Читать книгу Bergdorf sucht... Bewohner - Josie Hallbach - Страница 5

Kapitel 2:

Оглавление

Wenn Paula nur das Geringste von all den Begegnungen der letzten Tage geahnt hätte, wäre ihre Planung für den Samstag sicher anders verlaufen. So aber tappte, beziehungsweise setzte sie sich ahnungslos in eine Falle.

Sie hatte kurzerhand einen Frühjahrsputz anberaumt. So hoffte sie, die Sache mit Anne und Phillip am besten zu verdauen. Arbeit brachte einen auf andere Gedanken. Den ganzen Samstag lang wurden Fenster gesäubert, Gardinen gewaschen, Schränke ausgeräumt und umsortiert. Auch die Betten mussten abgezogen und die Treppen gewischt werden… Als schließlich das ganze Haus mitsamt des unteren Stockwerkes wie aufpoliert wirkte, sank sie erschöpft in ihr verdientes Schaumbad.

Aus einer seltsamen Laune heraus hatte sie sich Julias Heimatroman „Der Bergdoktor“ vorgenommen. Er war ihr Abschiedsgeschenk von Mainz gewesen und mit dem spöttischen Kommentar überreicht worden, sie müsse unbedingt etwas Lokalkolorit schnuppern und eine derartige Lektüre ersetze gewiss einen hochwertigen Reiseführer. Seither hatte sie stets einen weiten Bogen um dieses Heftchen gemacht, auch wenn es all die Monate verborgen in ihrer Nachttischschublade gelegen hatte. Sie wusste selbst nicht genau, warum sie ausgerechnet an diesem Abend die Lust überfiel, darin herum zu schmökern. Der aktuelle historische Roman hatte nur bis zwei Uhr morgens gereicht und dazu einen unruhigen Schlaf beschert. Es konnte ihr als Deutschlehrerin eigentlich kaum schaden, einmal einen Ausflug in Richtung Triviallektüre zu machen. Der gutaussehende Bergdoktor, der ihr lächelnd vom Titelbild entgegenblickte, besaß sogar eine entfernte Ähnlichkeit mit Daniel.

Sie hatte gerade die ersten drei Seiten sprachlicher Verirrung schaudernd durchlitten, neben ihr standen die obligatorischen Kerzen, die für die nötige Stimmung sorgten, als die Tür zum Badezimmer aufging. Herr Tannhauer war es nach Herrn Leipolds nächtlichem Überfall immer noch nicht gelungen, eine neue einzubauen. Hatte sie etwa vergessen, das „Besetzt-Schild“ anzubringen?

„Hey, ich bade gerade!“, rief sie über den Rand ihres Buches hinweg. „Geh unten aufs Klo…“ Der Rest des Satzes blieb ihr im Hals stecken, denn ausgerechnet der Mann, an den sie beim Lesen heimlich gedacht hatte, stand im Türrahmen. Im Hintergrund sah sie ihren Bruder eine hämische Grimasse ziehen, die vor Schadenfreude nur so strotzte.

Das Heftchen fiel vor lauter Schreck ins Badewasser.

Zu ihrem Entsetzen kam Daniel ohne zu zögern näher und Hannes schloss mit einem unübersehbaren Zwinkern die Tür hinter ihm.

„Was soll das?“, fragte sie und versuchte möglichst weniger schockiert auszusehen als sie sich fühlte. Ihr fiel partout keine vernünftige Erklärung ein, was er hier wollte. Ein Handtuch würde er sich wohl kaum ausleihen wollen. Gleichzeitig hoffte sie, dass er wenigstens ihre diffamierende Lektüre übersehen hatte oder sich diese, wenn schon nicht in Luft, dann möglichst unauffällig im Wasser auflösen würde. Zum Glück sparte sie nie an Schaum und das Kerzenlicht reichte zwar zum Lesen, gab aber geringe Einblick-Möglichkeiten in den Wanneninhalt.

„Dein Buch wird nass“, stellte der Besucher taktlos fest und ließ damit diesen Teil ihrer Hoffnungen kläglich zusammenfallen. „Möchtest du es nicht aus dem Wasser nehmen oder soll ich dir beim Suchen helfen?“

Lieber würde sie ertrinken. Bevor er seinen Vorschlag in die Tat umsetzen konnte, und das traute sie ihm zu, fischte sie mit dem letzten verbliebenen Rest an Würde das anrüchige Objekt vom Wannenboden.

Ohne die Chance auf eine niveauvolle Entsorgung nahm er es in Empfang, wischte den Schaum ab, studierte mit erstauntem Gesichtsausdruck den Einband und legte es dann ohne Kommentar zum Trocknen über die Handtuchstange.

Paula lagen dutzend Argumente auf der Zunge, aber sie schluckte alle tapfer hinunter. Ihr vorrangiges Ziel war es, diese Situation so schnell wie möglich hinter sich zu bringen. Leider stand sie mit dieser Meinung alleine da.

Daniel zog sich in aller Ruhe den Badezimmerhocker heran und ließ sich entspannt darauf nieder, die langen Beine weit von sich gestreckt.

Bei ihr leuchteten gleich mehrere Alarmlampen auf einmal auf. Laut sagte sie: „Was willst du hier?“ Bisher hatte sich noch nie ein Mann neben ihre Badewanne gesetzt. Sollte sie einfach ihr Badetuch schnappen und fliehen?

Selbst im Halbdunkel des Kerzenscheins musste etwas von diesen Überlegungen auf ihrem Gesicht zu erkennen gewesen sein. „Keine Sorge, ich komme in friedlicher Absicht und möchte mich bloß mit dir unterhalten.“

Unterhalten? Das konnte nur ein Witz sein. Ein Badezimmer war ein höchst ungeeigneter Ort für eine Unterhaltung und gleich zweimal, wenn sie gerade in der Wanne saß. „Dies ist ein extrem schlechter Zeitpunkt“, wagte sie schließlich zu äußern. „Können wir das Gespräch vielleicht auf später verschieben?“

„Da sind wir unterschiedlicher Meinung. Ich finde diesen Zeitpunkt geradezu ideal. Deinen Bergdoktorroman kannst du gerade eh nicht weiterlesen und ansonsten scheinst du nichts Wichtiges vorzuhaben oder täusche ich mich da? Vielleicht hörst du mir deshalb zur Abwechslung einfach mal zu.“

Wie schaffte es ein einzelner Mann, derart unverfroren zu sein? Ihr fehlten sekundenlang die Worte. Da lag sie unter ihren Schaummassen wie in einem Gipsbett begraben, und er nutzte das im wahrsten Sinne des Wortes schamlos aus, um ihr ein Gespräch reinzudrücken. „Ich schätze es nicht im Geringsten, wenn irgendwelche Männer uneingeladen in mein Badezimmer kommen“, brachte sie endlich heraus. Und das nicht erst seit Herrn Leipolds Besuch, ergänzte sie in Gedanken. Sie versuchte dabei möglichst energisch auszusehen.

„Du könntest ja um Hilfe rufen“, schlug ihr Besucher unbeeindruckt vor. „Für Hannes kann ich zwar nicht garantieren, denn das mit dem Badezimmer war seine Idee, aber der Bürgermeister oder der Pfarrer kämen bestimmt.“ Ein Mundwinkel begann verdächtig zu zucken. Sie kannte dies als untrügliches Zeichen dafür, dass er sich heimlich amüsierte. „Oder du könntest aus der Badewanne steigen und gehen. Diese Möglichkeit bestünde ebenfalls. Ich verspreche dir hoch und heilig, dich dabei nicht aufzuhalten.“ Als Beweis hielt er eine Hand wie zum Schwur nach oben.

Sehr witzig. Er wusste vermutlich genau, dass sie zu feige war. „Das ist Erpressung.“

„Schon möglich. Aber wie du weißt, bin ich ein rücksichtsloser Mensch. Und ich befinde mich in gewisser Weise in einer Zwangslage.“

Ach ja? Und in was befand sie sich dann? Auf jeden Fall in der deutlich schlechteren Position. Das wurde ihr mit jeder Minute klarer.

„Um was geht es?“, fragte sie schließlich vorsichtig kapitulierend. Einsicht brachte einen manchmal weiter als ein Dickkopf. Wenn sie dieses skurrile Gespräch schon nicht verhindern konnte, dann wollte sie es wenigstens rasch hinter sich bringen. Ihr Besucher wirkte nämlich keineswegs so, als ließe er sich verbal rauswerfen.

Zu ihrem Schrecken beugte er sich nun ein Stück weit über den Badewannenrand, so dass sein Gesicht beängstigend nahekam und sagte: „Ich bin hier, weil ich dir sagen wollte, dass ich dich liebe und du seit einiger Zeit nicht mehr aus meinem Kopf zu bekommen bist, obwohl ich mir wirklich sehr viel Mühe gegeben habe.“

Ihr klappte vor lauter Überraschung der Mund auf und sie sah nun vermutlich genauso intelligent aus wie ein Fisch im Aquarium. Sie musste sich verhört haben. Das hatte er doch gerade nicht wirklich gesagt? Mit nahezu allem hätte sie gerechnet, aber nicht mit so etwas. Sie konnte ihm direkt in seine Augen schauen. Diese machten allerdings nicht den Eindruck, als würde er sich einen seiner üblichen Scherze mit ihr erlauben. Er hatte sogar sein freches Grinsen eingestellt. Doch konnte man bei ihm je sicher sein?

„Das ist nicht dein Ernst“, stammelte sie schließlich, weil ihr nichts Klügeres einfiel und in ihrem Kopf ohnehin gähnende Leere herrschte. Sie vergaß sogar einen Moment lang, wo sie sich befand. Vermutlich durfte sie sich glücklich schätzen, wenn sie es je wieder schaffte, halbwegs komplette Sätze zu formulieren. „Du kennst mich doch gar nicht. Außerdem dachte ich immer, du würdest…. Ich meine, du hast doch gesagt…“

„Manchmal ändert man seine Meinung eben. Und ich habe selber ziemlich lange gebraucht, um das zu kapieren“, gestand er.

„Also, ich weiß nicht…“

Er registrierte, dass es sich zumindest um kein klares „Lass mich in Ruhe“, „Verschwinde“ oder „Ich habe nicht das geringste Interesse“ drehte und nützte seine Chance. Bevor ihr Verstand wiederkehren konnte, schob er seinen Kopf ein paar weitere Zentimeter vor und küsste sie auf den immer noch halboffen stehenden Mund. Ihr Körper ging automatisch in Abwehrhaltung. Da sie aus gegebenem Anlass nicht schreien konnte und er ihre Arme unter Kontrolle hielt, strampelte sie eben wild mit den Beinen. Erst als das Zappeln aufhörte, ließ er sie wieder los. Im Bad herrschte inzwischen Überschwemmung.

„Was fällt dir ein…?“, keuchte Paula. Gleichzeitig spürte sie, wie eine wohlige Wärme durch ihren gesamten Körper rieselte. Ihre Empörung begann sich ungewollt in Verwirrung zu wandeln.

„Sorry, aber ich dachte, das diene vielleicht zur Unterstützung meiner Aussage“, erklärte er und die Lachfalten um seinen Mund vertieften sich. Sogar seine Augen glitzerten. „Ich hätte natürlich noch überzeugendere Argumente, aber ich fürchte, dann wäre das komplette Bad überflutet und ich bekäme im Anschluss Ärger mit Pfarrer Ebershäuser.“

„Du bist total verrückt, weißt du das?“ Bei Paula standen immer noch die Atemprobleme im Vordergrund.

„Ich möchte dir nicht widersprechen… Wie lautet nun deine Antwort? Könntest du dir das mit uns beiden vorstellen?“

„Du willst jetzt eine Antwort darauf?“ Sie starrte ihn entgeistert an. Ihr Leben schien plötzlich im Zeitraffer vorwärts zu schreiten und sie hatte Mühe, hinterher zu kommen. Hatte sie vielleicht ein paar Szenen verpasst? „Das kommt etwas überraschend.“ Sie war sich ohnehin nicht ganz im Klaren, ob sie überhaupt wach war oder alles nur träumte. Allerdings brannten ihre Lippen eindeutig von dem Kuss.

„Kein Problem“, sagte Daniel, rückte ein paar Zentimeter von der Wanne weg, lehnte sich zurück und verschränkte die Arme hinterm Kopf. „Ich kann warten und habe mir für den ganzen Abend nichts anderes vorgenommen. Für dich dürfte es allerdings in der Wanne mit der Zeit etwas ungemütlich werden. Außerdem beginnt der Schaum zusammenzufallen.“

Er beobachtete vergnügt, wie sie auf der Stelle die Schaumwolken verschob.

„Was erwartest du von mir?“, fragte sie endlich zögerlich.

„Eigentlich nur eine Antwort auf die Frage, ob du dir eine Beziehung mit mir überhaupt vorstellen könntest. Ich weiß, das klingt jetzt blöd und verkompliziert das Ganze, aber für mich hängt einiges von dieser Antwort ab. Unter anderem, ob ich mich hier als Arzt niederlasse.“

„Du solltest diese Entscheidung auf keinen Fall von meiner Antwort abhängig machen.“

„Vermutlich nicht, doch so bin ich nun einmal. Wenn ich mir etwas in den Kopf gesetzt habe, kann man mich nur schwer wieder davon abbringen. Und ich habe vor kurzem beschlossen, es nicht zu mögen, wenn du dich irgendeinem anderen Kerl an den Hals wirfst. Und falls doch, möchte ich wenigstens nicht zusehen müssen.“

„Aber ich dachte, du hättest eine Schwäche für große, blonde Frauen“, zog Paula ihr letztes Argument aus der nicht vorhandenen Tasche.

Er schmunzelte mit schief gelegtem Kopf. „Ich bin gerade dabei, mich umzugewöhnen. Wahrscheinlich wird es gar nicht mal so viel Mühe kosten, wie ich dachte.“

„Ich glaube aber nicht, dass wir sonderlich gut zusammenpassen.“ Wenigstens hatte sich ihr Verstand von dem Schock erholt und funktionierte in dieser kritischen Situation zur Abwechslung einmal einwandfrei.

„Wir könnten es immerhin versuchen. Ich meine natürlich, wenn du dich traust.“ Daniel wirkte mit einem Mal recht zuversichtlich. Das Gespräch war bisher deutlich besser verlaufen, als er erwartet hatte. Außerdem war er ohnehin schon nass. „Vielleicht würde dich ein weiterer Kuss überzeugen?“, schlug er vor und setzte die Idee kurz entschlossen in die Tat um. Paula vergaß dieses Mal sogar das Zappeln und noch ein paar andere Dinge.

Eins fiel ihr aber doch wieder ein. „Was ist mit deinen anderen Freundinnen?“

„Welche Freundinnen?“, fragte er mit treuem Hundeblick. Er hatte offensichtlich den vom Bürgermeister ausgeliehen.

Paula fühlte sich keineswegs beruhigt. So einfach ging das nicht. Natürlich war sie in Daniel verliebt, davon musste sie niemand mehr überzeugen, aber das änderte nichts daran, dass sie seither andere Vorstellungen von einem zukünftigen Freund gehabt hatte. Dazu gehörte, dass sie möglichst nicht erst als Nummer siebzig auf dessen Beziehungsliste stehen wollte und bald von Nummer einundsiebzig abgelöst werden würde.

Aber sie nahm sich vor, ihm zumindest eine kleine Chance zu geben. Er hatte eine Menge mit seinem offenen Geständnis riskiert. Das sagte sie ihm auch.

„Es freut mich, dass du das genauso siehst“, antwortete er. „Ich habe bereits befürchtet, dass man mich heute Abend entweder in die Baum’sche Besenkammer sperrt oder vor Pfarrer Ebershäuser schleppt und mich zwingt, dich umgehend zu heiraten. Doch jetzt gehe ich besser. Wir könnten ja morgen, wenn du nach dem Gottesdienst zufällig nichts anderes vorhast, mit der Überzeugungsarbeit fortfahren.“ Er erhob sich von seinem Badhocker, betrachtete kopfschüttelnd seine nasse Kleidung und sagte zum Abschluss: „Die Idee für dieses Gespräch stammte übrigens von Phillip, und Hannes fungierte als Handlanger. Er hat mich vorhin angerufen, als du das Badewasser eingelassen hast. Ich meine, nur falls du irgendwelche Schuldige zum Umbringen suchst.“ Genauso plötzlich wie er gekommen war, verschwand er wieder nach draußen.


Paula blieb weitere zehn Minuten wie betäubt in der Wanne sitzen, obwohl das Wasser inzwischen richtig kalt geworden war. Erst als sie spürte, wie sie am ganzen Körper vor Kälte zitterte, stieg sie raus und trocknete sich ab.

Nachdem sie das überflutete Bad trockengewischt hatte, wagte sie sich endlich nach draußen.

Hannes lungerte im Wohnzimmer herum und bedachte sie mit einem lauernden Blick. Am liebsten hätte sie sich auf ihn gestürzt. Aber den Triumph, ihm dadurch einzugestehen, wie sehr er sie mit seinem Komplott in Verlegenheit gebracht hatte, gönnte sie ihm dann doch nicht. Sie hoffte, dass er wenigstens ein schlechtes Gewissen besaß. Oder war das bloß seine Retourkutsche für neulich, als sie ihn im Badezimmer bei seinen Körperübungen überrascht hatte?


Bergdorf sucht... Bewohner

Подняться наверх