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Vorbereitet

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Als Charles de Gaulle 1967 auf dem Balkon des Rathauses von Montréal stand und die Bürger von Québec gegen die Zentralregierung aufwiegelte, hatte dies alle Anzeichen eines improvisierten Statements. Mikrofon und Verstärkeranlage mussten in aller Eile installiert werden, de Gaulle schien in der aktuellen emotionalen Situation einer plötzlichen Eingebung zu folgen. In Wirklichkeit war es eine klar kalkulierte Rede, und er hatte schon lange zuvor beabsichtigt, ohne Rücksicht auf die französisch-kanadische Beziehungen die Separatisten von Québec zu unterstützen. Sein Ruf: „Vive le Québec libre!“ hatte, isoliert gesehen, den Anschein des Spontanen; in Wirklichkeit reihte er sich in eine längere Folge diplomatischer Affronts ein.42

Viele Gespräche im Alltag entstehen spontan und laufen ohne eine geplante Struktur ab. Wenn es dabei drunter und drüber geht, liegt darin oft gerade ihr Reiz. Eine Rede für die Öffentlichkeit dagegen hat in der Regel eine längere Entstehungsgeschichte. Sie geschieht oft in Zusammenarbeit mit anderen, mit Rückgriff auf andere Reden und Texte als Quellen. Im Prinzip aber handelt es sich um vorbereitete Reden – um Wortmeldungen, denen eine gewisse Zeit der Überlegung vorausgegangen ist. Diese zerfällt meistens in mehrere Arbeitsschritte. Schon in der Rhetorik des klassischen Altertums stellte die Gliederung der Arbeit in so genannte Produktionsstadien ein wichtiges Hilfsmittel dar. Es waren meist fünf, und sie werden noch heute mit ihren lateinischen Namen bezeichnet.43 Die ersten vier davon können als Vorbereitungsphasen verstanden werden:

[1] Inventio

das Auffinden des Stoffs, der Informationen, die seine Botschaft erhellen und stützen

[2] Dispositio

die Anordnung der einzelnen Aussagen so, dass die Rede einen überzeugenden Aufbau erhält

[3] Elocutio

die sprachliche Gestaltung der Rede

[4] Memoria

das gedankliche Durchgehen und Sich-Einprägen der Rede

[5] Actio

der Auftritt, mit der sprecherischen und körpersprachlichen Präsentation der Rede44

Dass man vorbereitet vor ein Publikum tritt, entspricht auch den Erwartungen an eine Redner: Als Einzelperson zu einer Gruppe zu sprechen, ist ein Privileg. Dazu gehört eine Kompetenz, die es einem weiteren Kreis lohnend macht, zuzuhören und dabei das eigene Wissen zu ergänzen oder in Frage zu stellen. Experte zu sein, bedeutet aber in dem meisten Fällen nicht einfach, aus dem erworbenen Wissen zu schöpfen, sondern recherchieren zu können. Auf keinem Gebiet ist es ratsam, einen alten Vortrag aus der Schublade zu ziehen und ihn so zu halten, wie es vor ein paar Jahren, Monaten oder auch Tagen passend war.

Recherche ist eine Schlüsselkompetenz in sehr vielen Berufen; wenn es darum geht, einen Text zu verfassen (und sei es eben auch eine gesprochene Rede), kommt man ohne sie nicht aus. Für die öffentliche Rede ist sie ein wichtiges Merkmal, das sie vom alltäglichen Gespräch unterscheidet. Unsicherheit über einen Sachverhalt gehört zur privaten Konversation. „Lass uns das mal nachschlagen/googeln/erfragen“ ist eine gängige Aufforderung, mit der man gemeinsam Informationen ergänzt, um danach weiter diskutieren zu können. In der öffentlichen Rede sind die entsprechenden Handlungen der Actio vorgeschaltet.

Jedes, auch das improvisierte Reden geschieht aus einer Kompetenz heraus, die man sich vorher erworben hat und die einen dazu legitimiert, das Wort zu ergreifen. Dies ergibt ein besonderes Merkmal des öffentlichen Redens: inhaltliche Verdichtung. Man hat sich mit recherchiertem Material beschäftigt, den Inhalt auf einen vorgegebenen Umfang reduziert, musste von anderen formulierte Aussagen in die eigene Rede übernehmen - all dies führt zu einer dichten Folge von Informationen, die durch einmaliges Anhören nicht leicht aufgenommen werden. Verständlichkeit und Attraktivität öffentlicher Rede werden durch ihre Vorbereitung beeinflusst. Der Sprachstil nähert sich, trotz des mündlichen Charakters, der geschriebenen Sprache an: Lange, komplexe Sätze, unübersichtlicher Aufbau, abstrakter Wortschatz sind Merkmale dafür. Schriftliche Unterlagen beeinflussen zudem die Art, wie der Redner klingt, und engen seinen Bewegungsspielraum ein. All dies vergrößert die Distanz zum Publikum. Dies bedeutet natürlich nicht, dass ein Zuviel an Vorbereitung schädlich wäre. Es bedeutet vielmehr, dass eine Sprache anzustreben wäre, die sich dem Stil der spontanen, einfachen Sprache des Alltags annähert. Das Hauptproblem in der praktischen Rhetorik ist deshalb das Herstellen von Verständlichkeit ( Kapitel 1519).

Hinzu kommt die Schwierigkeit, die Grenze zwischen eigenen und fremden Aussagen deutlich zu machen. Dies illustriert der folgende Auszug aus einer Zwischenfrage in einer Haushaltsdebatte im Deutschen Bundestag:

[Norbert Barthle, CDU:] »Herr Kollege, es gibt heute eine Nachricht in der FTD [Financial Times Deutschland], da wird gemeldet: … In dieser Meldung werde ich zitiert mit der Aussage: … Und das ist genau die Position, die die Koalition vertritt, die die Bundeskanzlerin vertritt; denn die Bundeskanzlerin sagt klipp und klar: … «45

Die gesamte Intervention ist aus Zitaten aufgebaut – Zitaten von journalistischen Quellen, Kollegen und dem Sprecher selbst. Es erfordert die Fähigkeit, sich mit Geschriebenem auseinanderzusetzen und klar abzugrenzen, was man selbst meint und inwiefern man fremde Meinung nur referiert, um diese allenfalls später zu kritisieren.

Auf der anderen Seite nützt jedem Redner die längere Beschäftigung mit ihrem Thema, indem bewährte Äußerungen entstehen, auf die sich zurückgreifen lässt. Jeder, der sich an ein Publikum wendet, wird möglichst verhindern, dass er aus dem Stegreif reden muss. Und wenn es ihn dennoch einmal kalt erwischt, ist er froh, wenn er auf Redebausteine zurückgreifen kann, die er bereits anderswo erprobt hat oder die zu seiner täglichen Arbeit gehören.

Zur Erinnerung an Martin Luther King gehört die berühmte Rede, die er am 28. August 1963 am Ende des großen Marsches auf Washington vor dem Lincoln Memorial hielt. Auf dem Film, der das dokumentiert, wirkt er vor der riesigen Menschenmenge wie in Trance. I have a dream …, sagt er in der Mitte der Rede und hebt an zu der berühmten Passage, einer Vision von einem Amerika der Einheit und Gleichberechtigung. Aber dies ist weder eine spontane Eingebung noch eine einsame Tat. Hinter ihm auf dem Podium sitzt die Sängerin Mahalia Jackson. Er ist mitten in seinem vorbereiteten Text, als sie ihm zuruft: „Erzähl ihnen vom Traum, Martin!“46

Da schiebt King sein Manuskript beiseite, und spricht die unsterblichen Worte:

»Heute, meine Freunde, sage ich euch: Auch wenn wir uns den Schwierigkeiten des heutigen und morgigen Tags stellen, habe ich immer noch einen Traum. Es ist ein Traum, der tief im amerikanischen Traum wurzelt. Ich träume davon, dass eines Tages diese Nation aufsteht und die wahre Bedeutung ihres Bekenntnisses erleben wird: Wir erachten diese Wahrheiten als selbstverständlich: dass alle Menschen gleich erschaffen worden sind …«

Und dann erweitert er sein Bekenntnis mit drei Bildern, die diese Sehnsucht illustrieren:

»Ich träume davon, dass sich eines Tages, auf den roten Hügeln von Georgia die Söhne einstiger Sklaven und die Söhne einstiger Sklavenhalter zusammensetzen können am Tisch der Bruderschaft.

Ich träume davon, dass eines Tages sogar der Staat Mississippi, ein Staat, der in der Hitze des Unrechts schmort, in der Hitze der Unterdrückung schmort, sich wandelt zu einer Oase der Freiheit und Gerechtigkeit.

Ich träume davon, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben, in der man sie nicht nach ihrer Hautfarbe beurteilt, sondern nach dem Gehalt ihres Charakters.«47

So spontan King zu dieser unsterblichen Passage kam, so wenig improvisiert war sie. So wohlgesetzte Worte können nicht einer plötzlichen Eingebung entspringen. King konnte auf ein Repertoire zurückgreifen, das er im Lauf der Zeit aufgebaut hatte. Bei mehreren früheren Ansprachen hatte er ähnliche Passagen verwendet. Als Mahalia Jackson rief: „Erzähl ihnen vom Traum“, meinte sie genau das. Vielleicht wäre er auch selbst noch darauf gekommen. Aber auf jeden Fall nahm er die Anregung bereitwillig auf. Eine Mischung zwischen vorformulierten Passagen und spontaner Kreativität machten die Rede zu einem authentischen Produkt.

Vorbereitung kann einengen oder Sicherheit bringen

Eine gute Vorbereitung birgt immer die Gefahr, dass man sich zu eng an einem Konzept orientiert. Die Rede kann in Sprache und Tempo zu starr wirken. Gute Vorbereitung kann aber auch als Chance gesehen werden, so weit von ihr abzuweichen, dass die Rede lebendig wirkt – dank spontaner Ergänzungen, Tempoveränderungen, Reaktionen auf Einwände. Je besser dabei die Vorbereitung, desto leichter ist es, von ihr abzuweichen und bei Bedarf wieder zu ihr zurückzukehren.

Konstruktive Rhetorik

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