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1. Johann Adam Hartung

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Ich beginne meine Untersuchung mit einem frühen Meilenstein der Disziplin „Römische Religionsgeschichte“, Johann A. Hartungs Arbeit über „Die Religion der Römer“ von 1836. Hartung betont mehrfach das Einhergehen von Gemeinschaftsbildungen und religiösen Beziehungen, weil „sämmtliche Corporationen auf Gemeinschaft des Gottesdienstes … gegründet waren“.4 Es ist gerade diese politische Dimension von Religion, die er auch auf höheren Ebenen herausstellt: „Jede politische Gemeinschaft, die man mit Staaten oder Völkerschaften eingieng, war mit religiöser Gemeinschaft verbunden und durch sie bedingt.“5 Das Beispiel, das Hartung dafür anführt, ist der Synoikismus. Für die Reichsbildung spielen aber solche Prozesse keine Rolle, im Gegenteil: Hartung kann festhalten:

Es lag ihnen [den Römern] daran, die Herrschaft des römischen Namens und der römischen Götter so weit als möglich auszubreiten, keineswegs aber deren Verehrung den Völkern aufzudringen. … Dafür wurde auch jeder Religion nicht nur im römischen Reiche sondern auch in Rom selbst freie Ausübung gestattet, und man ließ den Unterworfenen eben sowohl ihre Götter wie man ihnen ihre Einrichtungen und Verfassungen ließ, so weit sie der römischen Herrschaft nicht im Wege standen. Denn alle auswärtigen Religionen traten zu der römischen in das Verhältnis der sacra privata, gentilitia (!) und municipalia, von denen die Staatsreligion so wenig gestört und beeinträchtigt wurde, daß sie sogar für ihren Bestand und ihre unverfälschte Ausübung eifrige Sorge trug.6

Die Festusstelle (146,9 – 12 L), die Hartung hier heranzieht, ist wohl missverstanden: Verrius Flaccus bezieht sich höchstwahrscheinlich auf die von den römischen Pontifices erwünschte Fortführung traditioneller Kulte in italischen Municipien, denen das römische Bürgerrecht verliehen wurde. Immerhin zeigt das Stichwort municipalia sacra, das einen Komplementärbegriff zu sacra publica bilden dürfte, dass eine Reflexion auf die religiösen Pflichten römischer Bürger nicht nur im Hinblick auf familiäre und individuelle Verpflichtungen (sacra gentilicia, sacra privata), sondern auch im Hinblick auf außerrömische lokale Anforderungen schon in republikanischer Zeit stattfand. Inwieweit diese über die municipalia sacra hinausgehen sollten, lässt die Festuspassage und lässt Hartung offen. Wenn er im Folgenden von „Staatsreligion“ spricht, geht es jedenfalls nur um die Religion der Stadt Rom, die mit deren Untergang zusammenstürzt.7 An dieser lokalen Begrenzung der römischen Religion ändert auch die reichsweite Verleihung des Bürgerrechts nichts: Sie führt lediglich zur völligen Religionsfreiheit.8

Vor allem zwei Gründe möchte ich für die Position Hartungs verantwortlich machen. Sie hängen beide mit dem Charakter des Reiches als einer viele Völker umgreifenden politischen Struktur und dem aufgeladenen Volksbegriff zusammen. Meine beiden Stichwörter lauten „Diffusion“ und „Staat“. Dass Diffusions- und Implantationsprozesse für eine supranationale Religionsbildung keine Rolle spielen können, sagt Hartung explizit: „Abstammung aber war der einzige Weg, auf welchem Sitten und Religionen vererbt werden konnten, weil sich die Völker gegen jede Annahme fremder Gebräuche, wie gegen Ansteckung, zu verwahren suchten.“9 Die Genealogie selbst ist durch die Analyse der Sprache zu rekonstruieren: Das ist das leitende Paradigma Hartungs, zu dessen Gunsten er jede Mythenforschung rigoros verwirft.10 Diese Grundlage erklärt auch die Anführung des „Synoikismus“ als Exempel politischer Gemeinschaftsbildung: Im genealogischen Modell entspräche das einer Eheschließung. Demgegenüber bleibt jede „Mittheilung durch räumliche Berührung oder geistigen Verkehr“ „unwillkührlich“ und unbewusst.11 Das unvermittelte Nebeneinander stadtrömischer Religion und der Religionen des übrigen Reiches ist auf dieser Grundlage das, was wir erwarten müssen.

Aber nicht nur Religion ist, romantisch formuliert, unmittelbare Äußerung des Volksgeistes. Auch der Staat selbst ist Manifestation des sich in einem Volke konkretisierenden Geistes. Verfassung eines Volkes, seine Religion und Kunst bilden nach Hegel eine Einheit, die den im Staate sich konkretisierenden Geist – „Der Staat ist göttlicher Wille als gegenwärtiger, sich zur wirklichen Gestalt und Organisation einer Welt entfaltender Geist“ (Der Staat, § 270)12 – zur „individuelle[n] Totalität“13 werden lässt. Die Religion, die „die absolute Wahrheit zu ihrem Inhalt“ hat,14 ist auf den Staat verwiesen, da er ja gerade die historische Form der göttlichen Idee bildet; sie reflektiert auf das in ihm Gestalt gewinnende Absolute, hebt es ins Bewusstsein. Insofern hat sie – jedenfalls die Religion „wahrhafter Art“ – eine politische Funktion, „anerkennt und bestätigt“ den Staat. Hegel selbst kalkuliert durchaus auch andere Entwicklungen ein: „Die Religion ist das Verhältnis zum Absoluten in Form des Gefühls, der Vorstellung, des Glaubens, und in ihrem alles enthaltenden Zentrum ist alles nur ein Akzidentielles, auch Verschwindendes.“ Daher kann eine fanatische Religion durchaus eine polemische Position gegenüber dem Staat gewinnen, dessen Gesetzen sie im direkten Zugriff auf das Absolute und der sich daraus ergebenden Gesinnung keine Verbindlichkeit mehr einräumt. Sie ist dann aber keine Religion „wahrhafter Art“ mehr; das Kriterium zu diesem Urteil wird nicht weiter ausgeführt.

Es wäre eine reizvolle Aufgabe, intensiver den Folgen des in den angeführten Zitaten deutlich werdenden Nationalstaatsbegriffs für die Reflexion auf supranationale politische Gebilde nachzugehen. In der Staatsphilosophie des 19. Jahrhunderts jedenfalls scheint „Reich“ als ein dafür geeigneter Begriff keine breite Verwendung gefunden zu haben. Bei Hegel selbst findet sich in der „Philosophie der Geschichte“ nur ein Hinweis, der das Römische Reich der Kaiserzeit als ein politisches Gebilde ernst nimmt: Wohl gerade durch seine übernationale Konstruktion unterwirft dieser Staat die in nationalen ethischen Traditionen stehenden Individuen und erschafft so das Recht der Persönlichkeit.15 Auf der religiösen Ebene stellt sich das als additives Verfahren dar, das heißt, dass sich der römische Staat bemüht, „alle Götter und alle Geister in das Pantheon der Weltherrschaft zu versammeln, um daraus ein abstrakt Allgemeines zu machen“.16 „Weltherrschaft“ ist hier die gegenüber dem Nationalstaat angezielte höhere Ebene, nicht ein zwar supranationales, aber dennoch partikulares politisches Gebilde. Und für ersteres war es eigentlich noch zu früh. Für die Kaiserzeit interessierte sich Hegel nicht weiter.

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