Читать книгу Die Chroniken von Gor 26 - Die Zeugin - John Norman - Страница 8

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Ich weiß nicht, wie lange ich in der Dunkelheit lag. Ein paar Mal schlief ich ein.

Ich wusste nicht, wie spät es war, oder welchen Tag wir hatten.

Tatsächlich vermutete ich, dass ich jedes Gefühl für den Kalender verloren hatte.

Ein- oder zweimal füllte man die Vertiefungen im Boden neben mir mit Nahrung und Brei und weiteren Brotkrusten, allerdings nur, während ich schlief. Ich ließ es nun nicht mehr dort liegen, sondern verschlang es, hastig und dankbar.

Doch nun hatte man die Vertiefungen schon längere Zeit nicht mehr gefüllt. Die Kuhle mit dem Wasser wurde beständig durch ein schwaches Rinnsal gespeist, das unter meinen Fingern kaum mehr als ein Hauch von Feuchtigkeit zu sein schien. Ich vermutete, dass dieses Rinnsal irgendwo in der Dunkelheit seinen Ursprung hatte. Zweifellos entstammte es dem Wasser, das, wie ich hören konnte, langsam, Tropfen für Tropfen, von der Decke, aus einer Kante oder vielleicht sogar einer Art Röhre herabtropfte. Eine schmale Rinne führte von der Wasserkuhle fort, wohl um das überschüssige Nass abzuleiten, wenn die Vertiefung überzulaufen drohte. Wahrscheinlich führte die Rinne zu einem Abfluss, der aber angesichts der verschwindend geringen Menge an Wasser in der Vertiefung und der endlos langen Zeit, die es brauchte, um sich dort zu sammeln, wohl nur selten Verwendung fand. Ich lernte, sparsam mit dem Wasser umzugehen und leckte schließlich sogar den feuchten Boden der Vertiefung aus.

Doch in der anderen Kuhle hatten schon seit Längerem kein Mahl und keine Brotkruste mehr gelegen.

Ich war schrecklich hungrig.

Ich fragte mich, ob die Wächter mich womöglich vergessen hatten, und ich überlegte, ob ich hier sterben würde.

Schließlich brachte ich irgendwann den Mut auf, vorsichtig zu rufen. »Ich bin hungrig!«, schrie ich. »Bitte, gebt mir etwas zu essen. Bitte! Ich bin hungrig!«

Doch ich bezweifelte, dass mich irgendjemand hören würde. Niemand schien in der Nähe zu sein.

Ich zerrte an meinen Ketten, doch sie hielten mich fest.

Wie hilflos ich war!

Ich kam halb um vor Hunger und ich war bereit, alles zu tun, nur um etwas zu essen zu bekommen. Doch als ich einen Tag später wieder erwachte, fand ich eine kleine Mahlzeit und eine Brotkruste in der Vertiefung. Es erschien mir wie das erlesenste Festmahl, und ich fiel darüber her wie ein verhungerndes kleines Tier. Während der nächsten ein oder zwei Tage wurden die Kuhlen immer wieder mit derartigen Mahlzeiten gefüllt. Ich wusste, ich hatte Gewicht verloren. Das würde sich zweifelsohne auf meine Rundungen auswirken, wichtiger jedoch war, dass ich so lernte, mit dem zurechtzukommen, was man mir gab, und dankbar dafür zu sein, egal, was es auch war. Natürlich war mir auch einmal mehr und eindringlicher denn je zuvor bewusst gemacht worden, dass ich keine Kontrolle mehr über meine Ernährung hatte. Ich hatte erkannt, dass ich nun selbst, was das anging, von anderen abhängig war.

Ich erwachte abrupt und glaubte, draußen ein Geräusch gehört zu haben.

Sofort war ich hellwach und voller Furcht, denn das Geräusch war direkt vor meinem Zwinger gewesen. Es erklang links von mir auf dem Korridor.

Ich erhob mich hastig auf die Knie, voll panischer Angst, und meine Ketten klirrten.

Irgendwo auf der linken Seite öffnete sich eine schwere, knarzende Tür, dann vernahm ich eine Stimme und mein Herz hörte beinahe auf, zu schlagen. Ich weiß nicht, was ich erwartet hatte. Vielleicht eher einen tierischen Laut, ein Bellen oder Grollen und weniger eine Stimme – doch es war eine menschliche Stimme.

Ich legte die Hände auf meinen Körper. Ich war verängstigt und nackt. Wie viel schlanker mein Körper sich nun anfühlte!

Furcht erfüllte mich, denn es war die Stimme eines Mannes.

Ich hörte, wie sich auf beiden Seiten des Korridors weitere Türen öffneten, und die Geräusche schienen näherzukommen. Jetzt waren da noch andere Stimmen, und ihr Ton klang befehlend, so als duldeten sie keine Fragen und keine Verzögerung. Obgleich eindeutig menschlich und männlich, unterschieden diese Stimmen sich von denen der Männer, die ich kannte. Ich bin mir nicht wirklich sicher, worin der Unterschied bestand, vielleicht lag es auch nur daran, dass sie etwas lauter sprachen als die Männer, die ich kannte. Doch ich glaubte, es war mehr als nur die Lautstärke oder ihr Akzent, obwohl sie zweifelsohne einen hatten, der sich ebenso deutlich wie rätselhaft in Worten niederschlug, welche sie in mehreren Sprachen ausstießen. Sprachen, von denen ich einige kannte, wenngleich ich sie nicht beherrschte, die aber gleichzeitig so völlig natürlich und passend erschienen im Kontext ihrer Rufe, während sich die Türen öffneten. Nein, es war nicht die Lautstärke, und es war auch nicht der Akzent, sondern etwas anderes. Vielleicht das Fehlen jeglicher Zurückhaltung oder Unsicherheit in ihren Stimmen, vielleicht erschreckte mich das so sehr. Ihr Tonfall war intelligent, voller Selbstvertrauen und Kraft, gleichzeitig ließ sich jedoch ein schlichter, natürlicher Befehlston heraushören. Tatsächlich schwang in einigen Stimmen, vielleicht denen der Anführer, etwas mit, das sich am besten als gewohnheitsmäßige, unprätentiöse Herrschsucht beschreiben ließ. Das erfüllte mich mit Unbehagen. Wie konnten sie es nur wagen, so zu sprechen? Wer glaubten sie zu sein? Dachten sie, sie waren richtige Männer? »Männer« natürlich in einem Sinne, wie er schon lange verboten ist und auf keine der Männer zutrifft, die ich jemals kennengelernt hatte. Waren sie wirklich solche Männer? Und, wenn ja, welche Konsequenzen mochte das für jemanden wie mich haben? Wie konnte jemand, der so war wie ich, sich derartigen Kreaturen verständlich machen? Auf welche Weise, unter welchen Bedingungen, könnte ich mit ihnen kommunizieren? Wieder legte ich die Hände auf meinen Körper, und selbst in der Dunkelheit wurde offensichtlich, dass ich in letzter Zeit nicht viel gegessen hatte.

Das Geräusch der sich öffnenden Türen kam näher. Sie waren schwer und massiv, zweifellos identisch mit der an meinem Zwinger, das ließ sich allein anhand der Geräusche erkennen. Hinter dem schmalen Spalt zwischen Boden und den massiven Holzbohlen meiner Tür mit ihrem Eisenband wurde nun ein Licht sichtbar. Ein schwaches Glimmen nur, doch mir erschien es blendend grell, da ich so lange im Dunkeln gelegen hatte.

Ich hörte, wie sich auf der anderen Seite des Korridors, ein wenig links von meinem Zwinger, eine Tür öffnete, und ich vernahm eine herrische Stimme. Auch dieses Mal erkannte ich die Sprache, doch ganze Worte konnte ich nicht verstehen.

Dann, ein paar Augenblicke später, hörte ich einen Schlüssel, groß und schwer, der sich im Schloss meiner Zelle drehte.

Von plötzlicher, wilder Panik erfasst, riss ich die gefesselten Hände in die Höhe und strich mein Haar glatt, erst auf der einen Seite, dann auf der anderen.

Als sich die Tür öffnete, bedeckte ich meine Blöße, so gut es eben ging.

Ich blinzelte gegen das Licht und musste das Gesicht wegdrehen. Es war zwar nur eine Laterne, die über die Schwelle geschwenkt wurde, dennoch war ich kurzzeitig geblendet. Ich schaute weg, die Hände vor meinem Körper verschränkt.

»Sei still«, sagte eine Stimme. Es war die Stimme eines Mannes. Nicht, dass ich gewagt hätte, auch nur einen Laut von mir zu geben.

»Ich sehe, man muss dir nicht mehr beibringen, wie man kniet«, sagte er.

Ich zitterte.

»Du weißt also, welche Haltung man in der Gegenwart eines Mannes einnehmen soll«, fuhr er fort. »Ausgezeichnet.«

Ich sträubte mich ein wenig dagegen, auf diese Weise vor einem Mann zu kauern, und kämpfte gegen die Gefühle in meinem Inneren an.

Er lachte, und ich errötete.

»Den Kopf auf den Boden«, sagte er dann.

Ich gehorchte, ohne zu zögern. Da waren Tränen in meinen Augen, aber nur wegen des Lichts, verstehen Sie?

Er trat in die Kammer. Die Laterne hatte er an jemand anderen weitergereicht, sodass ihr Schein gnädigerweise bei der Tür verharrte. Es war nicht schwer, ihre Position zu bestimmen, denn selbst durch meine geschlossenen Lider konnte ich sie deutlich erkennen.

Der Mann ging neben mir in die Hocke. »Halt still«, sagte er. »Sieh mich nicht an.«

Solange das Licht in meinen Augen brannte, wollte ich sowieso rein gar nichts ansehen.

Er strich mein Haar nach vorne, dann spürte ich, wie ein Schlüssel in das Schloss des Halsreifs gesteckt wurde, und einen Moment später, nach dieser unbestimmbar langen Zeit, war dieser fesselnde Metallreif, eng und unnachgiebig, von mir genommen. Ich war nicht länger an die Wand gefesselt.

Ich behielt den Kopf natürlich weiterhin unten und bewegte mich auch nicht. Ich blickte ihn nicht an, gab keinen Laut von mir.

Dann spürte ich seine Hand in meinen Haaren. Ich zuckte zusammen, als er mich daran nach oben zerrte, auf alle viere. Damit ich mich nicht weiter erhob, drückte er meinen Kopf mit seiner anderen Hand fast gleichzeitig nach unten. Ich kauerte nun also auf Händen und Füßen, das Gesicht auf den Boden gerichtet. Er ging alles andere als sanft mit mir um. In der Tat wurde ich behandelt und in diese Position gezwungen, als wäre ich nichts weiter als ein Tier.

»Du wirst in dieser Stellung bleiben«, sagte er, »bis du die Erlaubnis erhältst, dich aufzurichten. Jetzt kriech in den Korridor, dort wird man dir eine Richtung weisen und dich instruieren.«

Ich schauderte.

»Halte den Kopf unten«, erklärte er noch einmal. »Sieh keinen von uns an.«

Ich hatte so viel Angst, dass ich mich in meinen Fesseln verhedderte und umkippte, als ich versuchte, dem Befehl nachzukommen. Einen Moment lag ich voller Grauen da, unfähig, mich zu bewegen. Ich fühlte mich so ausgeliefert. Mein ganzer Rücken schien schrecklich verwundbar zu sein.

Obwohl ich damals noch so gut wie nichts wusste, hatte ich Angst, dass er nicht mit mir zufrieden sein, mich schlagen oder treten könnte. Doch zumindest dieses eine Mal hatte er Geduld mit mir. Ich richtete mich auf alle viere auf und kroch langsam und vorsichtig mit zitternden Gliedern aus dem Zwinger. Man mag versucht sein, sich in einem solchen Moment zu beeilen, doch auf Händen und Knien und gefesselt, ist es natürlich besser, sich langsam zu bewegen, Stück für Stück. Es ist nicht schwer, in Ketten zu kriechen, auch in meinen nicht, man muss nur ihren Spielraum halten.

Ich sollte in eine Richtung gedreht, in eine Reihe eingeordnet und dann instruiert werden.

Außerhalb der Kammer konnte ich nur den steinernen Boden des Korridors sehen, aber ich war mir der Nähe von zwei oder drei Männern bewusst. Ich blickte nicht auf. Sie trugen schwere, stiefelartige Sandalen. Einer von ihnen beugte sich herab und griff nach meinem linken Oberarm, dann führte er mich zu einer Stelle in der Mitte des Korridors und drehte mich so, dass mein gesenkter Kopf nun einem Ende des Korridors zugewandt war. Meine Zelle lag jetzt links von mir.

Ich hörte, wie hinter mir weitere Türen aufschwangen, eine nach der anderen, gefolgt von Stimmen in einer Vielzahl von Sprachen.

Ich verharrte in meiner neuen Position, wagte es nicht, mich auch nur um eine Winzigkeit zu bewegen, denn ich sollte noch instruiert werden.

Bislang war es mir selbstverständlich erschienen, doch nun fiel es mir zum ersten Mal bewusst auf: Der Mann hatte sich in meiner Sprache an mich gewandt.

Nun wurden weitere Türen den Korridor hinab geöffnet.

Muster aus Licht bewegten sich über die Wände, und ich vermutete, dass Laternen den Gang entlang getragen wurden.

Natürlich hatte er einen Akzent gehabt. Gewiss ist es möglich, auch eine Sprache, die man nicht als Kind gelernt hat, ohne Akzent zu sprechen, aber es ist, wie ich finde, eher ungewöhnlich. In der Regel behalten die Worte einen fremdländischen Klang. Manchmal erkennt man es an Kleinigkeiten wie der Betonung einer falschen Silbe oder daran, dass ein Konsonant verschoben wird, wenn der Sprechende aufgeregt, wütend oder verängstigt ist, dass man es nicht mit einem Muttersprachler zu tun hat. Soweit ich es sagen konnte, hatte der Mann gar nicht erst versucht, seinen Akzent zu verbergen. Dass ich verstand, was er von mir wollte, hatte ihm vermutlich schon gereicht. Die Sprache, in der die Männer sich untereinander verständigten, konnte ich noch immer nicht einordnen. Es war keine der mir bekannten Sprachen, nichts, was ich schon einmal gehört hätte und wiedererkennen könnte. Dennoch erinnerte sie mich bisweilen auf merkwürdige Weise an andere, mit denen ich vertraut war, mal mehr, mal weniger, und sei es nur aufgrund ihres Klanges. Ein paar Mal hörte ich sogar ein Wort heraus, das ich kannte. Natürlich bedeutet ein vertrauter Klang nicht gleich auch ein vertrautes Wort. Ein Laut kann viele Bedeutungen haben, und sie mögen sich stark voneinander unterscheiden.

Ich hielt meinen Kopf weiterhin unten.

Meine Augen gewöhnten sich nun allmählich an das Licht.

Soweit ich es sagen konnte, waren die einzigen Lichtquellen in dem Gang die, welche die Männer trugen, und die ich für Laternen hielt. Ohne sie wäre der Korridor vollkommen dunkel gewesen. Ich schätzte, dass er durch eine Tür oder ein Tor abgeriegelt wurde. Selbst wenn es mir gelungen wäre, mich von dem Halsreif zu befreien, der mich an die Wand meines Zwingers gefesselt hatte, und selbst wenn ich eine Möglichkeit gefunden hätte, die schwere Tür zu öffnen, die mich in diesem Zwinger eingesperrt hatte, wäre ich also vermutlich schon bald auf eine weitere Barriere gestoßen, welche das Ende des Ganges blockierte. Da in dem Korridor völlige Dunkelheit geherrscht hätte, wäre ich zudem kurzzeitig geblendet gewesen, wenn jemand eine Laterne entzündete und dann wäre ich den Wächtern oder wer auch immer eingetreten wäre, hilflos ausgeliefert gewesen. Den meisten Menschen wäre der Korridor wohl bestenfalls schummrig beleuchtet erschienen, doch alles ist relativ, und mir erschien er hingegen regelrecht hell. Ich war mir des Mannes neben mir überdeutlich bewusst. Er trug die gleichen stiefelartigen Sandalen wie die anderen, und abgesehen davon waren seine Beine nackt. Darüber trug er eine Tunika oder etwas in der Art – seine Kleidung erschien mir fremd, glich so gar nicht dem, womit ich vertraut war. So, wie mir alles an diesem Ort fremdartig erschien. Ich glaubte nicht, dass ich ihn kannte. Die Beine des Mannes waren stämmig. Mir kamen sie furchteinflößend und verstörend vor.

Was ist das für ein Ort, fragte ich mich. Er ist völlig anders als die Orte, die mir vertraut sind. Das hier ist nicht meine Kultur, dachte ich. Das ist eine andere Kultur, womöglich eine völlig andere Kultur. Hier könnte alles anders sein.

Wie ich schon bald lernen sollte, trafen diese Spekulationen zu. Voll und ganz.

Es war eine Welt, die sich grundlegend von der unterschied, aus der ich stammte.

Der Mann ging davon, doch kurz darauf blieb ein anderer in meiner Nähe stehen.

Ich war mir seiner Gegenwart bewusst, hielt den Kopf aber natürlich unten. Er schien wie der andere zu sein, groß und stark, und auch seine Gegenwart empfand ich als beunruhigend.

Diese Kultur, in der ich mich hier wiederfand, so sehr sie sich auch von der mir vertrauten unterschied, schien doch einheitlich zu sein. Alles passte zusammen, von der Beschaffenheit meines Zwingers über die Schlichtheit, die allem innewohnte, die Architektur, die Kleidung und das Eisen um meine Hand- und Fußgelenke.

Ich behielt meinen Kopf unten.

Was war dies für ein Ort? Wie war ich hierher gelangt? Ganz sicher gehörte ich nicht hierher! Doch dann begann ich, zu zittern. Vielleicht gehöre ich ja doch hierher, dachte ich, und der Gedanke erschreckte mich zutiefst. Nicht früher. Aber jetzt. Vielleicht war dies genau der Ort, an den ich gehörte.

Der Mann neben mir ging weiter. Offenbar war nun auch die letzte Tür geöffnet worden, zumindest hörte ich keine weiteren mehr.

Ich hob den Kopf um eine Winzigkeit und sah vor mir schlanke Fußknöchel, ebenso wie meine durch eine Kette gebunden. Ich war also nur eine in einer Reihe. Es war genau so, wie ich vermutet hatte, erkannte ich. Ich war hier aufgrund eines Auswahlprozesses, welchen Kriterien er auch immer folgen mochte. Ein objektiver Prozess, nichts Persönliches. Es war nicht so, als ob ich jemanden beleidigt hätte und dass mein Leid deswegen für irgendjemandes Amüsement orchestriert wurde oder dass es ein Akt süßer Rache war, einer von vielen vielleicht, die hier ausgeübt wurden, die ich aber später aus meinem Gedächtnis streichen und vergessen könnte. Nein, es war eine ganz und gar unpersönliche Angelegenheit. Ich war nicht hier, weil ich war, was ich war, sondern vielmehr aus einem anderen Grund. Dass ich einem bestimmten Kriterium entsprach, schien mir der Hauptgrund für mein Hiersein. Doch welches Kriterium könnte das sein? Ich wusste es nicht. Mein Blick glitt zu den Ketten, die so eng um die Knöchel vor mir lagen. Einige Glieder der Kette berührten den Boden. Obgleich ich es nicht gesehen hatte, schätzte ich, dass das Metall um meine Knöchel von derselben oder ähnlicher Beschaffenheit war. Es gab keinen Grund, warum sie anders hätten sein sollen. Nein, an mir war nichts Einmaliges oder Besonderes, zumindest nichts, was mich unter den anderen Mädchen in dieser Reihe besonders oder einmalig gemacht hätte. Diese Reihe erstreckte sich vor mir und zweifellos auch hinter mir. Wie viele wir waren, konnte ich nicht sagen, doch es waren zahlreiche Türen geöffnet und wieder geschlossen worden.

Wir waren ungefähr fünfzig, überlegte ich. Einige vor mir, und, den Geräuschen der Türen nach zu schließen, auch einige hinter mir. Ich schätzte, dass sich ungefähr zwei Drittel vor mir befanden, und ein Drittel hinter mir, und dass diese Personen, angesichts der Sprachen, in denen man ihnen ihre Befehle erteilt hatte, meine Sprache nicht verstanden, ebenso wenig wie die der anderen Gefangenen. Wie wir in dieser Reihe aufgestellt waren, erschien mir kein Zufall zu sein. Ich glaubte nicht, dass wir uns verständigen konnten. Noch hatten wir keine gemeinsame Sprache.

Wieder näherten sich diese schweren Sandalen, und ich senkte meinen Kopf, noch tiefer diesmal. Der Mann ging an mir vorbei.

Mir, und zweifelsohne auch den anderen Gefangenen, war es verboten worden, die Wachen anzusehen. Das beunruhigte mich, und ich suchte nach den Gründen. Gleichzeitig hatte ich aber auch Angst, sie anzusehen. Ich wusste nicht, was ich erblicken würde. Warum wollten sie nicht, dass wir sie sehen?

Vielleicht sind sie entstellt, überlegte ich. Oder sie sind keine richtigen Menschen, fürchtete ich. Vielleicht sind sie Tiere! Oder bin in ihren Augen vielleicht ich das Tier? Ich wollte nicht gefressen werden! Doch ich glaubte nicht wirklich, dass sie Tiere waren, und ich bezweifelte, dass man mich hierher gebracht hatte, um mich zu verspeisen. Man hatte mich nicht gemästet, im Gegenteil. Angesichts der spärlichen Nahrung, die man mir vorgesetzt hatte, war ich schlanker denn je. Das legte eine gänzlich andere Theorie nahe, was den Grund meines Hierseins anbelangte. Von schrecklicher Furcht erfasst, verscheuchte ich diesen Gedanken sofort aus meinem Kopf. Er war zu entsetzlich, um ihn auch nur in Erwägung zu ziehen.

Da erklang hinter mir, vermutlich nahe dem Ende der Reihe, ein furchteinflößender Laut. Das Geräusch von Ketten, die auf den Boden geworfen wurden.

»Ganz ruhig«, sagte eine Stimme in meiner Nähe.

Vor mir und hinter mir erklangen weitere Stimmen, die in anderen Sprachen sanfte, beruhigend klingende Worte formten. Ihr Sinn war vermutlich ein ähnlicher.

»Ganz ruhig, kleines Vulo«, sagte die Stimme.

Reglos kauerte ich da. Natürlich hatte ich keine Ahnung, was ein »Vulo« war.

Ich hörte, wie das Geräusch der Ketten näher kam, langsam, mit kurzen Pausen bei jeder Person in der Reihe, ehe die metallenen Glieder wieder aneinander schabten. Nach jeder der Pausen erklang zudem ein Klacken, als würde Metall zuschnappen. Nach einer Weile war das Geräusch nur noch wenige Fuß hinter mir, und ich spürte den Drang, aufzuspringen und davonzurennen, doch ich wäre bestimmt wieder hingefallen, wehrlos und elend.

Ich war gefesselt. Außerdem: Wohin sollte ich denn rennen?

Doch selbst, wenn ich nicht wäre, wo ich war, wusste ich doch, dass ich es nie gewagt hätte, aufzuspringen und davonzurennen. Nur ein Narr würde das tun, dachte ich und verstand selbst damals schon, wie dumm es wäre, Männern wie diesen nicht genau zu gehorchen.

Ich blickte nach rechts und nach vorne, wo ich auf dem Boden den Schatten des Mannes erblickte, der zu mir gesprochen hatte, vor ihn geworfen durch irgendeine Lichtquelle, vermutlich eine Laterne, wie ich sie zuvor schon gesehen hatte. Deutlich erkennbar trug er eine Art Tunika. Selbst sein Schatten wirkte groß und mächtig. Er selbst stand links hinter mir, und in seiner rechten Hand hielt er etwas Aufgerolltes, leicht verzerrt, ebenso wie sein eigener Schatten. Worum es sich dabei handeln könnte, wusste ich nicht, auch wenn es eigentlich ziemlich offensichtlich war, doch ich dachte nicht daran. Hätte ich mehr über den Ort gewusst, an dem ich war, hätte mich vermutlich auch die Position des Mannes, links hinter mir, mit größerer Besorgnis erfüllt.

»Ganz ruhig, kleine Tasta«, fuhr er mit beruhigender Stimme fort. Ich wusste nicht, was eine »Tasta« war, doch ebenso wie »Vulo« hörte ich diesen Ausdruck auch von den anderen Männern, als sie in verschiedenen Sprachen zu den anderen Gefangenen sprachen. Daraus schloss ich, dass »Vulo« und »Tasta« Worte ihrer eigenen Sprache waren. Uns blieb ihre Bedeutung freilich verborgen.

Plötzlich erklang neben mir das Rasseln einer Kette, und ehe ich auch nur zu einer Reaktion hätte ansetzen können – so ich es denn gewagt hätte –, wurde mir auch schon ein metallener Halsreif um den Hals gelegt und geschlossen. Wie schon der Halsreif in der Zelle lag auch dieser eng an meiner Haut an. Offensichtlich war er einer von vielen, denn vor mir konnte ich die unteren Glieder einer langen Kette sehen, die mit zahlreichen weiteren derartigen Halsreifen versehen war. Einen Moment später trug auch die Person vor mir einen Halsreif, dann wurden die Kette und der Halsreif nach vorne weitergereicht. Der Mann, der hinter mir gestanden hatte, ging links an mir vorbei, und da sah ich, was er aufgerollt an seiner Seite trug. Nun war jeder Irrtum, jeder Zweifel ausgeschlossen. Ich keuchte, und beinahe hätte ich das Bewusstsein verloren.

Es war eine Peitsche!

Nach einer Weile wurden zwei weitere Ketten nach vorne gereicht, die mit den anderen verbunden wurden, bis sie schließlich eine einzelne, lange Kette bildeten.

Wir, die bereits mit einem Halsreif versehen worden waren, warteten auf allen vieren, mit gesenktem Kopf.

Schließlich war auch der letzte der Gefangenen mit der Kette verbunden. Nun waren wir alle daran gefesselt.

Sie begannen wieder in zahlreichen Sprachen mit uns zu reden, und in meiner hörte ich: »Halte deinen Kopf unten und knie dich hin, sodass deine Schenkel deine Fersen berühren, die Knie weit gespreizt, den Rücken gerade und die Schultern nach hinten. Halte deine Hände seitlich, sodass die Kette an deinen Fesseln fest gegen deinen Bauch drückt.«

Ich schätzte, dass dies unsere »Instruktionen« waren, nun, da man uns in eine Richtung gewiesen und in einer Reihe angeordnet hatte.

Männer gingen an der Schlange der Gefangenen entlang, korrigierten hie und da die Position einer Person. Als einer von ihnen sich mir näherte, zog ich meine Hände auf Hüfthöhe, so weit die Kette zwischen meinen Fesseln es zuließ, auseinander und nach hinten, und die metallenen Glieder drückten fest gegen mein Fleisch, dann zwang ich meine Knie so weit auseinander, wie ich konnte.

»Gut«, sagte der Mann, ehe er weiter an der Reihe entlang ging.

Ein wenig später waren wir alle in der gewünschten Position.

Wieder sprachen die Stimmen in den verschiedensten Sprachen, und ich hörte: »Dein Kopf ist im Gehorsam gebeugt, dein Bauch unter der Kette.«

Natürlich blickte ich nicht auf. Man hatte es mir nicht erlaubt, und so sah ich weiter nach unten. Die Kette war gegen meinen Bauch gepresst, und die Glieder hinterließen Abdrücke auf meiner Haut. Mein Bauch, so hatte man gesagt, war unter der Kette. Was sollte das bedeuten?

Mehrere Minuten ließen sie uns in dieser Position allein, kniend, unbeaufsichtigt, unsere Halsreife durch die Kette miteinander verbunden.

Die Männer hatten sich zurückgezogen, vermutlich ans Ende der Reihe, glaubte ich. Ihre Stimmen erklangen nun jedenfalls hinter mir, und sie hörten sich an, als wären sie mehrere Fuß entfernt. Vielleicht waren sie ja zum Ende des Korridors gegangen. Ich konnte vernehmen, wie sie sich in ihrer eigenen Sprache, welche auch immer es sein mochte, unterhielten. In dieser Sprache, die ich nicht einordnen konnte, dieser Sprache, die in ihrer Gesamtheit so fremd wirkte, in der ich jedoch immer wieder einen vertrauten Laut oder vielleicht sogar ein bekanntes Wort vernahm oder zumindest zu vernehmen glaubte. Wie ein verschwommenes Bild, das plötzlich scharf wird.

So, wie man es mir geheißen hatte, kniete ich da, den Kopf gesenkt, die Kette straff vor meinem Körper gespannt, sodass sie über meinem Bauch lag und ihn hervorhob. Die Aufmerksamkeit darauf lenkte. Da war mein Bauch, weich und rund, und darüber die Kette, deren Glieder sich durch mein Fleisch erwärmt hatten. Doch auch vom Fleisch erwärmte Kettenglieder bleiben starr und gnadenlos. Mein Bauch, so hatte man mich informiert, war unter der Kette.

Ich wagte es nicht, mich zu bewegen.

Was meinten sie damit? Mein Bauch ist unter der Kette?

Später sollte ich mich an diese und andere derartige Positionen gewöhnen, doch damals war sie mir noch neu, und sie erfüllte mich mit Furcht. Was mich am meisten daran ängstigte, war das Gefühl, das ich dabei hatte. Es war nicht nur ein tiefes Unbehagen, das ich spürte. Diese Position, hilflos und verwundbar, fühlte sich auf eine persönliche Art richtig an. In gewisser Weise wusste ich, dass ich in eben diese Position gehörte. Es widersprach meiner gesamten Erziehung, meiner Herkunft, meiner Ausbildung und meiner Konditionierung. Konnte es sein, dass all das falsch gewesen war?

Sehen wir uns diese Position, in die man uns auf jenem Korridor befohlen hat, einmal genauer an. Es war natürlich eine liebreizende Position, daran gibt es keinen Zweifel. Doch Sie müssen verstehen, dass es dabei um viel mehr ging, nicht nur darum, dass wir, die gesamte Reihe von vielleicht fünfzig Gefangenen, in dieser Position so entblößt waren, vollständig und kompromisslos. Es gab eine tiefere Bedeutung. Betrachten wir uns nur zwei oder drei Merkmale dieser Position. Dass unsere Schultern nach hinten gedrückt sein müssen, betont natürlich unsere Figur, das lenkt unsere Aufmerksamkeit und die Aufmerksamkeit der anderen auf unsere einmalige, besondere und wunderschöne Form, die weder versteckt, noch verleugnet oder betrogen werden darf, sondern die es vielmehr öffentlich anzuerkennen, ja, zu zelebrieren gilt. Wir müssen sein, was wir sind, ohne jede Rechtfertigung. Die Bedeutung des Kniens an sich ist zweifelsohne offensichtlich. Und rückblickend erscheint mir auch die Symbolik der gespreizten Knie eindeutig, und ich erkenne, was sie über uns sagt, doch damals war ich mir dessen nicht wirklich bewusst. Ich fühlte mich nur schrecklich verwundbar. Sie machten uns unsere Verwundbarkeit bewusst. Meine Schenkel brannten wegen dieses Ausgeliefertseins. Hätte mich jemand in diesem Moment auch nur mit der Fingerspitze berührt, ich denke, ich hätte laut geschrien. Doch es gibt viele Positionen, längst nicht alle von ihnen kniend, und jede von ihnen hat mehrere Bedeutungen.

Warum knieten wir nun hier, unbeaufsichtigt? Hatte man uns vergessen? Mussten wir warten, als wären wir ein Nichts? Ich konnte die Männer reden hören. Sprachen sie vielleicht über uns und beurteilten sie uns? Redeten sie vielleicht über mich oder eines der anderen Mädchen, im Speziellen? Gingen sie Aufzeichnungen durch, überprüften sie eine Liste oder fertigten sie eine an?

Wir knieten, wurden uns unserer Position immer mehr bewusst, und ihre Bedeutung sank immer tiefer in unseren Verstand und unseren Körper.

Wir knieten, angekettet, nackt und am Hals miteinander verbunden, in einem primitiven Korridor, gesäumt von schweren Türen, die zu den feuchten, mit Stroh ausgelegten Zwingern führten, aus denen man uns geführt hatte. Wir knieten, ohne aufzublicken und ohne zu sprechen. Man hatte es uns verboten.

Unbeachtet und ignoriert warteten wir, offensichtlich waren wir nicht wichtig.

Uns wurde klar, dass wir in dieser Position bleiben müssten, solange die anderen es wünschten.

Wer waren diese Männer, dass sie uns auf diese Weise behandelten und was sahen sie in uns?

Nicht einmal sie anzusehen war uns erlaubt. Obwohl ich Angst davor hatte, wie sie aussehen mochten, wollte ich es doch wissen. Ich glaubte nicht, dass sie Tiere waren, hielt sie für Menschen, wenngleich ich mich fragte, ob sie vollständig menschlich waren. Warum erlaubten sie uns nicht, sie anzusehen? Konnten sie wirklich so grauenerregend sein? Wer oder was waren sie? Sie schienen eindeutig Männer zu sein, doch nicht in dem Sinne, mit dem ich vertraut war. Nicht in dem Sinne, in dem ich gewohnt war, an Männer zu denken. In vielerlei Hinsicht unterschieden sie sich grundlegend von meinen Vorstellungen. Ich wollte unbedingt wissen wer sie waren, doch gleichzeitig hatte ich Angst vor dem, was ich erfahren könnte.

Wir knieten dort und wir lernten, dass wir unwichtig waren. Immer bewusster wurde uns unsere Verwundbarkeit, unsere Hilflosigkeit, und wir wurden von Gefühlen durchströmt – von ungewöhnlichen, besorgniserregenden Gefühlen, die bis in unser tiefstes Inneres reichten.

Dann waren plötzlich die Männer wieder bei uns, und einer von ihnen stellte sich links vor mich. Er war nicht weit entfernt, vielleicht einen Fuß.

Die Kette um meinen Hals führte zu dem Halsreif vor mir. Ich konnte ihr Gewicht spüren, ebenso spürte ich das Gewicht der Kette, die an der Rückseite meines Reifs befestigt war. Vor mir sah ich die schweren, stiefelähnlichen Sandalen.

Er stand links von der Kette, ungefähr auf Höhe der Schulter der Person, die in der Reihe vor mir kniete. Mein Kopf war nach unten gerichtet und ich blickte nicht auf.

Ich begann zu zittern, doch ich hielt meine Position ein, so gut es eben ging.

Er was so nahe!

In wessen Gewalt waren wir hier?

Vor mir hörte ich Stimmen, die sich an der Reihe entlang auf mich zubewegten, und kurz darauf auch Keuchen und leise Schreie.

Doch ich behielt den Kopf unten.

Panische Angst erfüllte mich, und ich war mir der Gegenwart des Mannes vor mir auf schrecklich intensive Weise bewusst.

»Du darfst jetzt den Kopf heben«, sagte jemand. »Du darfst uns ansehen.«

Ich hob den Kopf und keuchte ebenfalls. Ein leiser, unartikulierter Schrei kam über meine Lippen. Ein Laut, der sich nicht zurückhalten ließ, geboren aus unendlicher Erleichterung, ja, sogar aus Freude, ein Laut, wie man ihn ausstößt, wenn eine unglaubliche Anspannung sich auflöst, wenn eine beinahe unerträgliche Emotion sich Bahn bricht.

Er war ein Mensch!

Er lächelte und legte den Finger auf die Lippen, eine Geste, die mich davor warnte zu sprechen, eine Geste, die ich aus meinem eigenen Kulturkreis kannte und gewohnt war. Ob sie in seiner Kultur ebenfalls gebräuchlich war, vermochte ich natürlich nicht zu sagen.

Nun erklangen hinter mir Stimmen, die Reihe hinab, gefolgt von weiterem Keuchen und leisen Schreien.

Ich sah zu dem Mann vor mir auf. Er hatte den Blick nun von mir abgewandt, die Augen nach hinten, auf die Schlange der Gefangenen gerichtet.

Vielleicht war ich nicht wichtig genug, um angesehen zu werden.

Doch ich sah ihn an, mit gierigen Blicken, und sog jedes Detail seines Aussehens in mich auf. Er war unglaublich gut aussehend, allein ihn anzusehen, raubte mir den Atem, doch gut aussehend auf eine kraftvolle Weise, mit energischen Zügen, nicht auf die sanftmütige, gefällige Weise, wie sie in einigen Gegenden, so auch in der, aus der ich stamme, fälschlicherweise für gut aussehend gehalten wird und wie sie schon meine Vorfahren auszeichnete. Da war etwas Raues, Grobes in seinem Gesicht. Zweifelsohne sah er gut aus, atemberaubend gut sogar, wie ich bereits erwähnte, doch auf eine schlichte, direkte und sehr männliche Weise. Er hatte freundlich gewirkt, als er den Finger an die Lippen hob und mich warnte, Schweigen zu bewahren. Groß und stark und geschmeidig war er, mit großen Händen und stämmigen Beinen. Diese Beine waren es, die mich ein wenig verstörten, denn sie waren kräftig und unter der kurzen, schlichten braunen Tunika fast völlig entblößt. Außerdem trug er die schweren, stiefelähnlichen Sandalen, die mir zuvor schon aufgefallen waren, und ihre massiven Riemen reichten weit an seinen Waden hinauf. Aus irgendeinem Grund machte mir dieses Schuhwerk Angst, denn es wirkte bedrohlich und brutal.

Nun war ich plötzlich unglaublich erleichtert, dass er mich nicht anblickte.

Noch nie hatte ich einen solchen Mann gesehen.

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass es einen solchen Mann überhaupt gab!

Ich wusste nicht, was ich tun könnte oder würde, sollte er mich anblicken, und obwohl ich versuchte, den Gedanken zu unterdrücken, fragte ich mich doch, während ich seine unmittelbare, unumgängliche Gegenwart spürte, wie es wohl wäre, in seinen Armen zu liegen. Ich kämpfte gegen den Gedanken an, wollte ihn zurück in die geheimen Tiefen drängen, aus denen er emporgestiegen war, doch es wollte mir nicht gelingen. Der Gedanke war mächtiger als ich. Er war unwiderstehlich. Ich schauderte, wusste, dass ich in den Armen dieses Mannes völlig hilflos wäre. Tatsächlich fürchtete ich schon, bettelnd zu winseln, wenn er mich auch nicht anblickte. Was war mit mir los? War das wirklich noch ich? Was war mit mir geschehen? Wie konnte es sein, dass ich mich so sehr verändert hatte, dass ich mich allein wegen der Gegenwart eines solchen Mannes völlig hilflos fühlte?

Doch dann huschte mein verängstigter Blick nach vorne, und auch die Anderen schienen in diese Richtung zu schauen. Ich sah die Männer an, und wieder keuchte ich überrascht. Abermals war ich erschrocken, wieder konnte ich nicht glauben, was sich meinen Augen darbot. Der Mann vor mir schien nicht außergewöhnlich zu sein, obwohl ich ihn im Vergleich zu den Männern, denen ich bislang begegnet war, sehr wohl für außergewöhnlich, vielleicht sogar für einmalig gehalten hätte. Die anderen Männer wirkten auf ihre eigene Weise ebenfalls kräftig und gut aussehend, und zwar auf eine potente, maskuline Art, die sich fast nicht beschreiben lässt. Das verwirrte mich nur noch weiter. Gekleidet waren sie ähnlich wie der Mann vor mir, in Tuniken und die gleichen Sandalen. Sandalen, die selbst einen langen Marsch überstanden hätten. Wo war ich?, fragte ich mich. An welchem Ort konnten solche Männer existieren?

Wieder blickte ich zu dem Wächter vor mir auf und plötzlich schaute er auf mich hinab. Voller Schrecken schlug ich die Augen nieder.

Noch nie hatte ich mich so gefühlt wie jetzt. Ich erzitterte, ebenso gut hätte es kein Mann sein können, der vor mir stand, sondern ein Monster, ein Gott oder ein wildes Tier, ein Puma, ein Löwe in menschlicher Form.

Es war offensichtlich, welche Position ich einem solchen Wesen gegenüber einnahm.

Einige andere Männer gingen vorüber, verteilten sich entlang der Reihe der Knienden. Einige von ihnen trugen Ledergerten, andere Peitschen.

Dann begannen sie, vor und hinter mir zu sprechen, leise und beruhigend. Der Mann neben mir beugte sich herab und drehte meinen Kopf sanft herum, sodass ich ihn anblicken musste. Ich sah in seine Augen, woraufhin er seine linke Hand hinter meinen Kopf schob, sie über meinem Nacken auf den Metallhalsreif legte, und die Finger seiner Rechten leicht auf meine Lippen drückte. Ich sollte nicht sprechen.

»Du hast keinen Namen«, teilte er mir dann mit.

Ich verstand nicht, was er damit meinte, doch seine Finger waren auf meinen Lippen.

Nun stand er auf und blickte auf mich hinab. Meine Augen waren nach oben auf seine gerichtet.

»Möchtest du gefüttert werden?«, fragte er.

Voller Angst sah ich zu ihm auf.

»Du darfst sprechen«, sagte er.

Ich flüsterte: »Ja.«

»Möchtest du leben?«, fragte er weiter.

»Ja«, antwortete ich abermals.

Dann sah er mich offen, abschätzend und unverhohlen an. Noch nie in meinem ganzen Leben war ich so angesehen worden.

Es schien, als würde er jeden Inch meines Körpers mustern.

Ich verstand nicht einmal, was dieser Blick bedeuten sollte.

Oder verstand ein Teil von mir vielleicht nur zu gut?

In einer mitleiderregenden Bewegung richtete ich mich auf, wobei ich aber natürlich weiter auf meinen Knien blieb, und streckte ihm meine Hände entgegen. Tränen rannen aus meinen Augen, und ich weinte. Ich konnte mich nicht beherrschen, konnte kaum sprechen, doch er schien freundlich zu sein. Bestimmt verstand er mich. Ich kniete vor ihm, die Hände in einer hilflosen Bitte erhoben.

»Gnade«, schluchzte ich. »Ich bitte dich, hab Gnade mit mir!« Ich presste die Hände wie zu einem Gebet zusammen. »Bitte!«, wimmerte ich. »Bitte!«

Er blickte auf mich hinab.

»Bitte, ich flehe dich an«, schluchzte ich. »Gnade! Bitte, hab Gnade! Zeig mir Gnade! Ich bitte dich, ich flehe dich an!«

Sein Gesichtsausdruck blieb unverändert.

Da fühlte ich mich plötzlich unglaublich töricht. Ich nahm die Arme herunter, sank zurück, bis meine Schenkel wieder auf meinen Fersen ruhten, und legte die Hände in ihren metallenen Fesseln zurück an meine Hüften.

Ich blickte noch kurz zu ihm auf, dann senkte ich meinen Kopf.

»Man wird mir keine Gnade gewähren, nicht wahr?«, hauchte ich.

»Nicht auf die Weise, die du im Sinn hast«, sagte er, »doch solltest du dich als gut genug erweisen, als wirklich gut, dann wird man dir zu gegebener Zeit Gnade erweisen. Insofern, dass du weiterleben darfst.«

Ich schauderte.

»In deine Position«, forderte er mich sanft auf.

Ich nahm wieder die Haltung ein, die man uns zuvor angewiesen hatte.

Wie dumm ich mich fühlte. Wie töricht ich gewesen war!

Ich war an einer Kette. Man hatte mich nicht hierhergebracht – zweifellos unter einigen Mühen und verbunden mit einigen Kosten –, um mir jetzt Gnade zu erweisen.

Wie hatte ich nur so reagieren können? Ich hoffte, dass ich nicht dumm war und dass er mich nicht für dumm halten würde.

Einmal mehr spürte ich, wie sich sein Blick auf mich richtete, und erneut wurde ich dieser ruhigen, abschätzenden Musterung unterzogen, die mich vor einem Moment noch so irritiert hatte.

»Bitte«, flehte ich noch einmal.

Er blickte mich an, als wäre er daran gewöhnt, derartige Begutachtungen durchzuführen, und als würde er sich in Gedanken Notizen machen. Nichtsdestotrotz wollte ich nicht auf diese Weise angesehen werden. Nur ein Tier sollte so gemustert werden. Und ich war ganz bestimmt kein Tier!

Meine Hände glitten von meinen Hüften, um, ganz gleich wie unzureichend, meine Blöße zu bedecken.

»Nein«, sagte er sanft.

Der Tonfall und die Freundlichkeit, die darin mitschwang, ließen darauf schließen, dass er mich trotz meines vorherigen Gefühlsausbruchs nicht für dumm hielt. Und aus irgendeinem Grund war ich froh darüber.

Dann kniete ich mich hin, wie zuvor, während die Tränen über meine Wangen rannen, nackt und seinen abschätzenden Augen ausgesetzt.

So wollte er mich vor sich sehen, und so würde ich vor ihm verharren.

Bei Männern wie ihm, das wurde mir klar, hatte ich keine Wahl in solchen Angelegenheiten.

»Angeblich bist du sehr rege«, sagte er. »Stimmt das?«

»Ich weiß es nicht«, antwortete ich, ohne die Frage wirklich zu verstehen. Oder vielleicht war es eher so, dass ein bestimmter Teil von mir diese Frage nur allzu gut verstand.

Würde er mich jetzt für dumm halten? Ich hoffte nicht, denn ich hielt mich nicht für dumm.

Er fuhr mit der Begutachtung meines Körpers fort.

Aus irgendeinem Grund wollte ich verzweifelt, unbedingt, dass er zufrieden, wirklich zufrieden mit dem war, was er sah.

War ich rege? Was sollte das bedeuten?

Woher sollte ich wissen, ob ich rege war oder nicht?

Hätte er mich jetzt berührt, ich schätze, ich hätte vor Hilflosigkeit laut aufgeschrien.

Wenn ich rege war, dann wusste ich nicht, warum! Es war nicht mein Fehler! Ich konnte nichts dafür!

Damals verstand ich natürlich noch nicht, wie man so etwas beurteilen kann, erst recht nicht bei jemandem wie mir, die ich bis gerade eben untätig und empfindungslos gewirkt haben musste. Oder wie man solche Dinge vermuten, herausfinden, enthüllen oder bestimmen konnte. Wie man sie berücksichtigen, ausbauen, entwickeln und trainieren konnte oder sollte, bis sie, ausgehend von nichts weiter als einer ziellosen Rastlosigkeit zu einem fiebrigen, sanften, unnachgiebigen Wunsch wurden, nur um sich schließlich im Laufe der Zeit zu unerbittlichen, unerklärlichen, verzweifelten und unwiderstehlichen Zwängen zu entwickeln. Zwängen, die alles andere überdeckten und einen überwältigten, über die man keine Kontrolle hatte, in deren Ketten man vollkommen hilflos ist.

Ich kniete da, wie man es mir befohlen hatte, und ich wagte es nicht noch einmal, zu ihm aufzublicken. Ich behielt meinen Kopf unten.

Dann, nach einiger Zeit, hatte er seine Untersuchung, oder war es vielleicht doch eher, wie ich befürchtete, eine Einstufung gewesen, beendet. Zu welchem Schluss er dabei gekommen war, vermochte ich nicht zu beurteilen. Er sagte etwas zu einem der anderen Männer. Ob es dabei um mich ging, ließ sich dabei nicht sagen, allerdings klang ihr Tonfall anerkennend. Beide schienen sie zufrieden. Wie gesagt, ich wusste nicht, ob sie über mich redeten oder nicht, aber ich vermutete, dass es so war.

Wenn ich mich nicht irrte, fanden sie mich also zumindest im Augenblick akzeptabel, und das erfüllte mich mit grenzenloser Erleichterung.

Ich hoffte, dass der Mann vor mir nicht glaubte, dass ich dumm war, denn ich wollte nicht, dass er das dachte. Wo ich herkam, hatte ich als intelligent gegolten. Ich war eine gute Schülerin gewesen. Allerdings würde das, was ich hier lernen sollte, sofern man überhaupt vorhatte, mich in etwas zu unterweisen, sich vermutlich grundlegend von dem unterscheiden, was man mich bislang gelehrt hatte, darauf ließ der Halsreif um meinen Hals schließen und die Ketten um meine Glieder.

Vor mir hörte ich Stimmen, ebenso wie hinter mir.

»Ihr dürft euren Kopf heben«, sagte der Mann vor mir. Der andere war wieder die Reihe entlang davongegangen.

Ich hob meinen Kopf. Der metallene Reif war mir von hinten um meinen Hals gelegt worden. Natürlich kann man es auch auf andere Weise tun, aber meist, und vor allem bei Wesen wie mir, die noch nicht daran gewöhnt und naiv sind, wird es auf diese Weise getan, vermutlich, damit wir nicht in Panik geraten und zu fliehen versuchen. Manchmal wird einem der Halsreif jedoch auch von vorne angelegt, vor allem bei Personen, die genau erkennen, was vor sich geht, damit sie es auf sich zukommen sehen, intellektuell, emotional und in vollem Ausmaße verstehen, was sie erwartet, bis sie sich schließlich in der starren Umarmung des Halsreifs wiederfinden, sich in nichts mehr von den anderen unterscheiden. Die Erste mag beim Anblick des Halsreifs in ihrer Naivität noch von Angst übermannt werden und zu fliehen versuchen, doch schon die Zweite, obgleich ebenfalls noch voller Grauen wegen seines Anblicks, wird erkennen, dass es kein Entkommen gibt.

Vor und hinter mir hörte ich Stimmen.

Nicht ohne Grund hatte man mir gestattet, den Kopf zu heben.

Hier und da vor mir, und vermutlich auch hinter mir, schlugen die Männer mit ihren Peitschen über die Münder einiger der Gestalten in der Reihe. Der Mann vor mir hatte seine Peitsche am Gürtel befestigt, doch nun löste er dieses wirkungsvolle schlanke Werkzeug unter meinem ungläubigen Blick von seiner Seite. Ich begann zu zittern. »Hab keine Angst«, sagte er beruhigend.

Ich blickte mit beinahe hypnotischer Faszination auf die Peitsche, während er sie ein Stück weit ab- und neu zusammenrollte.

»Es wird nur einen Moment dauern«, erklärte er. »Hab keine Angst.«

Dann war die Peitsche plötzlich nur noch ein paar Inch von meinen Lippen entfernt. Ich blickte zu ihm auf.

»Es war dumm von mir, um Gnade zu bitten«, flüsterte ich. »Es tut mir leid.«

»Du wirst lernen zu betteln, auf vernünftigere und mitleiderregendere Weise«, sagte er. »Es wird noch wichtig für dich sein, richtig zu flehen. Damit meine ich nicht nur, dass man dir beibringen wird, auf ansprechende Weise zu bitten, auf deinen Knien und dergleichen. Ich meine, dass du dich immer wieder in einer Situation wiederfinden wirst, in der nur die Aufrichtigkeit und die Qualität deines Bettelns dich davor bewahren kann, deine Nase, deine Ohren oder dein Leben zu verlieren.«

»Ich möchte nicht, dass du denkst, ich wäre dumm«, sagte ich.

Er blickte auf mich hinab, doch ich konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten.

»Ich bin nicht dumm«, sagte ich.

»Das werden wir sehen«, meinte er.

Ich hörte Worte und sah, wie die Peitsche über die Lippen des Wesens vor mir wischte.

Und auch vor meinem Mund befand sich eine Peitsche, nur wenige Inch entfernt.

Ich beugte meinen Kopf um eine Winzigkeit nach hinten und blickte zu ihm auf.

Reglos stand er da.

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Was erwartete man von mir? Ich wusste, was ich tun könnte, was richtig war, was ich tun wollte.

»Ich weiß nicht, was ich tun soll«, sagte ich.

»Was für ein schüchternes verängstigtes, kleines Ding du doch bist«, entgegnete er.

»Die anderen Männer sprechen zu uns. Du sprichst nicht zu mir. Du sagst mir nicht, was ich tun soll.«

»Was glaubst du denn, sollst du tun?«, wollte er wissen.

»Ich weiß es nicht«, sagte ich.

»Was willst du denn tun?«, fragte er da.

»Nein, nein!«, flüsterte ich.

»Du wirst die Peitsche küssen«, sagte er. »Liebevoll. Zärtlich.«

Voller Grauen sah ich zu ihm auf.

»Hast du verstanden?«, fragte er.

»Ja«, sagte ich und nickte.

»Zuerst wird die Peitsche zu dir kommen«, erklärte er, »und dann wirst du dich der Peitsche nähern.«

»Ich verstehe«, sagte ich.

Das werde ich bestimmt nicht tun, dachte ich. Doch ich spürte die Kette an meinem Bauch, und ich erschauderte, auf meinen Knien kauernd.

Sanft hielt er die Peitsche an meine Lippen. Mir war deutlich bewusst, dass er es auch auf andere Weise hätte tun können. Er hätte es brutal, gewaltsam machen können. Er hätte mir mit der Peitsche meine Lippen und meinen Mund blutig schlagen, die weiche Innenseite meiner Lippe gegen meine Zähne zwingen können, doch er tat es sanft. Durchströmt von unglaublichen Gefühlen, die ich selbst kaum verstand, küsste ich die Peitsche.

Daraufhin zog er sie zurück und hielt sie wieder in einigen Inch Entfernung vor mein Gesicht.

Ich verstand. Nun sollte ich zur Peitsche kommen.

Es ist natürlich eine Sache, die Peitsche aufgezwungen zu bekommen. Dann hat man praktisch keine Wahl, doch es ist etwas völlig anderes, wenn man sich aus eigenem Willen zu ihr vorbeugen, sich ihr nähern und sie auf so intime Weise berühren und liebkosen soll. Wie konnte er so etwas von mir verlangen? Ich würde nichts dergleichen tun!

Ich rang mit mir selbst. Ein Teil von mir weigerte sich, der Peitsche auch nur nahe zu kommen, doch ein anderer Teil, tief in mir und voller Furcht, wollte sie küssen und lecken.

Dieser Teil war eindeutig stärker!

Ich beugte mich ein wenig nach vorne und reckte der Peitsche meine Lippen entgegen, dann küsste ich sie liebevoll und zärtlich. Ich glaube, noch nie zuvor war ich so glücklich oder so erfüllt wie in diesem Augenblick gewesen. Mit meiner Zunge fuhr ich über die Peitsche, sanft, sinnlich und liebkosend, immer und immer wieder. Ich konnte das Leder schmecken, und ich fürchtete den Moment, da man die Peitsche wegnehmen würde.

Der Mann zog die Peitsche zurück und ich blickte hinauf in seine Augen. Tief in meinem Herzen wusste ich nun, was ich war. Der Mann vor mir ging davon. Ich wurde wieder allein auf meinen Knien zurückgelassen, ebenso wie die anderen Mädchen, doch diesmal durften wir unseren Kopf oben behalten.

Wir knieten in dem Korridor.

Ich schätze, man gab uns Zeit, um nachzudenken, auf dass wir die Bedeutsamkeit dessen, was gerade geschehen war, erkannten und begriffen. Kniend, mit der Kette vor unserem Bauch, sollten wir erkennen und begreifen, dass wir nun etwas ganz und gar anderes waren als zuvor.

Ich hatte die Peitsche geküsst, in fiebriger Ekstase!

Ich war bereit, mich ihm hinzugeben, ihn zu lieben!

Hätte er auch nur mit dem Finger geschnippt, ich hätte alles für ihn getan!

Wieder erklangen hinter mir Stimmen. Einige der Männer schritten an der Reihe entlang, näherten sich mir von hinten, doch ich blickte nicht über die Schulter. Einerseits war meine Bewegungsfreiheit durch die Ketten vorne und hinten an dem Halsreif deutlich eingeschränkt, andererseits wusste ich nicht, ob es mir gestattet war. An diesem Ort schien man gut beraten zu sein, nur das zu tun, was ganz sicher auch erlaubt war.

Dann sah ich aus den Augenwinkeln eine Peitsche, und einen Moment später standen zwei Männer links von der Kette vor mir. Ich blickte auf, und Freude stahl sich in meine emotionslosen Züge, denn einer von ihnen war der, der zuvor schon neben mir gestanden hatte. Dessen Peitsche ich erst schüchtern, dann begierig gegen meine feuchten Lippen gedrückte hatte, ehe ich sie zärtlich und lustvoll mit meiner Zunge liebkoste. Doch war es die Peitsche des anderen Mannes, die mir nun hingehalten wurde! Verwirrt und irritiert hob ich den Kopf und blickte den Mann an, der neben mir stand. Es war seine Peitsche, die ich küssen sollte! Er schaute zu mir hinab, und einen Moment lang wirkte sein Blick ernst. Das erschreckte mich, also beugte ich hastig den Kopf vor, soweit es mir mit dem Halsreif und der Kette möglich war, und küsste gehorsam die Peitsche, während Tränen meine Augen füllten. Anschließend gingen die beiden Männer, ohne mich noch eines weiteren Blickes zu würdigen, an der Reihe entlang weiter nach vorne, und hielten den angeketteten Wesen abwechselnd ihre Peitschen hin, bis schließlich alle eine fremde Peitsche geküsst hatten. Kniend saß ich da und blickte dem Mann nach, der neben mir gestanden hatte. Ich unterdrückte ein Schluchzen.

»Auf alle viere«, hörte ich nun.

Also gingen ich und die anderen Mädchen auf alle viere.

Anschließend warteten wir in dieser Position, in einer Reihe. Meine Tränen fielen auf den Steinboden hinab, der sich unter meinen Knien, Händen und Zehen schrecklich hart anfühlte, denn er war von rauer Beschaffenheit. Das Licht der Laternen flackerte umher, und ich wurde mir meiner Ketten nur noch mehr bewusst.

Ich schluchzte.

Ich hatte seine Peitsche geküsst, hatte geglaubt, dass es etwas, dass es alles bedeuten würde, doch es hatte nichts bedeutet. Doch eben, weil es nichts bedeutet hatte, bedeutete es auf eine schmerzliche, angsteinflößende Weise, die ich zu jener Zeit noch nicht verstand, sehr wohl alles. Das Küssen der Peitsche war unpersönlich gewesen. An diesem Ort war ich offensichtlich eine, für die es sich gehörte, dass sie die Peitsche küsste. Das war ich nun, ganz gleich, was genau das an diesem Ort bedeuten mochte. Das Küssen der Peitsche war unpersönlich gewesen. Es war unwichtig, wessen Peitsche es gewesen war. Es hätte irgendeine Peitsche sein können. Das war die Lektion, die sie uns mit der zweiten Peitsche beibrachten.

Nach einer Weile kehrten die Männer zurück und nahmen wieder entlang der Reihe Position ein.

Er, der zuvor bei mir gewesen war, stand auch nun wieder neben mir, zweifelsohne, weil er meine Sprache beherrschte. Er befand sich ein wenig abseits vor mir, auf der linken Seite. Ich blickte zu ihm hoch. Welche Emotionen mich durchströmten! Ich hatte seine Peitsche geküsst! Er legte den Finger an die Lippen, bedeutete mir, still zu bleiben. Die Peitsche lag, nun teilweise abgerollt, in seiner rechten Hand.

Ich senkte den Kopf.

Die Kette, die vorne an dem Ring an meinem Halsreif befestigt war, beschrieb einen leichten Bogen nach unten, ehe sie sich zu der Gestalt vor mir hob, und die Kette hinten an meinem Halsreif lag aufgrund meiner Position diagonal über meiner linken Schulter, ehe sie an meiner Seite hinabfiel und sich dann zu dem Halsreif des Wesens hinter mir hinaufschwang.

Wir warteten und ich spürte, wie die Peitsche leicht meinen Rücken streifte. Es schien eine gleichgültige Berührung, womöglich ohne echten Grund, so, wie man grundlos mit einem Schreibgerät auf einem Blatt Papier herumkritzelt. Dennoch ließ die Berührung mich heftig zusammenzucken.

Ich blickte zu ihm auf.

Einmal mehr wurde ich mit einer Geste zum Schweigen angehalten.

Wusste er denn nicht, was eine solche Berührung in mir auslöste?

Ich richtete den Kopf wieder nach unten. Die Ketten rasselten leise. Ich schätzte, dass wir, die wir in dieser Reihe angeordnet waren, bald von diesem Ort fortgebracht würden.

Was mich erwartete, vermochte ich nicht zu sagen.

Da spürte ich wieder die Berührung der Peitsche. Diesmal schien es mir aber so, als wäre es keine gleichgültige, unwichtige Berührung. Es war nicht mehr so, als würde man auf einem Blatt herumkritzeln. Vielmehr hatte ich das Gefühl, als würde etwas Neugieriges, Zielgerichtetes darin liegen, so, als würde sie einem ganz bestimmten Zweck dienen. Sanft forschend streifte die Peitsche an der Seite meines Körpers entlang. Ich keuchte. Wieder rasselte die Kette. Beinahe wäre ich hingefallen, doch es gelang mir, die Position beizubehalten. Ich stöhnte, ein leiser, hilfloser Laut, und blickte panisch zu ihm auf.

»Es ist dir nicht erlaubt zu sprechen«, sagte er.

Also senkte ich den Kopf wieder.

Abermals spürte ich das Leder, wie es sanft und neugierig an verschiedenen Stellen meinen Körper berührte. Natürlich wagte ich es nicht, zu protestieren. Ich schätzte, dass ich nun etwas war, mit dem man solche Dinge tun konnte.

»Oh!«, stöhnte ich plötzlich.

»Du könntest dich als zufriedenstellend erweisen«, sagte er. »Vielleicht lässt man dich leben.«

In diesem Moment wurden weiter vorne wieder Stimmen laut. Doch diese Worte mussten nicht erst für uns alle übersetzt werden, denn ihre Bedeutung wurde schnell klar, als die ersten Wesen in der Reihe, die sie verstanden, darauf reagierten und die Männer mit ihren Peitschen auffordernd nach vorne deuteten.

Ich hörte, wie die Ketten sich spannten, sah, wie sich die anderen vor mir zu bewegen begannen.

»Behalte den Kopf unten«, meinte er.

Ich konnte nicht aufhören, an das Gefühl seiner Peitsche auf meinem Körper zu denken, an ihre sanfte Berührung.

Er, der neben mir stand, ging davon, nach hinten an der Reihe entlang.

Ich hörte, wie die Ketten sich vor mir bewegten: die Ketten zwischen unserem Hals und die um unsere Hand- und Fußgelenke.

Ich hatte die zarte Berührung der Peitsche gespürt, mein Körper schien in Flammen zu stehen.

Plötzlich spürte ich, wie sich die Glieder vor mir straff spannten und an meinem Halsreif zogen, bis auch ich mich auf allen vieren in Bewegung setzte und mich der Prozession anschloss, die durch den Korridor kroch. Die Wesen hinter mir folgten.

In Ketten, zu Füßen von Männern, kroch ich dahin.

Der Korridor war lang. Ich konnte die Berührung des Leders einfach nicht vergessen. Ich hatte mich dieser Berührung physiologisch und emotional voll und ganz hingegeben.

Was bedeutete das? Was war mit mir geschehen? Was lag vor mir?

»Harta!«, rief einer der Männer. »Harta!«

Erwartete er, dass wir das verstanden? Das musste ein Wort aus seiner eigenen Sprache sein. Meiner Sprache entstammte es jedenfalls ganz bestimmt nicht.

»Harta!«, rief er noch einmal.

Woher sollten wir wissen, was das bedeutete?

Weit hinter mir, mehrere Fuß die Reihe hinab, erklang plötzlich ein scharfer, grausamer Knall, der in dem schmalen Korridor beinahe so laut und schrecklich klang wie ein Schuss. Ich und weitere Mädchen schrien vor Schreck und Angst auf, aber ich glaube nicht, dass irgendjemand getroffen worden war. Ein derartiges Geräusch hatte ich zwar noch nie unter solchen Umständen oder an einem solchen Ort gehört, doch war es dennoch unverkennbar. Zumindest wusste etwas in mir sofort und ohne überhaupt darüber nachzudenken, worum es sich gehandelt hatte. Für ein Wesen wie mich war dieser Laut nun ungeheuer bedeutungsvoll. Wir erkannten ihn und wir verstanden ihn instinktiv. Man musste uns nicht sagen, was ihn hervorgerufen hatte.

Schluchzend eilten wir weiter.

Während wir den Korridor entlangkrochen, hörten wir immer wieder dieses Geräusch, von verschiedenen Stellen entlang der Reihe, und einmal erklang es links nur ein paar Fuß entfernt hinter mir. Ich schrie voller Grauen auf und fiel zu Boden. Die Kette vorne an meinem Halsreif zerrte mich weiter, und das Metall bohrte sich in meinen Nacken. Das Wesen hinter mir kroch weiter, bis es fast neben mir war. Es schluchzte, dann war da wieder dieses grausame Geräusch, und sobald ich es vernahm, kämpfte ich mich auf Hände und Knie hoch und eilte weiter.

»Harta!«, riefen sie. »Schneller!«

Aber wir beeilten uns doch schon! Wie könnten wir uns denn noch schneller bewegen?

Einmal mehr ertönte der fürchterliche Knall der Peitsche!

Wir keuchten, wir weinten und schluchzten, aber wir krochen noch schneller dahin!

Das Schnalzen dieser geschmeidigen Werkzeuge versetzte uns in fürchterliche Angst.

Die Männer würden uns doch wohl nicht damit schlagen!

Sie, diese löwenhaften Männer, die wie Götter und Bestien waren, würden doch wohl nicht annehmen, dass wir so behandelt werden sollten!

Doch aus irgendeinem Grund vermutete ich, dass diese ungewöhnlichen, diese unglaublichen Männer, gut aussehend und überwältigend, keine Geduld mit uns haben würden. In ihren Augen waren wir offenbar Wesen, die keine Geduld verdienten.

Doch was für Wesen sollten das sein? Was waren wir?

Was für ein Wesen war ich nun? War ich es vielleicht früher schon gewesen, aber erst jetzt wurde es mir wirklich offenbar?

Ich wagte es nicht einmal, darüber nachzudenken.

Irgendwo seitlich hinter mir erklang wieder dieses schreckliche Geräusch, dieses scharfe, beängstigende Schnappen von Leder.

Ich schluchzte und eilte weiter.

Die Chroniken von Gor 26 - Die Zeugin

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