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1. Fahrlässige Tötung

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Die allgemeine fahrlässige Tötung ist nach § 222 StGB strafbar. Strafbarkeitsvoraussetzung ist die Verursachung des Todes durch fahrlässiges Verhalten. Das kann aktives Tun oder garantenpflichtwidriges Unterlassen (§ 13 StGB) sein. Das Opfer muss im Zeitpunkt der Tat ein lebender Mensch sein. Bei Eingriffen in eine Schwangerschaft, die zur Folge haben, dass die Leibesfrucht entweder schon im Mutterleib verstirbt oder infolge vorgeburtlicher Schädigung nach der Geburt stirbt, ist der Tatbestand also nicht erfüllt, weil sich die fahrlässige Handlung nicht gegen einen Menschen richtete.[317] Wird dagegen dem Kind während der Geburt durch fehlerhaftes Handeln des Arztes oder der Hebamme ein Körperschaden zugefügt, der alsbald zum Tod führt, liegt fahrlässige Tötung vor.[318] Wie bei §§ 211, 212 StGB sind auch bei § 222 StGB allein Angriffe auf das Leben einer anderen Person tatbestandsmäßig. Beruht der Tod eines Menschen auf eigenem Verhalten des Getöteten, kommt eine Strafbarkeit anderer Personen aus § 222 StGB nur unter der Voraussetzung in Betracht, dass das selbsttötende Verhalten des Opfers nicht eigenverantwortlich war. Dabei sind dieselben Kriterien zugrunde zu legen, die im Bereich der vorsätzlichen Tötungsdelikte den Maßstab für die Unterscheidung strafloser Suizidbeteiligung und strafbarer Fremdtötung bilden. Zudem ist zwischen Beteiligung an eigenverantwortlicher Selbstgefährdung mit tödlichem Ausgang und einverständlicher Fremdgefährdung mit tödlichem Ausgang zu differenzieren.[319] Leitentscheidung zur straflosen fahrlässigen Suizidbeteiligung ist BGHSt 24, 342 ff. In seinem Urteil hat der 5. Strafsenat eine Parallele zur straflosen vorsätzlichen Teilnahme an einem Suizid gezogen: „Wer mit Gehilfenvorsatz den Tod eines Selbstmörders mitverursacht, kann nicht bestraft werden, weil der Selbstmord keine Straftat ist. Dabei gehört zum Gehilfenvorsatz, daß der Gehilfe weiß oder zumindest damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, es werde zum Tod des Selbstmörders kommen. Schon dies verbietet es aus Gründen der Gerechtigkeit, denjenigen zu bestrafen, der nur fahrlässig eine Ursache für den Tod eines Selbstmörders setzt. Er ist sich – bei bewußter Fahrlässigkeit – wie der Gehilfe der möglichen Todesfolge bewußt, nimmt sie aber in Gegensatz zu jenem nicht billigend in Kauf. Bei unbewußter Fahrlässigkeit fehlt das Bewußtsein der möglichen Todesfolge. Es geht nicht an, das mit einer solchen inneren Einstellung verübte Unrecht strafrechtlich strenger zu bewerten als die Tat desjenigen, der mit Gehilfenvorsatz dasselbe Unrecht bewirkt, nämlich den Tod eines Selbstmörders mitverursacht.“[320]

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Die Handlung oder Unterlassung des Täters muss den Tod des Opfers verursacht haben. Es gelten die allgemeinen Regeln der Kausalität.[321] Kommen als Ursache des Todeserfolges Handlungen mehrerer Personen in Betracht und lässt sich die Ursächlichkeit einer bestimmten Handlung nicht exakt ermitteln, bleiben alle Verdächtigen nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ straffrei. Anders lautet das Ergebnis nur, wenn die Handlungen der anderen potentiellen Verursacher zurechenbar sind. Das ist nach einer Ansicht, die inzwischen beachtliche Anhängerschaft hat, auf der Grundlage des § 25 Abs. 2 StGB möglich. Eine „fahrlässige Mittäterschaft“ wird von vielen anerkannt. Ein anderer dogmatischer Begründungsweg führt über die „Nebentäterschaft“, die bei fahrlässigen Erfolgsdelikten die dogmatische „Klammer“ ist, mit der die Verantwortlichkeit für das Verhalten anderer begründet werden kann. Wenn zu der verletzten Sorgfaltspflicht gehört, andere nicht zu ihrem pflichtwidrigen Handeln zu motivieren oder dabei zu unterstützen, kann der unmittelbar durch dieses Handeln verursachte Erfolg auch demjenigen zugerechnet werden, der zu diesem Erfolg nur einen mittelbaren Beitrag geleistet hat. Da der Todeserfolg „durch Fahrlässigkeit“ verursacht worden sein muss, ist Teil der Strafbarkeitsvoraussetzungen der fahrlässigen Tötung auch ein „Pflichtwidrigkeitszusammenhang“.[322] Prüfungsmethodisch unterscheidet sich die Feststellung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs nicht von der Kausalitätsprüfung. Entfiele der Erfolg, wenn der Täter nicht sorgfaltspflichtswidrig, sondern sorgfaltspflichtgemäß gehandelt hätte, besteht der Pflichtwidrigkeitszusammenhang. Umgekehrt fehlt es am Pflichtwidrigkeitszusammenhang, wenn derselbe Erfolg auch bei sorgfaltspflichtgemäßem („Alternativ“-)Verhalten eingetreten wäre.

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In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes hat die Entscheidung zum „Radfahrer-Fall“ Berühmtheit erlangt wegen ihrer Ausführungen zum Pflichtwidrigkeitszusammenhang, den der Strafsenat damals noch nicht so bezeichnete, sondern als einen besonderen Aspekt der Kausalität behandelte: „Natürlich war die Fahrweise des Angeklagten eine Bedingung im mechanisch-naturwissenschaftlichen Sinn für den Tod des Radfahrers. Damit ist aber nicht gesagt, daß die in seinem Verhalten steckende Verkehrswidrigkeit, das zu knappe Überholen, für die Herbeiführung des Tötungstatbestandes gemäß § 222 StGB im strafrechtlichen Sinne ursächlich war. Das vom Schuldgrundsatz beherrschte Strafrecht begnügt sich nicht mit einer rein naturwissenschaftlichen Verknüpfung bestimmter Ereignisse, um die Frage nach dem Verhältnis zwischen Ursache und Erfolg zu beantworten. Für eine das menschliche Verhalten wertende Betrachtungsweise ist vielmehr wesentlich, ob die Bedingung nach rechtlichen Bewertungsmaßstäben für den Erfolg bedeutsam war. Dafür ist entscheidend, wie das Geschehen abgelaufen wäre, wenn der Täter sich rechtlich einwandfrei verhalten hätte. Wäre auch dann der gleiche Erfolg eingetreten oder läßt sich das auf Grund von erheblichen Tatsachen nach der Überzeugung des Tatrichters nicht ausschließen, so ist die vom Angeklagten gesetzte Bedingung für die Würdigung des Erfolges ohne strafrechtliche Bedeutung. In diesem Fall darf der ursächliche Zusammenhang zwischen Handlung und Erfolg nicht bejaht werden.“[323] Die Kategorisierung des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs als Unterfall der Kausalität hat die Rechtsprechung auch in der Folgezeit aufrechterhalten.[324] In der Literatur wird hingegen zwischen Kausalität und objektiver Zurechnung des Erfolges unterschieden.

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Das Erfordernis des Pflichtwidrigkeitszusammenhangs stellt die Strafrechtsanwendung vor die Herausforderung, Art und Umfang der zurechnungserheblichen Pflichtwidrigkeit exakt zu bestimmen. Dies ist in dem Lebensbereich, wo fahrlässige Tötung trotz Rückgangs tödlicher Unfälle immer noch große praktische Bedeutung hat – dem Straßenverkehr – nur scheinbar eine leichte Aufgabe. Zwar lässt sich am Maßstab der Straßenverkehrsordnung in vielen Fällen mit geringem Aufwand feststellen, dass der Verkehrsteilnehmer gegen eine Sorgfaltspflicht verstoßen hat. Auch ist meistens aufklärbar, dass ohne diese Sorgfaltspflichtverletzung der Geschehensverlauf ein anderer gewesen wäre und der eingetretene Todeserfolg vermieden worden wäre. Aber entscheidend ist immer, dass die festgestellte Sorgfaltspflichtverletzung im Kontext des Straftatbestandes Fahrlässige Tötung überhaupt berücksichtigungsfähig ist. Das hängt von dem Schutzzweck der Sorgfaltsnorm ab, die der Täter übertreten hat. Dieser muss nicht nur die Vermeidung von Todesfällen umfassen, sondern auch die Vermeidung einer bestimmten Klasse tödlicher Geschehensverläufe, zu der der konkrete todesursächliche Verlauf gehört. Da bei Vorsatzdelikten eine generelle Beschränkung relevanter Verhaltenspflichten durch die Versuchsgrenze gewährleistet wird und Verhaltensfehler im Vorbereitungsstadium grundsätzlich keine Strafbarkeit begründen können, ist bei Fahrlässigkeitsdelikten eine ähnliche raum-zeitliche Grenzziehung naheliegend. Die Rechtsprechung setzt diese Idee ohne explizite Bezugnahme auf § 22 StGB um, indem sie allein Sorgfaltspflichtsverletzungen nach „Eintritt der kritischen Verkehrslage“ Beachtlichkeit zuschreibt.[325] „Diese Prüfung scheidet Umstände aus der rechtlichen Bewertung aus, die im naturwissenschaftlichen Sinne zwar auch Bedingungen für den eingetretenen Erfolg sind, die aber für die strafrechtliche Haftung des Täters keine Rolle spielen können. Es kommt danach insbesondere nicht darauf an, ob der Fahrzeugführer irgendwann vor dem Eintritt der kritischen Verkehrslage eine Geschwindigkeitsüberschreitung begangen hatte, welche überhaupt erst dazu beigetragen hat, daß er im Unfallzeitpunkt am Unfallort war.“[326]

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