Читать книгу Bergdorf sucht... Lehrerin - Josie Hallbach - Страница 13
Kapitel 10:
ОглавлениеEs kostete einiges an Überzeugungskraft, Hannes dazu zu bewegen, mit zur Familie Martin zu gehen. Nachdem er allerdings Nicole zu Gesicht bekam, lief es wie geschmiert.
Sie wirkte älter als dreizehn und trug ihr rötliches Haar anstelle der obligatorischen Zöpfe zu einer modischen Frisur hochgesteckt, die aussah, als hätte eine gefräßige Mäusefamilie darin ihr Domizil errichtet. Sommersprossen, blaue Augen und ein unerschrockenes, großes Mundwerk taten ihr übriges. Wenn Paula nicht so sehr damit beschäftigt gewesen wäre, einen halbwegs guten Eindruck zu machen, hätte sie zu ihrem Erstaunen festgestellt, dass Hannes sogar gesprächig sein konnte.
Ein hagerer, grauhaariger Herr mit randloser Brille, offenbar Annes Vater, begrüßte sie freundlich und ließ sich dann schwerfällig am Tisch nieder. Sein Rheuma war offenkundig. Paula begann die Situation ein bisschen besser zu verstehen. Jede Patientenkonsultation musste eine körperliche Zumutung für ihn sein.
Die Hackfleischsoße schmeckte nach Fertigpackung, die Spaghetti entsetzlich fad und der Salat befand sich eigentlich im Rohzustand. Der Käse dafür glich alles wieder aus.
„Echter Almkäse“, verkündete Anne stolz, „garantiert nicht von mir hergestellt. Wenn du willst, darfst du übrigens gern nachwürzen. Wegen Paps gibt’s bei uns nur salzarme Kost.“
Dr. Martin erkundigte sich nach ihren ersten Eindrücken von Lämmerbach und fragte, wo sie seither gelebt und gearbeitet hätte.
Paula antwortete höflich, war aber auf der Hut, nicht zu viel von sich Preis zu geben. Besonders der Frage nach ihren Eltern ging sie normalerweise gern aus dem Weg. Deshalb nutzte sie die erste Gelegenheit, die sich ihr bot, um auf die Lehrmittellage der Schule aufmerksam zu machen.
Anne seufzte: „Ein leidiges Thema. Geld zum Neukauf hat hier niemand. Wir haben deshalb schon versucht, uns Bücher zu leihen, aber die meisten Schulen sind zu klein, als dass sie uns etwas abgeben könnten, andere wollen es einfach nicht.“
„Was soll das heißen?“
„Lämmerbach ist so etwas Ähnliches wie eine Enklave, falls dir das ein Begriff ist.“
„Hilf mir auf die Sprünge.“
„Alle umliegenden Ortschaften sind katholisch, nur Lämmerbach ist evangelisch. Rein evangelisch wohlgemerkt. Darum hängt auch kein Kruzifix im Klassenzimmer. In der blutigen Vergangenheit schreckte man nicht einmal vor Zwangskonvertierungen zurück. Man schätzt hier keine gemischten Ehen.“
„Deshalb also die Ausschreibung im ‚Evangelischen Gemeindeblatt’“, dämmerte es Paula. Außerdem kamen ihr die Worte der seltsamen Alten in den Sinn. Ein Tal voller Ketzer. Da wehte der Wind her.
„Amen dazu, um es mit Pfarrer Ebershäuser zu sagen. Er legte da großen Wert drauf.“
Weil Hannes gerade damit beschäftigt war, Nicole von den Vorzügen des Stadtlebens vorzuschwärmen und nicht zum Aufbruch drängte, ging Paula mit Anne nach dem Essen die Klassenstufen und ihre Überlegungen dazu durch. Plötzlich kam ihr eine Idee. „Könnte ich kurz einen Anruf machen, allerdings auf ein Mobiltelefon.“ Sie hatte zwar bei sich in der Wohnung ebenfalls ein Telefon entdeckt - ein waldgrünes mit voll funktionsfähiger Drehscheibe - war sich aber nicht sicher, ob es lediglich ein antiquiertes Ausstellungsstück oder tatsächlich zum Telefonieren geeignet war.
„Kein Problem.“ Die Hebamme reichte ihr einen modernen, schnurlosen Apparat.
Paula wählte die einzige Nummer, die sie aus dem Kopf wusste. An ihr Ohr drang daraufhin eine vertraute Stimme, im Hintergrund tönte flotte Musik, samt jeder Menge temperamentvolles Sprachengewirr. Ihre ehemalige Kollegin verbrachte die Mittagspause also wie üblich in ihrem Lieblingsrestaurant.
„Oh hallo Schätzchen, wie geht’s dir? Möchtest du Band 4 vom Bergdoktor nachgeschickt bekommen oder packst du bereits deine Koffer, um heimzukehren?“ Julias Sinn für Ironie war ungetrübt.
„Keins von beidem. Ich brauche deine Hilfe.“
„Warum überrascht mich das nicht? Aber, falls ich ebenfalls in die Berge kommen soll, vergiss es.“
Paula kam angesichts ihrer interessierten Mithörer sofort auf ihr Anliegen zu sprechen.
Julia hörte mit ungläubigem Schweigen zu. „Du meine Güte, Mädchen, das ist ja noch schlimmer, als ich befürchtet habe. Das letzte vergessene Tal in Deutschland. Pass auf, dass du auf keine Dinosaurier-Eier trittst“, meinte sie andächtig.
„Hilfst du mir jetzt oder nicht?“
„Ich werde schauen, was ich tun kann.“
„Du bist Studienrätin.“
„Du verwechselst das mit Rektorin.“
„Es eilt. In knapp zwei Wochen fängt hier die Schule an.“
„Du Glückliche, ich habe bereits eine Woche Schulstress hinter mir und vermutlich demnächst vergessen, wie man Ferien überhaupt schreibt.“
„Julia…“
„Okay. Ich melde mich spätestens bis zum Wochenende.“
„Danke. Aber nicht auf dem Handy. Das hat keinen Empfang.“
Julia seufzte vielsagend. „Sind wenigstens die Almbauern attraktiv?“
„Ich habe noch keinen gesehen“, gestand Paula und hoffte, dass die Anwesenden diese Frage nicht mitgehört hatten.
Anne ließ sich zumindest nichts anmerken und schrieb etwas auf einen Zettel, hielt ihr dann das Papier mit den zwei untereinanderstehenden Telefonnummern hin und flüsterte: „Die obere ist deine, die untere unsere. Falls sie dich in nächster Zeit erreichen möchte.“
Paula gab die Zahlenkombination durch und legte erleichtert auf. „Wenn jemand das hinbekommt, dann Julia“, sagte sie voller Vertrauen.
Die Hebamme schaute sie bewundernd an. „Allmählich glaube ich auch, dass du die Erhörung unserer Gebete bist.“
„Das war bloß ein Anruf und ich weiß nicht mal, ob es funktionieren wird“, wehrte diese bescheiden ab.
„Ein Anruf, der uns aber eventuell weiter als alle unsere bisherigen Bemühungen bringt.“
Nun schaltete sich auch noch Dr. Martin ein, der die letzten Minuten mit gefalteten Händen still und feierlich auf seinem Platz verbracht hatte, aber nun seinem Herzen Luft machen musste: „Siehst du, Anne“, meinte er siegessicher. „Es geschehen eben noch Zeichen und Wunder, und Sie Frau Müller sind ein Teil davon, ob Sie es nun wahrhaben wollen oder nicht.“
Die so unmittelbar Angesprochene hatte sich seither weder als bemerkenswert fromm noch als Wunder Gottes empfunden und wurde bei so viel unterstellter göttlicher Rückendeckung unwillkürlich verlegen. Da konnte man nur hoffen, dass keine übermenschlichen Ergebnisse von ihr erwartet wurden.
Bei der Hebamme blitzte der Schalk aus den Augen, als sie erklärte: „Pfarrer Ebershäuser und mein Vater sind ein unschlagbares Team, was den Glauben an Wunder anbelangt. Zur Not helfen sie auch gern mal ein bisschen nach.“
Dr. Martin ignorierte den Humoranflug großmütig. „Schön wär’s, aber den Glauben an einen liebenden Gott lasse ich mir nicht nehmen und auch nicht die Hoffnung, dass uns alles irgendwann zum Besten dienen wird. Wenn eine Tür zugeht, tut Gott eben eine andere dafür auf. Das habe ich in meinem Leben immer wieder erfahren. Niemand kann mich deshalb davon abhalten, an die Zukunft dieses Ortes zu glauben. Weiß Gott, wo erst einmal eine Lehrerin ist, kommt vielleicht zum richtigen Zeitpunkt sogar ein neuer Arzt dazu“, schloss er mit geheimnisvoller Miene.
Paula hatte keine Ahnung, was er damit konkret meinen könnte, lächelte aber höflich zurück.