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I. Recht auf Leben

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Das in Art. 2 Abs. 2 GG garantierte personale Freiheitsrecht der körperlichen Integrität (Leben und körperliche Unversehrtheit) ist von fundamentaler Bedeutung, da das Leben eine Voraussetzung für die Ausübung aller Freiheitsrechte darstellt.[2] Die staatliche Schutzpflicht für das menschliche Leben gilt jedoch nicht absolut und unbeschränkt; als positives Tätigkeitsrecht hängt sie von den jeweils bestehenden Umständen ab, wodurch dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum, abgesteckt durch die Grenzen des Untermassverbotes, eingeräumt wird.[3] Dadurch kann den Besonderheiten der Sterbehilfe Rechnung getragen und ein dem Lebensschutz entgegenstehendes Autonomieinteresse berücksichtigt werden.[4] Um eine Kollision zwischen Wesensgehaltsgarantie (Art. 19 Abs. 2 GG) und Eingriffsermächtigung (Art. 2 Abs. 2 S. 3 GG) zu vermeiden, lässt sich Art. 19 Abs. 2 GG in Bezug auf das Leben nur in einem generellen, institutionellen Sinne verstehen.[5] Dadurch bleibt Raum für eine Abwägung der im Einzelfall konkret bestehenden Interessen, insbesondere zwischen Lebensgarantie, Menschenwürde und Selbstbestimmung.[6] Ein Recht auf die Beendigung des eigenen Lebens kann aus dem Recht auf Leben jedoch nicht abgeleitet werden; so ist ein Recht auf Selbsttötung jedenfalls von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht umfasst.[7] Diese Entscheidung ist vielmehr Ausfluss der allgemeinen Handlungsfreiheit im Rahmen von Art. 2 Abs. 1 GG.[8] Zwar besteht aufgrund von Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG eine Schutzbefugnis des Staates, die Freiheit des Betroffenen aus gewichtigen Gründen einzuschränken, jedoch kommt der Entscheidungsfreiheit des Betroffenen grosses Gewicht zu.[9] Der objektive Wertgehalt des „Rechts auf Leben“ darf nicht gegen die Selbstbestimmung des Grundrechtsträgers ausgespielt werden.[10]

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Art. 2 EMRK schützt, wie auch Art. 6 UNO-Pakt II, ebenfalls das Recht auf Leben; aus Art. 2 EMRK kann kein Recht zu sterben und ebenso wenig ein Recht auf Selbstbestimmung im Sinne eines Rechts auf Entscheidung für den Tod anstelle des Lebens abgeleitet werden.[11] Der Staat muss somit gemäss Urteil Pretty vs. United Kingdom die aktive Sterbehilfe nicht zulassen – (ausdrücklich) offen gelassen wurde die Frage, ob er sie zulassen darf.[12] Bei der Auslegung von Art. 2 EMRK sollte der durch die Rechtsprechung des EGMR herausgebildete konventionsrechtliche Menschenwürdeansatz[13] miteinbezogen werden – dies in dem Sinne, dass sich der Ausdruck „deprivation of life“ im Hinblick auf bestimmte Fälle systematisch und teleologisch reduzieren lässt.[14] Bei der passiven Sterbehilfe hingegen liegt keine gezielte Lebensbeendigung vor, sondern lediglich die Nichtaufnahme lebenserhaltender Massnahmen durch einen Dritten, weshalb durch die Möglichkeit des Behandlungsverzichts keine staatliche Schutzpflicht aus Art. 2 EMRK verletzt wird.[15] Auch der Abbruch lebenserhaltender Massnahmen wird durch die h.L. hier eingeordnet, obwohl dies strittig ist.

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