Читать книгу Bergdorf sucht... Lehrerin - Josie Hallbach - Страница 14
Kapitel 11:
ОглавлениеAuf der Sennalm war Marie Schindhelm gerade dabei, mit Unterstützung ihres Sohnes, die Kühe für den Abend zu melken. Die kleine Martha spielte mit ihrer Stoffpuppe und sprang hüpfend die Stallgasse auf und ab.
Da ging quietschend die Stalltür auf. In dem hellen Kegel, der von der Abendsonne beleuchtet wurde, stand Matthias, Maries Mann. „Seids ihr noch net bald fertig“, polterte er ärgerlich. „Jedn Abend dauerts länger.“
Franz zog unwillkürlich den Nacken ein und blickte ängstlich zur Mutter hinüber. Diese nickte ihm beruhigend zu und meinte dann zu ihrem Mann gewandt: „Wir sind glei fertig, Matthias.“ Sie merkte sofort, dass er mal wieder an den Selbstgebrannten gegangen war. Sein Gesicht glühte und er schwankte leicht.
„Ich möcht aber jetzt glei was essn“, beschwerte er sich. „Lass den Taugenichts die Arbeit fertig machn.“ Sein missbilligender Blick fiel auf seinen Sohn, der beinahe hinter der großen Kuh verschwand.
„Des is zu viel für ihn allein. Geh doch schon mal ind Stub und leg dich a bissel hin. Ich komm gleich nach.“ Maries Stimme klang flehend. Martha vergaß bei diesem Tonfall weiterzuspielen, presste ihre Puppe an sich und starrte ihren Vater mit großen Augen an.
„Was glotzt so?“, herrschte er sie an. „Bist wohl a bissel deppert.“
Marthas Augen füllten sich mit Tränen. Sie stolperte zu ihrer Mama hinüber und klammerte sich Hilfe suchend an ihr Bein. In Marie zog sich alles zusammen. Während sie ihrer kleinen Tochter sacht übers Haar strich, lächelte sie trotzdem so gut sie konnte.
Matthias kam derweilen mit großen Schritten auf sie zugetorkelt und packte sie grob. „Komm mit“, und zu den Kindern gewandt: „Ihr wisst, was zu tun is.“
Marie warf einen besorgten Blick auf ihren Sohn.
„Ich schau nach der Martha“, sagte der schnell. Griff sich seine Schwester und zog sie zu sich hinüber. Da wusste sie, dass er verstanden hatte.
Ihr Mann zerrte sie bis zum Haus, an der Küche vorbei auf dem direkten Weg ins Schlafzimmer. Dort fiel er über sie her. Marie empfand nichts dabei. Nicht einmal mehr Schmerz, nur noch eine Art dumpfe Leere. Sie hatte den Eindruck, dass alles in ihrem Innern längst gestorben war, schon seit Jahren. All dies passierte nicht ihr, sondern einer Fremden. Sie schloss einfach die Augen und ließ es über sich ergehen.
Als er endlich erschöpft neben ihr eingeschlafen war, stand sie leise auf, zog sich an und ging wieder in den Stall hinüber, um ihre Arbeit zu beenden. Alles in allem war sie heute gut weggekommen. Er hatte sie nicht einmal geschlagen.
Franz hatte geweint. Dies sah sie in seinen Augen, obwohl er hastig drüber wischte und es vor ihr zu verbergen suchte. „Mama, geht’s dir gut?“, flüsterte er, als wage er nicht, seine Gedanken laut auszusprechen.
„’s is alles in Ordnung, Großer. Danke, dass du auf dei Schwester aufpasst host.“ Einmal mehr schenkte sie ihm ein warmes Lächeln. Ihr kam es vor, als ob es das Einzige wäre, was sie für ihn tun konnte. Dabei zerriss es ihr fast das Herz. Wie hatte es nur so weit kommen können?
Sie lehnte ihre Stirn an die Flanke der alten Kuh und während ihre Finger mechanisch die Melkbewegungen machten, wanderten ihre Gedanken um Jahre zurück.
Marie sah sich als 16-Jährige auf dem gleichen Hof. Ihre Mutter und sie machten normalerweise die Stallarbeit, während der Vater die schweren Tätigkeiten übernahm. Volker, ihr großer Bruder hatte vor kurzem geheiratet und mit seiner jungen Frau Elisabeth einen eigenen Hof, keine fünfhundert Meter von ihnen entfernt, aufgebaut.
Plötzlich ging die Stalltür auf und der andere, dessen Namen sie für immer aus ihren Gedanken auslöschen wollte, stand in der Türöffnung. Sie wusste, dass ihr Herz jedes Mal zu rasen begann, wenn er nur in ihre Nähe kam. Er war der Inbegriff all ihrer Sehnsüchte und der einzige Mann, der wirklich gut zu ihr war.
Seit zwei Wochen lernte er jeden Abend mit ihr gemeinsam für die Abschlussprüfung, denn er war nicht nur nett, sondern auch klug. Marie hatte den Wunsch geäußert, nach der Mittleren Reife aus Lämmerbach wegzugehen und eine Lehre als Hauswirtschafterin zu machen. Ihr Schulkamerad unterstützte sie dabei. Allerdings fand sie es in seiner Nähe sehr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. Immer schob sich die Vorstellung dazwischen, wie es wäre, wenn er irgendwann seine Arme um sie legen und sie küssen würde. Dann kam Volker in der Nacht vor der Prüfung, als der andere bis spät am Abend bei ihr gewesen war, in ihr Zimmer. Volker hatte getrunken gehabt und war völlig außer sich gewesen. Als Hure hatte er sie beschimpft und sie durchschüttelte, dass ihr Kopf nur so hin- und hergeflogen war. Schließlich hatte er sie darüber aufgeklärt, dass der andere längst eine Freundin habe und mit ihr nur spielen würde und sie sich und die Familie zum Gespött des ganzen Dorfes gemacht habe.
Sie verhagelte die Prüfung und zog anschließend zu einer Familie ins Nachbardorf, um ein Praktikum in deren Haushalt zu machen. Lämmerbach und alle Erinnerungen daran wollte sie für immer hinter sich zu lassen.
Im Haus dieser Familie lernte sie kurz darauf Matthias Schindhelm kennen. Er arbeitete auf dem Nachbarhof als freiwilliger Helfer. Sie wusste zwar, dass er manchmal über den Durst trank, aber er war groß und stark und imponierte ihr. Außerdem wollte sie den anderen mit aller Kraft aus ihrem Gedächtnis drängen.
Deshalb heiratete sie Matthias, kaum dass sie 18 Jahre geworden war, gegen den Willen ihrer Eltern. In der Hochzeitsnacht wurde ihr zum ersten Mal klar, auf was sie sich da eingelassen hatte. Er behandelte sie grob und gefühllos, obwohl sie noch Jungfrau war. In ihrer Not schloss sie die Augen und versuchte sich vorzustellen, dass der andere es wäre, der sie gerade zu seiner Frau mache. In ihrem Schmerz und ihrer Scham rutschte ihr aus Versehen sein Name heraus.
Sie presste zwar schnell die Hand auf den Mund, aber es war zu spät. Matthias hielt einen Moment lang inne und starrte sie ungläubig an. Dann wurde sein Gesicht zu einer sadistischen Grimasse. Er sagte: „So also ist das. Na, dann werde ich dir dein Schatz mal schleunigst austreiben.“ In der nächsten Stunde durchlief sie alle Stufen der Hölle und wünschte sich zu sterben. Aber sie starb nicht, sondern wurde schwanger.
Nach den Flitterwochen kehrten sie gemeinsam auf den elterlichen Hof zurück. Marie sprach nie mit anderen über ihr Eheleben und erwähnte auch kein weiters Mal den Namen des anderen, obwohl ihr Ehemann oft nachbohrte und ihr angebliches Fremdgehen und Lügen dann als plausibler Grund für weitere Schläge herhalten musste. Aber ihre Eltern und Volker wussten auch so Bescheid, und sie konnte ihre blauen Flecken selten verbergen.
Als Franz auf die Welt kam, glaubte sie, dass es nun besser werden würde. Doch Matthias war keineswegs stolz auf seinen Nachkommen, sondern starrte ihn misstrauisch an, fast als hätte er Zweifel, dass dies sein eigen Fleisch und Blut sei.
Nachdem Maries Vater gestorben war und ihre Mutter allmählich gebrechlich wurde, lastete fast alle Arbeit auf ihren Schultern. Matthias erging sich immer mehr in seinem Suff und verbrachte ganze Tage im Delirium. Doch das war ihr fast lieber als die Zeiten, in denen er nüchtern war. In seiner Nüchternheit verhielt er sich völlig unberechenbar.
Oft fragte sie sich, warum sie all dies ertrug. Zum Beispiel, als sie nach einer besonders brutalen Nacht, eine Fehlgeburt erlitt. Auch als sie mit Martha schwanger war, schnürten ihr Angst und Sorgen manchmal förmlich das Herz ab. Aber wo hätte sie hinsollen? Sie hatte keinen Beruf gelernt und wer würde schon eine schwangere Frau mit einem kleinen Kind bei sich aufnehmen? Außerdem gab es da ja noch ihre alte Mutter.
So tat sie in den nächsten Jahren das, was sie am besten konnte: überleben. Sie hatte ja eine wichtige Aufgabe. Sie musste ihre Kinder schützen und versuchen, ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen.
Marie beendete seufzend ihre Arbeit und kehrte in die trostlose Gegenwart zurück. Franz wartete schon mit seinem Eimer auf sie.
Während sie mit der frischen Milch ins Haus rüberkamen, war Matthias aufgewacht. Marie beeilte sich, das Abendbrot zu richten und Franz versuchte seinen Vater bei Laune zu halten. „In zwei Wochn fängt die Schul wieder an“, berichtete er und machte ein betont lustiges Gesicht.
Matthias Schindhelm brummte als Antwort nur vor sich hin und platzierte sich am Esstisch.
Deshalb fügte der Junge hoffnungsvoll hinzu. „Wir kriegn a neue Lehrerin. Eine aus der Stadt.“
„Die taugt net viel“, kam es endlich von seinem Vater zurück. „Ich hab se mir schon angschaut.“
Marie blickte überrascht hoch. „Wo hast du sie denn gsehn?“
„Da wo se ankommn is. An mords Aufstand ham se gmacht wegn der. Der Bürgermeister hat a Grußwort gsprochn und die Lieselotte hat sich förmlich überschlagn vor lauter Freud. Dabei is des Fräulein bloß a halbe Portion. Ich seh net ei, warum des ganze Theater überhaupt nötig war. Die bleibt eh net lang.“
„Sie soll sehr gscheit sei“, versuchte Franz seine zukünftige Lehrerin zu verteidigen. „Vielleicht krieg ich im nächstn Schuljahr gute Notn, wenn ich fest lern.“
„Guck du lieber, dass du dei Sach daheim gschafft kriegst und lass dir keine Flöh ins Ohr setzn.“ Damit war für ihn das Thema nach außen hin beendet und Franz schwieg lieber.
Als Marie ihre Tochter fertig gefüttert hatte und von ihrem eigenen Essen hochblickte, erschrak sie. Matthias lächelte kalt vor sich hin. Sie kannte diesen verschlagenen Gesichtsausdruck zur Genüge und wusste, dass er nichts Gutes verhieß. Sie hoffte bloß, dass sich seine Gedanken nicht länger mit der Lehrerin befassten. Aber irgendetwas an seinem Tonfall vorhin hatte sie misstrauisch gemacht. Schon, dass er wegen ihr den weiten Weg vom Berg runter gemacht hatte, war äußerst merkwürdig und stimmte sie bedenklich. Er plante doch nicht irgendeine Gemeinheit?