Читать книгу Das Osmanische Reich - Josef Matuz - Страница 9
I. EINLEITUNG 1. Türkentum, Türkei, Osmanisches Reich
ОглавлениеIst heute die Rede von ‘den Türken’1, so denkt man dabei landläufig an die über vierzig Millionen Bewohner der heutigen Republik Türkei, deren Gebiet Thrazien, den äußersten Südosten Europas, und Anatolien, auch Kleinasien genannt, umfaßt. Diese Auffassung wird jedoch den ethnischen Gegebenheiten nicht ganz gerecht. Denn Türken, d.h. Bevölkerungsgruppen, die eine Türksprache sprechen, leben auch außerhalb und z.T. sogar von den heutigen Staatsgrenzen der Türkei sehr weit entfernt. Die meisten außerhalb der Türkei lebenden Türkvölker sind in der UdSSR beheimatet: insgesamt über zwanzig Millionen. Eigene Unionsrepubliken bilden die Siedlungsgebiete der Usbeken, der Türkmenen, der Kasachen und der Kirgisen in Zentralasien sowie der Nordaserbeidschaner in Transkaukasien. Andere Türkvölker der Sowjetunion2 leben je nach ihrer Bevölkerungszahl in Autonomen Republiken, Autonomen Gebieten bzw. Nationalen Bezirken. Eine größere Anzahl Türken gibt es außerdem in Iran, die meisten von ihnen in der Landschaft Südaserbeidschan; aber auch im südlichen Persien und im Nordosten dieses Landes sind türkisch sprechende Bevölkerungsteile ansässig. In der Volksrepublik China ist der Anteil der türkisch sprechenden Bevölkerung ebenfalls bedeutend, vor allem in Ostturkestan. Aber auch in Polen, Rumänien, Bulgarien, Jugoslawien, Griechenland, auf Zypern, in Syrien, im Irak und in Afghanistan gibt es mehr oder weniger bedeutende türkische Minoritäten. Die Sprachen der meisten dieser Türkvölker stehen dem Türkeitürkischen, das die Bewohner der Türkei sprechen, recht nahe; der Unterschied ist nicht größer als etwa derjenige der verschiedenen deutschen Dialekte untereinander.3
Eine häufig angenommene Verwandtschaft der Türksprachen mit den mongolischen bzw. mandschu-tungusischen Sprachen – zusammenfassend werden diese Sprachgruppen als altaische Sprachfamilie bezeichnet – läßt sich kaum nachweisen. Allerdings besteht eine gewisse strukturelle Ähnlichkeit unter diesen ‘altaisch’ genannten Sprachen, weil die wichtigsten grammatischen Verhältnisse in ihnen durch Suffixe ausgedrückt werden (Agglutination). Auf noch unsicheren Füßen steht die Hypothese von einer Verwandtschaft der ‘altaischen’ Sprachen mit den ebenfalls agglutinierenden ‘uralischen’ Sprachen, zu deren wichtigstem Zweig, der finnisch-ugrischen Sprachfamilie, u.a. das Finnische und das Ungarische gehören.
Es ist nicht unsere Aufgabe, im Rahmen dieses Bandes die Vergangenheit sämtlicher Türkvölker zu berücksichtigen. Wir beschränken uns auf die Geschichte des Osmanischen Reiches, des zweifellos bedeutendsten Staatswesens, das ein Türkvolk im Verlauf der Geschichte zustande brachte. Die Geschichte der Türkischen Republik, des Nachfolgestaates des Reiches der Osmanen, soll in einem eigenen Band behandelt werden.
Im Gegensatz zu der auf nationaler Grundlage organisierten Republik Türkei hat das Osmanenreich nicht nur von Türken besiedelte Gebiete umfaßt: Auch eine Reihe von anderen Völkern, namentlich Araber, Balkanslawen, Griechen, Rumänen, Ungarn, Armenier, lebten kürzere oder längere Zeit unter der Herrschaft des Reiches der Osmanen. Es versteht sich, daß diese Völker nur in dem Maße berücksichtigt werden können, als sie für den Geschichtsverlauf des Gesamtreiches von Bedeutung sind. Die in Europa früher wie heute häufig verwendete Bezeichnung ‘Türkei’ für das Osmanische Reich ist daher nicht korrekt, auch die Osmanen selbst haben ihr Reich nie so bezeichnet.