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4. Weitere Positionen

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Für die Kirchengeschichtsforschung stellt sich das Problem ganz anders dar. Unter der Perspektive der Konfrontation von Christentum und „Staat“ wird letzterer als auch in seiner religiösen Dimension relativ einheitliches Gebilde den sich zunehmend, aber nicht ausschließlich an denselben politischen Strukturen orientierenden und sich zentralisierenden Kirchen gegenübergestellt. Die weittragenden religiösen Entscheidungen im Umfeld der „Konstantinischen Wende“ werden politisch interpretiert. Der Sachverhalt wird nur selten so deutlich formuliert wie von Ernst Troeltsch, wenn dieser über „die Bildung einer das Reich erhaltenden Reichsreligion“ spricht. Die funktionale Notwendigkeit einer „religiöse[n] Grundlage der Reichsbildung“ wird schlicht vorausgesetzt, materialiter wird diese mit dem Kaiserkult identifiziert.28 Sieht man von der ausdrücklichen Reflexion auf die besondere politische Größe Reich, die dann entsprechende Konsequenzen für eine „reichskatholische“ Kirche zeitigt, ab, entsprechen die Grundannahmen dem üblicheren Gebrauch von „Staatsreligion“ und „Staatskult“, die wiederum mit dem Herrscherkult („Kaiserkult“) identifiziert werden. Dass dieser eminent politisch ist, liegt auf der Hand, die hier gegebene direkte Sakralisierung der staatlichen Form diskreditiert für Christen den Begriff „Staatsreligion“ allerdings in gewisser Weise.29 So wird die neue Funktionszuweisung an das reichsweit organisierte Christentum, die genau das zum Inhalt hat, sogleich reduziert, die „Entgöttlichung“ des Kaisers in jedem Fall als Fortschritt gewertet; die internen Konsequenzen werden unter dem Begriff der „Reichskirche“ bzw. der „reichskatholischen Kirche“ diskutiert. In dieser analytischen Eingrenzung des Problemkreises „Reichsreligion“ spitzt sich die eufunktionale Verhältnisbestimmung – das Christentum sozusagen als politische Religion – auf die gedanklichen Konstrukte von zunächst wenigen zu: auf die „Reichstheologie“ des „Reichsbischofs“ Eusebius von Caesarea wie auf die Geschichtstheologie Leos des Großen.30

Für die religionsgeschichtliche Begriffsbildung ist die theologische Terminologie nur insofern hilfreich, als sie verschiedene Aspekte einer reichsweiten Religion reflektiert; darunter Voraussetzungen (neben dem politischen Großraum des Imperium auch der eigene „Synkretismus“)31 und Folgen der Ausbreitung für die interne Struktur (schon mit der, nach Ernst Troeltsch, „frühkatholischen“ Kirche beginnend) und Anlehnung an staatliche Strukturen und politische Funktion. Die Konzentration auf henotheistische Vorbereitungen des christlichen Monotheismus, die unterstellte Isolation des Christentums sowie die Konstruktion eines reichsweit einheitlichen kirchlichen Subjekts (von häretischen Splittergruppen abgesehen) lassen die Begrifflichkeit aber nur als bedingt übertragbar erscheinen.

Während die Diskussion des Verhältnisses von Monotheismus und politischem Großraum fortgeführt wurde,32 spielte der Begriff „Reichsreligion“ als solcher auch in der religionsgeschichtlichen Forschung keine große Rolle. In Martin Nilssons „Geschichte der griechischen Religion“ – der zweite Band bietet bezeichnenderweise die einzige handbuchartige Darstellung der Religionsgeschichte des Römischen Reiches der Kaiserzeit – wird auf die politische Integrationswirkung der Königskulte der hellenistischen Reiche ebenso hingewiesen wie auf den Kaiserkult im Römischen Reich. Von „Reichskult“ spricht Nilsson aber nur33 in der Interpretation eines Briefes von Antiochos III. (194 / 193 v. Chr.), der den Aufbau einer flächendeckenden Struktur von Erzpriestern, archiereis, belegen könnte.34 In römischer Zeit wird zum Reichskult und, in einem zum Monotheismus hindrängenden Ambiente,35 sogar zur Reichsreligion erst der Sonnenkult Aurelians, Sol Invictus.

Dass der hier verwendete Begriff von Reichsreligion aber nicht mit dem Vorverständnis der deutschen Begriffsgeschichte des 19. Jahrhunderts betrachtet werden darf, zeigt die Äußerung: „Diese Reichsreligion war aber eine politische Schöpfung, nicht aus dem Volk hervorgegangen.“36 So „blieb sie mehr Staats- als Volksreligion“.37 Politische Funktion und emotionale Bindung der breiten Bevölkerung bilden keine vorauszusetzende Einheit mehr, sondern sind zwei völlig getrennte Aspekte von Religion, die gerade in der Kaiserzeit generell nicht zusammenfallen. Das gilt nach Meinung vieler insbesondere für den Kaiserkult.38 So formulierte noch 1978 Daniel Fishwick: „Emperor worship must be considered not really worship at all but homage“, „a purely mechanical exercise“, Verwaltungspraxis, nicht Religion.39

Hier geraten zwei nicht explizierte Grundannahmen miteinander in Konflikt: Einerseits kann Religion Politisches legitimieren, gerade weil sie auf nichtpolitische Bereiche rekurrieren kann, andererseits erscheint innerhalb des gesamten religiösen Spektrums der Herrscherkult als so eindeutig auf die Legitimation des Politischen abgestellt, dass er nicht mehr religiös, sondern rein politisch geworden ist. Damit kann er eigentlich die ihm zugedachte Funktion nicht länger erfüllen. Gerade die breite Akzeptanz des Kaiserkults als Grundlage seiner politischen Funktion nachzuweisen, ist daher Gegenstand zahlreicher Arbeiten der jüngeren Zeit geworden.40 Die Fixierung auf den Kaiserkult ist unter der Fragestellung „Reichsreligion“ allerdings problematisch, da sie die Konzentration auf die politische Funktion festschreibt.

Noch von einer anderen Seite her ist der Begriff „Reichsreligion“ problematisch. Gerade die Frage nach dem Funktionieren von Religion in konkreten, lokalen Kontexten hat auch die Frage nach dem Status der übergeordneten Einheit, des Reiches, aufgeworfen. Kann es eine „Reichsreligion“ geben, wenn es gar kein organisiertes „Reich“ gibt? Wenn ein zusammengewürfeltes Territorium aus unterschiedlichsten Einheiten besteht, deren Verwaltung je und je den augenblicklichen Umständen, Erfordernissen und Möglichkeiten entsprechend eingerichtet wurde? Wenn „Reich“ als durchstrukturiertes politisches Gebilde nur eine Zielgröße darstellt, der man sich erst im dritten und vierten Jahrhundert näherte?41 Mit einer Konzentration auf die politische Funktion von Religion wären wir damit auf das reflektierte Schweigen des 19. Jahrhunderts zurückgeworfen, wobei nun aber das staatsphilosophische Problem ein historisches geworden wäre und die Einheiten, über die wir reden können, nicht mehr „national“, sondern „lokal“ definiert wären. Gerade in Anbetracht des komplexen Prozesses der Konstituierung des Imperium Romanum sollte die religionsgeschichtliche Analyse aber nicht auf das Ergebnis der politischen Geschichte warten, sondern dazu beitragen, den Prozess durch eine Aufarbeitung der Religionsgeschichte aufzuhellen.

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