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cc) Mit gemeingefährlichen Mitteln

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Entgegen dem Plural im Gesetzestext („Mitteln“ statt „Mittel“) kann das Mordmerkmal auch durch Verwendung eines einzigen gemeingefährlichen Mittels erfüllt werden. Was dafür konkret erforderlich ist, ist sehr umstritten. Rechtsprechung und Literatur stellen darauf ab, dass das eingesetzte Mittel eine „Breitenwirkung“ hat, die sich darin äußert, dass nicht nur das individuelle Opfer, das der Täter töten will, sondern auch noch „unbeteiligte Dritte“ mitbetroffen werden könnten.[180] Charakteristisch für das gemeingefährliche Mittel sei, dass der Täter „die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat.“[181] Erforderlich ist also, dass mehrere Menschen dem eingesetzten Mittel zum Opfer fallen können, der Täter aber eigentlich nicht alle diese Menschen töten will. Daraus folgt, dass der letzte neben dem Täter noch lebende Mensch niemals mit einem gemeingefährlichen Mittel getötet werden kann, selbst wenn der Täter durch gezielte Sprengung eines Staudamms eine Überschwemmung auslöst, bei der das Opfer ertrinkt.[182] Bei einer Tötung mit gemeingefährlichem Mittel müssen nach der gefestigten Definition immer noch weitere Menschen in der Nähe sein, um durch das verwendete Tötungsmittel zumindest in Lebensgefahr gebracht zu werden. Denn der Grund der behaupteten Höchststrafwürdigkeit sei „eine sozialpsychologisch vermittelte Verunsicherung der Allgemeinheit“.[183] Diese Technik der Tötung werde als „gesteigert bedrohlich empfunden, weil gleichsam jedermann zufällig in den Einzugsbereich eines solchen Tötungsverbrechens geraten kann und deshalb keine Chance hat, sich auf die ihm drohende Gefahr einzustellen und darauf zu reagieren.“[184] Warum sich diese Verunsicherung aber nur dann einstellen soll, wenn der Täter „die Ausdehnung der Gefahr nicht in seiner Gewalt hat“, erschließt sich nicht. Chancenlos ist man gegenüber dem Tatmittel mit Breitenwirkung erst recht, wenn es dem Täter egal ist, wie viele Menschen durch die von ihm ausgelöste Explosion getötet werden. Nicht erkennbar ist auch, wieso die Gefährdung „unbeteiligter Dritter“ strafwürdiger sein soll als die Massentötung zahlreicher „beteiligter Dritter“. Nach h.M. folgt aus ihrer Gemeingefährlichkeits-Definition, dass das Werfen einer Bombe in ein vollbesetztes Lokal, mit dem der Täter möglichst viele Menschen töten will, keine Tötung mit gemeingefährlichem Mittel ist.[185] Denn keine der anwesenden Personen ist „unbeteiligter Dritter“ im Sinne der zugrunde gelegten Definition. Eine wenig überzeugende Notlösung zur Vermeidung des paradoxen Ergebnisses ist es, sämtliche Lokalbesucher zu „letztlich austauschbaren Repräsentanten der Allgemeinheit“ zu erklären.[186] Die gewollte Tötung vieler Menschen „auf einen Schlag“ sei eine „schlichte Mehrfachtötung“ und diese sei per se kein Mord, sondern allenfalls Totschlag in einem besonders schweren Fall, § 212 Abs. 2 StGB.[187]

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Die h.M. macht die Entscheidung über die Gemeingefährlichkeit von einigen Details abhängig, zu denen es keine gesetzlichen Festlegungen gibt und zu denen sich einleuchtende dogmatische Festlegungen nicht treffen lassen: Welche Intensität muss die drohende Mitbetroffenheit der „unbeteiligten Dritten“ haben, Gefahr für das Leben oder Gefahr für die körperliche Unversehrtheit?[188] Müssen die Menschen konkret gefährdet werden oder genügt eine abstrakte Gefährlichkeit?[189] Wie viele Menschen müssen mindestens betroffen sein?[190] Konsequent dem Gebot möglichst restriktiver Auslegung des Mordtatbestandes folgen diejenigen, die eine konkrete Gefahr für das Leben verlangen.[191] Andere lassen eine abstrakte Lebensgefährlichkeit ausreichen.[192] Eine dritte Meinungsgruppe bezieht sogar die bloße Gefährlichkeit für die körperliche Unversehrtheit mit ein.[193] Die Frage nach der erforderlichen Mindestanzahl mitgefährdeter Personen ist unbeantwortbar. Davon zeugen die von Schneider zitierten Floskeln in Entscheidungen des Bundesgerichtshofes, mit denen die Hilflosigkeit nur mühsam überdeckt wird: „größere Zahl“, „Mehr- oder Vielzahl“, „Zahl der potenziell gefährdeten Personen nicht ohne Weiteres auf einen Blick überschaubar“.[194] Vor allem der letztgenannte Vorschlag entfernt sich sehr weit von der Mindestzahl drei, die Schneider vorschlägt,[195] ohne begründen zu können, warum die Grenze nicht z.B. bei zehn liegen sollte.[196] Einig ist man sich aber dahin, dass die Gefährdung nur einer Person nicht ausreichen kann.[197] Dieser Aussage ist entgegenzuhalten, dass es zur Erfüllung des Mordtatbestandes ausreicht, wenn der Täter einen Menschen tötet. Das gilt für alle Mordmerkmale des § 211 Abs. 2 StGB. Das Gemeingefährlichkeits-Merkmal macht davon keine Ausnahme. Andererseits macht die Tötung eines zweiten Menschen die Tat nicht per se zum Mord. Deswegen kann es auch nicht darauf ankommen, ob durch die Tötung eines Menschen noch weitere Menschen gefährdet worden sind. Die meisten erfolgsqualifizierten Straftatbestände des Bereichs „Gemeingefährliche Straftaten“ belegen dies: §§ 306c, 307 Abs. 3 Nr. 1, 308 Abs. 3, 309 Abs. 4, 314 Abs. 2, 316a Abs. 3, 316c Abs. 3 StGB. Jeweils genügt die leichtfertige Tötung eines einzelnen Menschen für eine Sanktionsentscheidung, die mindestens eine Freiheitsstrafe von zehn Jahren beinhalten muss. Demgegenüber soll die vorsätzliche Tötung eines Menschen mit einem seiner Art nach gemeingefährlichen Mittel ein Totschlag mit einem Strafrahmen von 5 bis 15 Jahren sein? Wer hier auf § 212 Abs. 2 StGB verweist, sollte besser gleich die Definition des Mordmerkmals anpassen.

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Nach unbestrittener allgemeiner Ansicht ist die Verwirklichung des Mordmerkmals „mit einem gemeingefährlichen Mittel“ durch Tötung eines einzelnen Menschen möglich. Entgegen der h.M. brauchen aber bei Begehung der Tat keine weiteren Menschen tatsächlich in Gefahr sein. Ausreichend ist, dass das Tötungsmittel seiner Art nach andere Menschen töten könnte.[198] Denn das ist mit „gemeingefährlich“ gemeint. Es gibt keinen Grund, zur Bestimmung der Gemeingefährlichkeit nicht auf §§ 306 ff. StGB zu rekurrieren. Die Gemeingefährlichkeit kennzeichnet der Umstand, dass die weiteren potentiellen Opfer sich weder zeitlich noch räumlich in der Nähe der tatsächlich getöteten Person aufhalten müssen und dennoch durch dasselbe Mittel zu Tode kommen könnten. Vergiftet der Täter in der Sahara das Trinkwasser in dem einzigen Reservoir im Umkreis von 100 km, ist der erste Mensch, der infolge Trinkens zu Tode kommt, durch ein gemeingefährliches Mittel getötet worden, auch wenn der nächste Durstige frühestens in einem Monat zu der Wasserstelle kommen wird. Wird der einsame Wanderer in der Wüste durch eine Rakete getötet, ist das eine Tötung mit einem gemeingefährlichen Mittel, wenn ein zur Zeit der Tat 100 Meter entfernter zweiter Wüstenwanderer durch dieselbe Rakete getötet worden wäre. Kein gemeingefährliches Mittel ist der Täter selbst, auch wenn er durch die Ungeübtheit im Umgang mit einer Schusswaffe bei der Tötung eines Menschen zugleich eine Vielzahl weitere Menschen in die Gefahr bringt, getroffen und getötet zu werden. Das hat der BGH so zutreffend entschieden, wenngleich er dabei unzutreffende Gemeingefährlichkeits-Kriterien zum Maßstab nahm: „Die auf ein bestimmtes Ziel gerichtete Schußwaffe, mit der nur ein Schuss abgegeben werden soll, bedeutet ihrer Natur nach keine unberechenbare Gefahr für eine unbestimmte Vielzahl von Menschen. Das der Strafdrohung des Mordes mit gemeingefährlichen Mitteln zugrunde liegende erhöhte Unwerturteil hat seinen Grund aber in der besonderen Rücksichtslosigkeit des Täters, der sein Ziel durch die Schaffung unberechenbarer Gefahren für andere durchzusetzen sucht, indem er ein Tötungsmittel verwendet, dessen Gefährdungsbereich für unbeteiligte Dritte er nicht begrenzen kann. Diese Voraussetzung ist nicht erfüllt, wenn zwar eine Mehrzahl von Personen als Repräsentanten der Allgemeinheit in den Gefahrenbereich geraten, tatsächlich aber die von der Waffe ausgehende Gefährdung durch die möglichen Wirkungen nur einer Kugel begrenzt sind. Das Tötungsmittel wird somit nicht dadurch zum gemeingefährlichen, dass der Täter infolge äußerer Umstände oder aber wegen persönlicher Unsicherheit die Waffe nicht ausreichend beherrscht und sein Ziel verfehlt. Bei typischerweise im Ausmaß der Wirkungen beherrschbaren Tötungsmitteln bestimmt nicht der Taterfolg (das Verfehlen des eigentlichen Ziels) die Einordnung als gemeingefährliches Mittel. Das gilt auch dann, wenn der Täter einen Schuß auf eine Person abgibt mit der primär nicht gewollten, aber erkannten und für diesen Fall gebilligten Gefahr, bei einem Fehlschuß einen anderen aus einer Vielzahl von Menschen zu treffen.“[199]

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Überwiegend wird angenommen, dass Mord mit gemeingefährlichem Mittel in der Form des unechten Unterlassungsdelikts (§§ 211, 13 StGB) nicht möglich ist.[200] Diese dogmatische Kategorie steht beispielsweise in Rede, wenn der Täter ohne Tötungsvorsatz einen todbringenden Wirkstoff freisetzt, danach die Möglichkeit eines dadurch verursachten Todesfalles erkennt und dies billigend in Kauf nehmend nichts zur Abwendung des drohenden Todeserfolgs unternimmt. Mord durch Unterlassen sei das nicht, da der Täter das gemeingefährliche Mittel einsetzen müsse und es nicht ausreiche, wenn er eine bereits vorhandene gemeingefährliche Situation ausnutze. Keine Rolle spiele dabei, ob die Gefahr zufällig entstanden, von einer dritten Person verursacht oder vom Täter selbst ohne Tötungsvorsatz herbeigeführt worden ist.[201] Davon, dass der Täter das gemeingefährliche Mittel „einsetzen“ müsse und dies etwas anderes sei als die Verursachung des Todes durch Auslösung eines Kausalverlaufs, in dem das gemeingefährliche Mittel und seine Wirkung ein Teil der Ursachenkette ist, ist im Text des § 211 StGB nichts zu finden. Ein „Einsetzen“ ist auch durch Unterlassen möglich. Man mag die Passivität gegenüber der tödlichen Wirkung des Mittels „ausnutzen“ nennen. Irgendwelche Schlussfolgerungen drängt dieses Wort nicht auf. Wenn eine Restriktion der gemeingefährlichen Tötung durch Unterlassen dogmatisch begründet sein soll, muss sie aus § 13 Abs. 1 StGB abgeleitet werden. Der blassen „Entsprechungsklausel“, die dies grundsätzlich einfordert, sind konkrete Anweisungen allerdings nicht zu entnehmen. Daher ist zu erwägen, das Erfordernis der Garantenstellung auf das Mordmerkmal zu erstrecken. Konkret bedeutet das, dass einen Mord als unechtes Unterlassungsdelikt in der Variante „gemeingefährliches Mittel“ nur begehen kann, wer Garant dafür ist, dass eine gemeingefährliche Situation nicht entsteht. Kommt bei einem Hausbrand eine Frau ums Leben, weil niemand das Feuer gelöscht hat, kann sich ein Feuerwehrmann wegen Mordes durch Unterlassen strafbar machen, nicht aber der Ehemann der Frau, der keine Abwendungspflicht in Bezug auf das Feuer selbst hat.

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