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6. Perspektiven der Begriffsbildung
ОглавлениеWas ergibt sich aus dem Modell für das terminologische Instrumentarium in einem Forschungsprojekt, das nach der religiösen Präsenz und Wahrnehmung des römischen und anderen Zentren in der Peripherie (und der jeweiligen Peripherie im Zentrum) und der dadurch geprägten und regional differenzierten Religionsgeschichte im römischen Reich fragt? Ausgangspunkt war der Begriff „Reichsreligion“. Dieser Begriff hat eine wichtige heuristische Funktion, indem er nach der religiösen Dimension der römischen Reichsbildung fragt. Der Versuch, ihn als überörtliches Analogon stadtrömischer „Staatsreligion“ („civic model“) zu konzipieren, hat weitgehend negative Befunde erbracht; hier müsste man sich auf integrierende Elemente zentral gesteuerter Institutionen (insbesondere das Heer, einzelne Bereiche der Verwaltung) beschränken, die Kommunikationsteilnehmer wie -inhalte weitgehend vorgeben. Der funktional orientierte Zugang könnte jedoch wichtige Aufschlüsse bringen über den Prozess der Reichsbildung selbst, die Konzeptualisierung einer territorialen Herrschaft und ihre Implantation. Religion muss dabei keineswegs grundsätzlich das der politischen Entwicklung folgende Feld sein, sondern könnte ihrerseits ein Experimentierfeld und Vehikel der Strukturbildung sein.
Als problematisch erwies sich der Begriff „Reichsreligion“ in der Analyse lokaler Verhältnisse. Hier möchte ich für einen rein territorial definierten, inklusiven Begriff von „Regionalreligion“ (Gladigow) plädieren: „Stadtreligion“, nicht „Staatsreligion“. Mit dem Konzept lokaler Religionsgeschichte werden (auch gravierende) Binnendifferenzierungen nicht ausgeschlossen, aber alle Kulte/Religionen am Ort werden in ihrem Bezug auf eine lokale Gesellschaft gemeinsam betrachtet. Das geschieht, ohne dass die lokale Gesellschaft absolut gesetzt wird: Welche Rolle überörtliche, aber nichtgöttliche Bezugspunkte in lokaler Religion und verschiedenen Gesellschaftsschichten haben, bleibt eine wichtige Frage.
Mit der Konzentration auf die religiöse Dimension der Reichsstrukturen und lokale Religionsgeschichte ginge Entscheidendes verloren. „Reichsreligion“ in diesem Sinne und „Regionalreligion“ bilden keine Komplementärbegriffe. Durch das Raster fielen die lokal je unterschiedlichen Niederschlag findenden Diffusionsprozesse zentralörtlicher und anderer Religionen, fielen aber auch die regionalen Gemeinsamkeiten in der Rezeption zentraler Einflüsse. Genau hier ordnet sich Wissowas Forderung einer Geographia sacra imperii Romani ein, die er als Voraussetzung einer Religionsgeschichte der Kaiserzeit sah.62 Die wenigstens partielle, sich in jedem Fall in ihrer Reichweite verändernde Identität der Medien stellt dieses Unternehmen unter die Frage nach dem Alter, den Funktionen und den Grenzen einer mediterran-europäischen „religiösen Koine“, deren Zentren sicher nicht nur in Rom zu suchen sind.
Die Definition der Untersuchungs- und Darstellungseinheiten ist ein weiterer Teil des skizzierten Forschungsunternehmens. Die Klassenbildung aus den jeweils lokalen Befunden müsste Gemeinsamkeiten in der Reaktion auf und Modifikation der zentralen Diffusionsprozesse herausstellen. Als Arbeitsbegriff möchte ich dafür den Begriff „Provinzialreligion“ vorschlagen. Wie mit dem Begriff der „Provinzialarchäologie“ soll damit nicht das Nachdenken über Kulturraumbildung durch Anlehnung an römische Verwaltungsstrukturen ersetzt werden, auch wenn im Einzelfall Provinzen (aber auch nichtdeckungsgleiche koiná) Einheiten, Träger bestimmter Kulte sind. Der Begriff soll vielmehr einen geographischen, einen regionalen Zugriff mit der Assoziation eines überregionalen Bezugssystems, eben des römischen Reiches, verbinden. In einem derart territorial definierten Untersuchungsraum lassen sich ebenso personal definierte Religionssysteme – die Religion des Heeres, Kultakte römischen Verwaltungspersonals – wie das Schicksal diffundierender Einzelelemente und Strukturen auswärtiger, nicht ortsgebundener Kulte und Religionen wie lokal definierter Religionssysteme analysieren. Was „römische Religion“ ist und wo sie ihre Grenzen findet, steht dann erneut zur Debatte.