Читать книгу Lethal Vacation - Josephine Lessmann - Страница 10
ОглавлениеKapitel 7
Dallas, Fort Worth International Airport
28.August 2012, 8:30 Uhr
Am nächsten Morgen herrschte reges Treiben in den Wartehallen des Flughafens. Alle Passagiere wollten wissen, wann es endlich für sie weiter ging.
Das Flughafenpersonal befand sich in einer prekären Lage. Niemand hatte sie auf einen derartigen Fall vorbereitet. Zahlreiche Reisenden bedrängten die einzelnen Mitarbeiter, die mit Händen und Füßen versuchten, die Fluggäste zu beruhigen. Die meisten hatten ihre Koffer gepackt und waren bereit, in den Flieger zu steigen, wobei sie stets vertröstet wurden. Immer wieder hieß es in kaum auszuhaltender Monotonie: ›Bitte warten Sie auf weitere Anweisungen‹.
Ivy öffnete die Augen. Mit schmerzendem Rücken richtete sie sich auf. Ihr Blick schwenkte auf die herumlaufenden Menschen, die sie an einen aufgeschreckten Ameisenhaufen erinnerte – wissend, dass der Vergleich hinkte, denn in einem Hautflüglerstaat lief alles in geordneten Bahnen ab.
Sebastian und ein paar andere der Gruppe waren nicht da. Der Rest saß auf der Fensterbank.
Sie streckte sich und stand mit knackenden Knien auf.
Klaas und Elmar kamen auf die Gruppe zu. Ihren Gesichtern nach hatte es keine Neuigkeiten gegeben, lediglich die, die sie schon wussten.
»Also …«, begann Elmar sichtlich genervt. »Ich habe mit einer Tante vom Flughafenpersonal gesprochen.« Schnaufend hielt er kurz inne. »Sie wusste auch nichts weiter, außer, dass wir Ruhe bewahren sollen und weitere Anweisungen folgen werden«, grummelte Elmar missmutig und ließ sich auf der Sitzreihe nieder.
»Es ist vollkommen egal, wen du hier fragst. Eines ist sicher, ‘nen Plan hat hier definitiv keiner!«, fügte Klaas genervt hinzu, verschränkte die Arme vor der Brust, während er sich umsah.
»Und das deutsche Konsulat?«, fragte Melanie hoffnungsvoll. »Vielleicht wissen die was?«
»Habe ich schon probiert. Da sind alle Leitungen besetzt. Ich versuche, seit einer geschlagenen Stunde durchzukommen«, seufzte Elmar und ließ für alle hörbar die Luft aus seinen Lungen entweichen. »Das kannst du voll vergessen!«
»Scheint so, als müssten wir noch eine Weile hier ausharren«, meinte Melanie ernüchtert.
Ivy setzte sich ebenfalls auf die Fensterbank und lehnte sich gegen die Scheibe. Sie spürte die Kälte des Fensters durch ihre Kleidung hindurch. Ihr mürrischer Blick verriet, dass die Nacht nicht erholsam für sie war.
Rupert, Sebastian, Christoph und Jerome kamen mit kleinen Päckchen in den Händen zur Gruppe.
Der Dachdecker gesellte sich zu seiner Frau. Grinsend reichte er ihr einen Kaffeebecher, denn er kannte diesen grimmigen Blick nur zu gut.
Mit einem gequälten Lächeln nahm sie ihm den Becher ab.
»Hier, damit du bei guter Laune bleibst«, witzelte er und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»So Leute, es gibt diese Bagels von ›McDonalds‹ und Kaffee. Das Frühstück geht aufs Haus!«, eröffnete Christoph feierlich und nahm einen Schluck des heißen Getränks. »Scheint, als würde das hier alles ‘ne Weile dauern. Es ist echt zum Kotzen, dass niemand was weiß.«
»Ich war vorhin am Parkplatz«, erzählte Jerome, während er seiner Frau einen Bagel aus der Tüte gab. »Da ist das Chaos ausgebrochen. Die Taxis und Shuttlebusse fahren die Leute weg. Ein Typ meinte, dass alle umliegenden Hotels und Pensionen ausgebucht seien.«
»Aber wir sollen hierbleiben!«, warf Evelyn bestimmend ein.
»Ja, wir bleiben auch hier«, beruhigte Rupert seine Frau. »Wir müssen das so sehen: Je mehr Leute sich abholen lassen, umso eher sitzen wir im Flieger. First-Class, versteht sich.« Evelyn lächelte gequält mit sorgenvollem Blick, während sie ihrem Mann stumm zunickte. »Wir sollten unseren Platz nicht mehr allein lassen. Es muss jemand von uns hierbleiben. Nicht jeder verlässt hier fluchtartig den Flughafen. Scheinbar sind das auch einige gewöhnt. Manch einer ist recht entspannt.«
Ivy nahm ihren Kaffee, ging zu ihren Sachen und kramte ihre Digitalkamera heraus, um ein Gruppenfoto zu schießen.
Als das Blitzlicht aufleuchtete, schauten alle verdutzt zu ihr auf.
»Was wird das denn?«, reagierte Christoph überrascht.
»Erinnerungsbilder! Titel: ›Die Gestrandeten‹!«, schmunzelte sie.
*
Mit der Kamera um den Hals lief sie zur Reling hinüber, von wo aus sie ungehindert in die untere Etage des Einkaufsbereiches sehen konnte. Schon gestern hatte sie sich den Zigarrenladen anschauen wollen, um für ihren Vater eine davon als Souvenir zu kaufen. Sie schoss einige Aufnahmen, lief über die Treppe nach unten und hatte unweigerlich das Gefühl, sich in einer Schar aufgescheuchter Hühner wiederzufinden. Es schien unmöglich, den Shop ohne Blessuren zu erreichen. Ivy trat vor das Gebäude in den Raucherbereich, beobachtete die Menschen am Flughafentransfer und zündete sich eine Zigarette an. Während sie rauchte, schweifte ihr Blick zu den Bussen und Taxiständen, wo sich die Reisenden regelrecht um die letzten freien Plätze prügelten. Sie bemerkte, dass viele ihre Koffer umpackten – wissend, nicht alles mitnehmen zu können.
Das sind bestimmt Amerikaner. Die haben’s gut. In ein paar Stunden sind die zu Hause, während wir hier festsitzen, mutmaßte Ivy. Sie nahm ihr Smartphone aus der Hosentasche, wählte die Nummer ihrer Eltern, während sie ihre Zigarette rauchte. Verärgert schaute sie auf das Display, nachdem zum dritten Mal der Anruf abgebrochen wurde.
Scheinbar nicht nur bei ihr. Eine Frau, die Abseits stand, versuchte es ebenfalls. Sie schien verzweifelt zu sein, dass sie niemanden erreichte. Ivy schaute sich weiter um und bemerkte am Bordstein das kleine Mädchen, welches gestern mit dem Teddybären am Fenster spielte.
Mit verstörten großen Knopfaugen beobachtete die Kleine die Erwachsenen, die sich gegenseitig ankeiften oder gar handgreiflich wurden. Sie konnte nicht verstehen, warum sie sich so verhielten. Ängstlich schaute das Kind ihre Mutter an, die hastig ihr Gepäck umpackte. Aus heiterem Himmel fuhr die Frau ihre Tochter an, welches darauf furchtsam zusammenzuckte.
Ivy konnte sie von der Ferne aus nicht verstehen, aber der Blick des Frauenzimmers war eine Mischung aus Angst und Verzweiflung.
Die Blondine klappte den Koffer zu, stand auf und schaute sich nervös um.
Ivy seufzte. Das kleine Mädchen erinnert mich sehr an Konrad.
Abrupt wurde das Kind auf den Arm genommen. In der anderen Hand hielt die Mutter den Koffer und sie stieg mit ihrer Tochter in einen der Busse ein.
Das Mädchen saß am Fenster und ihr Blick fiel direkt auf Ivy. Zaghaft winkte sie ihr zu und Ivy erwiderte es freundlich.
Seufzend drückte sie die Zigarette im Aschenbecher aus und schlenderte in die Einkaufspassage zurück.
*
Ihr Ziel war der Zigarrenladen, aber die Auswahl überzeugte sie nicht.
So schlenderte sie zu den Toiletten. Nachdem sie ihre Hände gewaschen hatte, betrachtete sie sich im Spiegel. Sie sah wahrlich fertig aus. Solche Nächte zeichneten sich sofort in ihrem Gesicht ab und finstere Augenringe machten sich breit.
Aus einer anderen Kabine kam eine Frau heraus und stellte ihren Schminkkoffer auf die Waschtischarmatur. Sie öffnete ihn und Ivy staunte nicht schlecht, als sie das umfangreiche Sammelsurium sah. Die Dame bemerkte den Blick und schmunzelte. »Brauchen Sie etwas?«, fragte sie freundlich auf Englisch und schob den Behälter ein Stück zu Ivy rüber.
Grinsend schüttelte sie den Kopf und wusch sich mit klarem Wasser das Gesicht. Mit Papiertaschentüchern tupfte sie es trocken und betrachtete sich einen Moment im Spiegel.
»Wenigstens sieht man gut aus«, bemerkte die Frau, während sie Lippenstift auftrug. »Sie können sich bedienen, wenn Sie möchten«, bot sie erneut an.
»Nein, danke … Ich schminke mich nicht«, lehnte Ivy kopfschüttelnd ab. »Das mochte ich noch nie.«
Die Frau sah sich Ivys Gesicht an und schmunzelte.
»Würde Ihnen aber stehen. Die Augenringe lassen Sie alt wirken!«, erwiderte die vollbusige Frau forsch.
Ivy rollte mit den Augen und verließ die Toilette. Sie war nicht der Typ, der stundenlang im Bad stand und sich schminkte. Sie mochte es nicht und fühlte sich unwohl, wenn sie es doch tat.
Sebastian war es scheinbar egal. Zumindest hat er nie gefragt, warum sie sich nicht schminkte.
*
Als sie zu ihrer Gruppe kam, ging sie auf Sebastian zu, der sie fragend ansah.
»Irgendwas herausbekommen?«, erkundigte er sich und sie setzte sich seufzend neben ihn.
Mit schmollendem Blick sah sie ihn für einen Moment an, während sie ihre Unterlippe nach vorn schob. »Seh ich aus wie ein Pandabär?«
Verwundert schaute er sie an.
»Ich war auf Toilette und eine Frau bot mir ihr Schminkzeug an.«
»Nein, du siehst nicht aus wie ein Pandabär«, erwiderte er lachend. »Und wenn, wärst du immer noch mein kleiner Pandabär.« Er zog sie zu sich und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
Schmollend sah sie ihn erneut an und begann trotzdem zu schmunzeln. »Pandas haben voll wenig Sex in ihrem Leben«, flüsterte sie und beide fingen an zu lachen.
»Dann eher ein Waschbär«, erwiderte er und Ivy sah ihn skeptisch an. »Ich bin der Waschbär, nicht du!«, versuchte er sich zu retten und grinste seine Frau verschmitzt an.
»Gut gerettet«, antwortete sie und boxte ihn leicht auf die Schulter.
*
Der Tag neigte sich dem Ende zu ohne Ergebnisse oder Anweisungen seitens des Flughafenpersonals.
Der anfängliche Aufruhr der Passagiere legte sich und es wurde leerer in den Wartehallen. Der Ansturm an den Shuttle-Bussen und Taxiständen nahm ab. Die Fluggäste richteten sich auf eine weitere Nacht ein.
Am Abend gingen zahlreiche Flughafenmitarbeiter umher und verteilten Decken und Essenspakete.
Rupert meinte verwundert, dass er schon einmal auf einem Flughafen festsaß, aber nie wurden Lebensmittel und Decken verteilt. Ohne es zu sagen, wusste er, dass diese Situation ernster war, als es ihnen lieb war.
Sarah und Piet hatten sich ebenfalls ein Taxi genommen und die Gruppe verlassen. Sie waren der Meinung, dass es besser wäre, in einem Hotel zu übernachten anstatt in einer Wartehalle des Flughafens. Wie sture Kinder wollten beide nichts davon wissen, dass alle umliegenden Hotels und Pensionen ausgebucht waren und versicherten, dass sie im nächsten Flieger sitzen würden.
***