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Langeweile

An einem wunderschönen Sommertag ging ich gerade durch unser Haus und war total vertieft in meinen MP3-Player, der meine Lieblingsmusik abspielte: irische Rock-Songs. Richtig coole Musik von Flogging Molly, Dropkick Murphys oder The Dubliners. Total entspannend. Opa regte sich mal wieder darüber auf, obwohl er nichts mehr hört und die Batterien seines Hörgerätes in meinem Player steckten. Ich wollte gerade meinem Bruder mal wieder ordentlich die Meinung geigen, als es an der Wohnungstür klingelte. „Moin! Schlecht-Wetter! Und das im Sommer!“, begrüßte ich Mark grinsend.

„Moin, Torte! Heute schon deinen Bruder verprügelt?“, antwortete er wie jedes Mal, wenn er mich begrüßte, und gab mir einen Klaps auf die Schulter. Er ging direkt an mir vorbei und die Treppe hoch bis auf den Dachboden, wo ich mein Zimmer hatte. Die Einrichtung bestand aus einem Poster, einem Bett, einem CD-Radio und einigen Holzkisten als Sitzgelegenheiten. Der allerletzte Schrei.

„Hast ja immer noch die gleiche Ätzbude. Du musst mal meine neue Zimmereinrichtung sehen, da klappen dir die Fußnägel hoch, sag ich dir. Der reinste Luxus!“, gab Mark von sich.

Ich hörte da gar nicht mehr hin, denn sein Luxus war eine Holzkiste mehr, auf der man sitzen konnte. Also lächelte ich ihn nur mit einem übertriebenen Gesichtsausdruck an und legte eine CD ein. Mark hat das gleiche Faible wie ich für irischen Folk-Rock, also fiel die Auswahl nicht schwer. Unser Gespräch kam ziemlich schnell auf den Mann, der in letzter Zeit häufiger bei seiner Mutter auftauchte.

„Gestern war Herr Schleimbolzen wieder bei meiner Ma. Ich sag es dir, der Mann kommt nicht ganz klar! Zufällig habe ich an der Wohnzimmertür gelauscht, ganz zufällig versteht sich. Also, wenn du das gehört hättest, wäre dir was hochgekommen! Und zwar das Frühstück von gestern!“ Er umschrieb es mit Blümchen und Herzchen: „Meine Liebste hier und Meine Liebste da! Zum Abkacken, sag ich dir!“

„Was sagt denn deine Ma dazu?“, fragte ich einfach in seinen Wasserfall von Wörtern.

„Was sie dazu sagt? Was sie dazu sagt?“ Er war inzwischen auf zweihundertsiebzig und begann, meine Holzkisten zu zerbrechen, fing sich dann aber wieder und redete weiter. „Nichts! Gar nichts! Noch weniger als gar nichts! Das ist es ja, was mich daran so aufregt. Sie wird schon genauso wie er. Wenn ich von der Schule komme, rennt sie auf mich zu und begrüßt mich mit: Na, mein Liebster, wie war es in der Schule?, und dann umarmt sie mich so ...“ Er legte seine Arme um mich und begann, mich zu würgen und zu quetschen.

Als ich ihn durchs halbe Zimmer geschleudert hatte, war seine Vorführung endlich beendet und er setzte sich wieder ruhig hin. „Über was reden die beiden denn immer?“, fragte ich Mark nach einer Weile.

„Ich weiß auch nicht. Manchmal sitzen sie stundenlang zusammen und reden über nichts anderes als über unser Haus, die alte Bruchbude.“

Ich glaube, damit hatte er nicht ganz unrecht, ich meine, das mit der Bruchbude. Das Haus wurde irgendwann um 1860 gebaut und sieht eigentlich ziemlich unbewohnbar aus, aber Peggy würde es nie aufgeben, sagt sie jedenfalls immer. Das Haus war schon seit Baubeginn in Familienbesitz. Dort am Stadtrand in fast schon ländlicher Gegend war es nicht weit zum Badesee, wo wir immer den halben Sommer verbrachten. Am See gibt es einen kleinen Wasserfall, einen schönen Sandstrand und ein paar höhere Felsen, von denen die ganz Mutigen auch schon mal runter in den See springen, um ihre Freundinnen zu beeindrucken. Hab ich natürlich noch nicht nötig gehabt, außer vielleicht zwei, drei Mal. Höchstens aber fünf oder sechs Mal ... Ich meine, ich hab irgendwann aufgehört, zu zählen. Außerdem hat es nichts gebracht. Egal ... Jedenfalls war es von hier aus auch nicht weit zum kleinen Hafen und zum Meer. Vielleicht war die Lage der Grund für den Schleimbolzen, immer wieder über das Haus zu sprechen. Es wurde spekuliert, dass dort in dem Viertel ein großes Einkaufszentrum oder irgendwas mit Hotels oder Tourismus gebaut werden sollte. Einige Bewohner haben wohl schon unterschrieben, andere wehren sich noch und wieder andere wollen nicht verkaufen. Wie zum Beispiel die Mutter von Mark. Noch nicht, wie er immer wieder betont. Er muss es ihr wohl immer wieder ausreden.

„Er redet immer über eure Supervilla? Wieso das denn? Will er sie jetzt etwa doch kaufen?“, fragte ich ihn und räumte die Überreste meiner Holzkiste in eine Ecke.

„Keine Ahnung. Soll er doch. Das Haus ist so feucht, dass du mit den Mausefallen Fische fangen kannst. Und wenn tatsächlich mal eine Maus in der Falle sitzt, hat diese auf jeden Fall Schwimmhäute zwischen den Krallen. Wenn draußen die Sonne scheint, kannst du in der Küche einen Regenbogen bestaunen. Andererseits könnten wir von dem Geld für die Hütte vielleicht eine neue Wohnung mieten oder sogar kaufen!“

Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile über die Vor- und Nachteile eines Verkaufs und kamen doch immer wieder zu dem Schluss, dass auf jeden Fall nicht verkauft wird. Schließlich machte sich Mark auf den Weg nach Hause.

Ich dachte noch ein wenig darüber nach, was den Herrn Schleimbolzen antrieb, um sich so nach dem Haus zu erkundigen. Na ja, er würde schon seinen Grund haben. Ich ging runter ins Wohnzimmer, um dort zu telefonieren.

Mir war langweilig und ich wollte mal bei Steinbergs anrufen, um mit Greg zu sprechen. Es meldete sich – wie immer – Melissa, weil sie praktisch mit dem Telefonhörer in der Hand geboren worden war. Sie hoffte doch tatsächlich jedes Mal, wenn das Telefon klingelte, dass ihr Lieblingsstar Robbie Williams sie einlud, um mit ihr ein Eis zu essen.

Also sprach ich: „Guten Tag, Sie sprechen mit dem Privatsekretär der Manager der Produktionsgemeinschaft aller Länder zur Organisation Rettet die Schallplatten zugunsten der Mutter von Robbie Williams. Hätten Sie morgen Abend um 20.00 Uhr Zeit für einen kleinen Plausch mit Herrn Williams?“

Kurze Zeit war nichts zu hören, doch dann: „Thorsten! Du Arschloch!“ Das sagte sie immer so geschwollen, wenn sie ein wenig aufgeregt war. Dann knallte es einmal kräftig am anderen Ende der Leitung und unser Telefon gab nur noch ein monotones Piepen von sich. Ich wählte noch einmal die Nummer und diesmal meldete sich Greg sofort. Ich fragte ihn, was er heute noch so vorhabe.

„Och, nix eigentlich“, war seine gelangweilte Antwort.

„Aha“, entgegnete ich und fuhr geheimnisvoll fort. „Wollen wir uns an unserem geheimen Treffpunkt versammeln?“

„Ja klar!“ Das klang schon ein wenig spontaner.

„Sagen wir, in einer halben Stunde? Ich sage den anderen gleich Bescheid.“

Er war sofort hellwach.

Der Schatz von Ihrland

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