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2. Der Islam

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Die meisten der gerade erwähnten Türkvölker4 – ob in Europa oder Asien – nahmen im Laufe ihrer Geschichte die Religion des Islams an. Das gilt auch für die osmanischen Türken: Ihre historische Entwicklung, der Aufbau ihres Staatswesens, ihre Sozialordnung und Kultur waren vom Islam in hohem Maße geprägt. Es ist daher angebracht, an dieser Stelle vorwegnehmend einige Grundzüge dieser Religion in Erinnerung zu rufen, soweit sie zum Verständnis des hier zu schildernden Geschichtsverlaufs erforderlich sind.

Die Religion des Islams entstand im 7. nachchristlichen Jahrhundert auf der arabischen Halbinsel. Sie wurde von Mohammed, dem Gatten einer reichen Händlerin aus Mekka, gestiftet,5 der hinfort als der Prophet der von ihm verkündeten Religion verehrt wurde. Die Religionsstiftung verlief indessen nicht ohne Widerspruch: Mohammed wurde von seinen ‘heidnischen’ (genauer: polytheistischen) Mitbürgern in Mekka feindselig behandelt. Daraufhin entschloß er sich, samt seiner kleinen Anhängerschaft nach Medina zu ziehen; so geschehen am 15. oder 16. Juli 622. Das Jahr dieser Emigration (Hidschra) wurde zum Anfangsjahr der islamischen Zeitrechnung deklariert.

Der Weggang nach Medina hatte zur Folge, daß Mohammed und somit auch seine Religion aus den Gegebenheiten des alten Stammesrahmens ausgegliedert wurden, an dessen Stelle nunmehr die Gemeinschaft der islamischen Gläubigen trat. Dieser Umstand bedeutete für den Islam, nicht auf die Rolle einer nationalen Religion, d.h. einer Religion für nur ein auserwähltes Volk, eingeschränkt zu werden; er eröffnete für ihn die Möglichkeit, sich zu einer Universalreligion zu entwickeln, die sich bis nach Indien, Indonesien, ja bis nach China und zu den Philippinen, aber auch in Nordafrika und Teilen Süd- und Südosteuropas ausbreiten konnte. Hinzu kommt, daß der Islam bei seiner Ausgestaltung als Religion wichtige Glaubenselemente aus dem Judentum und Christentum in sich aufnahm, was für seine Verbreitung ebenfalls förderlich war.

Die Religion des Islams ist streng monotheistisch; nach seiner Lehre gibt es nur einen einzigen, ewigen, allwissenden und allmächtigen Gott (Allah), der auch die Welt erschaffen hat. Der Islam hält das Christentum für nicht rein monotheistisch, vor allem wegen seiner Trinitätslehre und der Vergöttlichung Jesu Christi. Nichtsdestoweniger wird Jesus als – ein sehr wichtiger – Prophet anerkannt, wenngleich er in seiner Bedeutung für den Islam nicht mit Mohammed, dem ‘Siegel’ der Propheten, d.h. dem letzten und zugleich größten Gottesgesandten, zu messen ist, ohne daß Mohammed göttliche Eigenschaften zuerkannt würden.

Das Weltbild des Islams ist hauptsächlich dem Judentum bzw. Christentum entlehnt: Vorherbestimmung, Auferstehung und Jüngstes Gericht, Paradies und Hölle sind hier die wichtigsten Elemente. Im Ringen zwischen Gut und Böse sind ebenfalls Engel und Teufel vertreten, zu denen sich allerdings gute und böse Geister, die sog. Dschinnen gesellen, welche den vorislamischen Glaubensvorstellungen der arabischen Stammeskulte entstammen.

Die heilige Schrift des Islams ist der – in Suren (= Kapitel) eingeteilte – Koran (= Lesung, Lesestück, das Buch). Er enthält die göttlichen Offenbarungen, die der Prophet Mohammed bei seinen Visionen empfangen haben soll, aber auch Bestimmungen zur islamischen Gesellschaftsordnung sowie zu den Pflichten des einzelnen Gläubigen.

Da der Koran jedoch – schon aus Gründen seines doch begrenzten Umfangs – nicht sämtliche Probleme des tagtäglichen Lebens regeln konnte, wurden bei der Lösung von Zweifelsfällen zusätzlich Mohammeds sonstige Äußerungen und Taten (Sunna) als Vorbilder herangezogen. Diese Sunna des Propheten wurde durch glaubwürdige Gewährsmänner tradiert, ihre Überlieferung (Hadith) in großen Sammelwerken erfaßt; sie bildet zusammen mit dem Koran die Hauptgrundlage des islamischen Religionsgesetzes.

Der starke Konservatismus, der dem Islam innewohnt, ist auf das Prinzip des taklid (‘Nachahmung’) zurückzuführen. Während in den ersten beiden Jahrhunderten des Islams die Religionsgelehrten die Möglichkeit hatten, Koran und Sunna in eigener Verantwortung zu interpretieren und in bestimmten Fragen eigenständige Meinungen zu vertreten – diese selbständige Meinungsbildung wird als idschtihad bezeichnet –, vertrat bereits im 8. Jh. n. Chr. die Mehrzahl der islamischen Religionsgelehrten die Auffassung, die Zeit der selbständigen Koraninterpretation sei vorbei und man habe sich nun an die Entscheidungen früherer Gelehrten zu halten, sich also am taklid zu orientieren. Wurde nun doch eine Lehrmeinung oder Entscheidung bekannt, die dazu im Widerspruch stand, so konnte sie als bid’a, als ‘Neuerung’, denunziert und bekämpft werden. Diese Verfahrensweise findet in den islamischen Ländern heute noch vielfach Verwendung.

Das Religionsgesetz ist in erster Linie als eine Pflichtenlehre zu verstehen, wobei es für die Gläubigen, die Muslime6, fünf Hauptpflichten gibt, die als ‘Säulen’ des Islams bezeichnet werden. An erster Stelle steht der Glaubensbekenntnissatz: „Ich bezeuge, daß es keinen Gott gibt außer Gott (Allah), und ich bezeuge, daß Mohammed der Gesandte Gottes ist.“ Es folgt die Verpflichtung zum Ritualgebet fünfmal am Tag. Zu diesem Ritualgebet, das vorzugsweise (jedoch nicht unbedingt) in einer Moschee zu verrichten ist, fordert der Gebetsrufer (Muezzin) vom Minarett her auf. Die Almosensteuer, das Fasten im islamischen Monat Ramadan (türk. Ramazan) und die Pilgerfahrt nach Mekka sind die weiteren ‘Säulen’ der islamischen Religion. Die Pilgerfahrt hat der Muslim mindestens einmal im Leben auszuführen, soweit ihm die dafür nötigen Mittel zur Verfügung stehen.

Nach der Auffassung des Islams ist ausschließlich die islamische Herrschaft rechtmäßig. Demzufolge wird die Erde zweigeteilt: in das Gebiet, das unter der Herrschaft des Islams steht (dar al-Islam, türk. darülislâm ausgesprochen – ‘Haus des Islams’), und in das Gebiet, in dem Nichtmuslime herrschen (dar al-harb, türk. darülharp – ‘Haus des Krieges’). Die Muslime sind daher – allerdings kollektiv und nicht als Einzelpersonen – verpflichtet, nötigenfalls mit Waffengewalt dazu beizutragen, das ‘Kriegsgebiet’ in islamisches Gebiet umzuwandeln. Diese Verpflichtung zum Glaubenskrieg (Dschihad) stellt eine für expansive Bestrebungen äußerst geeignete Ideologie dar, von der auch der Osmanenstaat eifrig Gebrauch machte. Das Religionsgesetz schreibt indessen die Bekehrung der Nichtmuslime zum Islam nicht unbedingt vor. Lediglich Anhänger rein polytheistischer Kulte müssen gegebenenfalls mit Waffen gezwungen werden, den Islam anzunehmen. Bekenner einer prinzipiell monotheistischen Offenbarungsreligion7 wie Juden oder Christen dürfen nach ihrem Glauben leben, vorausgesetzt, daß sie die Herrschaft des Islams demütig anerkennen und die Kopfsteuer entrichten. Wenn ein bislang islamisches Gebiet in die Hände von Nichtmuslimen fällt, so sind die in ihm lebenden Muslime nach dem Religionsgesetz verpflichtet, es zu verlassen.

Nach islamischer Auffassung sind sämtliche Muslime vor Gott gleich. Es gab und gibt daher auch keinen Priesterstand, dessen Angehörigen eine Mittlerrolle zwischen Gott und den Gläubigen zugekommen wäre. Die Imame, die Leiter der einzelnen Gemeinden, sind keine mit besonderen Weihen ausgestattete Personen, sie fungieren bei den Gottesdiensten lediglich als Vorbeter und Prediger. Da in der Frühzeit des Islams weltliche Macht und geistliche Macht prinzipiell nicht getrennt waren, kam es auch nicht zur Herausbildung einer religiösen Organisation, die den christlichen Kirchen vergleichbar wäre. Auch so gesehen kann nicht von einem islamischen ‘Klerus’ gesprochen werden, wenngleich dieser Terminus in den westlichen Ländern oft für die islamischen Religionsgelehrten gebraucht wird. Die Theologen (ulema) sind – zugleich Rechtsgelehrte – entweder als Professoren an den theologischen Hochschulen (medrese) tätig oder erstellen als Mufti verbindliche Rechtsgutachten anhand des Religionsgesetzes zu ihnen vorgelegten, besonders schwierigen Rechtsfällen, ohne dabei richterliche Funktionen wahrzunehmen. Die weltliche Gerichtsbarkeit obliegt den Richtern (kadi), die ebenfalls über eine theologisch-juristische Ausbildung verfügen.

In der islamischen Gesellschaft fallen sämtliche Bereiche des Lebens unter die Bestimmungen des Religionsgesetzes. So bedeutet ja die Bezeichnung Islam ‘Hingabe’, nämlich die uneingeschränkte Hingabe der Gläubigen an Gott. Von den Bestimmungen für das Wirtschaftsleben sei hier nur das Wucherverbot genannt. Im privaten Bereich sind das Verbot des Genusses von Wein und Schweinefleisch sowie das Verbot der bildlichen Darstellungen besonders hervorzuheben. Wie die islamische Kunstgeschichte zeigt, hielten sich freilich sehr viele, insbesondere schiitische Künstler nicht an diese Vorschrift.

Die Eheschließung ist im Islam keine sakrale Handlung, sie wird lediglich vertraglich geregelt. Freie Muslime dürfen gleichzeitig vier Ehefrauen haben und darüber hinaus theoretisch unbegrenzt viele Sklavinnen als Konkubinen, sofern die Wirtschaftslage eines einzelnen Mannes dies ermöglicht, was freilich verhältnismäßig selten ist. In den sozial schwächeren Schichten wird eine Zweitfrau in der Regel nur genommen, wenn der Erstehe keine Kinder – der höchste Segen für die gläubigen Muslime – entsprossen sind. Frauen dürfen hingegen zur gleichen Zeit nur mit einem einzigen Mann verheiratet sein. Sie müssen sich ihm völlig unterordnen. Die Initiative für die Ehescheidung liegt normalerweise beim Ehemann und nicht bei der Frau. Sie wird durch einfache Willensäußerung des Ehemannes vollzogen. Allerdings muß in solchen Fällen die sog. Brautgabe, zu deren Zahlung der Ehemann sich im Ehevertrag verpflichtet hat, der verstoßenen Frau zu ihrem Unterhalt ausgehändigt werden.

Auch der Islam ist vom Schisma nicht verschont geblieben. Neben den orthodoxen Sunniten, zu denen auch die Türken gehören, sind als abgespaltene Richtung die Schiiten am wichtigsten. Im Gegensatz zum Sunnitentum, nach dessen Auffassung das jeweils beste Glied der islamischen Gemeinde Nachfolger Mohammeds, aiso Kalif8, sein soll, erkennen die Schiiten lediglich die Nachkommen Alis, des Cousins und Schwiegersohnes Mohammeds,9 als einzig berechtigte Nachfolger des Propheten an. Die Bezeichnung ‘Schiiten’ (von: Schia, ‘Partei’) weist auf diese eigene Auffassung und die damit gegebene Parteinahme für Ali hin. Für die Schiiten ist Ali der erste Kalif und zugleich Imam, wie im schiitischen Sprachgebrauch der oberste Leiter der gesamten islamischen Gemeinde genannt wird.10 Seine beiden Söhne, Hasan und Husain, werden als zweiter bzw. dritter Imam verehrt. Die einzelnen Zweige der Schia unterscheiden sich nun dadurch, daß sie die Reihe der Imame an unterschiedlichen Stellen abbrechen lassen. So hat es nach der Lehre der Fünfer-Schiiten, auch Zaiditen11 genannt, insgesamt fünf, nach Meinung der Siebener-Schiiten, zu denen die Ismailiten12 gehören, sieben, den Zwölfer-Schiiten, der größten schiitischen Gemeinschaft zufolge zwölf Imame gegeben. Die Zwölfer-Schia wurde Anfang des 16. Jahrhunderts Staatsreligion in Persien und bildete auch für die Herrschaft der Osmanen im östlichen Anatolien eine ernstzunehmende Gefahr. Nach schiitischer Lehre wird der jeweils letzte Imam in der Reihe nicht für tot, sondern für ‘entschwunden’ gehalten und am Ende der Zeiten als Mahdi – eine Entsprechung zur jüdischen Messias-Vorstellung – wiedererwartet. Die landläufige Auffassung, wonach der Hauptunterschied zwischen Sunniten und Schiiten darin bestehe, daß letztere die Sunna nicht anerkennen und sich nur auf den Koran stützen, ist nicht stichhaltig. Nur solche Überlieferungen erkennen die Schiiten nicht als authentisch an, die ihren Lehrsätzen widersprechen; außerdem wenden sie für die Legitimierung der Sunna eigene Maßstäbe an: Die Überlieferung muß bei ihnen auf Mitglieder der Familie Mohammeds zurückzuführen sein.

Bei den Sunniten gibt es vier Rechtsschulen, die voneinander lediglich in juristischen Einzelfragen sowie im kultischen Bereich hinsichtlich der Riten abweichen; sie erkennen sich gegenseitig an. Die Türken gehören im allgemeinen der sog. hanefitischen13 Rechtsschule an, während die schafiitische im syrisch-libanesischen Raum, in Unterägypten, in Südarabien und in Südasien, und die malikitische Rechtsschule in Oberägypten und in Nordwestafrika vorherrscht. Die kleine, aber um so strengere hanbalitische Rechtsschule ist in Syrien, dem Irak und auf der Arabischen Halbinsel vertreten, wo übrigens auch die aus dem Hanbalitentum hervorgegangene wahhabitische Bewegung beheimatet ist.

Während die sunnitische Orthodoxie eine vernunftbetonte, nüchterne und stark äußerlich und juristisch ausgeprägte Religiosität entwickelt hat, gibt es im Bereich des Islams auch heterodoxe Tendenzen. Hierzu gehören außer der Heiligenverehrung und den magischen Vorstellungen des Volksglaubens die islamische Mystik (tasawwuf), die vor allem für die Glaubenswelt der Derwischorden wichtig ist. Wenngleich dieses sog. Sufitum starke Verwandtschaft zu ähnlichen Tendenzen in der Schia aufweist, wird es selbst von der Orthodoxie als Bestandteil des Sunnitentums geduldet.

1 Die Etymologie ist unsicher; nach der am meisten verbreiteten Annahme ist von einer ursprünglichen Bedeutung ‘mächtig’/‘stark’ auszugehen.

2 Unter ihnen verschiedene Volksgruppen, die mit Bezug auf besondere sprachliche Verwandtschaft (sie alle gehören der sog. kiptschakischen oder nordwestlichen Gruppe der türkischen Sprachen an) unter dem Namen ‘Tataren’ zusammengefaßt werden; hierher gehören u.a. die Kasan- und die Krimtataren.

3 Nur die Sprachen zweier größerer Türkvölker weisen eine erhebliche Abweichung vom Türkeitürkischen auf: die der Jakuten und die der Tschuwaschen.

4 Von den bedeutenderen Türkvölkern sind nur die Jakuten und die Tschuwaschen nicht islamisiert worden.

5 Nach islamischer Auffassung hat Mohammed jedoch keine neue Religion begründet, sondern lediglich die ‘verfälschten’ Lehren der Juden und Christen richtiggestellt.

6 Die in den Massenmedien häufig verwendete Form Moslem(s) ist – überflüssigerweise – dem Englischen entlehnt. Die Bezeichnung Mohammedaner dagegen wird von den Muslimen selbst abgelehnt, da sie Mohammed ja nicht vergöttlichen, wie die Christen Jesus.

7 Sie werden als ‘Schriftbesitzer’ (ahl al-kitab, türk. ehlülkitap) bezeichnet, weil sie im Besitz einer heiligen Schrift sind und somit zumindest über Elemente der Gottesoffenbarung verfügen, wenn diese auch – nach islamischer Auffassung – verfälscht wurde.

8 Von arab. chalifa ‘Stellvertreter’/‚Nachfolger‘.

9 Ali war mit Fatima, der Tochter des Propheten, verheiratet.

10 In dieser Bedeutung nicht mit den Leitern der einzelnen islamischen Gemeinden zu verwechseln, welche ebenfalls Imame genannt werden.

11 So genannt nach ihrem Stammvater, Imam Zaid ibn Ali ibn al-Husain.

12 Die Bezeichnung rührt vom siebenten Imam, Ismail, einem Sohn von Dschafar as-Sadik her.

13 So genannt nach dem 767 verstorbenen Rechtsgelehrten Abu Hanifa, der diese Rechtsschule gründete. Die anderen Rechtsschulen sind ebenfalls nach ihren jeweiligen Gründern asch-Schafii, Malik ibn Anas bzw. ibn Hanbal benannt.

Das Osmanische Reich

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