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Tradition, Ritual, Macht

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Dass gesprochene Sprache und Ritual eng zusammengehören, wird zu einem gewissen Grad immer so bleiben. Ohne den rituellen mündlichen Vortrag, der noch im Mittelalter weit wichtiger war als der Umgang mit der Schrift, wäre unsere Literatur arm dran.26 Reden werden gehalten, um Jubilare zu ehren, um Begräbnissen einen würdigen Rahmen zu geben oder auch um an einem politischen Feiertag ein Zeichen zu setzen. Nicht was gesagt wird, sondern dass etwas gesagt wird, ist wichtig. Ohne gesprochene Formeln bei Gründungsakten, Taufen oder Ernennungen könnte die betreffende Handlung gar nicht durchgeführt werden. Einen negativen Einfluss auf den Umgang mit dem Reden hat erst der Umstand, dass in vielen Fällen Äußerlichkeiten, Form und Gehabe wichtiger genommen werden als der Inhalt. Und so lange es das Reden als Ritual gibt, wird man es auch mit Werten verknüpfen, die sich weitab vom Inhalt des Gesagten bewegen.

Dies ist in der öffentlichen Rede ständig präsent. Umso wichtiger ist es für den Einzelnen, sich vom sozialen Druck, der daraus entsteht, so weit wie möglich zu emanzipieren und nur diejenigen Rahmenbedingungen zu akzeptieren, ohne die man nicht auskommt. Es geht also darum, sich an die Erwartungen der Umgebung so weit anzupassen, dass die Verständigung nicht darunter leidet.

Dass der Versuch, den rhetorischen Machtverhältnissen eigene Werte entgegenzustellen, in der klassischen Rhetoriktradition aber bald auf Grenzen stößt, zeigt drastisch auch die Genderproblematik.

Das Reden in der Öffentlichkeit galt seit jeher generell als Männerdomäne. Die klassische Rhetorik demonstriert dies sehr gut, deren Vorannahmen und Regeln auf männliche Juristen, Politiker oder Kulturschaffende ausgerichtet waren. Die ideale Rednerpersönlichkeit war der vir bonus, der rechtschaffene Mann. Frauen, die sich in der Antike poetisch oder politisch im männlich definierten öffentlichen Raum äußerten, wurden von männlicher wie weiblicher Seite gleichermaßen kritisch beäugt und ihr Einfluss und Respekt wurden „in der Regel unterminiert.“27 Konrad Lienert, Verfasser einer „Einführung in die Redekunst“, die es vor gut hundert Jahren zu sieben Auflagen brachte, setzte dem Buch mit dem Titel Der moderne Redner noch ohne Bedenken die folgenden Zeilen voran:

»Das war ein Mann! Sein Schwert hat er geschwungen,

Das Schwert des Wortes, männlich, kühn und scharf,

Und Jauchzen schallte, wenn dies Schwert erklungen,

Wenn es zu Boden jeden Gegner warf.«28

Da ist alles drin, was zur Verherrlichung der „Macht des Wortes“ gehört,29 und nicht nur der Führer des Schwertes ist ein Mann, sondern auch das Schwert selbst, das jeden Gegner niederschlägt, ist männlich.

Nun hat sich zur Zeit des besagten türkischen Astronomen in Europa einiges getan. Die Frauenbewegung kämpfte für die Gleichberechtigung, Politikerinnen wie Rosa Luxemburg verschafften sich trotz Anfeindungen Gehör. Aber die Normen blieben männliche Normen. Auch die kriegerische Vorstellung, dass öffentliches Reden ein Kampf sei, in dem das stärkere Argument obsiegt, passt zu einer Welt, in der die Männer für Sieg und Niederlage zuständig sind, die Frauen dagegen für den Ausgleich und das Zusammenkehren der Scherben.

Es ist zwar ein Topos der praktischen Rhetorikliteratur, dass „Frauen den Beziehungsaspekt in ihrer Rede in den Vordergrund stellen und einen partnerschaftlichen, kooperativen und integrativen Redestil pflegen.“ Männer dagegen bevorzugen angeblich einen Stil der Auseinandersetzung und der Sachlichkeit.30 Es existieren moderne Rhetorikratgeber für Frauen, die ein Redeverständnis vertreten, „das nicht auf der Unterscheidung von Sieg und Niederlage basiert, sondern das Raum für ein Nebeneinander von souveränen Subjekten lässt.“31 Doch dies hat bisher in der öffentlichen Rede weder zu einem erkennbaren weiblichen Stil noch zu einem Umdenken männlicher Redner geführt.

Der Einfluss gesellschaftlicher und kultureller Normen

Anwendung von Praktiken der eigenen Gruppe/Kultur auf andere

Verwechslung rednerischer Fähigkeiten mit persönlichen Qualitäten

Betonung ritueller Funktionen von Reden

Vorgabe „männlich“ besetzter Rede-Ideale

Für die Ziele dieses Buchs ist es zunächst wichtig festzuhalten, dass zu den traditionellen Rahmenbedingungen des öffentlichen Redens Faktoren gehören, die sich aus institutioneller, politischer und geschlechtsbezogener Macht ergeben. Der rednerische Auftritt in einem Rahmen über Jahrhunderte entwickelter Machtinstrumente ist nicht möglich, ohne dass auch die Rednerin auf diese zurückgreift. Aber es ist in vielen Fällen möglich, auf Kommunikationsweisen zu verzichten, die nur dem Machterhalt und nicht der Sache dienen, und alternative Formen der Auseinandersetzung zu finden.32 Hilfreich ist es dabei, die Funktion der einzelnen Rede nicht zu überschätzen, sondern sie als einen von vielen Kommunikationsprozessen in einem größeren Ganzen zu sehen. Nicht der Auftritt der Politikerin in der Gemeindeversammlung ist entscheidend, sondern die Gesamtheit der Arbeitsschritte, die ihm vorangegangen sind und folgen werden.

Konstruktive Rhetorik

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