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ОглавлениеAus Paschasius Radbertus, Buch über Leib und Blut des Herrn, 831
(R. Mokrosch/H. Walz, Kirchen- und Theologiegeschichte in Quellen: Mittelalter, S. 42f.).
(41) Dass durch die Weihung des Mysteriums wahrhaft Leib und Blut entsteht, bezweifelt niemand, der den Worten Gottes glaubt. […] (82) Die Substanz von Brot und Wein wird im Innern wirksam in Christi Fleisch und Blut verwandelt.
Im Umfeld des westfränkischen Herrschers Karls des Kahlen (840–877) stieß diese Auffassung offenbar auf Unverständnis. Der Enkel Karls des Großen ließ in Corbie nachfragen, ob beim Abendmahl Leib und Blut Christi „im Mysterium“ oder „in Wahrheit“ empfangen werde. Die Antwort übernahm der neue Leiter der Klosterschule von Corbie, Ratramnus (†nach 868), und sie fiel anders aus als diejenige des Paschasius, der mittlerweile zum Abt des Klosters aufgestiegen war. Ratramnus erkannte im eucharistischen Leib das Abbild (figura) des historischen Leibes Christi, eine reale Gleichsetzung lehnte er mithin ab. Für ihn vergegenwärtigte sich das Leiden und Sterben Jesu mit jeder Kommunion durch die Ähnlichkeit (similitudo) des eucharistischen mit dem historischen Leib und Blut. Gegen eine reale Präsenz Christi im Abendmahl führte er an, dass sich bei dieser Annahme das Opfer des Herrn bei jeder Kommunion real wiederholen müsse. Diese Gegenposition blieb im 9. Jahrhundert ohne spürbare Resonanz. Der theologische Streitpunkt bildete jedoch die Grundlage für einen weitaus ernsteren Konflikt um das Abendmahl, der sich im 11. Jahrhundert zu einer Frage von Häresie und Dogma entwickelte (s. Kap. III.2).
Prädestinationsstreit
Größere Wellen schlugen in der Mitte des 9. Jahrhunderts die Aussagen des Mönchs Gottschalk (†866/70) zur Prädestination. Aus sächsischem Adel stammend, wurde Gottschalk zunächst im Kloster Fulda erzogen, erwirkte jedoch im Jahre 829 den Austritt. Als Wanderprediger, Pilger und Gelehrter hielt er sich in den kommenden Jahren in verschiedenen Klöstern des Frankenreichs, aber auch in Rom und auf dem Balkan auf. Nach seiner Rückkehr in das Ostfrankenreich stieß er wegen seiner Lehren mit seinem ehemaligen Abt, Hrabanus Maurus von Fulda (†856), zusammen. Als Anhänger der augustinischen Gnadenlehre verwarf der Sachse die Auffassung vom freien menschlichen Willen und der Wirksamkeit guter Werke, wie sie Hrabanus vertrat. Für Gottschalk war der Weg jedes Menschen zum Heil durch Gott in einem festen Heilsplan vorgezeichnet. Welcher Mensch von Gott zum ewigen Leben erwählt und welcher verloren sei, liege allein in der göttlichen Vorsehung (Prädestination). Für den Menschen sei seine Bestimmung indes erst rückblickend im Jüngsten Gericht erkennbar. Dem gegenüber beharrte Hrabanus darauf, Gott habe alle Menschen, die der Gnade der Taufe teilhaftig geworden seien, nur zum Guten bestimmt. Abweichungen zum Bösen und damit den möglichen Verlust des Seelenheils könne der Mensch durch seinen freien Willen selbst bewirken.
Gottschalks Auffassung von „einer Vorherbestimmung Gottes, die die Menschen in den Tod zu gehen zwingt“, wurde schließlich auf einer Mainzer Synode unter Hrabanus, der mittlerweile Erzbischof von Mainz geworden war, im Jahre 847 als Irrlehre verurteilt. Das Urteil wurde zwei Jahre später durch eine Synode in Quierzy unter Erzbischof Hinkmar von Reims (†882) noch einmal verschärft und Gottschalk mit einem lebenslänglichen Lehr- und Schreibverbot belegt. Gottschalk selbst bezichtigte seine Gegner ihrerseits der Häresie, scheiterte jedoch am Widerspruch der beiden einflussreichen Erzbischöfe Hrabanus und Hinkmar. Seine theologischen Ansichten über Gnade und Prädestination fanden gleichwohl in den Schriften führender fränkischer Theologen Widerhall, so bei Ratramnus von Corbie, Abt Lupus von Ferrieres oder Bischof Prudentius von Troyes. Das Thema der Ketzerei erlangte im Frankenreich gleichwohl – ganz im Gegensatz zur östlichen Kirche – weder innerhalb der Kirche noch außerhalb größere Bedeutung. Im späteren 9. und im 10. Jahrhundert verblasste auch die fränkische Theologie vor dem Hintergrund von Reichsteilungen und äußeren Bedrohungen.