Читать книгу Die Chroniken von Gor 26 - Die Zeugin - John Norman - Страница 12

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Ich klammerte mich abermals verzweifelt wimmernd an ihn.

Kannte er die Gefahr wirklich nicht?

Auf einmal sah er mich streng an und fragte: »Bist du Janice?«

»Ich heiße Gail«, entgegnete ich. »Gail!«

»Hat dich schon einmal jemand Janice genannt?«

»Nein.«

»Lügst du etwa?«

Ich verneinte wieder.

»Weißt du, welche Strafe einer wie dir blüht, wenn sie nicht die Wahrheit sagt?«

»Ja«, stöhnte ich.

»Also lügst du nicht?«

»Nein.«

»Kennst du ein Mädchen, eines von deiner Sorte, das Janice heißt?«

»Nein!«, schluchzte ich. Man hatte mir eingebläut, ich müsse solche Fragen beantworten, falls man sie mir stellte. Er bohrte weiter: »Warst du jemals in der Stadt Treve?«

»Nein!«, betonte ich erneut.

Vor dem, was solche Verhöre bedeuten mochten, war ich bereits gewarnt worden, wobei man mir empfohlen hatte, wie ich reagieren sollte. Indes war es mir selbst wohl so wenig wahrscheinlich vorgekommen wie denjenigen, die mich beraten hatten, dass ich je in eine Situation geraten würde, in welcher ich mich solchen Fragen stellen musste. Wie konnte man diese Dinge so unheimlich wichtig finden? Warum erachtete er derlei Informationen als heikel oder vertraulich? Nichts von alledem ergab für mich einen Sinn; ich verstand nichts davon. Vielleicht waren meine Lehrer verrückt. Ich wusste nichts, was irgendjemand wichtig oder interessant finden konnte. Ich selbst war unbedeutend, überhaupt nichts Außerordentliches. Unter Tausenden stach ich nicht heraus, wenn man davon absah, dass ich eventuell mehr Geld einbrachte als andere. Ich blickte zu ihm auf.

Er sollte sich nicht mit solchen Belangen aufhalten!

Ich war eben, was ich war, und nichts weiter.

Andererseits: Genügte dies nicht bereits für sich genommen, so wenig es auch wert war?

Ich lag im Garten in seinen Armen. Ich war verwirrt und scheute seine Fragen. Gleichzeitig erschütterte mich mein eigenes Empfinden und Verhalten. Wieder einmal war ich – eine von meinem Schlag – mutwillig und konsequent gezwungen worden, jemanden zu befriedigen, einen Mann wie ihn. Mein Stand, meine Stellung waren eindeutig. Man hatte mich entschieden und absolut unmissverständlich daran erinnert, was ich darstellte. Ich suchte dringlich seine Lippen, um mich erkenntlich zu zeigen und in der Hoffnung, sie küssen zu dürfen.

Wie hart sie schienen, und wie weich dagegen meine!

Endlich küsste ich begierig, dankbar, und ohne dass ich mich dessen hätte erwehren können, seine Lippen, sein Gesicht, die Schultern und die Brust, denn wir hatten ja Zeit – nein, mussten Zeit haben.

Dann vernahm ich die Stimme derjenigen, die als Erste unter uns galt. Sie klang sehr nahe, fast in Griffweite. Ich schrie leise und gequält auf, doch als ich mich entziehen wollte, wurde ich festgehalten, ganz dicht an jene breite Brust.

Das Erste Mädchen schrie laut vor Wut.

Als ich den Kopf nach rechts drehte, sah ich sie voller Entsetzen – tatsächlich, unsere Aufseherin!

Er stieß mich dennoch nicht von sich und wollte auch nicht aufspringen. Vielmehr hielt er mich zu meinem Schrecken und Gram, nackt und hilflos, weiter so fest im Arm, dass ich mich nicht regen konnte.

Irgendwann ließ er mich doch los und erhob sich, woraufhin ich zu meinen Seiden lief und sie aufraffte. Während ich zitternd und entsetzt auf der Erde kniete, bedeckte ich mich damit.

Er wirkte zornig auf mich, als er sich umdrehte, um diejenigen zu sehen, die gekommen waren: unsere Aufseherin, die eine lange, biegsame Lederrute trug und zwei große Begleiterinnen.

Er hielt seine Tunika locker in einer Hand, dazu den Gürtel und seine Brieftasche.

Die drei Frauen trugen ebenfalls Seide, aber kostbarere und auf deutlich andere Weise als ich, was insofern stimmig war, da sie an diesem Ort, hier im Garten, viel mehr galten als ich. Meine Seide, die ich nun an mich drückte, war unregelmäßig mit Feuchtigkeitsflecken gesprenkelt, nachdem er sie zwischen meinen Mund geschoben hatte, damit ich keinen Schrei oder irgendetwas von mir gab. An einigen Stellen zeigte sie sogar Zahnabdrücke, da ich in meiner Verzweiflung darauf gebissen hatte, während ich immer hemmungsloser geworden war, zuletzt bis zur Unbeherrschtheit. Es war nichts weiter als ein kurzes, durchsichtiges Kleid. Die Seide der drei anderen ließ im Gegensatz dazu zwar nichts durchblicken, entblößte sie aber trotzdem gewissermaßen, wie es solche Stücke auch tun sollen. Unsere Aufseherin trug eine scharlachrote Seidenweste ohne Ärmel, unter der sich ihre Schönheit wie zum Protest wölbte. Ein kurzes Band, dessen Enden lose herabhingen, hielt sie zusammen. So konnte man sie mit einem beiläufigen Ruck öffnen und die Weste über den Rücken abstreifen. Ihre beiden Gehilfinnen hatten ebenfalls dunkelrote Gewänder an, die vorne mit leicht zugänglichen Haken geschlossen waren. Derjenigen, die als Erste unter uns galt, zweifellos aufgrund ihres hohen Ansehens, hatte man erlaubt, die Seide im Bauchbereich, von wo aus sie tief unterhalb der Hüften verlief, wie einen Harfax-Rock zu tragen. Dieses noch recht bescheidene Kleidungsstück ist dreieckig und wird an der linken Hüfte befestigt, sodass das rechte Bein bedeckt bleibt, während das linke beim Gehen entblößt wird. Die linke Körperseite ist so bis auf die Weste nackt. Die Frau hatte die Seide mit einer Goldspange an der linken Hüfte fixiert, derweil ihren beiden Begleiterinnen keine solche Großzügigkeit gestattet worden war. Ihre Bauchteile, die genauso weit am Becken heruntergezogen waren, bestanden jeweils aus zwei schmalen Rechteckstücken. Dieser Schnitt ist gebräuchlicher. In ihrem Fall hielt eine linksseitig verschnürte Kordel den Stoff zusammen. Diese muss für gewöhnlich so locker gebunden werden, dass sie sich leicht lösen lässt, denn die meisten Männer hier sind, wie jene auf meinem Heimatplaneten, Rechtshänder. Solche Seiden werden jedoch nicht immer unter eine Kordel oder einen Gürtel geklemmt, sondern stattdessen vorne oder hinten eingeschoben. So lassen sie sich noch rascher ausziehen. Die drei trugen genau wie ich Schmuck. Armreife, -bänder und je eine Spange, aber im Gegensatz zu mir auch Halsketten, zwei davon sogar mit Anhänger. Diese sowie einzelne Glieder baumelten teilweise bis zu ihrem bloßen Bauchnabel, streiften ihn oder stießen dagegen. Wir alle waren Mädchen mit durchstochenen Ohrläppchen, wie man so sagt. Ich trug die erwähnten kleinen Goldringe darin; dazu hatte ich die Erlaubnis bekommen. Der Schmuck der Aufseherin war aufwendiger – Draht und dünne Plättchen, die bis an ihre Wangen hingen. In den Ohren ihrer zwei Gefährtinnen steckten hingegen große Goldreife. Erwähnt seien noch ihre Talmits, Haarbänder zum Zeichen ihrer Autorität. Das des Ersten Mädchens war schmal und aus Gold, mit einem mittig eingearbeiteten Edelstein, genauer gesagt einem Rubin, wohingegen die anderen beiden herkömmliche Talmits aus dunkelroter Seide trugen. Ein zusätzliches Schmuckstück oder Zeichen hatten wir alle: unseren Halsreif. Habe ich oft genug darauf hingewiesen? Möglicherweise. Man erachtet dergleichen als zu selbstverständlich. Es gehört zur Tradition, Frauen wie uns Halsreife anzulegen. Unsere bestanden nicht aus massivem Edelmetall, sondern waren bloß vergoldet. Verschließen lassen sich alle im Genick, und wir selbst können sie nicht ausziehen. Dem Leser sei versichert, dass wir daran nicht viel auszurichten vermögen, aber sie sind dennoch keineswegs unbequem. Oft vergisst man gar, dass man einen trägt, obzwar man rasch darauf gestoßen werden kann. Unsere Brandzeichen markieren uns, wie bekannt sein dürfte, als das, was wir sind. Dies ist, wie ich schon angedeutet habe, sehr nützlich, wenn es um Rechts- und Handelsfragen geht. Am Halsreif erkennt man für gewöhnlich das Haus beziehungsweise den Mann, der mit absoluter Gewalt über uns verfügt. Halsfesseln wie Brandzeichen sind auf ihre unterschiedlichen Arten Merkmale zur Identifikation, doch Erstere erweisen sich, wie man leicht nachvollziehen kann, als etwas spezifischer. Schließlich kann man sie wechseln, während das Brandzeichen so bleibt, wie es ist.

»Was macht ihr hier?«, fragte Aynur, wie unsere Aufseherin hieß, den großen Langhaarigen, auf dessen Gesicht, Schultern, Oberkörper und Mund ich gerade noch meine Lippen gepresst hatte, bevor ich vor Schreck, als ich sie nahen hörte, darum bemüht war, mich zu entziehen, was er mir jedoch nicht erlaubt hatte. Deshalb musste ich genau so verharren, wie ich war, nackt und in seiner Umklammerung.

»Was?«, schrie sie nun.

Ich kauerte nach wie vor furchtsam vor ihr und klammerte mich an meine Seiden. Welch armseligen, unerheblichen Schutz boten sie in dieser Situation für meine Scham!

»Was tut ihr hier?«, drängte sie abermals.

Mir graute vor Aynurs aufbrausender Natur, obgleich ich sie schon zuvor so erlebt hatte. Sie schien vor Rage fast neben sich zu stehen. Ich hoffte darauf, dass ihr entgangen war, wie ich den Fremden geküsst hatte. Das wäre wirklich übel; es durfte nicht sein! Dazu muss man verstehen, dass ich einfach genommen und benutzt werden sollte, ohne meine Zustimmung, völlig gegen meinen Willen. Besser, ich gab vor, die Angelegenheit geschmacklos zu finden, lieber Desinteresse heucheln und nicht zeigen, dass es mir gutgetan hatte. Unsere Leidenschaft wurde zumindest theoretisch und in den Gärten reguliert, weil sie zur Gänze demjenigen vorbehalten war, der die Vollmacht über uns besaß. Allerdings weiß ich bis heute nicht, wer so etwas ernsthaft glaubt. Man macht uns zum alleinigen Eigentum der Männer, sodass wir jederzeit unseren Besitzer oder Halsreif wechseln mögen, und tun so, als sei unsere exklusive Leidenschaft quasi ein Kaufargument. Das ist doch absurd. Von Dirnen in Tavernen und Bordellen erwartet man gewiss nicht, dass sie diesem Mythos gerecht werden. Müssen nicht auch wir in den Gärten bisweilen für andere zur freien Verfügung stehen, so, wie es derjenige, der die absolute Macht über uns hat, in seiner Schläue beziehungsweise Freimütigkeit entscheidet? Und falls wir nicht zufriedenstellend oder zugänglich genug waren, was man objektiv anhand unserer Körperreaktion bewerten konnte, wird man uns dann nicht schwer bestrafen oder sogar umbringen? Bedient man sich unserer zum Beispiel nicht auch häufig dazu, die Geschicke derer zu verbessern, die uns besitzen, weil unsere Schönheit etwa Speisesälen zur Zierde gereicht oder unser Tun – Auftragen und Unterhalten, bisweilen an Ketten zwischen den Tafeln – das Essen umso schmackhafter macht? Erwartet man nicht von uns, dass wir uns dankbar, diensteifrig und authentisch, was immer sorgfältig geprüft wird, in Fesseln rekeln? Nein, uns zu befehlen, nichts zu fühlen und unser Selbst zu leugnen, ist zu viel verlangt. Genauso könnte man unschuldiges Stroh, das in Öl getränkt wurde, dafür verdammen, dass es im Nu in Flammen aufgeht, sobald man eine Fackel daran hält. Als das, was wir sind, unterstehen wir der Gnade aller Männer. Man sehe es uns nach. Ich musste nun vorgeben, dass ich nichts gefühlt hatte. Man tut besser daran, den Anschein, an den Mythos zu wahren. Dies ist wichtig. Ich ging davon aus, dass Aynur nicht beobachtet hatte, wie und in welcher Position ich ihn küsste. War sie dem Mythos selbst ergeben? Ich hoffte es inständig.

»Was ist hier los?«, rief sie abermals mit schriller Stimme, doch er antwortete nicht.

»Ich werde die Wachen rufen!«, drohte sie.

Ich war naheliegenderweise überrascht, dass sie dies nicht schon längst getan hatte. Aynur strafte mich mit einem hasserfüllten Blick. Ich wusste, dass sie mich nicht mochte, aber dieser Ausdruck war entsetzlich. Ich hatte noch nie erlebt, wie sie jemanden so angesehen hatte. Vor Schreck schaute ich schnell nach unten, fühlte mich klein und verwundbar, wie ich im Gras des Gartens hockte und mich an meiner Seide festhielt.

»Der Garten ist Privateigentum«, sagte Aynur zu dem Fremden. »Du hast keine Befugnis, ihn zu betreten! Du solltest nicht hier sein.«

Er ging immer noch nicht auf sie ein.

»Du besitzt nicht das Recht, dich hier aufzuhalten«, fuhr sie fort. In ihrer Stimme schwangen Entrüstung, Wut und Ärger mit.

Doch er schaute sie bloß an.

Ich hörte das Plätschern des Brunnens. Die Ruhestunde war vorüber.

Den anderen Mädchen hatte man offensichtlich nicht gestattet, in den Garten zurückzukehren; vielleicht hatten sie aber auch von sich aus, in weiser Voraussicht, davon abgesehen.

Mir war Aynurs Benehmen ein Rätsel. Sie hatte einen Unbekannten im Garten ertappt und war dennoch nicht weggerannt. Woher wusste sie, dass er nicht hier war, um Obst zu sammeln oder Blüten zu pflücken.

Wieso war sie sich so sicher, dass er sie nicht angreifen und packen, knebeln und an Händen und Füßen fesseln würde, um sie zur Mauer zu tragen? Dass sie nicht derart verschnürt, in einem Netz zappelnd oder an einer Leine, von Helfershelfern oben auf die Mauer gehievt würde, um sie von dort auf die Ladefläche eines Wagens zu stoßen, der voller Heu auf der anderen Seite stand. Dort mochte sie ein anderer Scherge ungesehen festhalten, derweil das Gefährt davonrollte. Ich verstand ihr Benehmen nicht. Sie war weder geflohen noch zu den Wachen geeilt.

Sie musste diesen Mann kennen.

Ich hob den Kopf ein wenig an, wobei sich unsere Blicke eine Sekunde lang begegneten. Dann widmete sie sich erneut dem Fremden. Ihre Raserei, ihr Zorn galt in erster Linie ihm. In dem Moment, da ich ihr in die Augen geschaut hatte, war mir klar geworden, dass sie mich als nebensächlich erachtete. Ich hatte erkannt: Ich bedeutete nichts für sie, aber ihr Blick stellte auch in Aussicht, dass sie sich meiner später annehmen würde.

Der Fremde schien keine Angst vor Aynur zu haben.

Vielleicht kannte man ihn im Haus, wie er behauptet hatte, obwohl ihm dies sicherlich nicht gestattet hätte, den Garten ohne Einladung zu betreten und seine Freuden, unerlaubt auszukosten.

Anhand von Aynurs Gebaren wurde ersichtlich, dass er keine Befugnis dazu hatte.

Wünschte sie sich, er hätte statt meiner sie hier angetroffen?

Warum hatte ich mich ihm nicht widersetzt, weshalb hatte ich nicht die Wachen verständigt?

Das wollte Aynur bestimmt in Erfahrung bringen.

Sie durfte nicht herausfinden, dass ich zur Mauer geschlichen war!

Deshalb hatte ich keinen Alarm geschlagen, eben weil ich dorthin gegangen war. Diese Tatsache hatte ihm, den sie hier nicht kannten, solche Macht über mich verschafft, abgesehen davon, dass jemand wie er natürlich gewissermaßen unabhängig uneingeschränkt über eine wie mich verfügen konnte.

Vorhin hatte dies aber nicht zugetroffen. Ich hatte mich recht schnell meiner Seiden entledigt und relativ bereitwillig gehorcht. Seine Hände auf mir zu spüren und in seinen Armen zu liegen, war mir ein Bedürfnis gewesen. Meinesgleichen gehörte seinesgleichen, und im Garten fühlte ich mich einsam unter den Blumen, die zwar wunderschön waren, aber bedeutungslos und für sich genommen, unvollständig. Zu selten schenkte uns ein Wachmann seine Aufmerksamkeit; zu selten mussten wir im Haus für Zerstreuung sorgen; so gut wie nie gehörte ich zu jenen Blumen, die dazu auserkoren wurden. Wenn Aynur ihre Wahl traf, wies sie mich fast immer ab, während wir alle hoffnungsfroh, hübsch und aufgeregt in einer Reihe knieten, parfümiert und mit Schmuck behangen, geschminkt und in Seiden gehüllt. Dann musste ich diese Dinge wieder ausziehen und mich an meiner Matte zurückmelden. Ich hielt mich nicht für weniger anmutig als die anderen Blumen und hätte mich bestimmt als Trägerin für Tablette oder Weinkaraffen geeignet. Ich erinnerte mich daran, dass mich einige Männer nicht unattraktiv gefunden hatten. Manchmal kam es mir beinahe so vor, als sei ich keine Blume, zumindest nicht im gleichen schlichten, unschuldigen Sinn wie die übrigen, sondern etwas deutlich anderes. Fast schien es, als sei ich nicht als Blume, sondern in anderer Funktion wert, in diesem Garten gehalten zu werden. Ich fühlte mich wie versteckt, obwohl dies ja auf uns alle zutraf. Eigentlich war keine hier für die Augen von jedermann bestimmt, sondern nur den Angestellten desjenigen vorbehalten, der das alleinige Recht an uns besaß, sowie anderen mit seiner Erlaubnis.

Diese Gedanken führten zu nichts; ich war nur eine von vielen Blumen, nicht mehr oder weniger. Ins Hintertreffen geriet ich nur, weil mich Aynur nicht mochte, und offensichtlich war sie damit nicht die Einzige. Dies lag wohl daran, dass manchem schwante, ich könne in Ketten auf einem Auktionsblock zu einem hohen Preis, vielleicht für mehr Geld als sie, veräußert werden, geleitet von geschickt ausgeführten Peitschenhieben, auf die ich ohne Widerrede ansprechen musste. Eine weitere Möglichkeit für ihren Groll stand im Zusammenhang mit meiner Herkunft, denn ich war das einzige Mädchen im Garten, das von der Erde stammte. Ehemalige Bewohnerinnen dieses Planeten erfreuen sich hier nicht immer vorbehaltloser Beliebtheit. Ferner hatte ich mir seine Berührungen erhofft und sie dringend gebraucht, weil ich bin, was ich bin, und bereits vor meiner Ankunft auf dieser Welt war, obwohl ich dagegen aufbegehrt und es nicht richtig verstanden hatte. Im Übrigen war ich noch nicht von unserem Herrn berührt worden. Ob dies auch auf die anderen zutraf, wusste ich nicht. Genau genommen hatte ich ihn bislang noch gar nicht gesehen, denn als man mich herbrachte, entkleidete und vorzeigte, stand er – eventuell auch ein bloßer Mittelsmann – hinter einem Wandschirm. Als ich zu Abendoder Festmahlen im Haus diente, waren nur seine Untergebenen anwesend. Einzig seinen Namen kannte ich.

Ich schaute zu dem Fremden, aber er beachtete mich gar nicht.

Er durfte nicht preisgeben, dass ich zur Mauer gegangen war. Sie sollte nicht erfahren, dass ich ihn ein- oder zweimal willentlich geküsst hatte.

Ich betrachtete Aynurs Begleiterinnen. Tima und Tana, so hießen sie, halfen ihr offiziell. Ihre Namen sind auf dieser Welt unter Frauen wie uns weitverbreitet. Wahrscheinlich trugen Tausende sie. Die beiden hatten im Laufe ihres Lebens mit dem Halsreif zweifellos viele andere Namen getragen. Selbst ich, die noch nicht so lange hier weilte, war schon mit Verschiedenen gerufen worden. Wir lernen zügig, auf welchen Namen auch immer zu reagieren. Eigene besitzen wir angesichts unserer Rolle natürlich nicht, was uns mit Tarsks oder Sleens vergleichbar macht. Sowohl Tima als auch Tana waren großgewachsen. Schon eine allein mochte mich mühelos überwältigen. Tana schaute mich lächelnd an. Ich wich ihrem Blick ängstlich aus. An ihrer rechten Hüfte hingen über der Bauchkordel ein Paar Armreife, zierliche aber stabile und hübsche Teile. Sie waren durch drei Kettenglieder aus Stahl miteinander verbunden.

»Was hast du zu deiner Verteidigung zu sagen?«, fragte Aynur den Mann aufgebracht. Ihr Benehmen, ihre Haltung und offenkundige Empörung, ihre Bösartigkeit und Rage verwirrten mich. Ich konnte mir überhaupt keinen Reim darauf machen, ganz zu schweigen von der furchtbaren Angst, die sie mir dadurch einjagte. Was konnte das bedeuten? Welche Erklärung gab es für all das? Man mochte glauben, sie fühle sich irgendwie persönlich beleidigt oder verraten.

»Also?«, forderte sie.

»Hat man dir erlaubt zu sprechen?«, erwiderte er ruhig.

Tima, die rechts neben Aynur stand, schaute überrascht auf, während Tana auf der anderen Seite leise und ängstlich stöhnte. Da sein Blick auf Tima ruhte, ging sie im Gras auf die Knie und presste ihre Stirn sowie die Handflächen folgsam auf die Erde, genauso, wie ich es zuvor getan hatte. Er bemerkte die Armreife an ihrer rechten Hüfte, da sie beim Zusammenstoßen klirrten, als sie ihre Position einnahm. Schließlich rutschten sie an der Kordel ein Stückchen nach vorn. Tima und Tana waren imposante Erscheinungen, doch vor einem solchen Mann oder anderen, selbst geringeren als ihm, muteten sie klein an.

Dann fiel sein Blick auf Aynur. Er sah sie geruhsam an, und einen ganz kurzen Moment lang erwiderte sie seinen Blick, als wisse sie um ihre Zwecklosigkeit und erzürne sich darüber. Daraufhin stieß sie bestürzt einen gequälten Schrei aus, in dem immer noch Zorn mitschwang, und Tränen traten in ihre Augen, als sie sich von ihm abwendete. Dann kauerte sie wie die anderen Mädchen vor ihm und senkte den Kopf ins Gras. Die gefürchtete Lederrute lag fallen gelassen neben ihrer rechten Hand. Sie hatte nicht lange gezögert zu gehorchen; Männer wie er hatten für gewöhnlich nur wenig Geduld, was unseresgleichen anging.

Als er auf mich herabsah, schaute ich weg und umklammerte meine Seide noch fester.

»Darf ich sprechen?«, bat Aynur.

»Haltung annehmen!«, blaffte er.

Die Frauen taten sofort, wie ihnen geheißen war: Auf den Fersen kniend, mit durchgedrücktem Kreuz und gespreizten Beinen, legten sie ihre Hände auf die Oberschenkel.

»Ihr dürft aufschauen«, gestattete er.

Nun, da er es erlaubte, konnten sie ihn ansehen. Mir gefiel es verständlicherweise, sie einmal so zu erleben, wie sich jede von uns – eben auch sie – vor einem wie ihm verhalten musste. Dann jedoch senkte ich den Blick wieder. Sie knieten in einer geläufigen Geste der Unterwürfigkeit vor einem Mann, doch hinsichtlich ihres Standes im Garten und der Befehlshoheit, die sie hier über mich und andere besaßen, hielt ich es für unklug, diesen Sachverhalt offensichtlich hervorzukehren. Außerdem konnte man auch mich schnell dazu zwingen, die gleiche Haltung anzunehmen.

»Darf ich sprechen?«, wiederholte Aynur unter Tränen der Wut.

»Nein«, stellte er klar.

Die Enttäuschung stand Aynur ins Gesicht geschrieben, während sie weinte.

Nun widmete er sich mir, und ich schaute wieder nach unten.

Warum er dies tat, war mich nicht vollends klar. Er betrachtete mich nicht wie ein Mädchen, mit dem er sich gerade vergnügt hatte, nicht nachlässig, als sei ich ein Werkzeug, das seinen Dienst erfüllt und nun nicht mehr benötigt wurde. Ich redete mir wieder ein, ich sei kein besonderer Mensch, bloß eine unter Tausenden. Ich schickte mich hastig an, die nasse Seide überzustreifen.

»Niemand hat dir gewährt, dich anzuziehen«, bemerkte er.

Schnell legte ich den Stoff nieder. Ich kniete nach wie vor.

»Tunika«, sprach er und reichte sie mir.

Da stand ich artig auf und schüttelte sie aus, bevor ich sie küsste, wie ich es gelernt hatte. Schließlich half ich ihm, sie anzulegen.

»Gürtel und Börse«, gebot er dann.

Auch diese berührte ich mit den Lippen. Während ich ihm den Gürtel und die Börse festzurrte, schauten Aynur, Tima und Tana zu.

Da ich ihm, einem Mann von diesem Planeten, allerdings so nahe war, fing ich an zu zittern.

Er zeigte zur Seite auf das Gras, wo ich daraufhin niederkniete, wie es sich für eine wie mich gegenüber einem wie ihm geziemte.

Er trat seine Sandalen ein paar Fuß weit aus dem Weg, dann schaute er wieder zu Aynur. Sie trotzte seinem Blick ungläubig, als sei sie fast zum Widerstand geneigt. Nun zeigte er auf die Sandalen und schnippte mit den Fingern.

Aynur kroch auf allen vieren zur ersten Sandale und nahm sie mit den Zähnen auf, um sie zu apportieren und vor ihm fallen zu lassen. Die andere brachte sie auf die gleiche Weise. Schließlich sah sie zu ihm auf, aber er bedeutete ihr schlicht mit einer Bewegung, dass sie zu ihrem Platz zwischen Tima und Tana zurückkehren sollte, was sie dann auch tat.

Aynur, die als unsere Aufseherin fungierte, in ihrer prachtvollen Seide und mit Schmuck behangen, mit dem goldenen Talmit, den ein Rubin zierte, hatte Sandalen apportiert, vor den Augen solcher Frauen wie Tima und Tana, nicht zu vergessen einer so niedrig stehenden Person wie mir! Auf diesem Planeten gelten Hierarchien, man wahrt Standesbeziehungen, Rangzugehörigkeit und Distanz. Hier sind diese Dinge immerzu real und werden nicht verborgen. Sie bestehen unverhohlen. Die Bewohner dieser Welt sehen nicht ein, weshalb sie unsere Ungleichheit untereinander leugnen sollten. Selbige betrifft sowieso nicht allein Frauen wie mich. Dies zu artikulieren, hilft immens dabei, gesellschaftliche Stabilität zu wahren, und fungiert als institutionelles Pendant zur Vielfalt innerhalb einer gegliederten, ganzheitlichen Naturordnung. Auf diesem Planeten zieht man diese meistens gegenüber dem Chaos vor und beruft sich auf Wahrheit statt Fiktion, im Guten wie im Schlechten.

Er hatte Aynur gezwungen, die Sandalen zu bringen, vor Tima und Tana sowie jemandem wie mir!

Der Befehl an sich war nicht das Entscheidende, ganz und gar nicht. Eigentlich wäre ich selbst froh gewesen, es tun zu dürfen und hätte mich ganz reizend dabei gemacht. Auf diese Art können wir uns dienstbar erweisen und zeigen, was wir sind. Es bietet eine schöne Gelegenheit, Gefälligkeit zu beweisen, obwohl man uns auch zur Strafe auftragen kann, die Sandalen genau so zu apportieren, damit wir eindeutig verstehen, was wir sind.

Es ist jedoch eine Sache, wenn jemand wie ich einem wie ihm die Schuhe so bringen soll, ob in trauter, kostbarer Zweisamkeit oder vor seinen Standesgenossen, wo man mich statt anderer honorieren mochte, indem man mir und nicht ihnen den Auftrag gab, vielleicht sogar an einem öffentlichen Platz wie in den Bädern oder im Vorhof einer Sporthalle, wo wohl niemand außer mir, die es zu schätzen weiß und genießt, länger darüber nachdenkt; ein völlig anderer Fall ist es jedoch, wenn eine wie Aynur in einer Situation wie dieser vor unseresgleichen dazu gezwungen wird. Falls sie allein mit ihm gewesen wäre, also nicht im Beisein der beiden und mir, ferner ohne ihren Talmit und mit offenem Haar, nackt vielleicht bis auf ihren Halsreif und ein wenig Schmuck, glaube ich, dass sie herrlich unterwürfig auf Knien um die Erlaubnis gebettelt hätte, ihm diesen Dienst zu erweisen. Natürlich war dies aber reine Gedankenspielerei.

Tränen strömten an Aynurs Wangen hinab, während sie zwischen Tima und Tana kauerte.

Schlimm war nicht, dass sie als unsere Anführerin dazu genötigt worden war, sich wie die Allerletzte unter uns aufzuführen, sondern die Tatsache, dass sie die Sandalen gebracht hatte und dann auf ihren Platz verwiesen worden war. Ihre Aufgabe bestand allein im Apportieren; anscheinend sah er nicht vor, dass sie ihm die Sandalen auch anziehen sollte. Er wollte offensichtlich nicht, dass sie ihn auch nur leicht berührte.

Nun schaute er wieder auf mich, und zwar befehlshaberisch. Dabei war ich doch nichts Besonderes und völlig unbedeutend!

Er zeigte abermals auf die Schuhe, die jetzt vor seinen Füßen lagen, und schnippte.

Ich beeilte mich, zu ihm zu rutschen, hob eine Sandale an und blickte kurz auf, bevor ich den Kopf senkte und das Leder küsste, wieder hochschaute, mich bückte und einen seiner Füße hineinsteckte. Zuletzt schnürte ich die Bänder sorgfältig zu. Mit der anderen Sandale verfuhr ich genauso. Man hatte uns gelehrt, es auf diese Art zu tun. Normalerweise beginnt man rechts, falls man nicht anders angewiesen wird, also wich ich nicht davon ab. Zwei der ersten Vorgänge, in die man uns einweist, sind das Baden und Anziehen eines Mannes. Ich vollendete meinen Dienst, indem ich seine Füße nacheinander küsste und mich dann ein Stück weit entzog, um in der üblichen Position auf Knien zu verharren. So warten wir auf etwaige weitere Anweisungen.

Aynur schluchzte vor Wut.

Dies beunruhigte mich. Was konnte ich dafür, dass er mir befohlen hatte, seine Sandalen zu schnüren? Ich hatte mich aus Angst vor ihr zumindest nicht bewusst hervorgetan, um diesen Befehl ausführen zu dürfen; ich hatte nicht penetrant seine Aufmerksamkeit eingefordert oder versucht, ihn dahin gehend zu provozieren – oder etwa doch? Natürlich gibt es Wege dafür, auf denen Frauen wie ich unterschwellig und wortlos bitten oder betteln können, etwa mit kaum merklichen Atembewegungen, durch plötzliches Innehalten, schüchternste Blicke und das leichteste Zucken der Lippen. Hatte ich mich zwanglos dazu hinreißen lassen, ohne mir dessen bewusst zu sein? Denkbar war es, das wusste ich. Für eine wie mich war dies nichts Ungewöhnliches. Man sollte begreifen, dass wir eben so gestrickt sind und uns nicht einmal dagegen wehren können.

Mir war, als durchbohrten mich ihre Augen, »Schlampe« schienen sie zu sagen, »elende Schlampe!« Aber mich traf nicht die Schuld daran, dass er seine Sandalen von mir hatte schnüren lassen wollen! »Miststück!«, sprach es geradezu aus ihrem Blick. Vielleicht war ich doch selbst dafür verantwortlich; es stand zu befürchten, weil es allzu typisch gewesen wäre. Dann jedoch war ich mir gewiss, dass es sowieso von mir verlangt worden wäre, selbst wenn ich im Vorfeld unterbewusst gefordert hätte, ihm diesen Dienst erweisen zu dürfen, worauf ich ja auch aus tiefstem Herzen erpicht war.

Aynur hatte, wie ich mich entsann, einen Tick zu lange gezögert, ehe sie dazu übergegangen war, sich ihm unterwürfig zu zeigen. So etwas vergisst oder übersieht ein Mann äußerst selten. Er verlangt sofortigen Gehorsam von uns und ist tendenziell, wie ich bereits erwähnte, nicht mit Langmut gesegnet.

Seine Bestrafung für die liebreizende und herrische Aynur, die als Erste unter uns im Garten galt, fiel hart aus. Sie hatte nicht sprechen dürfen, sie musste in aller Öffentlichkeit und vor uns Sandalen apportieren wie ein niederstes Mädchen, nur um danach auf ihren Platz zurückbeordert zu werden, ohne ihm das Schuhwerk überstreifen zu dürfen. Wie lächerlich hatte er die hochmütige Aynur gemacht, wie übel gescholten und niedergedrückt war sie mit ihrem goldenen Haarband und dem eingearbeiteten Rubin!

Sie weinte, enttäuscht und erzürnt, hatte ihre schmalen Hände auf den Oberschenkeln zu Fäusten geballt. So war sie vor mir noch nie in Erscheinung getreten, sie schien nicht sie selbst zu sein. Offensichtlich war sie am Ende doch nur eine Frau wie wir, trotz ihrer Befehlsgewalt und Macht.

Sie musste in ihrer Position ausharren.

Er hatte seinen Willen deutlich gemacht.

Sie sollte Folge leisten.

Aynur giftete mich ohne Worte an. Ich zitterte. Einerseits mochte ich es nicht, so ausgenutzt zu werden, faktisch als Mittel zu ihrer Bestrafung, denn im Garten verhalf mir dies beileibe nicht zu einem beneidenswerten Ruf. Andererseits machte es mich aber auch unheimlich froh, dass die Wahl auf mich und nicht auf sie oder Tima und Tana gefallen war. Ich allein, die erst seit wenigen Tagen Seide im Garten tragen durfte, hatte seine Sandalen binden und küssen dürfen! Dies war Balsam für meine Eitelkeit und verhalf mir unter den Blumen im Garten zu einem höheren Stand, sobald sie davon erfuhren. Bestimmt verleideten sie mir diese Auszeichnung, auch wenn die Gefahren, die damit einhergingen, nicht abzustreiten waren.

Erst jetzt fiel mir auf, dass mich der Fremde abermals musterte.

Ich hoffte inständig, dass ich ihm Genüge getan hatte. Jedenfalls war er nicht zimperlich mit mir umgesprungen, um zu seinem Recht zu kommen.

Ich errötete, als mir wieder einfiel, dass ich nicht anders konnte, als ihm nachzugeben in meiner angestammten Rolle. Wie gebieterisch er Besitz von mir ergriffen hatte und welch überschwängliche Verzückung mit meiner Ergreifung und Unterjochung einhergegangen war.

Er betrachtete mich weiter und ich zitterte.

Er durfte nicht erwähnen, dass ich mich an der Mauer aufgehalten hatte!

Er lächelte, vermutlich ahnte er meine Sorgen. Wie trivial mussten sie ihm vorkommen, die Wehen eines kleinen, kurvenreichen Tieres, die für mich selbst aber Himmel und Hölle bedeuteten! Er konnte verschwinden, während ich im Garten verweilen musste.

Er wandte den Blick kein einziges Mal von mir ab.

Er hatte mir viele Fragen gestellt.

Sie hatten mir Angst eingejagt, was bedeuteten sie, was zogen sie nach sich?

Weshalb wollte er wissen, ob ich Janice sei, eine Sklavin mit diesem Namen kannte oder je in Treve gewesen war?

Ich hatte natürlich jeweils verneint, wie es mir geraten worden war, aber dass man mich eines solchen Verhörs unterziehen würde, hätte weder ich selbst noch andere je erwartet. Jetzt war es geschehen.

Welche Bewandtnis hatte es?

Ich war kein Ausnahmefall und völlig unwichtig, nur eines von vielen Mädchen, eine weitere Blume mit Halsreif in einem Garten, nicht mehr.

Zuletzt konnte ich seinem Blick nicht mehr standhalten und ließ beklommen den Kopf hängen.

Daraufhin verließ er den Garten, sodass ich mit Aynur, Tima und Tana allein zurückblieb.

Aynur sprang wutentbrannt auf, sobald sie sichergehen konnte, dass er nicht mehr da war. Die beiden anderen taten es ihr gleich, während sie nachschaute, welchen Weg er genommen hatte. Wie es schien durch unsere Quartiere und die äußeren Tore, welche diese abschlossen, dann über die Hauptsäle des Hauses bis zum Eingangsbereich. Mittlerweile war er wahrscheinlich schon wieder auf der Straße. Man hatte mich mit einer Kapuze hergebracht, also war mir die Stadt bislang vorenthalten geblieben – eine recht große, wie ich annahm. Nicht einmal die Straße hatte ich gesehen, aber dort herrschte besonders in den frühen Morgenstunden reger Verkehr, soweit ich wusste. Im Übrigen tappten viele der Blumen wie ich im Dunkeln und waren wohlbehütet. Wir fragten uns, wie die Welt auf der anderen Seite der Mauer aussah. Manchmal machte uns dies auch Angst, vor allem wenn wir Peitschen knallen hörten und dann Schmerzensschreie von unseresgleichen vernahmen. Mitunter bekamen wir auch mit, wie sie wehklagten, mit ihren Ketten klapperten und mit der Peitsche gezüchtigt wurden. Letztlich vernahm man sogar Wutgeschrei, gefolgt vom Zischen des Werkzeugs sowie erschöpftem, gequältem oder angestrengtem Ächzen, wiederum aus dem Munde von Mädchen wie uns. Diese Äußerungen mischten sich unter das Knirschen von Zügeln, die sich abwechselnd spannten und erschlafften, das Knarren schwer beladener Karren und ihrer großen Holzräder, die langsam über das Pflaster rollten. Zu solchen Zeiten, das kann sich der Leser bestimmt leicht vorstellen, wechselten wir, fragile, verhätschelte Schönheiten in dünner Seide und mit goldenem Halsreif, innerhalb der Gartenmauern angstvolle Blicke. Unsere Leben wären draußen eindeutig anders verlaufen. Bisweilen war ich gar dankbar für unsere Wachen und den hohen, stabilen Wall, der uns sicher umgab. Davor traten allzu offensichtlich Bedrohungen und furchteinflößende Schwierigkeiten auf. Diese ließen mich keinesfalls kalt, sondern verstörten mich vielmehr, wenn ich auch im Großen und Ganzen sehr gerne nach draußen gelangt wäre. Lieber hätte ich mich aufreizend in einer Schenke präsentiert, wäre im Gefolge einer Armee getrottet oder unter ständig drohender Peitsche vor den Pflug eines Bauern gespannt worden als in diesem Garten zu darben! Wenn ich schon als Blume gesehen wurde, so wollte ich auf freiem Felde oder zwischen Pflastersteinen blühen, aber nicht hier. Ich wollte draußen sein, wo ich etwas sehen und jawohl – gesehen werden – konnte, wo ich aktiv und für alle deutlich sein durfte, was ich war, dienend und liebend. Besser ein Stahlhalsreif auf der Straße als einer aus Gold in diesem Garten!

»Ich werde die Wachen rufen«, ereiferte sich Aynur, aber es war eine hohle Drohung.

Es sei erwähnt, dass sie, Tima und Tana ihrer Autorität und Wichtigkeit im Garten zum Trotz immer noch den Wachleuten mit dem niedrigsten Rang unterstanden. Auch sie waren in letzter Konsequenz »Blumen« und wichtiger noch Frauen, die Wachen hingegen Männer.

Ich fragte mich, weshalb Aynur sie nicht verständigte.

Plötzlich schöpfte ich Verdacht: Sie kannte diesen Mann!

Sie zeigte auf die gefürchtete Rute zu ihren Füßen, woraufhin Tana rasch in die Hocke hing und sie aufnahm. Dann hob sie die Waffe mit demütig gesenktem Kopf hoch, damit Aynur sie entgegennahm. Tana stand auf und stellte sich mir gemeinsam mit den anderen beiden entgegen. Mein Seidenteil lag neben meinem rechten Knie im Gras.

»In Position!«, befahl Aynur. »Kopf hoch!«

Jetzt kniete ich in der Haltung vor ihnen, die sie mir befohlen hatte. Ich stand große Nöte aus, wollte mir aber nichts anmerken lassen.

Eigentlich sollte ich nicht auf diese Weise vor solchen wie ihnen knien. Es war nicht so, dass sich diese Haltung nicht für mich schickte, im Gegenteil: Sie war absolut korrekt und meiner gerecht, aber eben nicht im Angesicht von Frauen wie ihnen.

»Gail war ungezogen«, sagte Aynur.

»Nein«, widersprach ich.

»Was?«, fragte sie.

»Ich war nicht ungezogen«, erwiderte ich.

»Wer war nicht ungezogen?«, hakte sie nach.

»Gail war nicht ungezogen«, präzisierte ich.

»Dann berichte nun, was genau geschah«, verlangte Aynur.

»Ich war im Garten«, hob ich an.

»Während der Ruhezeit?«, unterbrach sie mich sofort.

»Jawohl.«

»Was hattest du zu dieser Stunde hier verloren?«, bohrte sie weiter. »Warum lagst du nicht auf deiner Matte?«

»Ich war nicht müde«, gab ich an. »Ich wollte mir nur die Beine vertreten.«

»Aber es galt, Ruhe zu wahren«, erinnerte sie mich.

Da schwieg ich. Sich während der Ruhezeit im Garten aufzuhalten, war nicht verboten, das wusste auch Aynur. Allerdings brachte es wohl nichts, sie darauf hinzuweisen.

»Dir ist klar, dass es immer Mittel und Wege gibt, dich in der Nähe deiner Matte zu halten.«

»Ja.«

Neben meiner Bettstatt war, wie an allen anderen, ein schwerer Ring im Boden eingelassen. Mithilfe einer Fußfessel war es ein Leichtes, mich dort anzuketten.

»Hast du im Garten auf jemanden gewartet?«, wollte sie wissen.

Ich verneinte.

Bereits in der Theorie gestaltete sich die Planung solcher Treffen riskant und schwierig. Wir standen nicht im unmittelbaren Kontakt zur Außenwelt, und diese suchte im Grunde genommen auch keinen mit uns, von der Mauer und den oben angebrachten Klingen ganz zu schweigen. Dass jemand ungebeten durch das Haus kam und den Garten betrat, war unwahrscheinlich, aber dennoch geschehen. Er hatte behauptet, man kenne ihn hier, was durchaus nicht abwegig zu sein schien. Nicht dass es im Garten keine Form von Politik gab, aber intrigiert wurde für gewöhnlich nur unter den Blumen. Als solche waren wir, wenn es zu Begegnungen mit Auswärtigen kam, vollständig der Gnade anderer unterworfen, etwa der Wachen. Gelegentlich kam es vor, dass Männer aus fremden Häusern versuchten, an bestimmte Blumen zu gelangen. Man nehme beispielsweise an, jemand hege den Verdacht, eine Frau, keine wie wir natürlich, werde in einem bestimmten Garten festgehalten, dann wird darauf hingearbeitet, dies zu bestätigen. Unabhängig davon mag sie sich darum bemühen, die Wachhabenden zu bestechen, etwa indem sie eine reichhaltige Belohnung für ihr Freikommen in Aussicht stellt, nicht wahr? Wehe bloß, man erwischt sie beim Ränkeschmieden, denn dann kann sie ihren hohen Stand binnen einer Nacht verlieren und sich im Garten als eine wiederfinden, die nichts Besseres ist als wir. In diesem Fall nähme die Angelegenheit eine völlig andere Wendung. Fortan würde sich nicht mehr die Frage nach Freiheit oder Gefangenschaft stellen, denn es ginge nur noch um das Wechseln des Halsreifs. Bei allen Machenschaften im Garten, die mit Männern von außerhalb zusammenhängen, haben fast immer die Wachen oder anderes Personal die Hände im Spiel, denn sie dienen notwendigerweise als Vermittler. Wie gesagt ist solcherlei aber extrem gefährlich. Außerdem kann es natürlich zu internen Liebeleien und Ähnlichem kommen. Eine Blume zum Beispiel, die sich für einen ansehnlichen Wachmann erwärmt und ein Auge auf ihn geworfen hat, mag alles auf eine Karte setzen und sich vor ihm aufbauen, um ihre Bedürfnisse und Empfindungen offenzulegen. Möglich ist gewiss auch, dass ein Wachmann oder Angestellter selbst eine solche Affäre anstrebt, denn diese Männer sind bezüglich der Bewohnerinnen des Gartens nicht so unbedarft, wie man weithin annimmt. Auch hier bestehen wiederum enorme Risiken.

»Sprich weiter«, drängte Aynur.

»Ich war nicht müde«, rekapitulierte ich. »Ich wollte mich bewegen, deshalb kam ich in den Garten.«

»Du wusstest nicht, dass jemand hier war?«

»Nein«, gab ich entschieden zurück. »Ich ging davon aus, der Garten sei verlassen.«

»War er aber allem Anschein nach nicht«, ergänzte Aynur.

»Richtig«, bestätigte ich.

»Ein Mann hielt sich hier auf.«

»Genau.«

Sie fühlte mir weiter auf den Zahn: »Hat er dich überrascht?«

»Oh ja«, versicherte ich. »Ich war schockiert, entsetzt geradezu. Ein Mann – hier in diesem Garten!«

»Was hast du unternommen?«

»Ich wusste nicht, was ich tun sollte«, entgegnete ich.

»Aber offensichtlich hast du irgendetwas getan«, meinte Aynur. Tana lachte.

»Ich hatte keine andere Wahl!«, behauptete ich.

»Du konntest also nicht anders«, schlussfolgerte Aynur.

»Ich wurde festgehalten«, erklärte ich, »und konnte mich nicht wehren!«

»Wurdest du etwa geschlagen?«, wunderte sie sich. »Nein, sieht nicht so aus. Auch an den Armen oder Beinen hat er dich nicht gefesselt, denn weder deine Hand- noch Fußgelenke oder dein Bauch deuten darauf hin, dass ein Strick daran befestigt war.«

»Ich wurde überrumpelt«, entschuldigte ich mich in der Annahme, dass dies in gewisser Weise auch stimmte. Seine Allmacht hatte mich überwältigt, genauso wie meine eigene Verblüffung darüber, dass ich nicht wusste, wer er war oder aus welchem Grund er sich zu uns begeben hatte, darüber hinaus war da das Bewusstsein, dass ich von ihm abhängig war, da er mich an der Mauer erwischt hatte, und nicht zuletzt mein eigenes himmelschreiendes Verlangen.

»Aber du hast dich doch bestimmt gewehrt«, vermutete Aynur.

»Ja!«, rief ich, »doch ich kam nicht gegen ihn an. Er war so viel stärker als ich.«

»Warum hast du nicht um Hilfe geschrien?«

Ich fragte mich meinerseits, warum sie selbst es nicht getan hatte.

»Wieso bist du nicht laut geworden?«

»Ich wurde geknebelt«, fiel mir ein. »Siehst du? Der Stoff ist nass, er hat ihn mir in den Mund gesteckt.«

»Es sieht aber nicht so aus, als hätte er ihn dir gewaltsam entrissen«, erkannte Aynur. »Er hat dir das Gewand bestimmt nicht grob ausgezogen.«

»Er zog an der Schleife, mit der man uns entkleidet.«

»Wer?«

Ich log: »Er! Niemand sonst!«

»Und dann hat er dich geknebelt?«

»So ist es!«

»Und weshalb hast du nicht geschrien, bevor er dich auszog?«

Ängstlich schaute ich Aynur an.

»Die Seide konnte schwerlich zur gleichen Zeit in deinem Mund stecken und an deinem Körper sein«, führte sie aus.

»Er packte mich von hinten«, rechtfertigte ich mich, »und drückte mich an sich, indem er meinen Mund mit der Linken zuhielt, während er mit der anderen Hand an der Schleife zog. Als ich mich widersetzte, fiel die Seide auf die Erde. Schließlich warf er mich rücklings ins Gras und schob sie mir in den Mund.«

»Hat er sie auch verknotet?«

»Nein«, gestand ich.

»Trotzdem hast du nicht versucht, sie herauszubekommen?«

»Ich traute mich nicht.«

»Als wir hierherkamen, steckte die Seide nicht in deinem Mund.«

»Sie war herausgerutscht.«

»Und du hast immer noch nicht Alarm geschlagen?«

»Ich fürchtete mich«, antwortete ich einigermaßen glaubwürdig, wie ich hoffte. Ein Mann wie er war eindeutig dazu in der Lage, mir mit einer Hand das Genick zu brechen.

»Du bist wohl völlig unschuldig in dieser Angelegenheit«, meinte Aynur.

Ich atmete erleichtert auf. »Ja!«

»Und er benutzte dich?«, fügte sie hinzu.

Ich gab es zu, weil Leugnen in diesem Fall sinnlos gewesen wäre.

Wir waren, wie ich mich entsann, nackt erwischt worden, während wir einander umarmten. Ich erinnerte mich deutlich daran, dass ich sogar noch eine Weile unbekleidet in seinen Armen gelegen hatte, nachdem Aynur und die beiden Mädchen schon auf uns gestoßen waren. Er hatte zu meiner Schmach und Bestürzung, recht deutlich, ja geradezu schamlos, gezeigt, was vorgefallen war. So blieb mir einzig die Hoffnung, Aynur davon überzeugen zu können, ich sei in allen Belangen ein unwilliges, schuldloses Opfer. Das musste sie glauben.

»Arme Gail.«

Ich schaute dankbar zu ihr auf.

»Du hast nichts gespürt?«, fragte sie.

»Nein«, entgegnete ich. »Meine Leidenschaft ist allein demjenigen vorbehalten, der mich zur Gänze in seiner Gewalt hat.«

Würde Aynur dieses Hirngespinst glauben?

Sie ging ein paar Schritte und blieb dann hinter mir stehen.

»Richte dich ein wenig auf«, sagte sie, »und lass die Zehen gerade im Gras liegen.«

Ich musste ihr gehorchen.

»Ah«, raunte sie.

Mir lief ein Schauer über den Rücken.

»Unsere Fußsohlen«, hob Aynur an, »müssen weich und zart sein. Aus diesem Grunde sind wir angehalten, auf die Oberflächen zu achten, die wir betreten. Deshalb behandeln wir uns auch mit Salben und Lotionen.«

Ich entgegnete nichts.

»Die Haut unter deinen Füßen ist rau, aufgesprungen und sogar blutig. Es sieht aus, als wärst an der Mauer gewesen.«

Ich sprach immer noch kein Wort.

»Und wie es scheint«, sann sie weiter, »warst du so töricht und bist nicht sachte aufgetreten.«

Dann beschrieb sie noch einen Halbkreis um mich herum, bis sie wieder vor mir stand.

Ich hatte Stimmen vernommen und mich deshalb dummerweise beeilt, von dem Streifen mit den spitzen Steinen fortzukommen. Deswegen waren meine Füße zerschnitten.

»Du hast dich nicht auf den Mann eingelassen, der hier war«, stocherte Aynur weiter.

Ich verneinte noch einmal.

»Und wie erklärst du dann den Zustand deines Körpers zu dem Zeitpunkt, als wir euch fanden?«, fragte sie.

»Mag sein, dass ich ein wenig erregt war«, wisperte ich.

Es würde mir nicht wohlergehen, nahm ich an, wenn ich versuchte, einer so scharfen Beobachterin wie Aynur etwas anderes einzureden, wo doch die Wahrheit so offensichtlich war. So etwas lässt sich an vielen Anzeichen festmachen: an geweiteten Pupillen, der Unbeholfenheit und glänzenden Haut, am Schweiß und dessen Geruch, gewissen Verfärbungen, aufgerichteten Brustwarzen und mehr.

»Du weißt, wie es sich anfühlt, ausgepeitscht zu werden, und hattest schon einmal Handschellen an«, erinnerte Aynur mich.

»Ja«, erwiderte ich.

»Behauptest du immer noch, nichts gespürt zu haben?«

»Nein«, flüsterte ich.

Frauen wie Aynur oder ich und viele andere inner- und außerhalb der Mauern sind weithin am leichtesten erregbar. Würdevolles, zugeknöpftes Verhalten zum Beispiel gestattet man uns nicht, denn beides beißt sich quasi mit dem Halsreif. Wir wissen, was von uns erwartet wird, und wie wir uns verhalten müssen. Obendrein werden wir ausgebildet und unterstehen der Zucht, zumal man uns, wie ich vermute, bewusst mit Hinblick auf unseren Feuereifer aussucht. Dieser stellt wohl eines der Kriterien dar, auf das diejenigen, die uns erstehen, achten müssen. Von derlei Erwägungen hängt in zahlreichen Fällen ab, ob man uns kauft oder nicht. Diese Eigenschaft ist anscheinend wichtig, gerade wenn Wunschlisten mit vorhandenem Inventar abgeglichen werden.

»Denkst du, mir fällt eine lüsterne kleine Schlampe nicht auf, wenn sie vor mir steht?«

»Ich weiß es nicht.«

»Glaubst du, ich hätte deine Papiere nicht gelesen?«

»Auch das weiß ich nicht.« Ich selbst hatte dies natürlich nicht getan und wusste deshalb auch nicht, was darin stand. Jedenfalls musste dort etwas über meine angebliche Hitze verzeichnet sein. Der Mann, der mich damals auf dem Korridor zum ersten Mal gezwungen hatte, eine Peitsche zu küssen, und später grausam mit mir umgegangen war, der mich verschmäht und zu den anderen Männern geworfen hatte, der mir während jener langen Nächte im Pferch nie aus dem Kopf gegangen war, hatte einmal gemeint, ich sei angeblich recht rege. Im Pferch wurde diese Mutmaßung bestätigt; noch Stunden danach hatte ich vor Schmach und Schande geweint. Einen genauen Vermerk dazu fand man nun wohl in meinen Papieren, und Aynur konnte anscheinend lesen.

»Du warst an der Mauer.«

Da gestand ich es.

»Obwohl es schwierig für dich gewesen sein muss, keine Emotionen zu zeigen«, sagte sie, »hast du zweifellos dein Bestes versucht.«

»Oh, sicher doch«, bekräftigte ich.

»Und bist gänzlich passiv geblieben«, ergänzte sie.

»So teilnahmslos wie möglich«, fügte ich leise hinzu.

»Also hast du ihn zum Beispiel nicht geküsst, oder?«

»Natürlich nicht!«, versicherte ich ihr.

Tima und Tana brachen in Gelächter aus. Ich beobachtete sie mit mulmigem Gefühl.

Ich ahnte es. »Ihr habt alles gesehen?«

»Ja«, antwortete Aynur zähneknirschend.

Ich verzagte. Wie lange hatten sie uns wohl beobachtet? Egal, die Zeit hatte wohl genügt. Ich hatte eine Stimme gehört, die von Aynur, und nur einen Augenblick später ihren aufgebrachten Schrei. Dann war ich erschrocken zurückgewichen aber nicht losgelassen worden. Der Fremde hatte mich dort gehalten, wo ich mich befand, nämlich nackt an seiner Brust, in seinen Armen.

»Schlampe!«, schnaubte Aynur.

»Er hat mir befohlen, ihn zu küssen!«, warf ich ein.

»Und du hast es nur mit Widerwillen getan?«, brauste sie auf.

»Sicher doch«, rief ich.

»Lügnerin, elende!«, grollte sie.

Ich war wie vom Blitz getroffen. Fast hätte ich meine Haltung aufgegeben.

»Du Halsreifschlampe!«, schimpfte Aynur.

Sprach sie so nicht auch von sich selbst? Passte ihr der Halsreif nicht genauso gut wie mir? Vermittelte er an ihrer Kehle nicht die gleiche Botschaft wie an meiner? Schmiegte er sich weniger gut dort an, und fiel es ihr im Gegensatz zu mir leicht, ihn abzustreifen?

»Halsreifschlampe!«, wiederholte sie.

Bestand zwischen uns ein so gewaltiger Unterschied? Waren ihre Kleider so viel edler als meine ... mutete sie in ihren weniger nackt an als ich? Trug sie überhaupt deutlich mehr, wenn man von ihren Halsketten absah, dem ganzen Zierrat und den Ohrringen ... war all dies kostbarer als meine Sachen? Musste man beispielsweise wegen ihrer Seiden und des freizügigen Rocks so viel Aufhebens machen, weil die Goldspange an der linken Hüfte so leicht zu öffnen war, indem man schlicht mit einem Finger gegen sie schnippte? War sie so außergewöhnlich, ihre dunkelrote Seidenweste, unter der sich ihre Wölbungen abzeichneten, die vorne von einer Kordel in der gleichen Farbe zusammengehalten wurde, sich aber genauso leicht daran öffnen ließ?

»Lügnerin«, wütete Aynur abermals.

Sie sprang mit mir um, als sei sie keine von uns. Sie wusste doch, welcher Art ich angehörte und wie ich beschaffen war. Beides hob mich nicht maßgeblich von ihr ab. Allerdings war mir Aynurs Frustration im Garten recht deutlich aufgefallen, denn sie hatte wenigstens im Verborgenen eine hochgradig und extrem ausgeprägte Libido, die sie weder abstreiten noch unterdrücken konnte. Gut möglich, dass sie Ähnliches in mir erkannte, obgleich ich kleiner und viel empfindlicher war. Eventuell lag unsere gegenseitige Antipathie genau darin begründet, und sie hasste mich deshalb.

»Verlogenes Miststück!«, fluchte sie weiter.

Ich war beim Küssen mit einem Fremden im Garten erwischt worden, hatte mich nicht beherrschen können. Mir war klar, dass jemand wie er, eine wie mich, erobern konnte, und dass ich es frei- beziehungsweise bereitwillig, entgegenkommend und widerstandslos, ja sogar leidenschaftlich und unkontrolliert geschehen lassen hatte.

»Hure, Hure!«, schrie Aynur.

Wünschte sie sich, sie selbst sei im Garten ertappt worden?

»Verkommenes Aas!«, brüllte sie in einem fort.

Hätte sie sich so viel anders verhalten als ich?

Ich nahm mir nicht heraus, mich erheblich in dem, was wir beide waren, von ihr zu unterscheiden, während uns in diesem Garten und seiner klar umrissenen Gemeinschaftsordnung ein geradezu unermesslich breiter Abgrund trennte. Sie war die Erste unter uns, ich hingegen die neueste und definitiv auch geringfügigste aller Blumen.

Aynur war außer sich vor Zorn, und als sie mit der Peitsche ausholte, duckte ich mich.

Doch zum Schlag sollte es nicht kommen.

Schon hatte sie die Waffe wieder heruntergenommen.

Mit unnatürlicher Ruhe gebot sie: »Zieht ihr Manschetten an.«

Daraufhin zerrte Tana so fest an meinen Haaren, dass ich nach vorn auf den Bauch ins Gras stürzte, dann hockte sie sich auf eine Seite neben mich. Tima nahm auf der anderen Seite Platz und zog mir die Hände auf den Rücken. Dort hielt sie sie fest, woraufhin es klimperte, als Tana die Reifen von ihrer Bauchkordel nahm, an der sie nahe der rechten Hüfte gebaumelt hatten. Nun schlossen sich die Vorrichtungen um meine Handgelenke, jeweils mit einem recht deutlichen, kurzen Klicken, das keinen Zweifel bezüglich seines Hintergrundes zuließ. Tima und Tana verweilten weiter neben mir, während ich bäuchlings mit auf dem Rücken verschränkten Armen im Gras lag.

Aynurs entspannter Tonfall hatte mich überrascht und entsetzte mich stärker als ihre Rage zuvor.

»Helft ihr auf die Beine«, gebot sie nach wie vor ruhig.

Tima und Tana griffen sich jeweils einen meiner Oberarme, zogen mich hoch und hielten mich weiter fest.

Aynur wickelte die Schlinge am Schaft ihrer Rute einmal um ihr linkes Handgelenk. Je nachdem, wie man diese Vorrichtung anpackt, kann man besser mit der Waffe hantieren und fester zuschlagen, nicht zu vergessen die erhöhte Griffigkeit. Auch lässt sich die Rute praktischerweise an der Schlinge aufhängen, etwa an einem Haken oder eben am Unterarm, wie es Aynur nun tat, um die Hände freizuhaben. Sie bückte sich, hob das Seidengewand auf und faltete es sehr sorgfältig, geradezu bewusst methodisch, zu einem weichen Rechteck mit mehreren Lagen und den Maßen von ungefähr drei auf fünf Zoll. So hatte es auch ausgesehen, als es mir von dem Fremden in den Mund gesteckt worden war.

Aynur schaute mich an.

Ich versuchte, ihren Blick zu deuten.

Es gelang mir nicht, dann schob sie mir den Stoff quer zwischen die Lippen.

Ich biss darauf. Ihr Gesichtsausdruck blieb mir ein Rätsel.

Schließlich drehte sich Aynur um und ging zurück zum Haus. »Nehmt sie mit«, sagte sie über ihre Schulter hinweg.

Ich stolperte kopflos mit Tränen in den Augen, meiner Seide zwischen den Zähnen und auf dem Rücken mit Armreifen gesicherten Händen voran, als mich Tima und Tana kompromisslos an den Oberarmen packten und in Richtung Haus führten.

Die Chroniken von Gor 26 - Die Zeugin

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