und darum hatte sie voller Gleichgültigkeit gegenüber meinem Schmerz und meinem Leid und meinem Elend jede dieser Bitten abgelehnt.
Ich blickte verängstigt und panisch zur Spitze der Mauer hinauf, voller Angst, eine Wache könnte dort gerade ihre Runde drehen und mich sehen.
Dann berührte der, der den Garten betreten hatte, mich sanft.
Hilflos bäumte ich mich auf, ein wilder Schrei, erstickt durch die nasse Seide zwischen meinen Zähnen. Er legte seine Hand auf meinen Mund, dann zog er sie wieder zurück. Ich hatte mich nicht beherrschen können. Nun blickte ich zu ihm auf, elend, mit Tränen in den Augen. Mit einem bettelnden Wimmern lag ich da, streckte ich ihm meinen Körper entgegen. Ich blickte ihn aus weit aufgerissenen Augen an, in denen sich Verwirrung und Flehen mischten.
Er schien zufrieden. »Ja«, sagte er, mit demselben Tonfall, mit dem er auch das Mal auf meiner Hüfte kommentiert hatte. Jenes Mal, das sich nie wieder auslöschen ließ, das mit einem glühend heißen Eisen auf mich und in mich gebrannt worden war.
Hilflos versuchte ich, meinen Körper gegen seine Hand zu pressen.
Meine Fragen kümmerten mich nicht länger, mir war egal, ob ich es nun verstand, warum er hier war, oder nicht. Selbst, dass sein Interesse an mir über das hinausgehen könnte, was einer wie er in einem Garten von einer wir mir wollen könnte, hatte jegliche Bedeutung verloren.
Ich wimmerte flehend, bettelte, blickte zu ihm hinauf, die Zähne fest in die Seide verbissen, mein Körper nach oben gewölbt.
Ich wand mich, dachte an seine Berührung. Weiter streckte ich mich ihm entgegen.
Doch ich wurde nicht berührt. Tränen rannen aus meinen Augen. Er würde mich doch nicht quälen wollen! Bettelnd winselte ich.
Ich wusste, was er mit mir tun konnte. Er durfte mich nicht quälen! Er durfte mich nicht quälen!
Mein Blick ruhte auf ihm. Es lag in seiner Hand.
Dankbar schluchzte ich, als er mich benutzte.
Ich umklammerte ihn. Um meinen linken Knöchel lag ein goldener Reif, ebenso um meinen linken Oberarm, und an meinem rechten Handgelenk trug ich zwei schmale goldene Armreifen. Sie stießen leise zusammen, als ich meine Glieder um ihn schlang.
Ich glaubte nicht, dass er sich viel Zeit mit mir nehmen würde.
Bestimmt war er sich der Gefahren des Gartens bewusst.
Ich umklammerte ihn, nutzte meine geringen Kräfte, um mich energisch an ihn zu pressen.
Bald würde er fertig mit mir sein.
Ich war nur ein Mädchen im Garten.
So fest ich nur konnte, hielt ich ihn umklammert.
Ich wollte jeden Eindruck, jede Emotion und jede noch so kleine Bewegung genießen. Ich war dankbar, so, wie ich für die Brotkrumen dankbar bin, die man mir hinwirft.
Bettelnd blickte ich, über den durchnässten Seidenknebel hinweg, zu ihm hinauf.
Meine Augen flehten ihn an, nicht aufzuhören.
Ich wollte mehr, mehr! Ich konnte mich nicht beherrschen.
Dann überkam mich plötzlich Angst. Was, wenn er aufschrie? Manchmal brüllen solche Männer in ihrer Lust, in ihrer Ekstase, als wären sie wilde Tiere! Sein Schrei könnte die Wachen auf uns aufmerksam machen!
Ich sah ihn an, voller Furcht, die Zähne fest in die Seide verbissen. Er durfte nicht schreien!
Panisch schüttelte ich den Kopf.
Doch er achtete gar nicht auf mich. Seine Augen brannten in einem wilden Feuer. Ebenso gut hätte ich ein Nichts in seinen Händen sein können!
Da wurde ich mir meiner eigenen Hilflosigkeit bewusst.
Ich wusste, dass ich einen Moment davon entfernt war, erneut erobert zu werden. Wie erbärmlich ich doch war, die ich zu ihm aufblickte. Ich war mir sicher, dass er meine Hilflosigkeit erkannte.
Er hielt inne. Ich versuchte, mich nicht zu bewegen, versuchte, nichts zu fühlen.
Blickte zu ihm auf.
Er durfte nicht erzählen, dass ich in der Nähe der Mauer gewesen war! Er durfte nicht erzählen, dass ich in der Nähe der Mauer gewesen war!
Ich war leise und gehorsam gewesen, ich hatte nicht geschrien und nicht nach den Wachen gerufen.
Befriedigte ich ihn etwa nicht?
Was konnte ich denn noch tun?
Er musste leise sein. Keinen Laut durfte er von sich geben. Dieser Ort war nicht sicher.
Wie lange lagen wir hier schon gemeinsam?
Wusste er denn nicht, dass man uns von der Mauer aus sehen konnte?
Ich hatte Angst, die Wachen könnten uns entdecken! Die Ruhezeit musste bald vorüber sein.
Dann würden sie in den Garten kommen. Was, wenn die Höchste unter uns, in den Garten kam? Was, wenn man uns entdeckte?
Doch auf die Hilflosigkeit folgt die Unterwürfigkeit.
Es lag alles in seiner Hand. Ich stöhnte und blickte ihn an.
Er hatte mich an einen Punkt gebracht, wo er alles mit mir tun konnte, was er nur wollte.
Ich war nun Sein.
Wie es sie belustigen und befriedigen musste, solche Macht über uns zu haben! Doch diesem Gedanken zum Trotz klammerte ich mich in meiner Hilflosigkeit an ihn. Er konnte mit mir tun, was er wollte. Es lag alles in seiner Hand.
Oh, bitte, lass ihn Mitleid mit mir haben!
Wie sie uns dazu bringen, uns ihnen hinzugeben!
Lass ihn gut zu mir sein! Oh, bitte, sei gut zu mir!
Er blickte auf mich hinab, die ich fest in seinen Armen lag.
Mit meinen Augen flehte ich ihn untertänig, um Mitleid heischend, an.
Plötzlich fragte ich mich, ob er gekommen war, um mich oder ein anderes Mädchen zu stehlen? Um eine Blume zu pflücken, eine der üppigen Früchte des Gartens zu nehmen und mit ihr zu flüchten. Doch es ist fast unmöglich, so etwas zu tun. Zugegeben, manchmal verschwand eine Blume, aber in der Regel verschwand dann auch eine Wache oder ein Angestellter des Hauses mit ihr. Das war gefährlich, aber es war machbar. Doch dieser Mann war keiner aus dem Haus, und er gehörte auch nicht zu den Angestellten oder den Wachen, da war ich mir sicher. Er kannte sich hier nicht aus, er hatte weder die Schlüssel noch das Passwort und vermutlich nicht einmal Freunde im Haus, wie also konnte er hoffen, mich an den Wachen vorbei über die Mauer oder durch das Tor zu schaffen? Wie könnte er überhaupt die Mauer erklettern, wo ihre Krone doch von den geschwungenen Klingen bedeckt war? Andererseits … er hatte gesagt, dass man ihn im Haus kannte. Konnte das wirklich wahr sein? Denn falls ja, dann, vermute ich, kann er einfach so gehen, wann es ihm beliebt – ganz im Gegensatz zu einer wie mir. Vielleicht wartete er auf jemanden und war nur in den Garten spaziert, um sich die Zeit zu vertreiben, und dann hatte er mich vor der Mauer gesehen, und weil meine Schönheit ihn mit Verlangen erfüllte, wie es bei vielen Männern war, hatte er aus einer Laune heraus beschlossen, mich zu nehmen und sich zu vergnügen.
Wie verabscheuungswürdig das war!
Doch nun war ich sein.
Hilflos! Er hatte mich an diesen Punkt gebracht.
Jetzt konnte er mit mir tun, was immer er wollte.
Tief in meinem Herzen wusste ich aber, dass ich ihn auch gewollt hatte, vielleicht sogar tausend Mal mehr als er mich gewollt hatte.
Er war ein Mann von dieser Welt und einen von ihnen zu sehen, kann uns jegliche Beherrschung verlieren lassen.
Für solche Männer sind wir gemacht.
Er bewegte sich unmerklich und ich stöhnte bettelnd.
Ich spürte, dass ich zum Nachgeben geneigt war, gleich einem leisen Flüstern, das zunehmend beharrlicher wurde.
Ich lag bereits in den Wehen jener Hilflosigkeit, welche der Unterwürfigkeit vorausgeht, sie ankündigt und davor warnt. Manchmal lässt sie uns erstarren, als seien wir an eine Wand gekettet und wüssten, dass es kein Entkommen gab, weshalb wir uns mitunter an einen Abgrund getrieben sehen, wo wir an Händen und Füßen gefesselt ein heikles Gleichgewicht wahren, das von so wenig abhängt wie dem Flüstern oder Atemhauch eines anderen.
Ich biss auf die Seide.
Er bewegte sich unmerklich.
Ich stöhnte dankbar, eilfertig und schaute zu ihm auf.
Er schenkte mir keinerlei Beachtung.
Ich packte ihn. Nicht mehr lange, und ich würde mich unterwerfen.
Ich wollte es tun! Ich bettelte mit Blicken darum.
Mir war, als hörte ich Stimmen vom Haus aus. Ich ächzte. Unterzog er mich einer Art von Folter?
Gut möglich, wenn man in Betracht zog, wie machtlos ich war, wie sehr seiner Gnade unterworfen.
Um es noch einmal zu vergegenwärtigen: Ich war ein Nichts! Nur ein Mädchen in einem Garten.
Sicher, ich hatte, angekettet und gefesselt, erfahren, was seinesgleichen mir antun konnte, wie sie mich immer wieder souverän und sanft, aber dennoch auf grausame Art zu einem solchen Punkt trieben, einem heiklen, klar umrissenen Punkt – an die schiere Grenze zur Zügellosigkeit, die Schwelle zur Ekstase und deren Überschreiten. Ich nahm dann den letzten Rest Beherrschung zusammen, während ich versuchte, in dieser Lage zu verharren, bis ich dann schließlich widerwillig, leidend und klagend zurückwich. Erst nach einer Weile vermochte ich, so es ihnen Freude bereitete, mit kaum mehr Aufwand als wenigen geschickten Berührungen erneut zum gleichen Grenzgang zu gelangen. Solche Macht, wie Männer sie auf uns ausüben, verdeutlicht gewiss eindrücklicher, weshalb sich Frauen wie ich dringlich bemühen, ihnen zu gefallen. Nicht alle Folterinstrumente bestehen aus Eisen, nicht alle Werkzeuge zur Maßreglung aus Leder. Bemerkt sei noch die naheliegende Parallele zwischen solchen Qualen und jenen, die Frauen aus meiner alten Welt den dortigen Männern zufügen, um ihre eigenen Zwecke durchzusetzen, aber dergleichen gibt es hier nicht. Es ist eine Angelegenheit zwischen den Frauen meiner ehemaligen Heimat und ihren Männern oder besser gesagt Männchen. Diese Mittel stehen Frauen wie mir hier nicht zur Verfügung, was mittlerweile klar sein dürfte. Die Vorrechte, solche Folter auszuüben, so Anlass dazu besteht, genießen nicht wir, sondern die Männer. Wir wurden bezwungen, aber ich würde es nicht anders wollen.
Ich hörte Stimmen aus dem Haus. Die Ruhestunde musste vorüber sein!
Ich schaute mich hektisch, ja panisch in den Armen desjenigen um, der mich festhielt.
Er sah auf mich herab. Mir war, als sei ich reglos an die Wand gekettet und von seinen Launen abhängig. Mir war, als stünde ich vor einem Sturz, gefesselt an Händen und Füßen.
Er bewegte sich kaum merklich.
Auf einmal spürte ich eine andere Form von Hilflosigkeit, die ich einen Moment lang wiederzuerkennen schien, ehe ich entsetzt versuchte davor zu flüchten, obwohl es nicht abzuwenden war. Dann schien es, als gebe mein Wille ehrfürchtig nach: Ich klammerte mich an den Mann!
Es war die Unterwürfigkeit, und zwar jene der Frauen von meinem Schlag.
Wieder und wieder heulte und schluchzte ich.
In diesem Augenblick dachte ich nicht mehr an die Gefahr, nahm nicht mehr wahr, ob er oder ich aufschrie, vergaß die Wachen und befürchtete nicht, jemand könne im Garten erscheinen. Nichts war mehr wirklich wichtig, außer diesem Gefühl, diesen Empfindungen und diesem Moment!
Erst jetzt wurde mir auch seine Kraft offenbar, die mich wie gebündelt, wie zusammengeschmolzen durchdrang. Ich hielt mich an ihm fest und er sah auf mich herab.
Meine Hingabe wurde anscheinend mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen.
Ich wollte nicht, dass er mich gehen ließ, war aber gleichzeitig auch erschrocken. Wir befanden uns im Garten! Ich versuchte, mich ein kleines Stück weit zu entziehen. Wusste er um das Risiko?
Er zog die nasse Seide von meinem Mund und hob sie ein wenig an, dann warf er sie neben uns ins Gras.
Ich war natürlich wehrlos, wie festgenagelt. Schon schlang er erneut beide Arme um mich. Auf seinen Gesichtsausdruck konnte ich mir nun, da er wieder auf mich herabschaute, keinen Reim machen.
»Im Haus, wo man dich zu Anfang ausgebildet hat, redeten sie dort genauso mit dir wie ich?«
Was war daran jetzt so wichtig? Begriff er nicht, in welcher Gefahr wir schwebten?
Ich konnte mich nicht bewegen. In seinen Armen blieb ich ohne Macht.
Gern wäre ich geflohen, und dennoch wollte ich zugleich verweilen, weiter festgehalten werden. Er hatte sich mit mir vergnügt, jetzt verhörte er mich. Warum blickte er mich so an? Oh, wie sehr ich von seiner Laune abhängig war! Gewiss hegte er größeres Interesse an mir, nicht bloß vorübergehend zum Techtelmechtel in einem Garten. Meine Angst blieb unvermindert. Fast beiläufig hatte er sich an mir gütlich getan, bloß weil ich verfügbar war. Was er sich indes vordergründig von mir versprach, ging sicherlich über bloße Befriedigung und Unterhaltung hinaus, die er mir hinterlistig abgetrotzt hatte. So konnte er mit jeder seiner flüchtigen Begegnungen im Garten verfahren, jenen wohlgestalteten, furchtsamen und unrettbar empfänglichen Grazien. Sein Geschlechtsverkehr mit mir war beinahe eine Selbstverständlichkeit. Nun da er fertig mit mir war, widmete er sich wieder seinen Fragen, was mir besonders deutlich vor Augen führte, wie unmaßgeblich und wie bedeutungslos ich war.
Wie hilflos wir doch sind!
»Sie verwendeten die Sprache«, antwortete ich. Wenn man sich hier auf »die Sprache« bezog, wusste jeder, welche gemeint war. Natürlich sprach man sie dort, wo man mich ausgebildet hatte. Bei jenen Männern handelte es sich nicht um Barbaren; die Wilde war vielmehr ich.
»Nein«, sagte er. »Ich meine ihren Akzent.«
»Sie hatten eine andere Aussprache.«
»Hast du den Akzent wiedererkannt?«
Ich verneinte.
Sicher, ich hatte den Akzent hier und dort schon einmal gehört, nachdem ich aus dem Pferch gekommen war, und sogar bisweilen außerhalb der Mauer, wenn auch nur selten. Allerdings wusste ich ihn nirgends einzuordnen. Schließlich war ich auf diesem Planeten vielen verschiedenen Sprechweisen begegnet. Wieder stieg Furcht in mir auf; warum interessierten ihn solcherlei Dinge?
»Dreh den Kopf hin und her«, gebot er.
Ängstlich gehorchte ich.
»Du trägst hübsche Ohrringe«, fand er.
Sie waren zierlich und aus Gold, passend zu meinen Armreifen, -bändern und Spangen. »Sie betonen dein dunkles Haar ganz reizend«, fuhr er fort.
Flehentlich schaute ich zu ihm auf; ich verstand ihn nicht.
Er wusste doch, dass ich ein Mädchen mit durchstochenen Ohrläppchen war, und was das auf dieser Welt bedeutete. Noch bevor er mir befohlen hatte mich auszuziehen, musste es ihm klar gewesen sein.
Er durfte mich nicht weiter festhalten! Doch, er sollte es weiter tun, und sei es auch nur für einen kurzen Moment! Nein, er musste mich gehen lassen!
Wir waren immerhin in diesem Garten!
Dämmerte ihm die Gefahr denn nicht?
»Hattest du schon Ohrlöcher, als du auf diesen Planeten kamst?«, fragte er.
»Nein.«
»Du wurdest also im Pferch gestochen?«, schlussfolgerte er.
»Nein, nicht dort«, widersprach ich.
Er schaute wieder von oben auf mich herab.
»Ich verstehe nicht, was du willst«, jammerte ich. »Ich bin nichts Besonderes«, beteuerte ich, »keinen Deut anders als Tausende meiner Sorte.«
Er rutschte ein wenig zurück und beäugte mich. »Nur nicht so bescheiden. Du würdest einen stattlichen Preis erzielen.«
Ich warf ihm einen kummervollen Blick zu.
»Aber im Grunde genommen«, fuhr er fort, »hast du recht. Du unterscheidest dich im Kern dessen, was du bist, überhaupt nicht von tausend anderen Mädchen.«
»Bitte, lass mich gehen!«, flehte ich.
Er schaute auf.
»Bitte!«, wiederholte ich, drehte und wand mich.
»Ah«, stöhnte er unvermittelt.
Aber ich hatte doch gar nicht beabsichtigt, ihn zu erregen! Dann jedoch spürte ich, dass er wieder in mir anschwoll, und musste, noch während die Stimmen näher kamen, erneut für seine Genugtuung herhalten.