Читать книгу Konstruktive Rhetorik - Jürg Häusermann - Страница 14
Einfluss auf Inhalt und Sprache
ОглавлениеWas gesagt werden kann und wie es gesagt werden soll, ist in der öffentlichen Rede Beschränkungen unterworfen. Der Veranstalter kann für die Reden, die in seinem Einflussbereich gehalten werden, eigene Regeln formulieren. Was die TED-Vorträge betrifft, so existiert eine Liste, die angibt, welche Inhalte zulässig sind und welche nicht. Dies geht so weit, dass Behauptungen, die sich „außerhalb orthodoxen wissenschaftlichen Denkens“18 bewegen, der Zensur unterworfen werden.19 Aber auch für die Sprache gibt es Regeln. So ist zum Beispiel „unpräzises New-Age-Vokabular“ verboten.20 Es ist leicht denkbar, dass es da Redner schwer haben, die eine radikale politische oder philosophische Position vertreten.21
Als selbständiges Unternehmen hat TED die Freiheit, seine eigenen Regeln aufzustellen, ähnlich, wie es auch für andere Veranstalter gilt, seien es jetzt Ausbildungsstätten, Vereine oder andere private oder öffentliche Einrichtungen. Meistens bleiben die Regeln unausgesprochen, bis daraus Konflikte entstehen. Im Fall von Hanauer kam es bald zu einem Kräftemessen zwischen TED und dem Redner, der immerhin finanzkräftige Partner hinter sich wusste. Er wehrte sich erfolgreich. TED gab klein bei, lud später Hanauer sogar erneut ein, um ihn dann sehr schmeichelhaft auf der TED-Website zu präsentieren.22
Die Regeln des Veranstalters müssen nicht, wie bei TED, schriftlich festgelegt23 sein; andernorts hält man sich mehr oder weniger unbewusst an traditionelle Formen. Wie der Pfarrer bei der Taufe spricht (in welcher Kleidung, welchen Worten, an welchem Platz in der Kirche und mit welchen Gesten), ist in der Liturgie des Gottesdienstes festgeschrieben. Was im Parlament möglich ist und was nicht, schreibt die Geschäftsordnung vor. Aber auch wenn Jugendliche einen Debattierclub gründen, stellen sie ad hoc Regeln auf, die nicht sehr von den überlieferten Gebräuchen abweichen, obwohl sie es in der Hand hätten, völlig neuartige Formen auszuprobieren.
Der Einfluss des Veranstalters:
Platzierung der Rede im Programm: im Kontrast zu anderen Reden
Regeln zur Form: von der Kleidung bis zum sprachlichen Ausdruck
Festlegung inhaltlicher Grenzen
Entscheidung über die Weiterverbreitung: Kontakt zur Presse, Internetauftritt, Aufnahme in Publikationen
Alle diese Formen der Einflussnahme lassen einen wichtigen Grundton des Redens in der Öffentlichkeit erkennen: Es geschieht in einem Kontext der Autorität. Der Rollenunterschied zwischen Redner und Zuhörenden fügt sich ein in das Machtgefälle von Veranstalter und Publikum. Wenn der Redner sich den Vorgaben des Veranstalters fügt, profitiert er von dessen Macht. Wenn er (wie Hanauer) Thesen vertritt, die den Interessen des Veranstalters widersprechen, oder formale Vorgaben unterläuft (wie es gelegentlich bei Oscar-Verleihungen zu beobachten ist), nimmt er einen Machtkampf auf, den er auch verlieren kann. Auf der anderen Seite ist der Erfolg von Reden oft gerade darauf zurückzuführen, dass der Redner in Maßen auf Distanz zum Veranstalter geht, mit dessen Regeln kokettiert oder sie explizit missachtet.
In der Fernsehserie Wie man mit Mord davonkommt24 steht eine Juraprofessorin im Mittelpunkt, die ihre Strafrechtsvorlesung nicht als Theorie von Recht und Unrecht konzipiert hat, sondern als Anleitung, das Gesetz zu umgehen. Damit hebt sie sich explizit von ihren Kollegen ab. Gleichzeitig erzielt sie auf diese Weise einen enormen Zulauf von Studierenden und nützt damit nicht nur ihrem eigenen Renommee, sondern auch dem ihrer Universität.
Zu berücksichtigen bleibt, dass institutionelle Vorgaben auch etwas Gutes haben. Auch wenn sie in vielen Fällen lächerlich oder veraltet wirken, erleichtern sie andererseits auch die Kommunikation. Sie unterstreichen die Funktion der betreffenden Person und verleihen ihr damit mehr Autorität. Zur rhetorischen Praxis gehört es, sich zu überlegen, inwieweit es möglich ist, von den Normen des Veranstalters zu profitieren, aber auch von ihnen abzuweichen, um nicht nur als Vertreter einer abstrakten Instanz, sondern auch als Individuum in den Dialog mit dem Publikum zu treten.