Читать книгу Bergdorf sucht... Lehrerin - Josie Hallbach - Страница 4
Kapitel 1:
Оглавление„Das ist nicht dein Ernst“, sagte Julia und starrte ihr Gegenüber fassungslos an.
„Mein völliger Ernst“, erwiderte Paula und versuchte so gelassen wie möglich auszusehen. Innerlich machte sie sich allerdings auf ein anstrengendes Gespräch gefasst.
„Wo um alles in der Welt liegt Lämmerbach?“
„Irgendwo am Ende von Deutschland.“ Paulas Stimme klang so betont frisch, dass es bereits verdächtig wirkte. Sie versuchte sogar ein leichtes Grinsen.
„Du meinst wohl am Ende der Welt. Mensch Mädchen, ich versteh ja, dass du hier wegwillst. Aber schmeiß doch nicht gleich deine ganze Zukunft hin.“
„Ich nehme eine Lehrerstelle in einem netten, kleinen Bergdorf an, das ist alles.“ Ihr Grinsen wurde auf eine harte Probe gestellt. „Das Klima dort soll sehr gesund sein. Höhenluft.“
„Ich wusste gar nicht, dass du krank bist.“ Julia fuhr sich ungeduldig durch ihr langes blondes Haar. „Wie bist du überhaupt an diese Stelle gekommen?“
„Sie war im `Evangelischen Gemeindeblatt` ausgeschrieben.“ Paula hatte einen Hang zur Ehrlichkeit, der ihr im Leben nicht immer nur Pluspunkte einbrachte. Ihr selbst war die Anzeige wie eine Fügung des Himmels erschienen, als sie diese vor einigen Wochen entdeckt hatte. Aber davon konnte sie ihre Kollegin vermutlich schwer überzeugen. Deren Sinn für Religion endete spätestens bei den Weihnachtsgeschenken.
Paula schaffte es dafür, ihre Gesprächspartnerin zum zweiten Mal aus der Fassung zu bringen. Die Hand blieb im Haar stecken. „Hör mal zu, mein Kind“, kam es im besten Erzieherinnenton, „lass uns in Ruhe über alles reden. Eine solche Entscheidung sollte man nicht überstürzen.“
Das angesprochene „Kind“ begann es sofort zu bereuen, sich nicht gleich nach Schulende aus dem Staub gemacht zu haben. Das Problem war, dass ihre Freundin ja irgendwie Recht hatte. Paula merkte selbst, wie überstürzt ihre Entscheidung wirkte, doch der Wunsch hier wegzukommen, war übermächtig. Jeder Tag fühlte sich wie Spießrutenlaufen an. Alle wussten Bescheid oder hatten zumindest einen Teil der Gerüchte mitbekommen. Wenn sie Jörg bloß sah, wäre sie am liebsten abwechselnd im Boden versunken oder hätte sich wutentbrannt auf ihn gestürzt. Sie verstand inzwischen selbst nicht mehr, wie sie sich in dieses aufgeblasene Ekelpaket hatte verlieben können. Warum sie ihm dermaßen auf den Leim gegangen war, ohne die Spur eines Misstrauens.
Lediglich Julias Eingreifen war es zu verdanken gewesen, dass sie bei der sich anbahnenden Katastrophe nicht völlig den Boden unter den Füßen verloren hatte. Seither fühlte sich die ältere Kollegin für sie verantwortlich.
„Setz dich!“ Unsanft wurde Paula auf einen Stuhl gedrückt und dann ging es zur Sache. „Erzähl mir von der Ausschreibung.“
Diese wagte nicht zu widersprechen. „Es ist ein kleines Bergdorf unweit der Österreichischen Grenze. Sie suchen eine Lehrerin oder einen Lehrer, der die wichtigsten Fächer bis zur mittleren Reifeprüfung unterrichten kann.“
„Aha!“ Ihre Gesprächspartnerin blickte keineswegs begeistert drein, so dass sie rasch ergänzte: „Bezahlung nach Tarif und flexible Arbeitszeiten. Es ist eben eine ländliche Gegend. Dafür wird einem sogar eine möblierte Wohnung zur Verfügung gestellt.“
„Aber Kühe musst du keine melken können, oder? Meine liebe Paula, wer bitte schön schreibt eine Lehrerstelle im ´Evangelischen Gemeindeblatt` aus? Wann warst du beim Vorstellungsgespräch?“
„Es gab kein Vorstellungsgespräch. Ich habe meine Bewerbung geschickt und gestern bekam ich die Zusage. Sie erwarten mich Ende August.“
Julia war inzwischen der Verzweiflung sichtbar nahe. Eine Hand lag auf Paulas Schulter während die andere sich aus dem Haar befreit hatte und nun wenige Zentimeter vor ihrem Kopf herumfuchtelte, wie ein Scheibenwischer im Wolkenbruchmodus. Auf der sonst so ebenmäßigen Stirn begannen sich steile Falten zu bilden. „Du musst völlig übergeschnappt sein, Herzchen. Heutzutage nimmt keiner eine Lehrkraft ohne Vorstellungsgespräch, außer...“ Sie ließ den Satz unvollendet. Dafür tippte ihr Zeigefinger an den Kopf der Freundin, „denk mal drüber nach. Macht dich das nicht misstrauisch? So naiv und weltfremd kannst selbst du nicht sein. Die ganze Sache stinkt doch kilometerweit gegen den Wind.“
Natürlich hatte Paula bereits darüber nachgedacht und wenn ihre Lage nicht so verzweifelt wäre… und nicht nur ihre… Auch ihr Bruder musste dringend von hier fort, je schneller und weiter desto besser. Alles, was sie in den letzten Monaten von ihm zu sehen bekommen hatte, war ziemlich unerquicklich gewesen. Nicht nur, dass er mit dieser entsetzlichen Clique herumhing, neulich war sogar die Polizei vor ihrer Tür aufgetaucht, weil er angeblich bei einem gescheiterten Einbruch beteiligt gewesen sein sollte, wenn auch nur zum Schmiere stehen. Man hatte ihr unmissverständlich klargemacht, dass Jugendliche bereits ab zwölf Jahren strafmündig wären und lediglich ihr Versprechen, den Bruder in Zukunft unter straffer Kontrolle zu halten, die Polizei davon überzeugen könne, die Sache nicht weiter zu verfolgen. Die ganze Geschichte hatte ihr einen Mordsschrecken eingejagt.
Das fällige Gespräch mit Hannes am Abend darauf war dann leider zum Monolog ihrerseits geraten. Sie kam nicht an ihn ran, und manchmal fragte sich Paula in solchen Momenten, ob sie überhaupt jemals ein halbwegs intaktes Verhältnis zu ihm gehabt hatte.
Vielleicht war sie deshalb so offen für die Sympathiebeteuerungen ihres älteren Kollegen gewesen? Jörg Markhoffs Aufmerksamkeiten fielen auf empfangsbereiten Boden. Hinzu kam, dass sich ihre seitherigen Erfahrungen mit Männern auf ihren selten vorhandenen Vater, mit dem sie ohnehin kein herzliches Verhältnis verband, romantische Fernsehfilme und entsprechend einseitige Literatur beliefen.
Kurzzeitig fühlte sie sich wie das hässliche Entlein, das sich zur eigenen Verblüffung in einen akzeptablen Schwan verwandelt. Dieses Hochgefühl hielt allerdings nur bis zu jenem Abend, als Jörg Markhoff urplötzlich vom Märchenprinzen zum Frosch mutierte.
Hinterher erfuhr sie von Julia, dass es im Kollegenkreis bereits Wetten gegeben habe, wie lange er wohl brauchen würde, um sie flach zu legen. Der Einsatz hatte fünfzig Euro betragen und die pessimistischste Prognose auf zwei Wochen gelautet.
Paula verspürte nach dem fälligen Schock den Wunsch, möglichst viele Kilometer zwischen sich und diese Schule zu bringen. Der Zeitpunkt für eine Versetzung war aber für alle Seiten ungünstig und deshalb bemühte sich der Direktor im Gegensatz zu ihr auch nicht sonderlich darum. Er musste sich schließlich nicht dem Gespött oder Mitleid der Kollegen aussetzen. Das eine war für sie so unangenehm wie das andere. Natürlich würde mit der Zeit Gras über die Sache wachsen, sie war ja noch jung und wenn jemand gehen sollte, wäre das doch eher Jörg. Außerdem gäbe es genug andere Männer, die nicht….
Paula hatte das Gerede der Leute um sich herum so satt, dass sie sich Einsamkeit, Ruhe und keine weiteren guten Ratschläge zu wünschen begann. Sie sehnte sich nach einem Platz, an dem niemand sie kannte und wo sie noch mal ganz von vorne anfangen konnte, und das mit gerade mal 26 Jahren. Gleichzeitig wusste sie, dass ihre Haltung niemand verstehen würde und sie somit auch mit keiner Unterstützung rechnen konnte, zumindest mit keiner menschlichen.
Doch spätestens zu diesem Zeitpunkt kam ihre Religiosität ins Spiel. Dank drei Jahren Kinderkirche und einem christlichen Gospelchor, den sie in sporadischen Abständen besucht hatte, war immerhin so viel Glaube bei ihr hängen geblieben, dass sie vor schwierigen Entscheidungen normalerweise ihr Heil im Gebet suchte. Sie glaubte, dass es einen Gott gibt und dieser bei Bedarf in das Leben einzelner Menschen eingreift. Sie erinnerte sich an diese Möglichkeit und betete intensiv für eine neue Stelle. Zwei Tage später entdeckte sie die Anzeige im „Evangelischen Gemeindeblatt“ und stand staunend davor. War das nicht die Antwort auf ihr Gebet? Die Bedingungen klangen nahezu perfekt und schienen genau auf ihre Situation zu passen. In ländlicher Idylle und mangels einschlägiger Zivilisation und Ablenkung konnte sie vielleicht sogar ihren Bruder unter Kontrolle bekommen und zum Lernen bewegen, so dass er die Mittlere Reife schaffte.
Das alles waren Argumente, die Lämmerbach zur ersten und sowieso einzigen Wahl machten. Die sofortige Zusage, die sie auf ihre Bewerbung erhielt, tat seinen Teil dazu.
„Mein Entschluss steht fest“, sagte Paula, aus ihren Gedanken auftauchend. „Ich habe es vorhin dem Direktor mitgeteilt. Zum Schuljahresende wechsle ich.“
Julia nickte grimmig. „Na gut. Du willst es wohl nicht anders. Aber behaupte hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewarnt.“
„Du bist hiermit von sämtlichen Verpflichtungen entbunden.“ Es sollte ironisch klingen. Doch ihre Stimme klang lange nicht mehr so sicher wie zu Beginn des Gesprächs.
Sie stand bereits an der Tür, als die Freundin ihren letzten Trumpf ausspielte: „Was hält denn Hannes von deiner Idee?“
„Er weiß noch nichts davon.“ Der nervöse Unterton war nun unüberhörbar, „aber ich werde es ihm gleich heute Abend mitteilen.“
„Na dann, viel Spaß.“