Читать книгу Bergdorf sucht... Lehrerin - Josie Hallbach - Страница 11
Kapitel 8:
ОглавлениеPaula verstand leider nur die Hälfte von dem, was Tante Lieselotte auf sie einredete. Aber dass sie tüchtig zulangen solle, klang unmissverständlich. Und der Schweinebraten mitsamt dem Rotkraut und den Knödeln war wirklich vorzüglich.
Mit gefülltem Bauch, einer Schüssel mit Resten für den armen Bruder daheim und dem Bewusstsein, unbedingt demnächst alle wichtigen Aussichtsgipfel von Lämmerbach besteigen zu müssen, verließ sie das kleine Häuschen gegenüber der Schule am Nachmittag wieder.
Paula verschwieg, dass sie nicht einmal ein paar Wanderschuhe besaß.
Den Rest des Tages verbrachte sie im Materiallager. Falls sie vorher noch einen Anflug von Euphorie gehabt hätte, wäre er spätestens jetzt verpufft. Dass das Unterrichtsmaterial einen veralteten Eindruck machen würde, war die Untertreibung des Jahrhunderts. Sie fand ein paar zerfledderte, zwanzig Jahre alte Schulbücher. Die Deutschlandkarte kannte weder eine Wiedervereinigung, noch zeichnete sie sich durch geographische Genauigkeit aus. Aus einer klemmenden Schublade tauchten sogar ein paar Rechenschieber auf, von denen Paula nicht den blassesten Schimmer hatte, wie sie zu verwenden waren.
Im nächsten Schrank fand sie ein paar Erlenmeier-Kolben, einen Bunsenbrenner und einige Gläser mit diversen Stoffen, die mit viel Phantasie dem Chemieunterricht zugeordnet werden konnten, wobei sie selbst keine große Leuchte in diesem Fach war. Aber das Periodensystem erkannte sie immerhin auf Anhieb. Ein paar alte Gesangbücher, eine überdimensionale Bibel, eine kaputte Flöte und eine Zeittafel, die wohl für den Geschichtsunterricht verwendet worden war, komplettierten diesen Schrank.
Für den Biologieunterricht konnte sie außer einem nahezu vollständigen Skelett nichts Brauchbares entdecken. Dafür fand sie einige Ordner mit Maschinen getippten Blättern, die den vorgeschriebenen Lehrplan von Klasse 1- 10 enthielten. Einige weitere Ordner mit Aufschrieben und Arbeitsblättern in einer krakeligen Handschrift vervollständigten diesen Arbeitsraum, vermutlich das Werk ihrer Vorgängerin oder des Vor-Vorgängers.
Paula war inzwischen nach Heulen zumute und ihr Mut befand sich am Tiefpunkt. Wie sollte man hier deinen ordentlichen Job machen? Physik, Mathe und Chemie für Klasse neun oder zehn überstieg ihren Horizont, genau wie die Vorstellung, mehrere Klassen und Fächer gleichzeitig in einem einzigen Raum zu unterrichten. Es konnte nicht funktionieren und die Katastrophe war sozusagen vorprogrammiert. Wie hatte sie sich bloß in eine solch verquere Situation reinmanövrieren können?
Wenn sie sich nicht so sehr für ihre Blauäugigkeit geschämt hätte, wäre sie am liebsten ans Telefon gestürmt, hätte Julia angerufen und versucht, ihre Versetzung rückgängig zu machen. Aber das ließen ihr Stolz und ihr Verantwortungsgefühl nicht zu. Sie hatte sich die Suppe mit ihrer Voreiligkeit eingebrockt, folglich musste sie diese auch wenigstens versuchen auszulöffeln, den Bewohnern dieses Dörfchens zuliebe.
Zudem schien niemand ihre Unerfahrenheit als großes Problem anzusehen. Selbst der Arm der Bürokratie endete offensichtlich vor diesem Pass, sonst hätte man sie kaum als Lehrkraft akzeptiert.
Sie schlief mit den Lehrplanordnern neben sich ein und träumte verworren von binomischen Formeln, die sie einer Herde Schafe beizubringen versuchte.