Читать книгу Bergdorf sucht... Bewohner - Josie Hallbach - Страница 15
Kapitel 12:
ОглавлениеAn Paulas Tür klingelte es. Sie hatte über eine halbe Stunde lang an ihrer Frisur gefeilt, einen kleinen Imbiss für Daniel vorbereitet und wunderte sich allmählich über seine Verspätung.
Zu ihrer Überraschung stand Christine vor der Tür. Sie berichtete in knappen Worten, was vorgefallen war und dass sich alle Erwachsenen auf der Hochalm befänden.
„Warte einen Augenblick, ich komme mit rüber.“ Paula sperrte ab und folgte Christine zum Arzthaus. Es fing an zu dämmern und sie wollte die Kinder bei der Aufregung nicht alleine lassen.
Sie trafen Lena, das jüngste der Leipold-Kinder, in der Küche an. Normalerweise hätte sie um diese Uhrzeit tief und friedlich in ihrem Bett schlafen müssen, war aber bei der allgemeinen Unruhe einfach vergessen worden. Das kleine Mädchen hatte gerade begonnen, den Kühlschrank auszuräumen. Sie wolle Küche putzen spielen, erklärte sie mit treuem Augenaufschlag. Dass nachts um halb zehn kein geeigneter Zeitpunkt dafür war, schien ihr nicht einzuleuchten. Außerdem zeigte ihr schokoladenverschmierter Mund, dass es wohl keine reine Putzaktion gewesen war. Die Küche sah ansonsten genau so aus, wie sie Anne vor etwas über einer Stunde in fliegender Hast verlassen hatte.
Paula machte sich wortlos ans Säubern und Aufräumen, während Christine die Grundreinigung ihrer Schwester übernahm. Nebenbei wurde Ferdinand ins Bett geschickt.
Anschließend saßen die Übriggebliebenen im Wohnzimmer und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Hannes hatte sich bereitwillig dazugesellt.
Plötzlich hörten sie ein lautes Brummen. Es klang verdächtig nach einem Hubschrauber. Hannes stürmte nach draußen und erstattete Bericht. Auf der Hochalm war in der Tat ein Rettungshubschrauber gelandet. Paula schnürte es vor Angst förmlich den Atem ab. Was ging da oben vor sich?
Plötzlich begann Christine laut zu beten. Sie bat Gott in ihrer schlichten Art, dafür zu sorgen, dass mit Nicole wieder alles in Ordnung käme. Paula wurde einmal mehr von dem direkten Glauben des Mädchens beschämt und schloss sich ganz gegen ihre Gewohnheit diesem Gebet laut an, auch wenn es sie eine Menge Überwindung kostete. Warum war sie nicht selbst auf den Gedanken gekommen?
Hannes verharrte währenddessen mit gesenktem Kopf auf seinem Stuhl und schwieg.
Irgendwann klang es, als würde der Hubschrauber wieder wegfliegen. Von da an blieb alles ruhig.
Gegen ein Uhr schickte Paula die Jugendlichen ins Bett. Christine fiel vor lauter Erschöpfung ohnehin fast vom Stuhl, während Hannes nur widerwillig zum Schulhaus hinüberschlich.
Endlich, gegen halb zwei hörte sie Daniels Auto, aber nur Phillip saß am Steuer. Seine Gesichtsfarbe tendierte gegen Grau. „Sie haben Nicole ins Krankenhaus geflogen. Daniel war sich nicht sicher, ob innere Verletzungen vorliegen. Aber sie hat auf alle Fälle einen Beckenbruch. Außerdem scheint ein Rückenwirbel verletzt zu sein.“
„Sind Anne und Daniel mitgeflogen?“
Phillip nickte. „Nicole wird vermutlich heute Nacht noch operiert. Ich hole Daniel nachher mit seinem Auto vom Krankenhaus ab. Bis dahin weiß man hoffentlich mehr.“
Paula schaute ihn fragend an. Sie wagte es nicht, ihn auf den Grund für die Verletzung anzusprechen.
Er wusste trotzdem, was sie meinte. „Sie muss vom Baugerüst gesprungen sein“, berichtete er und kämpfte um seine Fassung.
„Du meinst gestürzt“, verbesserte sie.
Er schüttelte den Kopf. „An dieser Stelle konnte man nicht einfach abstürzen. Sie muss bewusst über die Abgrenzung geklettert sein. Daniel meint, die Verletzungen wirken, als ob sie sich selbst einen möglichst großen Schaden hätte zufügen wollen. Sie war bei vollem Bewusstsein als ich kam, aber sie hat durch mich hindurchgestarrt, als wäre ich nicht vorhanden und als Anne sie anfassen wollte, schrie sie völlig hysterisch.“
„Konnte Daniel mit ihr reden?“
„Er war zumindest eine Zeit lang mit ihr allein, bis der Rettungshubschrauber kam.“ Phillip seufzte abgrundtief. „Ich hätte nie gedacht, dass sie dermaßen ausrasten könnte. Wir hatten doch immer ein gutes Verhältnis zueinander.“
Das stimmte. Nicole schien von den aktuellen Insassen des Hauses Martin, am ehesten noch mit Phillip klarzukommen.
„Ich mache mir Vorwürfe, dass ich ihre Probleme nicht rechtzeitig erkannt habe. Ich habe mich in letzter Zeit schwerpunktmäßig um Christine gekümmert und dabei übersehen, dass Nicole mit der ganzen Situation nicht mehr klarkommt“, fügte er leise hinzu. „Das hätte mir als Psychologen nicht passieren dürfen.“
Paula streichelte ihm mitfühlend den Arm: „Kein Mensch macht alles richtig. Kann ich noch irgendetwas für dich tun?“
„Nein, geh schlafen und vielen Dank für alles. Sobald ich mehr weiß, gebe ich dir Bescheid.“ Er drückte sie zum Abschied mit der ganzen Kraft seiner Verzweiflung.
Paula ging besorgt in ihre Wohnung zurück. Inzwischen war es halb drei und sie sank erschöpft ins Bett. Dennoch dauerte es lange, bis sie einschlafen konnte.